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Jeremias Gotthelf

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Jeremias Gotthelf, Bildnis von Johann Friedrich Dietler (um 1844).

Jeremias Gotthelf (* 4. Oktober 1797 in Murten; † 22. Oktober 1854 in Lützelflüh) war das Pseudonym des Schweizer Schriftstellers und Pfarrers Albert Bitzius.

Leben

Kindheit und Jugend

Gedenktafel an Gotthelfs Geburtshaus, dem deutsch-reformierten Pfarrhaus in Murten

Albert Bitzius wurde am 4. Oktober 1797 in Murten als Sohn des reformierten Pfarrers Sigmund Bitzius (1757–1824) und seiner dritten Frau Elisabeth Bitzius-Kohler (1767–1836) geboren. Mit seiner ersten Frau Maria Magdalena Studer hatte er die Tochter Maria Magdalena Bitzius (1788–1860). 1805 wurde der Vater ins Bauerndorf Utzenstorf versetzt. Hier lernte Albert die bäuerliche Welt des Emmentals kennen. Der Vater unterrichtete Albert selbst. Ab 1812 besuchte Albert die Literarschule in Bern und wechselte ab 1814 als Externus (Auswärtiger, Hörer) auf die Hochschule für Theologen. Aus dieser Zeit schrieb er:

Hier brachte ich drei Jahre in der sogenannten Philosophie sehr fleissig zu, trieb alte Sprachen, Mathematik, Philosophie, wo Joh. Rud. Wyss besonders freundlich und väterlich sich meiner annahm. Meiner Mutter selig sagte er einmal: „Sagt doch euerm Sohne, er solle schöner schreiben lernen, er schreibt wie eine Sau. Lässt er mal was drucken, besonders in Deutschland, so hat er Schinders Verdruss.“ „Ja wolle“, antwortete meine Mutter, „das wird er wohl lah blybe.“ „Man kann nie wissen“, sagte Wyss. (aus Sämtliche Werke. Rentsch, Erlenbach-Zürich, 1921–1977, Ergänzungsband 18, S. 13f.)

Ausbildung

Göttinger Gedenktafel für Jeremias Gotthelf

1817 begann er das ordentliche Theologiestudium in Bern, welches er 1820 abschloss. 1819 war er Gründungsmitglied des Schweizerischen Zofingervereins.[1] Nach einem Vikariat bei seinem Vater in Utzenstorf setzte er das Studium 1821 in Göttingen für ein Jahr fort.[2] Auf einer anschliessenden Studienreise besuchte er die Insel Rügen, Berlin, Weimar, Leipzig, Dresden und München. Im Frühjahr 1822 kehrte er zurück nach Utzenstorf. 1824 starb sein Vater und Bitzius wurde Vikar in Herzogenbuchsee. 1829 kam er als Pfarrgehilfe nach Bern an die Heiliggeistkirche. 1831 wechselte er als Vikar in die Pfarrei Lützelflüh im Emmental, wo er ein Jahr später zum Pfarrer gewählt wurde.

Das Wirken in Lützelflüh

Schon bald setzte er sich für die Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht ein. Pädagogisch stand er in der Tradition Johann Heinrich Pestalozzis, dem er am 28. April 1826 an der Jahresversammlung der Helvetischen Gesellschaft in Langenthal persönlich begegnet war. Gegenüber seinem Berner Landsmann Philipp Emanuel von Fellenberg war er kritischer eingestellt. Er kämpfte gegen die Ausbeutung der Verdingkinder aus armen Familien als billige Arbeitskräfte und verlangte Massnahmen gegen den Alkoholismus.

1833 heiratete er in der Kirche Wynigen Henriette Zeender (1805–1872), Tochter des Berner Theologieprofessors Jakob Emanuel Zeender (1772–1807). Zusammen hatten sie drei Kinder: Marie Henriette (1834–1890), Albert (1835–1882) und Cecile (1837–1914). Der Sohn wurde später ebenfalls Pfarrer und setzte in vielen Bereichen die Bemühungen des Vaters für eine Sozialreform im Kanton Bern fort. Die ältere Tochter heiratete einen Pfarrer und schrieb nach dessen Tod wie ihr Vater unter Pseudonym.

1835 wurde Bitzius zum Schulkommissär für die 18 Schulen der Gemeinden Lützelflüh, Rüegsau, Hasle und Oberburg gewählt. Nach zehn Jahren wurde er aus diesem Amt wegen politischer Differenzen mit der Regierung entlassen.

Ebenfalls 1835 war er massgeblich an der Gründung der Armenerziehungsanstalt Trachselwald im Schlossgut Trachselwald beteiligt. Bis zu seinem Tod setzte er sich dafür ein. In der Schrift Die Armennoth (erstmals 1840) verarbeitete er die gemachten Erfahrungen.

Eine politische Tätigkeit war ihm aufgrund seines Pfarramtes verwehrt. In seinen Schriften kritisierte er die herrschenden Berner Familien, die sich seiner Ansicht nach zu wenig um die sozial Schwachen kümmerten.

Der Journalist und Schriftsteller

Jeremias Gotthelf auf der 20-Franken-Gedenkmünze von 1997 anlässlich seines 200. Geburtstages, gestaltet von Samuel Buri

Ab 1828 und vor allem ab 1831 betätigte sich Gotthelf journalistisch. Bis zu seinem Tod verfasste er rund 150 meist ungezeichnete Zeitungsartikel, in denen er politische, wirtschaftliche und soziale Themen behandelte. Die meisten seiner Artikel erschienen im Berner Volksfreund.[3] Zielscheiben seiner Kritik waren prominente Berner Radikale wie Karl Neuhaus und Jakob Stämpfli. Heftige Auseinandersetzungen hatte er ausserdem mit dem Juristen Wilhelm Snell, einem Professor an der Universität Bern, der einen radikalen Liberalismus lehrte und die von Gotthelf geforderten Reformen als zu interventionistisch ablehnte. Politisch und persönlich stand Gotthelf dem liberalkonservativen Eduard Blösch nahe.

1836 fing Gotthelf mit der Schriftstellerei an. Sein erster Roman war Der Bauern-Spiegel. Der Name der Hauptfigur aus diesem Werk wurde zugleich der Schriftstellername von Bitzius: Jeremias Gotthelf. In den folgenden Jahren war er unermüdlich als Schriftsteller tätig und veröffentlichte Romane, Erzählungen, zeitgenössische und historische, sowie Aufsätze.

Einen wesentlichen Anteil an der Verbreitung des literarischen Werkes von Jeremias Gotthelf in den norddeutschen Ländern hatte Julius Springer, in dessen Berliner Verlag ab 1846 sämtliche Schriften erschienen. Zur Steigerung der Bekanntheit hatte Springer seinem Autor immer wieder geraten, Redewendungen und Begriffe in lokaler Schweizer Mundart sparsam zu verwenden. Das erste Buch in hochdeutscher Fassung ist Uli der Knecht (1846). Springer bot Gotthelfs Bücher in unterschiedlichen Ausstattungen und in allen Preislagen an.[4][5]

Krankheit und Tod

1851 brach ein Hals- und Herzleiden mit Wassersucht aus. 1853 konnte ein Kuraufenthalt in Gurnigelbad keine Linderung seines Hustens und der Schlafsucht bringen. Jeremias Gotthelf starb am 22. Oktober 1854 an einer Lungenembolie, welche infolge einer Lungenentzündung auftrat.

Bedeutung und Nachwirkung

Seine Romane spiegeln in einem zum Teil erschreckenden Realismus das bäuerliche Leben im 19. Jahrhundert. Mit wenigen starken, wuchtigen Worten konnte er Menschen und Landschaften beschreiben. Gotthelf verstand es wie kaum ein anderer Schriftsteller seiner Zeit, die christlichen und die humanistischen Forderungen in seinem Werk zu verarbeiten. Nachdem ihn die Berner Sanitätskommission im Januar 1843 gebeten hatte, eine volkstümliche Schrift gegen das Kurpfuscherwesen zu verfassen, entstand daraus schliesslich der zweibändige Roman Wie Anne Bäbi Jowäger haushaltet und wie es ihm mit dem Doktern geht.

In seiner Rahmennovelle Die schwarze Spinne (1842) verarbeitet er alte Sagen zu einer gleichnishaften Erzählung über christlich-humanistische Vorstellungen von Gut und Böse. Zuerst kaum beachtet, gilt diese Erzählung bei vielen Literaturkritikern als eines der Meisterwerke des deutschen Biedermeier. Thomas Mann schrieb darüber in Die Entstehung des Doktor Faustus, dass Gotthelf „oft das Homerische“ berühre und dass er seine Schwarze Spinne „wie kaum ein zweites Stück Weltliteratur“ bewundere. Als Schriftsteller, so beschrieb ihn Walter Muschg 1954, ist „dieser Aussenseiter […] fraglos nicht nur der grösste, sondern der einzige Erzähler ersten Ranges in der deutschen Literatur, der einzige, der sich mit Dickens, Balzac oder Dostojewskij vergleichen lässt.“ Weiter räumt Muschg besorgt ein: „Trotzdem ist er vielen hervorragenden Kennern unbekannt. Sein Name entlockt ihnen unfehlbar ein Lächeln, und es scheint ausgeschlossen, dass er jemals in die Weltliteratur eingehen wird. Nicht nur deshalb, weil nur ein Schweizer die Fülle seiner barbarischen Sprache ermessen kann.“[6]

Sein Ideal einer von Fleiss, Bodenständigkeit, Heimatliebe und Religiosität geprägten Gesellschaft sah Gotthelf durch Individualismus, Radikalismus und die fortschreitende Industrialisierung bedroht. Als Symbole dieser vermeintlichen Gefährdung von Haus und Hof fungieren in seinem Werk auch Juden, die überwiegend negativ dargestellt werden, z. B. als Spekulanten und Betrüger; ebenso finden sich auch die antijudaistischen Legenden vom „Gottesmord“ und der „jüdischen Verstocktheit“ in seinen Erzählungen.[7]

Gottfried Keller rezensierte zwischen 1849 und 1855 eine Reihe von Gotthelfs Büchern (→ s:Keller über Jeremias Gotthelf). Darin kritisierte er die Zügellosigkeit von dessen anti-radikaler Propaganda, pries ihn aber gleichzeitig als grossen epischen Dichter. In einer ausführlichen Würdigung nach dem Tode Gotthelfs charakterisiert er seinen Landsmann:

„Man nennt ihn bald einen derben niederländischen Maler, bald einen Dorfgeschichtenschreiber, bald einen ausführlichen guten Kopisten der Natur, bald dieß, bald das, immer in einem günstigen beschränkten Sinne; aber die Wahrheit ist, daß er ein großes episches Genie ist. Wohl mögen Dickens und andere glänzender an Formbegabung, schlagender, gewandter im Schreiben, bewußter und zweckmäßiger im ganzen Thun sein: die tiefe und großartige Einfachheit Gotthelf’s […] erreicht keiner. In jeder Erzählung Gotthelf’s liegt an Dichte und Innigkeit das Zeug zu einem „Hermann und Dorothea“; aber in keiner nimmt er auch nur den leisesten Anlauf, seinem Gedichte die Schönheit und Vollendung zu verschaffen, welche der künstlerische, gewissenhafte und ökonomische Goethe seinem einen, so zierlich und begrenzt gebauten Epos zu geben wußte.“

Der Roman 2666 von Roberto Bolaño dreht sich unter anderem um den fiktiven Schriftsteller Benno von Archimboldi, der den Roman Bitzius über Gotthelfs Leben verfasst haben soll.

Einige von Gotthelfs Werken wurden verfilmt. In der Schweiz waren Uli der Knecht (1954) und die Fortsetzung Uli der Pächter (1955) sehr erfolgreich. Regie führte der Emmentaler Regisseur Franz Schnyder und die später sehr erfolgreichen Darsteller Hannes Schmidhauser und Liselotte Pulver spielten die Hauptrollen.

Gotthelfs Nachlass befindet sich in der Burgerbibliothek Bern. Zu seinen Ehren wurden in vielen Ortschaften, unter anderem in Zürich, Bern und Basel, Strassen nach ihm benannt, wobei jene in Basel einem ganzen Quartier, dem Gotthelf-Quartier, den Namen gibt.

Im August 2012 wurde das Gotthelf Zentrum Emmental Lützelflüh im ehemaligen Pfarrhaus und den dazugehörigen Gebäuden eröffnet.[8]

Gotthelfs Gedenktag im Evangelischen Namenkalender der Evangelischen Kirche in Deutschland ist der 22. Oktober.[9]

Werke

Denkmal von Jeremias Gotthelf vor der deutsch-reformierten Kirche in Murten

Verfilmungen

Literatur

Zitate

  • Wer Neider hat, hat Brot
wer keine hat hat Not
  • Im Hause muss beginnen
was leuchten soll im Vaterland
  • Es ist mit der Liebe wie mit den Pflanzen
Wer Liebe ernten will, muss Liebe säen
  • Wer es allen treffen will
ist ein Narr oder muss einer werden
  • Wer Freude hat am Klagen
wird immer was zum Klagen finden

Weblinks

 Wikisource: Jeremias Gotthelf – Quellen und Volltexte
 Commons: Jeremias Gotthelf – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Rudolf Hunziker: Jeremias Gotthelf (= Die Schweiz im deutschen Geistesleben. Band 50–51). Huber, Frauenfeld 1927, S. 15.
  2. 1821 Briefverkehr zwischen Gotthelf und seiner Stiefschwester Maria Magdalena Bitzius
  3. Vgl. Jeremias Gotthelf: Politische Publizistik 1828–1854. Bd. 1: Text. Hrsg. von Barbara Mahlmann-Bauer, Jürgen Donien, Ruedi Graf und Norbert Wernicke. Hildesheim u. a. 2012, ISBN 978-3-487-14607-2.
  4. Heinz Sarkowski: Der Springer-Verlag. Stationen seiner Geschichte. Teil I: 1842–1945, Berlin 1992, ISBN 3-540-55221-9.
  5. Verlagskatalog von Julius Springer 1842–1911.
  6. Walter Muschg: Dichtertypen. Basel 1954.
  7. Wolfgang Benz (Hg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 2 De Gruyter, Berlin 2009, S. 300 f.
  8. Homepage des Gotthelf Zentrum Emmental Lützelflüh
  9. Jeremias Gotthelf im Ökumenischen Heiligenlexikon
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Jeremias Gotthelf aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.