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Pogrom von Kielce

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Dieser Artikel behandelt den zweiten Pogrom von Kielce im Jahr 1946. Der erste dortige Pogrom wird unter Pogrom von Kielce (1918) behandelt.
Gedenktafel

Als Pogrom von Kielce werden die am 4. Juli 1946 in der polnischen Stadt Kielce erfolgten Ausschreitungen bezeichnet, in deren Folge über 40 polnische Juden ermordet[1][2] und weitere 80 verletzt wurden, nachdem Gerüchte über die Entführung und Ermordung christlicher Kinder verbreitet worden waren. Unter den Opfern befanden sich auch zwei nichtjüdische Polen, die den Angegriffenen zu Hilfe geeilt waren.

Der Pogrom von Kielce gilt als der bekannteste Übergriff auf jüdische Personen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und hatte eine jüdische Emigrationswelle aus Polen zur Folge. Die Rolle der staatlichen Stellen bei diesem Pogrom ist bis zum heutigen Tage nicht geklärt.

Vorgeschichte

Als die deutschen Truppen am 4. September 1939 in Kielce einmarschierten, lebten rund 25.000 Juden in der Stadt. Ab März 1941 wurden sie von den Deutschen in das Ghetto Kielce gesperrt und danach in Konzentrationslager deportiert, oder konnten fliehen. Im August 1944 lebten in Kielce keine Juden mehr. Nach Kriegsende kehrten nach und nach etwa zweihundert Juden nach Kielce zurück. Einige von ihnen waren Überlebende der Konzentrationslager, andere hatten sich verstecken können oder waren ins Innere der Sowjetunion geflohen.[3]

Der Pogrom

Haus an der Planty Nr. 7, 2006

Am 4. Juli 1946 kam es zu anti-jüdischen Protesten vor einem Haus im Zentrum der Stadt, in dem das jüdische Komitee untergebracht war und mehrere Juden wohnten. Auslöser dafür waren Gerüchte über eine angeblich von Juden begangene Kindesentführung, die auf jahrhundertelang propagierte Ritualmordlegenden des christlichen Antijudaismus Bezug nahmen. Angehörige der Miliz betraten unter Waffengewalt das Gebäude. Als die Bewohner auf die Straße flüchteten, wurden sie vom polnischen Mob angegriffen.

Nachgeschichte

Die Mehrheit der etwa 300.000 polnischen Juden, die die deutsche Besatzungszeit überlebt hatten,[4] verstand das Pogrom als unmissverständliches Zeichen, dass es für sie in Polen keine sichere Zukunft gab.

In den nachfolgenden Monaten verließen im Rahmen der Fluchthilfe-Bewegung Bricha mehrere zehntausend Juden das Land. Die Überlebenden des Pogroms flohen zum Teil nach Westdeutschland in die Amerikanische Besatzungszone, wo sie als so genannte Displaced Persons (DPs) vorübergehend Aufnahme in DP-Lagern fanden. Die Zahl jüdischer Displaced Persons stieg in der Amerikanischen Besatzungszone von 36.000 im Januar 1946 auf 141.000 im Oktober 1946; im Sommer 1947 lebten mehr als 180.000 Juden (darunter etwa 80 % aus Polen) in rund 70 Lagern.[5]

Bei der deutschen Bevölkerung, die unter Nahrungsmangel und Kälte litt, rief die bevorzugte Versorgung und Unterbringung der „ostjüdischen Gruppen“ Missgunst und Vorurteile hervor. Die Ergebnisse einer Umfrage, die das Landeskirchenamt Kassel im Oktober 1946 in 25 Kirchenkreisen machte, zeugen von fehlender Wahrnehmung ostjüdischer Verfolgung und deutscher Verantwortlichkeit, von Stilisierung der eigenen Opferrolle und vielfach von ungebrochenen antisemitischen Vorurteilen.[6]

Aufarbeitung

Neun Personen wurden wegen ihrer Teilnahme am Pogrom zum Tode verurteilt und exekutiert, drei zu Gefängnisstrafen verurteilt.[2]

In der Volksrepublik Polen waren Publikationen über das Verbrechen von 1946 nicht zugelassen. Die Gewerkschaft Solidarność forderte nach 1980 eine Dokumentation und eine Debatte über die antisemitisch motivierten Mordtaten der ersten Nachkriegsjahre. Erst mit der politischen Wende von 1989/90 setzte diese Debatte ein. Zum 50. Jahrestag 1996 gedachte Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski der Opfer; allerdings fuhr er nicht nach Kielce, weil es im Stadtrat Widerstand gegen eine Gedenkfeier gegeben hatte.[7] Dies tat erst sein Nachfolger Lech Kaczyński, 2006 sprach er am Ort des Verbrechens von einer „Schande für Polen“.[8]

Das Institut für Nationales Gedenken (IPN), dessen staatsanwaltliche Abteilung 2000 neue Ermittlungen aufgenommen hatte, stellte diese nach vier Jahren ein, weil weder die Hintergründe des Massenmordes hätten aufgeklärt, noch lebende Täter ermittelt werden können.[9] Der Verdacht einer gezielten Provokation wurde jedoch insbesondere in Kreisen der Solidarność thematisiert.[10]

Die Ereignisse wurden im Film Von Hölle zu Hölle (1996) thematisiert, einer deutsch-weißrussischen Koproduktion, an der Artur Brauner als Produzent und einer der Drehbuchautoren beteiligt war.[11]

Literatur

  • David Engel: Patterns Of Anti-Jewish Violence In Poland, 1944–1946. (PDF; 203 kB). Yad Vashem Studies Vol. XXVI, Jerusalem 1998, S. 43–85.
  • Klaus-Peter Friedrich: Das Pogrom von Kielce am 4. Juli 1946. Anmerkungen zu einigen polnischen Neuerscheinungen. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung. ISSN 0948-8294. 45 (1996), S. 411–421.
  • Jan Tomasz Gross: Fear. Anti-semitism in Poland after Auschwitz. An essay in historical interpretation. Random House, New York 2006, ISBN 0-375-50924-0, deutsch: Angst. Antisemitismus nach Auschwitz in Polen. Suhrkamp, Berlin 2012, ISBN 978-3-518-42303-5.
  • Jan T. Gross: Kielce. In: Dan Diner (Hrsg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur. (EJGK). Band 3, Metzler, Stuttgart/Weimar 2012, S. 345–350.
  • Łukasz Kamiński, Jan Żaryn (Hg.): Reflections on the Kielce pogrom. Institute of National Remembrance, Warschau 2006, ISBN 978-83-604-6423-6.
  • Werner Röhr: Massaker an Überlebenden. Zum antijüdischen Pogrom in der polnischen Stadt Kielce am 4. Juli 1946. In: Bulletin für Faschismus- und Weltkriegsforschung. ISSN 1434-5781. 29 (2007), S. 1–32.
  • Arnon Rubin: The Kielce pogrom, spontaneity, provocation or part of a country-wide scheme? (= Facts and Fictions about the Rescue of the Polish Jewry During the Holocaust, Band 6) Tel Aviv University Press, Tel Aviv 2003. ISBN 965-555-144-X.
  • Bożena Szaynok: The pogrom of Jews in Kielce, July 4, 1946. In: Yad Vashem studies. ISSN 0084-3296, 22 (1992), S. 199–235.

Weblinks

 Commons: Kielce pogrom – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Bozena Szaynok: The Kielce Pogrom. Jewish Virtual Library. Abgerufen am 10. Mai 2012.
  2. 2,0 2,1 (Link nicht mehr abrufbar) by Anita J. Prazmowska (eng)
  3. William Glicksman, Stefan Krakowski: Kielce. In: Encyclopaedia Judaica. 2. Auflage. Band 12, Macmillan Reference USA, Detroit 2007, S. 146–147 (Gale Virtual Reference Library).
  4. Jürgen Matthäus: Keine Opfer, keine Täter - Deutsche Reaktionen auf die Zuwanderung von polnischen Juden nach dem Kielce-Pogrom… in: Alfred B. Gottwaldt u. a. (Hrsg.): NS-Gewaltherrschaft. Berlin 2005, ISBN 3-89468-278-7, S. 359.
  5. Jürgen Matthäus: Keine Opfer, keine Täter… in: ISBN 3-89468-278-7, S. 360.
  6. Jürgen Matthäus: Keine Opfer, keine Täter… in: ISBN 3-89468-278-7, S. 367.
  7. 50 Years after Pogrom. The New York Times
  8. Poland Marks 60th Anniversary of Massacre.
  9. Reflections on the Kielce pogrom. Instytut Pamięci Narodowej 2006, ISBN 83-60464-23-5
  10. Krystyna Kersten, Kielce - 4. Juli 1946, in: Osteuropa-Info Nr. 55/1984, "Juden und Antisemitismus in Osteuropa", ISSN 0724-083X, S. 61–73 (übernommen aus: Tygodnik Solidarność, Nr. 36 vom 4. Dezember 1981)
  11. Siehe unter anderem: kinofenster: Daten und Inhaltsangabe und Eintrag auf www.cine-holocaust.de
50.87317320.62658
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Pogrom von Kielce aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.