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Wolfgang Huber

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Wolfgang Huber (2010)

Wolfgang Huber (* 12. August 1942 in Straßburg) ist ein deutscher evangelischer Theologe[1]. Er bekleidete von 1994 bis 2009 das Amt des Bischofs der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und war von 2003 bis 2009 als Nachfolger von Manfred Kock Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland.[2]

Leben

Hubers Vater war der in NS-Deutschland führende Staatsrechtslehrer Ernst Rudolf Huber, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 in acht Bänden veröffentlichte[3] und mit dem er in einem Projekt Quellensammlung zum Verhältnis Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert zusammenarbeitete und – wie sein Bruder – in der Studentenzeit in Göttingen auch wohngemeinschaftlich in Zweitwohnung mit dem Rechtsprofessor im Semester wohnte.[4] Seine Mutter Tula Huber-Simons war Rechtsanwältin in Freiburg/Breisgau; in der Weimarer Zeit Assistentin von Carl Schmitt. Huber ist mütterlicherseits Enkel des Reichsgerichtspräsidenten Walter Simons, der in dieser Funktion nach dem Tod Friedrich Eberts zwei Monate lang als Stellvertreter die Aufgaben des Reichspräsidenten der Weimarer Republik wahrnahm. Huber wuchs als jüngster von fünf Brüdern in Falkau im Schwarzwald sowie in Freiburg im Breisgau auf. Er ist seit 1966 mit der Grundschullehrerin und Autorin Kara Huber verheiratet.[5] Beide haben drei erwachsene Kinder und vier Enkelkinder.[4]

Nach dem Schulbesuch 1948 bis 1960 studierte Huber 1960 bis 1966 Evangelische Theologie in Heidelberg, Göttingen und Tübingen, wo er 1966 promoviert wurde. 1972 habilitierte er sich in Heidelberg für Systematische Theologie. Nach Vikariat und Pfarrtätigkeit 1966 bis 1968 in Württemberg war er von 1968 bis 1980 Mitarbeiter und stellvertretender Leiter der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) in Heidelberg. Hubers Frau äußerte sich öffentlich über Diskussionen in ihrer Ehe, die während Hubers Anfangsjahren bei der FEST über die damalige Politisierung der Evangelischen Kirche sowie die radikal andere Sexualmoral geführt wurden.[6]

Von 1973 bis 1994 war Huber Mitglied der Kammer der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für öffentliche Verantwortung, von 1975 bis 1980 Mitglied des Theologischen Ausschusses der Evangelischen Kirche der Union (EKU) und von 1980 bis 1994 Mitglied des Präsidiums des Deutschen Evangelischen Kirchentags. Von 1980 bis 1984 hatte er eine Professur für Sozialethik an der Universität Marburg inne; 1984 bis 1994 war er Professor für Systematische Theologie mit Schwerpunkt Ethik in Heidelberg, 1983 bis 1985 Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages, 1989 Lilly Visiting Professor an der Emory University in Atlanta/USA. 1993 wurde er zum Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und 1997 zum Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland gewählt, dessen Vorsitzender er von 2003 bis 2009 war. Von 1998 bis 2001 war Huber Mitglied des Zentralausschusses und des Exekutivausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). Er betätigte sich zudem als Autor bei den Göttinger Predigten im Internet.

2001 berief ihn das Bundeskabinett zum Mitglied des Nationalen Ethikrates, jedoch schied er aus diesem Gremium aus, als er Ratsvorsitzender der EKD wurde; sein Nachfolger wurde Hermann Barth. Im Juni 2010 wurde Wolfgang Huber als Hermann Barths Nachfolger erneut in den Ethikrat berufen.[7] Daneben führt er im Ruhestand seine kirchlichen Ehrenämter, darunter als Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung Garnisonkirche Potsdam und als Dechant des Domstifts Brandenburg, fort und engagiert sich in Fragen gesellschaftlicher Verantwortung. Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit an Grundfragen der Ethik widmet er sich verstärkt der Wertevermittlung in Wirtschaft und Gesellschaft.

Huber hatte sich 1993 gegen ein Bundestagsmandat für die SPD entschieden und folgte stattdessen der Berufung zum Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Huber ist seither parteilos und wurde nach dem Rücktritt Horst Köhlers im Mai 2010 als überparteilicher Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt.[8]

Im November 2009 trat Wolfgang Huber in den Ruhestand. Sein Bischofsamt übernahm der bisherige Koblenzer Superintendent Markus Dröge. Am 28. Oktober 2009 wurde Margot Käßmann als nachfolgende EKD-Ratsvorsitzende von der EKD-Synode und der Kirchenkonferenz gewählt.

Seit 2009 hat Wolfgang Huber mehrere Studien- und Vortragsreisen nach Südafrika unternommen. Seit 2010 ist er Fellow des Stellenbosch Institute for Advanced Study (STIAS)[9] in Südafrika.[10] Im Jahr 2013 ernannte ihn die Universität Stellenbosch zum Honorarprofessor für Systematische Theologie.[11]

Innerhalb der Zeit Akademie referiert Huber 2012 als DVD-Seminar Ethik mit 16 Vorlesungen über Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod. 2012 ist Huber Inhaber der Mercator-Professur an der Universität Duisburg Essen.[12]

Denken

Huber hat über eine große Zahl theologischer und ethischer Themen gearbeitet. Wichtige Anregungen verdankt er der Theologie Dietrich Bonhoeffers; die Neuausgabe von Bonhoeffers Werken hat er federführend verantwortet.[13] Mit seinem Vater gab er eine fünfbändige Sammlung von Dokumenten zum deutschen Staatskirchenrecht heraus.[14] Seine weiteren Veröffentlichungen umfassen unter anderem Kirche und Öffentlichkeit (1973), Menschenrechte. Perspektiven einer menschlichen Welt (1977, zusammen mit Heinz Eduard Tödt), Kirche (1979), Folgen christlicher Freiheit. Ethik und Theorie der Kirche im Horizont der Barmer Theologischen Erklärung (1983), Konflikt und Konsens. Studien zur Ethik der Verantwortung (1990), Friedensethik (1990, zusammen mit Hans-Richard Reuter), Die tägliche Gewalt. Gegen den Ausverkauf der Menschenwürde (1993), Gerechtigkeit und Recht. Grundlinien christlicher Rechtsethik (1996), Kirche in der Zeitenwende. Gesellschaftlicher Wandel und Erneuerung der Kirche (1998), Vertrauen erneuern. Eine Reform um der Menschen willen (2005), Im Geist der Freiheit. Für eine Ökumene der Profile (2007), Der christliche Glaube. Eine evangelische Orientierung (2008). Im Rahmen seiner Aufgaben als Bischof, Hochschullehrer und öffentlicher Intellektueller hat er durch eine große Zahl von Vorträgen und Predigten, Diskussionsbeiträgen und öffentlichen Wortmeldungen die Diskussion über viele Themen angeregt oder angestoßen.[15]

Eine wissenschaftliche Untersuchung seiner Arbeiten hebt die zentrale Stellung des Begriffs der „kommunikativen Freiheit“ hervor.[16] Seine Theologie und sein öffentliches Engagement sind in der Überzeugung begründet, dass das Christentum die Religion einer lebensdienlichen Freiheit ist. Die Neuentdeckung dieser Freiheitsbotschaft in der Reformation Martin Luthers bildet den Ausgangspunkt für Hubers Freiheitsverständnis, das er in jüngerer Zeit verstärkt auf den Begriff der „verantworteten Freiheit“ bringt. Dieses Freiheitsverständnis verbindet Individualität und Sozialität miteinander; es führt über eine verengte Vorstellung von Freiheit als Selbstverwirklichung im Dienst des bloßen Eigennutzes hinaus. Im Anschluss an den Soziologen Max Weber, den Theologen Dietrich Bonhoeffer und den Philosophen Hans Jonas entwickelt Huber eine Verantwortungsethik für das Leben unter den Bedingungen der Moderne. Dieser Ansatzpunkt bestimmt seine Beiträge zu den großen ethischen Fragen der Gegenwart. Immer wieder äußert er sich in diesem Sinn zu Fragen der Wirtschaftsethik[17], der politischen Ethik[18] und der Bioethik.[19]

Huber ist ein Gegner der Embryonenforschung. In der von ihm geführten Diskussion geht es zum einen um die Bestimmung des Menschen. Für ihn ist das Menschsein nicht abhängig von der biologischen Entwicklung, sondern grundsätzlich gegeben durch die Gottesebenbildlichkeit.[20] Die Gleichsetzung des Menschen mit seiner naturalen Ausstattung ist der eine Weg dazu, die Person als Subjekt der Freiheit verschwinden zu lassen.[21] Den anderen Grund sieht er in dem Fortschrittsglauben der Wissenschaft.[21]

Reformen

Als Bischof und Ratsvorsitzender der EKD ist Huber vor allem als Reformer hervorgetreten. Angesichts einer weitgehenden Entkirchlichung im Osten Deutschlands hat er die missionarische Neuorientierung der Kirche hervorgehoben und in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung pietistischer Traditionen in der evangelischen Kirche neu gewürdigt. Die Konzentration auf den Kern des kirchlichen Auftrags und die Öffnung nach außen, hin zu Menschen, die den Kontakt mit dem christlichen Glauben verloren haben, verbinden sich in seiner Vorstellung von Kirchenreform. Klarheit im Blick auf die Aufgabe der Kirche verpflichtet nach seiner Auffassung geradezu zur Beweglichkeit in den Formen. Diese Grundhaltung prägt das unter seiner Leitung ausgearbeitete Perspektivprogramm „Kirche der Freiheit“, das 2006 ausgearbeitet wurde und ein lebhaftes Echo auslöste.[22] Die vielfältige Resonanz auf dieses Programm wurde 2009 in der Zukunftswerkstatt der EKD in Kassel gebündelt. Seitdem vermittelt eine Reihe von Kompetenzzentren die Reformimpulse in die 21 Landeskirchen, die zur EKD gehören.

Auch in seiner eigenen Landeskirche, der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, wurde unter Hubers Leitung ein Perspektivprogramm entwickelt, das den Titel „Salz der Erde“ trägt und 2007 veröffentlicht wurde.[23] In seiner Amtszeit als EKD-Ratsvorsitzender wurden die konfessionellen Zusammenschlüsse „Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands“ und „Union Evangelischer Kirchen“ organisatorisch mit der EKD verbunden; die Zahl der evangelischen Landeskirchen wurde in dieser Zeit von 23 auf 21 vermindert. Weitere strukturelle Reformen wurden in Gang gebracht.

Nachdrücklich setzte Huber sich für den Bildungsauftrag der Kirche ein, insbesondere durch die Förderung von Schulen in kirchlicher Trägerschaft und durch sein Eintreten für den Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen. In der Auseinandersetzung um die Einführung des Faches Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (LER) im Land Brandenburg vertrat er den kirchlichen Standpunkt vor dem Bundesverfassungsgericht, die Auseinandersetzung endete 2002 mit einer vom Gericht vorgeschlagenen Kompromissregelung, in der die Möglichkeit vorgesehen wurde, sich vom staatlichen Pflichtfach LER zu Gunsten des Religionsunterrichts abzumelden. In Berlin dagegen verweigerte die Mehrheit des Abgeordnetenhauses jegliche Wahlmöglichkeit zwischen Religionsunterricht und Ethikunterricht; der daraufhin von einer Bürgerinitiative angestrengte und von den Kirchen unterstützte Volksentscheid verfehlte jedoch im April 2009 die notwendige Mehrheit. Eine vergleichbare Auseinandersetzung schloss sich an die Entscheidung des Berliner Abgeordnetenhauses an, zehn Sonntage pro Jahr, darunter alle Adventssonntage, für die Ladenöffnung freizugeben. Erneut vertrat Huber den kirchlichen Standpunkt vor dem Bundesverfassungsgericht, das im Dezember 2009 das Berliner Ladenöffnungsgesetz in dieser Hinsicht als verfassungswidrig aufhob.

Huber befürwortet für Berlin wie sein katholischer Amtskollege Kardinal Georg Sterzinsky einen Wahlpflichtfachbereich „Ethik/Religion“. Im Gegensatz zur bisherigen Regelung, wonach in Berlin allein der Besuch des gemeinsamen Fachs Ethik verpflichtend, der konfessionell getrennte Religionsunterricht (bzw. Humanistische Lebenskunde) aber ein freiwilliges Zusatzfach ist, wären beide Fächer dann als wählbare Alternativen gleichrangig und gleichzeitig im Stundenplan verankert.[24] Huber und Sterzinsky argumentierten, ohne diese Gleichrangigkeit dränge das Fach Ethik den konfessionellen Religionsunterricht erst an den Rand und mittelfristig ganz aus der Stundentafel. (Siehe dazu Weiteres unter Religionsunterricht in Berlin.)

Der Bischof sieht in der Neuevangelisierung Deutschlands eine der dringendsten Aufgaben der evangelischen Kirche in Deutschland. Von der evangelischen Nachrichtenagentur idea wurden die Äußerungen Hubers in der Vergangenheit oft negativ beurteilt, 2006 hat ihn die Wochenzeitschrift ideaSpektrum jedoch zum Bischof des Jahres erklärt, unter anderem wegen seines Einsatzes für Mission durch die Landeskirche.[25] Am 29. April 2008 besuchte er in Bremen den Jugendkongress Christival.[26] Dort äußerte er u. a., es sei falsch, theologisch konservative, evangelikale Christen mit Fundamentalisten gleichzusetzen.[27]

Ökumene und Dialog der Religionen

In der weltweiten Ökumene ist Huber ebenso engagiert wie im evangelisch-katholischen Dialog.[28] Er war auf evangelischer Seite der einladende Bischof für den 1. Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003. Bei der ökumenischen Begegnung mit dem neu gewählten Papst Benedikt XVI. in Köln am 19. August 2005 sprach er die Diagnose aus, dass die ökumenische Entwicklung in die Phase einer „Ökumene der Profile“ eingetreten sei. Angesichts der im Jahr 2007 erneuerten vatikanischen Erklärung, dass die evangelischen Kirchen nicht als „Kirche im eigentlichen Sinn“ anzusehen seien, plädierte er bei verschiedenen ökumenischen Anlässen für eine „Ökumene des wechselseitigen Respekts“, die sich dann mit einer Ökumene der gemeinsamen Spiritualität und der gemeinsamen Weltverantwortung verbinden könne. Ökumenische Fortschritte, so argumentierte er, hätten den Respekt für das Kirchesein des ökumenischen Partners zur Voraussetzung. Auf Einladung des Erzbischofs von Canterbury, Rowan Williams, sprach er sich in dessen Amtssitz, Lambeth Palace in London, am 10. September 2009 dafür aus, eine Ökumene des Indikativs, der zugesagten Einheit in Christus, im Glauben und in der Taufe, zur Basis aller ökumenischen Bemühungen zu machen.

Wolfgang Huber sieht in der religiösen Pluralität ein prägendes Kennzeichen der gegenwärtigen Gesellschaft. Diese Pluralität schließt die „säkulare Option“ als eine Antwort auf die Gottesfrage ein. Bestimmt ist diese Pluralität ferner durch die wachsende Bedeutung muslimischer Bevölkerungsgruppen in westlichen Gesellschaften. Er setzte sich in seiner Amtszeit als Ratsvorsitzender der EKD für einen offenen Dialog mit den muslimischen Verbänden ein und bemühte sich um einen regelmäßigen Gesprächskontakt mit ihnen. Als „Klarheit und gute Nachbarschaft“ bezeichnete er im Anschluss an eine diesem Thema gewidmete Handreichung der EKD die Gesprächsatmosphäre, die für einen produktiven Austausch notwendig sei. Diese Haltung löste Irritationen auf der Seite der muslimischen Verbände sowie kontroverse Debatten innerhalb der evangelischen Kirche aus. Die Warnung vor „interreligiöser Schummelei“, die er bereits 2001 ausgesprochen hatte, rief Widerspruch hervor.[29] Gegen die Handreichung des Rates der EKD vom November 2006 erhob der Koordinierungsrat der muslimischen Verbände im Mai 2007 den Vorwurf, „bestehenden Vorurteilen gegenüber dem Islam eine kirchlich-offizielle Bestätigung zu geben und sogar Klischees, die in evangelikalen Kreisen über den Islam verbreitet werden, einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“[30] Huber hielt dem entgegen, dass ein aufrichtiger Dialog auch kontroverse Themen ansprechen müsse; so gehöre in diesen Dialog auch das Thema der Religionsfreiheit in islamischen Ländern einschließlich des Religionswechsels. Trotz bleibender Meinungsverschiedenheiten bekräftigten beide Seiten die Notwendigkeit des Dialogs. Den Maßstab der Religionsfreiheit macht Huber auch im Blick auf die Türkei geltend und äußert sich immer wieder besorgt im Blick auf die Lage der christlichen Minderheiten in diesem Land.

Bereits vor seiner Wahl zum Ratsvorsitzenden der EKD hatte Huber zum christlich-islamischen Dialog kritisch Stellung genommen. Der Spiegel griff im Dezember 2001 seine viel zitierte Rede von der „multireligiösen Schummelei“ (in späteren Texten: „interreligiöse Schummelei“) eines seiner Meinung nach allzu konsensorientierten christlichen Dialogs mit Muslimen auf.[31] Diesen Vorwurf, der sich unter anderem gegen die jahrzehntelange Dialogpraxis der eigenen Kirche richtet, wiederholte er mehrfach: „Es wird geschummelt – in dem Sinn nämlich, dass zentralen Fragen ausgewichen wird. Das nenne ich die ‚interreligiöse Schummelei‘“.[32] Anlässlich einer Journalistenfrage nach der Hasspredigt eines Imams wiederholte er den Vorwurf der „interreligiösen Schummelei“ und zeigte sich beunruhigt darüber, dass es weiterhin Menschen gebe, die einer „idealisierenden Multi-Kulti-Stimmung nach[hingen]“,[33] sprach sich allerdings auch gegen eine Dämonisierung des Islam und für Differenzierung aus.

Den Aufruf von Muslimen für eine Demonstration gegen Gewalt und für ein friedliches Zusammenleben 2004 in Köln begrüßte er als einen „Schritt in die richtige Richtung“.[33] In einer Festrede auf Einladung der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit München am 5. März 2006 schlug er – anders als bislang im unmittelbaren Dialog mit Muslimen – noch versöhnlichere Töne an: Es gebe in Deutschland „eine Koalition der Mäßigung quer durch die Religionen“.[34]

Für seinen Paradigmenwechsel zum „kritischen Dialog“ und die Polemik gegen den bisherigen christlich-islamischen Dialog wurde er aus den eigenen Reihen kritisiert. Heinrich G. Rothe, evangelischer Pfarrer und von 1992 bis 1998 Leiter der „Beratungsstelle für Islamfragen der Evangelischen Kirche im Rheinland und der Evangelischen Kirche von Westfalen“, bezeichnet Hubers Vorwürfe als haltlos: „Der Ratsvorsitzende der EKD formuliert eine prinzipielle Kritik am bisherigen christlich-islamischen Dialog. Unterschiede – so der Vorwurf – wurden nicht thematisiert, ‚nicht in das Gespräch einbezogen‘. Ein Neuanfang sei notwendig. (…) War der bisherige Dialog – wie von Bischof Huber wenige Wochen zuvor formuliert – nur ein Kuscheldialog? (…) Wer mit dabei war, weiß, dass das Gegenteil richtig ist.“[35] Darüber hinaus hält er Hubers Dialogkritik für ein den sozialen Frieden gefährdendes Ablenkungsmanöver angesichts der aktuellen Strukturdebatte in der EKD: „Nicht nur beim christlich-islamischen Dialog gibt es eine Tendenz, Öffnungen zurückzunehmen, die Reihen erneut zu schließen. Die Versuchung ist da, das leichtere Überleben der eigenen Kirche oder religiösen Gruppe in einer unübersichtlichen Gesellschaft zu sichern durch Schärfung des konfessionellen Profils. Wer Dialog vermeidet, mag hoffen, Fragen und Spannungen innerhalb der eigenen religiösen Gemeinschaft oder Kirche zu vermeiden. In einer Zeit der Spardebatten gibt es ja genug anderen Konfliktstoff in Kirchen und Gemeinden. Da mag es opportun erscheinen, den bisherigen Dialog als ‚Kuscheldialog‘ abzuwerten und einen Neubeginn des Dialogs zu fordern. Doch wir brauchen die Begegnung, wir brauchen den Dialog – die Alternativen sind Nichtverstehen, Feindschaft und Gewalt. Mancher, der im Dialog steht, hat sie schon erlebt.“[35]

In einem Interview in der Berliner Zeitschrift Cicero warnte Huber vor einer „Islamisierung Europas“ und kritisierte die häufig wiederholten „Christen-Club“-Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Bezug auf die EU.[36]

Auszeichnungen und Ehrenmitgliedschaften

Neuere Veröffentlichungen (Auswahl)

  • 2013: Ethik. Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod. München, ISBN 978-3-406-65560-9.
  • 2012: Von der Freiheit. Perspektiven für eine solidarische Welt. Herausgegeben von Helga Kuhlmann und Tobias Reitmeier, München.
  • 2011: Darauf vertraue ich. Grundworte des christlichen Glaubens. Freiburg.
  • 2010: Wenn ihr umkehrt, wird euch geholfen. Oder: Anmerkungen zur globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise. Frankfurt am Main.
  • 2010: Das Netz ist zerrissen und wir sind frei. Reden, Frankfurt/Main.
  • 2010: Gottes Wort halten, Liebe üben und demütig sein. Predigten, Frankfurt/Main.
  • 2009: Die Liebe in der Wahrheit. Die Sozialenzyklika „Caritas in veritate“ Papst Benedikts XVI. Ökumenisch kommentiert von Wolfgang Huber und anderen, Freiburg/Breisgau.
  • 2009: Der christliche Glaube. Eine evangelische Orientierung. 5. Aufl. Gütersloh.
  • 2009: Von den Grenzen der Erkenntnis und der Unbegrenztheit des Glaubens. Ein Streitgespräch zwischen Wolfgang Huber und Wolf Singer. Berlin.
  • 2009: Die Mauer ist weg. Ein Lesebuch. Herausgegeben von Wolfgang Huber, Frankfurt am Main.
  • 2009: Religion, Politik und Gewalt in der heutigen Welt. In: Karl Kardinal Lehmann (Hg.): Weltreligionen – Verstehen, Verständigung. Verantwortung, Frankfurt/Main.
  • 2008: Die Verantwortung eines Unternehmers. In: P. May u.a. (Hg.), Familienunternehmen heute. Jahrbuch 2008, Bonn.
  • 2008: Habermas in protestantischer Tradition. In: Michael Funken (Hg.): Über Habermas. Darmstadt.
  • 2008: Die Verfassungsordnung für Religion und Kirche in Anfechtung und Bewährung. Zusammen mit Christian Waldhoff und Udo di Fabio, Münster
  • 2007: Im Geist der Freiheit. Für eine Ökumene der Profile, Freiburg
  • 2007: Position beziehen. Das Ende der Beliebigkeit, Lahr
  • 2007: „Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen...“. Hat das protestantische Arbeitsethos noch eine Zukunft?, in: Die neue Frage nach der Arbeit, Wittenberg
  • 2006: Familie haben alle. Für eine Zukunft mit Kindern, Berlin
  • 2006: Gerechtigkeit und Recht. Grundlinien christlicher Rechtsethik, 3. Aufl. Gütersloh
  • 2006: Dietrich Bonhoeffer Auswahl, 6 Bände, herausgegeben von Christian Gremmels und Wolfgang Huber, Gütersloh
  • 2006: Wissenschaft verantworten. Überlegungen zur Ethik der Forschung, Göttingen
  • 2006: Vertrauensberufe im Rechtsstaat, in: Anwaltsblatt, 8+9
  • 2005: Der Staat und die Religionen, Bonn 2005 und Erfurt
  • 2005: Vertrauen erneuern. Eine Reform um der Menschen willen, Freiburg/Breisgau
  • 2005: Woran dein Herz hängt. Bischofsworte in bewegter Zeit, Gütersloh
  • 2005: Die jüdisch-christliche Tradition, in: Hans Joas / Klaus Wiegandt (Hg.), Die kulturellen Werte Europas, 2. Aufl. Frankfurt/Main
  • 2004: Vor Gott und den Menschen. Wolfgang Huber im Gespräch mit Stefan Berg, Berlin: Wichern
  • 2004: Verfassung ohne Gottesbezug? Zu einer aktuellen europäischen Kontroverse. Gemeinsam mit Helmut Goerlich und Karl Kardinal Lehmann, Leipzig
  • 2002: Der gemachte Mensch. Christlicher Glaube und Biotechnik, Berlin 2002
  • 1999: Kirche in der Zeitenwende. Gesellschaftlicher Wandel und Erneuerung der Kirche, 3. Aufl. Gütersloh.

Biografie

  • Philipp Gessler: Wolfgang Huber. Ein Leben für Protestantismus und Politik. Kreuz Verlag, Freiburg im Breisgau 2012, ISBN 978-3-451-61110-0.

Andere Literatur

Weblinks

 Commons: Wolfgang Huber – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Homepage von Wolfgang Huber
  2. EKD: Rat Wahlergebnisse
  3. siehe Der Mahner des Herrn im Tagesspiegel vom 12. August 2007
  4. 4,0 4,1 Fernsehkanal Phoenix: Alfred Schier mit Prof. Wolfgang Huber im Dialog, Reihe Im Dialog
  5. [1]
  6. Petra Schulze (Hrsg.): Menschen von nebenan - Wie sie leben, was sie glauben. (Memento vom 11. Oktober 2008 im Internet Archive) ISBN 978-3-374-02501-5
  7. Bischof Huber kehrt in den Ethikrat zurück, in: Morgenpost.de vom 12. April 2010 (nur im Abo verfügbar)
  8. Marcus Heithecker und Daniel F. Sturm: Die Favoriten, in: Die Welt vom 2. Juni 2010
  9. Homepage des STIAS
  10. Homepage von Wolfgang Huber
  11. Meldung auf Evangelisch.de
  12. Homepage Universität Duisburg Essen, abgerufen am 4. Januar 2013
  13. Dietrich Bonhoeffer Werke, 16 Bände, 1986 ff.; vgl. auch Dietrich Bonhoeffer Auswahl, 6 Bände, 2006
  14. Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert, 1973-1995
  15. Wolfgang Huber: Dietrich Bonhoeffer – ein evangelischer Heiliger? (Vortrag im Ateneo Sant’Anselmo, Rom) 3. Mai 2007
  16. Willem Fourie, Communicative freedom? Wolfgang Huber's critical engagement of modernity. Doctoral dissertation: University of Stellenbosch (South Africa) 2009.
  17. Huber: Wenn ihr umkehrt, wird euch geholfen. Oder: Anmerkungen zur globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, Frankfurt/Main 2010
  18. Verfassung ohne Gottesbezug? Zu einer aktuellen europäischen Kontroverse. Gemeinsam mit Helmut Goerlich und Karl Kardinal Lehmann, Leipzig 2004
  19. Der gemachte Mensch. Christlicher Glaube und Biotechnik, Berlin 2002.
  20. Huber: Nicht Sache, sondern Person; in: ders.: Der gemachte Mensch; Berlin 2002; S. 19
  21. 21,0 21,1 Huber: Nicht Sache, sondern Person; in: ders.: Der gemachte Mensch; Berlin 2002; S. 21
  22. Kirche der Freiheit (Ein Impulspapier des Rates der EKD; PDF-Datei; 470 kB) vom 1. Juli 2006
  23. [2] (Dokument offline)
  24. Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz: Bischof Huber: Schüler müssen zwischen Ethik und Religion frei wählen können. Appell anlässlich der Beratung des Schulgesetzes am 23. März im Abgeordnetenhaus (Memento vom 16. Februar 2007 im Internet Archive)
  25. ideaSpektrum 51/52/2006
  26. Benno Schirrmeister: Das totale Superglaubensfest, in: taz vom 1. Mai 2008
  27. Aussage zu Hubers Nichtgleichsetzung theologisch konservativ evangelikaler Christen mit Fundamentalisten in Martin Urban: Die Bibel - Eine Biographie ISBN 978-3-86971-006-8, der das wiederum mit einer epd-Meldung vom 2. Mai 2008 belegt
  28. Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland. Eine Handreichung des Rates der EKD (EKD-Texte 86), Hannover 2006.
  29. Der Spiegel, 17. Dezember 2001, S. 44–56
  30. Evangelischer Pressedienst, 24. Mai 2007
  31. „Selbst oft nachgiebig bis zur ‚multireligiösen Schummelei‘ (so der Berliner Bischof Huber), zeigen sich die christlichen Dialogisten immer wieder verblüfft über den Absolutheitsanspruch ihrer Gegenüber“, Jochen Bölsche: Der verlogene Dialog; in: Der Spiegel, Ausgabe vom 17. Dezember 2001, S. 44–56.
  32. Interview im Deutschlandradio: „(Frage:) Sie haben gelegentlich mal das Wort von der ‚Schummel-Ökumene‘ angewandt, den man sozusagen auch für das Interreligiöse verwenden könnte. Wird da immer noch geschummelt, wenn es um das Gespräch zwischen Christen und Muslimen geht? – (Antwort Huber:) Es wird geschummelt – in dem Sinn nämlich, dass zentralen Fragen ausgewichen wird. Das nenne ich die ‚interreligiöse Schummelei‘, von der ich glaube, dass sie nach dem 11. September nicht mehr möglich ist.“ Deutschlandradio: Tacheles – Das Streitgespräch: Wolfgang Huber, Bischof der evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg (Memento vom 22. Oktober 2007 im Internet Archive); 23. Mai 2003.
  33. 33,0 33,1 FOCUS-Interview über die Grenzen des Dialogs zwischen Christen und Muslimen „Nicht der gleiche Gott“ , 22. November 2004
  34. „Gesicht zeigen“ – Festrede anlässlich der Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit im Münchener Rathaus. Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, 5. März 2006
  35. 35,0 35,1 Heinrich G. Rothe: Kuscheldialog oder Streitkompetenz?, in: Bernd Neuser (Hg.): Dialog im Wandel. Der christlich-islamische Dialog: Anfänge – Krisen – neue Wege; Neukirchen-Vluyn 2005; S. 70–79.
  36. Christiane Goetz-Weimer und Alexander Görlach: Sind Sie konservativ geworden? (Memento vom 31. Mai 2008 im Internet Archive) (Interview mit Wolfgang Huber), in: Cicero vom 16. Mai 2008
  37. Der Deutsche Kinderpreis. (PDF) World Vision Deutschland, 2007, archiviert vom Original am 12. Juli 2010; abgerufen am 12. Juli 2010.
  38. Pressemitteilung der EKD
  39. Meldung auf Welt Online
  40. Homepage der Universität Duisburg-Essen. (HTML) Universität Duisburg-Essen, abgerufen am 25. Oktober 2012.
  41. Pressemitteilung der Stadt Pforzheim
  42. Meldung auf Evangelisch.de
Vorgänger Amt Nachfolger
Martin Kruse Bischof der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg
19942003
er selbst
(für die fusionierte Landeskirche)
(1) er selbst (in Berlin-Brandenburg) und
(2) Klaus Wollenweber (in der schlesischen Oberlausitz)
Bischof der Ev. Kirche
Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz

20042009
Markus Dröge
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