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Attische Seuche
Bei der Attischen Seuche handelt es sich um eine Epidemie, die in den Jahren 430–426 v. Chr. in Athen während der Belagerung durch die Spartaner wütete und über deren Verlauf – zusammen mit den Ereignissen des Peloponnesischen Krieges – der griechische Historiker Thukydides (um 460 bis nach 400 v. Chr.) genaue Aufzeichnungen führte. Sie wird deshalb auch als Seuche oder Pest des Thukydides, im englischen Sprachraum als The Plague of Athens, The epidemic of Athens oder auch Thucydides Syndrome bezeichnet.
Einschränkend muss erwähnt werden, dass der aus dem Lateinischen stammende Begriff pestis („Pest“) ebenso wie das griechische loimós für eine ansteckende Krankheit steht, dass das Wissen um die Pathogenese der unterschiedlichen Infektionskrankheiten nicht vorhanden war und Seuchen als „Strafe eines Gottes“ gesehen wurden. Etwa ein Viertel der Bevölkerung des von den Spartanern belagerten Athen fiel der Seuche zum Opfer, darunter im Jahr 429 v. Chr. auch Perikles. Die Auswirkungen werden nicht nur für die Niederlage Athens, sondern auch für den Niedergang der klassischen Kultur Griechenlands insgesamt verantwortlich gemacht.
Thukydides war beim Ausbruch der Seuche etwa 31 Jahre alt und beschreibt deren Verlauf ausführlich im zweiten der acht Bücher über den Peloponnesischen Krieg (Kapitel 47 bis 55).[1] Er erkrankte selbst und bemerkte, dass keiner, der die Krankheit überstanden hatte, sie ein zweites Mal bekam, was als erster schriftlicher Hinweis auf ein immunologisches Gedächtnis gesehen werden kann.
Symptome
Die Krankheit trat – dem Bericht des Thukydides zufolge – plötzlich bei Menschen auf, die vorher noch bei bester Gesundheit gewesen waren, und schritt von oben nach unten fort, indem es zu Beginn zu einem starken (inneren) Hitzegefühl im Kopf mit entzündeten und geröteten Augen kam und sich Schlund und Zunge wie roh anfühlten. Es folgten Niesen, Heiserkeit und Husten. Der Atem kam dabei übelriechend und unregelmäßig, die Erkrankung griff auf den gesamten Körper über, und wenn sie den Magen erreicht hatte, drehte es diesen förmlich um, sodass unter schrecklicher Übelkeit Galle in allen damals unterschiedenen Formen erbrochen wurde. Schließlich erfasste die Krankheit die Schamteile und Gliedmaßen bis in die Finger- und Zehenspitzen. Viele seien nur davongekommen, weil sie diese verloren hätten, während andere wiederum erblindet seien oder ihr Gedächtnis verloren hätten.
Der Körper habe sich nicht übermäßig heiß angefühlt, sei nur leicht gerötet und von Bläschen und Geschwüren übersät gewesen. Innerlich hätten die Erkrankten aber ein heftiges Feuer in sich brennen gespürt, sodass einige von unstillbarem Durst, Schlaflosigkeit und Unruhe getrieben in Brunnen gesprungen seien. Im häufigeren Fall sei man, ohne ganz entkräftet zu sein, nach sechs oder acht Tagen gestorben, seltener sei es nach einer vorübergehenden Erholung zu einem Übergreifen auf den Unterleib mit starker Geschwürbildung und Auftreten einer Diarrhoe gekommen, sodass diese Erkrankten an der daraus folgenden Erschöpfung starben.
Ein „hohler Schluckauf“ wurde als kennzeichnend bei den meisten Erkrankten beschrieben, wodurch heftige Krämpfe ausgelöst wurden und der bei den einen nach Abklingen der Symptome, bei den anderen noch sehr viel später aufgetreten sei.
Thukydides berichtet, dass die einen gestorben seien, weil sich niemand um sie gekümmert habe, während andere trotz aller denkbaren Pflege verstarben.[2] Auch Tiere seien von der Krankheit betroffen gewesen.
Hypothesen
Der Versuch, die von Thukydides geschilderten Symptome mit einer heute bekannten Krankheit in Zusammenhang zu bringen, hat zu bislang mehr als 200 Veröffentlichungen zum Thema mit mindestens 29 „Verdachtsdiagnosen“ geführt.[3][4][5]
Als ursächlich wurden bislang u. a. folgende Krankheitserreger angegeben:
- Salmonella enterica serovar Typhi als Verursacher des Typhus abdominalis
- Rickettsia prowazekii (siehe Rickettsien) als Verursacher des Fleckfiebers
- Bacillus anthracis als Erreger des Milzbrands
- Yersinia pestis als Erreger der Pest
- ein Toxisches Schocksyndrom durch Staphylokokken als Komplikation einer Influenza
- ein Pockenvirus als Erreger der (echten) Pocken
- das Lassavirus als Erreger des Lassafiebers
- das Ebolavirus als Erreger des Ebolafiebers[6]
- Mycobacterium tuberculosis als Verursacher der Tuberkulose
- β-hämolysierende Streptokokken als Erreger des Scharlachs
- das Masernvirus als Erreger der Masern
- das Marburgvirus als Erreger des Marburgfiebers
- Phleboviren als Erreger des Rifttalfiebers
- Bunyaviren als Erreger des Krim-Kongo-Fiebers
- Arboviren als Erreger des Kyasanur-Wald-Fiebers
- Francisella-Bakterien als Verursacher der Tularämie
- Junin-/Machupoviren als Erreger des Argentinischen/Bolivianischen Hämorrhagischen Fiebers
- Hantaanviren (verursachen hämorrhagisches Fieber mit renalem Syndrom)
- Alphaviren als Verursacher der Pferdeenzephalitis (kann mit Hämorrhagie einhergehen)
Als Möglichkeit in Erwägung gezogen werden muss auch, dass es sich um eine heute nicht mehr auftretende Seuche handelte. Ebenso wird eine Identifizierung dadurch erschwert, dass heute bekannte Krankheiten durchaus in der Zwischenzeit Veränderungen hinsichtlich ihrer geographischen Verbreitung, Symptomatik, Übertragung wie auch ihrer Virulenz durchgemacht haben können. Auch ein Zusammentreffen bzw. eine Überlagerung zweier Seuchen wurde als mögliche Erklärung diskutiert. Die früher geäußerte Hypothese, Ergotismus, eine Vergiftung mit Mutterkorn, könne bei der Epidemie (neben einer anderen Krankheit) zumindest mitbeteiligt gewesen sein, wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts als extrem unwahrscheinlich verworfen.
2005 wurde eine Arbeit von Manolis Papagrigorakis veröffentlicht, in der über die Ausgrabung eines Massengrabes mit 150 Leichen von 1994/95 im antiken Friedhof von Kerameikos in Athen berichtet wurde. Die Datierung des Grabes und die Anordnung der hier Begrabenen sprachen dafür, dass es sich hier um mutmaßliche Opfer der Seuche gehandelt haben dürfte, sodass die Zahnpulpa dreier Zähne mittels der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) auf DNA-Fragmente untersucht wurde. Dies erfolgte deshalb, da Zahnpulpa aufgrund ihrer Stabilität über die Jahrhunderte, ihrer (ehemals) guten Gefäßversorgung und ihrer primären Keimfreiheit als ein optimal geeignetes Untersuchungsmaterial erschien. Während die Suche nach sechs potentiellen anderen Erregern ergebnislos verlief, konnte Erbmaterial mit Ähnlichkeit eines Stammes von Salmonella enterica serovar typhi nachgewiesen werden.[4] Kritische Kommentare blieben jedoch nicht aus.[7] So wurde insbesondere bemängelt, dass alleine die Tatsache, dass in den untersuchten Proben Salmonellen-DNA gefunden wurde, keineswegs Todesursächlichkeit bedingt. Auch die Möglichkeit, dass es sich bei diesem Befund um eine Kontamination durch Bodenbakterien handeln könnte, wird diskutiert. Zudem sind die durch Thukydides beschriebenen Symptome nur teilweise mit diesem Untersuchungsergebnis in Einklang zu bringen.
Einzelnachweise
- ↑ Thuk. 2.47-55 (englisch) (Memento vom 16. Mai 2009 im Internet Archive)
- ↑ Projekt Pest: Geschichte (Memento vom 13. Februar 2008 im Internet Archive)
- ↑ Thomas E. Morgan: Plague or Poetry? Thucydides on the Epidemic at Athens. In: Transactions of the American Philological Association. Vol. 124, 1994, S. 197–209.
- ↑ 4,0 4,1 Papagrigorakis u. a.: DNA examination of ancient dental pulp incriminates typhoid fever as a probable cause of the Plague of Athens. In: Int J Infect Dis. 2006;10, S. 206–214 PMID 16412683.
- ↑ Horst Habs: Die sogenannte Pest des Thukydides. Versuch einer epidemiologischen Analyse; vorgetragen in der Sitzung vom 14. Nov. 1981, Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Springer Verlag Berlin Heidelberg 1982. Horst Habs: Pest Thukydides
- ↑ P. E. Olson, C. S. Hames u. a.: The Thucydides Syndrome: Ebola Déjà Vu? (or Ebola Reemergent?) In: Emerging Infectious Diseases. Vol.2 No.2 1996. doi: 10.3201/eid0202.960220
- ↑ Shapiro u. a.: No proof that typhoid caused the Plague of Athens. In: Int J Infect Dis. 2006;10, S. 334–335 PMID 16730469
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