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Chemisches Potential
Das chemische Potential oder chemische Potenzial ist eine intensive thermodynamische Zustandsgröße, die Möglichkeiten eines Stoffes charakterisiert,
- mit anderen Stoffen zu reagieren (chemische Reaktion);
- in eine andere Zustandsform überzugehen (Phasenübergang);
- sich im Raum umzuverteilen (Diffusion).
Es ist damit geeignet zur Beschreibung aller Arten von stofflichen Umsetzungen, auch von Reaktionen, an denen Photonen, Phononen, Elektronen oder Defektelektronen beteiligt sind.
Eine Reaktion, Umwandlung oder Umverteilung kann nur dann freiwillig stattfinden, wenn das chemische Potential im Endzustand kleiner ist als im Ausgangszustand:
Die Größe , die wir heute chemisches Potential nennen, wurde von Josiah Willard Gibbs (1839–1903) eingeführt, der sie „Potential eines Stoffes“ nannte, gelegentlich – um Verwechslungen mit anderen Potentialen zu vermeiden – auch „intrinsisches Potential“.
(Inoffizielle) Maßeinheit des chemischen Potentials ist das „Gibbs“ (= 1 J/mol), die Einheit einer molaren Energie.
Definition
Das chemische Potential ist definiert durch die Gibbssche Fundamentalgleichung der inneren Energie :
Dabei ist
- die absolute Temperatur,
- die Entropie,
- der Druck,
- das Volumen und
- die Stoffmenge der Systemkomponente .
Daraus folgt, dass das chemische Potential aus der Funktion berechnet werden kann:
Der Index gibt die konstant zu haltenden Größen an. Die sind die Stoffmengen aller Systemkomponenten außer .
Alternative Formulierungen
Alternativ lässt sich auch aus den Legendre-Transformierten von berechnen, nämlich als:
- aus der Enthalpie
- aus der freien Energie
- aus der freien Enthalpie
Aus der letzten Gleichung folgt, dass das Chemische Potential eines Stoffes dessen partieller molarer freier Enthalpie (Gibbs-Energie) entspricht.[1]
Gleichgewichtsbedingungen
Im chemischen Gleichgewicht ist das chemische Potential der Edukte gleich dem der Produkte:
ähnlich wie im thermischen Gleichgewicht zwischen zwei Systemen die Temperaturen gleich sind oder im elektrischen Gleichgewicht die elektrischen Potentiale.
Bei geeigneter Prozessführung kann die Bedingung für chemisches Gleichgewicht auch als Extremalprinzip formuliert werden.
Da bei chemischen Reaktionen oft Druck und Temperatur konstant gehalten werden, ist das Minimalprinzip der freien Enthalpie das am meisten verwendete Kriterium. Das allgemeinere Gleichgewichtskriterium ist aber das Verschwinden der chemischen Potentialdifferenz, denn es gilt unabhängig davon, welche anderen Größen konstant gehalten werden; es gilt auch dann noch, wenn keine der anderen Variablen während des Einstellprozesses des Gleichgewichts konstant bleibt.
Interpretation
gibt die Abhängigkeit der thermodynamischen Energiegrößen , , und von der Zusammensetzung des Systems an.
Jede Potentialdifferenz beschreibt die Fähigkeit des Systems, Arbeit zu verrichten. Daher besitzen chemische Reaktionen solange eine Triebkraft („Freiwilligkeit des Ablaufens“), bis sich ein Gleichgewicht einstellt, indem sich die chemischen Potentiale aller Stoffe angleichen (Die Summe der chemischen Potentiale multipliziert mit den stöchiometrischen Koeffizienten ergibt Null, oder anders gesagt: die Affinität wird Null).
Für reine Stoffe (einkomponentige Systeme) ist das chemische Potential konstant und gleich der molaren Gibbs-Energie. Die molaren Gibbs-Energien für die Bildung vieler Stoffe unter Standardbedingungen sind tabelliert und erlauben die Berechnung von chemischen Potentialdifferenzen in Reaktionsmischungen. Bei gegebenen , , , und ist damit die Berechnung von Reaktionswärme und Reaktionsrichtung möglich.
Für kristalline Festkörper entspricht das chemische Potential der Elektronen bei der Fermi-Energie.
Für Quasiteilchen verschwindet das chemische Potential (), da es hier keine Teilchenzahlerhaltung gibt. Typische Quasiteilchen sind z. B. Phononen oder Magnonen, welche im Rahmen der Quantenstatistik beschrieben werden können.
Werte
Die Werte des chemischen Potentials sind für Standardbedingungen (; ) tabelliert, s. u. „Weblinks“.
Ist das chemische Potential für einen bestimmten Zustand (z. B. Standardbedingungen) bekannt, so lässt es sich für Drücke und Temperaturen in der Umgebung dieses Zustandes in linearer Näherung berechnen:
mit
- dem Temperaturkoeffizienten
- der Druckkoeffizienten
Aus den Maxwell-Beziehungen folgt, dass
- der Temperaturkoeffizient gleich der negativen molaren Entropie ist:
und
- der Druckkoeffizient gleich dem molaren Volumen:
Konzentrationsabhängigkeit
Zur praktischen Definition der Konzentrationsabhängigkeit wird das chemische Potential in einen konzentrationsunabhängigen und einen konzentrationsabhängigen Summanden aufgespalten:
mit
- – chemisches Potential unter Standarddruck, welches immer noch von der Temperatur abhängig ist
- – Gaskonstante
- – thermodynamische Aktivität der Komponente i, bezogen auf die Standardaktivität
(die geschweiften Klammern sind als mathematischer Operator zu verstehen, der bedeutet: „Dividiere durch die Standardaktivität.“)
Die Aktivität kann in Berechnungen oft mit ausreichender Genauigkeit durch die Konzentration (für gelöste Stoffe) bzw. den Partialdruck (für Gase) ersetzt werden. Handelt es sich bei dem betrachteten System um einen Elektrolyten, so liefert die Debye-Hückel-Theorie einen Aktivitätskoeffizienten, mit dessen Hilfe sich die Konzentration in die Aktivität umrechnen lässt.
Siehe auch
Literatur
- J. Willard Gibbs: The Scientific Papers of J. Willard Gibbs: Vol. I Thermodynamics. Dover Publications, New York 1961.
- G. Job, F. Herrmann: Chemical Potential – a quantity in search of recognition. In: Eur. J. Phys. 27, 2006, S. 353–371 (doi:10.1088/0143-0807/27/2/018, PDF).
- Ulrich Nickel, Lehrbuch der Thermodynamik. Eine verständliche Einführung. 2. Auflage. PhysChem, 2011, ISBN 978-3-937744-06-3
Weblinks
- Tabelle chemischer Potentiale und Temperaturkoeffizienten
- Das chemische Potential in Experimenten: Schauversuche Marmorauflösung, Ammoniak-Springbrunnen, Karbidlampe (jeweils Versuchsanleitung und Video)
Einzelnachweise
- ↑ Jürgen Gmehling, Bärbel Kolbe, Michael Kleiber, Jürgen Rarey: Chemical Thermodynamics for Process Simulation. 1. Auflage. Wiley-VCH, Weinheim, 2012, ISBN 978-3-527-31277-1.
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Chemisches Potential aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |