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Commedia dell’arte
Commedia dell’arte (italienisch etwa für „Berufsschauspielkunst“, wobei arte zwar mit „Kunst“, aber im Sinne von „Handwerk, Beruf“ zu übersetzen ist, commedia mit „Theater“ allgemein) bezeichnet eine Form der italienischen Volkskomödie. Der häufig verwendete Begriff „Stegreiftheater“ ist im Grunde genommen falsch, weil die Schauspieler innerhalb feststehender Figuren, ihres persönlichen Repertoires und des Handlungsgerüsts und nicht „aus dem Stegreif“ improvisieren.
Andere Bezeichnungen für die Commedia dell’arte sind oder waren commedia degli zanni (Theater der Zanni als bestimmte Gruppe von Masken), commedia a soggetto (Szenen- oder Szenariumstheater), commedia improvvisa oder all’improvviso (Improvisationstheater) und commedia delle maschere (Maskentheater).
Inhaltliche Abgrenzung
Um den Begriff und die Stellung der Commedia dell’arte in den Wissenschaften einzugrenzen und ihre Sonderstellung innerhalb vergleichbarer Gattungen hervorzuheben, entwarf Wolfram Krömer eine Übersicht über die typischen Merkmale dieser Theaterform. Nach ihm ist die Commedia dell’arte
- besonders ein Schauspieler- und Ensemble- und nicht ein dem Autor oder dem Text dienendes Theater,
- ein szenische Wirkung anstrebendes und nicht Probleme aufwerfendes, Gehalt vertiefendes Theater,
- Masken- und Typen- und nicht Individuen und ihre Entwicklung darstellendes Theater,
- moralisch indifferentes und nicht Werte vermittelndes, belehrendes Theater.[1]
Geschichte
Die Commedia dell’arte entwickelte sich in Italien im 16. Jahrhundert aus traditionellen Zusammenschlüssen von Jahrmarktskünstlern verschiedener Professionen wie buffoni oder ciarlatani (zusammengefasst unter dem Begriff „arte giullaresca“), wo besonders der venezianische Schauspieler Angelo Beolco, genannt „Il Ruzzante“ („der lärmende Spieler“), und seine Truppe als Urheber gelten können, die, in Paduanischem Dialekt und als Bauern verkleidet, die Jahrmärkte, aber auch bereits die Höfe, etwa des Herzogs von Mantua, bespielten.
Sie erlebte ihren Höhepunkt im 17. und fand ihr Ende im 18. Jahrhundert. Dabei entwickelte sich diese Theaterform zunächst in den beiden Hochburgen Venedig (die nördliche Commedia dell’arte) und in Neapel (die südliche Commedia dell’arte). Üblicherweise wurde sie, im Gegensatz zum damaligen gelehrten Prosatheater (der commedia erudita), dessen Darsteller Dilettanten waren, von professionellen Akteuren betrieben, die im Familienverband agierten. „Professionell“ bedeutet hier, dass sie zum Zweck des Gelderwerbs auftraten, in Gütergemeinschaft zusammenlebten und an den Einnahmen beteiligt waren. Auch durften hier bereits Frauen spielen, was ihnen, außer in der Oper, zur damaligen Zeit verboten war. Die Commedia dell’arte wurde von Wandertruppen wie etwa der Compagnia dei Comici Gelosi über ganz Europa verbreitet.
Das Zentrum der Commedia dell'arte war im 18. Jahrhundert nicht mehr Italien, sondern Paris, die größte Stadt Europas. Dort war sie auf dem Pariser Jahrmarktstheater und in der Comédie-Italienne zu sehen. Während der Französischen Revolution wurde die Commedia dell’arte in Frankreich, wo sie seit Ludwig XIV. ihren festen Platz hatte, verboten. Verschiedene Quellen berichten aber darüber, dass diese Theaterform schon am Hofe selbst in Ungnade gefallen war, sei es, weil ein Stück nicht genehm war, sei es, weil eine boshafte Bemerkung eines Schauspielers über eine anwesende Adlige das Missfallen des Königs hervorrief. Die Gruppen zogen sich auf die Pariser Jahrmärkte zurück, wo ihnen bald das Wort verboten wurde. Danach hatte die Commedia dell’arte so gut wie nichts mehr mit ihren italienischen Ursprüngen zu tun.
Spätestens in der Zeit Napoléons war diese einst dominierende europäische Theaterform praktisch verschwunden. Weiter existierte sie nur noch als sogenannte Pantomime auf der Ballettbühne (siehe etwa Der siegende Amor, 1814).
Ihre Geschichte ist eng mit den Ensembles und diese wiederum eng mit den Schauspielern verknüpft. Nachdem sie innerhalb des Rahmens ihrer Figuren eine Perfektion erreicht hatten, wurden diese zunehmend inhaltsleer, während die von der Zensur zunehmend geforderte Fixierung der Texte zu einer Routine führte. Auch der spätere Kontakt zum gehobenen Bürgertum und zum Adel, was dem ursprünglichen Charakter einer Volkskomödie widersprach, sowie die Erstarkung des Hoftheaters mögen zum Niedergang beigetragen haben.[2]
Im 20. Jahrhunderts wurde die Commedia dell’arte in den unterschiedlichsten Formen in ganz Europa wieder entdeckt und belebt (siehe hierzu den Abschnitt „Bedeutung“).
Die Schauspieler der Commedia dell’arte
Das berufliche Rüstzeug für die Schauspieler der Commedia dell’arte liegt in der Perfektionierung der entsprechenden Figur, hier auch „Maske“ genannt. Jeder Schauspieler war in der klassischen Form zeitlebens auf eine Figur festgelegt. Oft führten die Darsteller ihre eigenen Namen ein oder legten sich Theaternamen zu, aus denen dann die Namen der Figuren wurden. Manche schafften es, geradezu berühmt mit ihrer Maske zu werden, wie etwa der Komiker Angelo Constantini in Paris, der als Mezzetino zuerst am Hof Ludwigs XIV. für einen Eklat sorgte und es sich darauf in Dresden mit August dem Starken verdarb. Die Schauspielerin Isabella Andreini, Frau von Francesco Andreini, die mit der Gruppe der Gelosi reisten (siehe das zweite Bild von oben: Die weibliche Figur wird üblicherweise als Isabella Andreini identifiziert.), erschuf unter ihrem eigenen Namen eine der berühmtesten weiblichen Liebenden. Der Bischof von Lyon ließ ihr zu Ehren nach ihrem Tod während der Rückreise nach Rom eine Gedächtnistafel an der Kirche anbringen und sie ins Kirchenbuch eintragen. Für ein Kind des in Frankreich gefeierten neapolitanischen Darstellers des Scaramuz Tiberio Fiorelli übernahmen Kardinal Mazarin und Anna von Österreich die Patenschaft und Molière übte sich bei ihm in Gestik und Mimik.[3]
Die Schauspieler hatten für jede Situation ein Repertoire an einstudierten akrobatischen Kunststücken, Gesten, Körperhaltungen und sprachlichen Mitteln parat. Improvisationen mit diesem Repertoire waren wesentlicher Teil der Vorstellungen, für die lediglich eine knapp beschriebene Szenenfolge (canevas oder canavacchio) vorher festgelegt wurde. Schlagfertige Bemerkungen, die sogenannten „battute“, wurden von den comici aufgezeichnet und durch Lektüre klassischer Werke ergänzt. Damit waren sie auch ihr eigener Autor. Die lazzi, Späße, waren ein zentraler Bestandteil ihres Repertoires.
Die von den Schauspielern präsentierten Figuren mit ihren jeweils festgelegten Eigenschaften wurden, abgesehen von den innamorati, den Liebenden, stets mit Halb-Gesichtsmasken und charakteristischen Kostümen dargestellt. Die Präsentation erfolgte mit Mitteln des gesamten Körpers und war nicht etwa konzentriert auf Ausdrucksmittel der Sprache und des Gesichts, was außerordentliche Fähigkeiten verlangte. Die Schauspieler interagierten mit dem Publikum. „Mit unglaublicher Abwechslung unterhielt es mehr als drei Stunden“ schreibt Goethe über einen Besuch einer Aufführung im venezianischen Theater St. Lukas in einem Tagebucheintrag seiner Italienischen Reise vom 4. Oktober 1786: „Doch ist auch hier wieder das Volk die Base, worauf dies alles ruht, die Zuschauer spielen mit und die Menge verschmilzt mit dem Theater in ein Ganzes.“ Über die Schauspieler schreibt er: „Ich habe aber auch nicht leicht natürlicher agieren sehen als jene Masken, so wie es nur bei einem ausgezeichnet glücklichen Naturell durch längere Übung erreicht werden kann“ und am nächsten Tag: „[…] stets öffentlich lebend, immer in leidenschaftlichem Sprechen begriffen … Hinzu kommt noch eine entschiedene Gebärdensprache, mit welcher sie die Ausdrücke ihrer Intentionen, Empfindungen und Gesinnungen begleiten.“
Typen und Masken
Die beiden Hauptgruppen der Masken sind die zanni oder zanoni wie z. B. Arlecchino und die vecchi, die Alten wie z. B. Pantalone; dazu kommen die amorosi bzw. innamorati, die ohne Maske auftreten. Bei der Beschreibung der einzelnen Figuren und Masken ist zu beachten, dass sich sowohl die Figuren und Masken als auch die Commedia dell’arte selbst in einem ständigen Wandel befanden. Die Beschreibungen müssen ferner immer im historischen Kontext gesehen werden. So gehört beispielsweise Arlecchino nicht von Anfang an zum Personal dieser Theaterform und verändert sich im Laufe der Zeit stark. Es kann daher nur ein ungefährer Eindruck übermittelt werden, nicht jedoch eine konkrete und allumfassende Beschreibung der Figuren und Masken.
Die Typen der Commedia dell’arte erinnern an die klassischen lateinischen Komödien des Plautus und des Terenz. In diesen oft beinahe wörtlich aus griechischen Vorbildern übertragenen Komödien gab es ebenfalls eine begrenzte Anzahl von Charakteren, die durch Konvention festgelegt waren. Die Hauptrolle spielt der gerissene und intrigante Sklave. Er steht meist auf der Seite der jungen Liebenden, die nicht zueinander kommen dürfen, weil die Eltern andere Heiratspläne mit ihren Kindern haben. Der alte Vater ist meist ein untreuer Ehemann, während seine Frau ein strenges häusliches Regiment führt. Am Schluss droht gewöhnlich ein völliges Chaos, doch durch einen unerwarteten Zufall lösen sich alle Knoten. Die jungen Liebenden bekommen sich, und die Alten müssen sich in ihr Schicksal fügen. Inwieweit diese Komödien direkten Einfluss auf die Commedia dell’arte hatten, ist jedoch unklar.
Die „soziale“ Interpretation der Masken (die beispielsweise die zanni einengend als Dienerrollen beschreibt) geht auf die Reform der Commedia dell’arte durch Carlo Goldoni (Der Diener zweier Herren) im 18. Jahrhundert zurück, dem Carlo Gozzi wiederum Verrat an dieser Theaterform vorwarf (siehe den Abschnitt über Gozzi und Goldoni). Seit dem 20. Jahrhundert deuten insbesondere die italienische Forschung und die Theatermacher, die sich mit der Materie befasst haben bzw. befassen, die Figuren im Wesentlichen mythologisch. Das „bürgerliche“ Bild von der Commedia dell’arte ist in Deutschland allerdings immer noch weit verbreitet.
Die Zanni
Die Gruppe der Zanni stellt eine untere Schicht der Bevölkerung dar, die meist aus bäuerlichen Verhältnissen stammte und deren Mitglieder als Diener, Mägde und Köchinnen ihr Glück in der Stadt versuchten. Sie symbolisieren das einfache Volk der damaligen Zeit, ihre Wünsche und ihre Kritik an der Gesellschaft. Der Begriff stammt von der früheren Theaterfigur Zanni.
Zu ihnen gehören:
Arlecchino
Arlecchino ist die wohl berühmteste Figur der Commedia dell’arte. Seinen Ursprung findet sie in einem nordfranzösischen und germanischen Sagenkreis und entstand durch den historischen Differenzierungsprozess des Zanni. In einer geladenen Atmosphäre verschmolz Tristano Martinelli 1584/85 in Paris die mythologische Figur mit dem Zanni und hatte damit schlagartig Erfolg. Nach Martinelli verkörpert Arlecchino Gegensätze wie Gut und Böse oder Komik und Tragik. Er sprach seiner Figur die Fähigkeit zu, sowohl ins Diesseits als auch ins Jenseits zu reisen. Domenico Biancolelli spielte ab 1661 den Arlecchino in einer veränderten Situation. Er passte sein Spiel dieser Situation und seinen Vorstellungen an. Ab 1730 kam es dann durch Luigi Riccoboni zu einem Wandel des Arlecchino zu einem Moralisten. Mit dem Ziel, die regelmäßigen italienischen Komödien und Tragödien des 15. und 16. Jahrhunderts aufzuwerten, wurde der Figur seine Differenz ausgetrieben und zunehmend auf seine bürgerliche und diesseitige Existenz reduziert. Schauspieler des „neuen“ Arlecchino waren beispielsweise Domenico Biancolelli oder Tommaso Visentini. Arlecchino ist die Figur, die sich auf der Bühne alles herausnehmen darf. Typisch für ihn sind seine naive Fröhlichkeit und seine Verfressenheit. Manchmal dient er sogar zwei Herren gleichzeitig, damit er mehr Essen bekommt, was zu meist lustigen Verstrickungen führt. Mit seiner ironischen Art ist er die Stimme des gemeinen Volkes zu der Zeit. Arlecchino wird mit einer lustigen Maske und dazu noch mit einem Hut und einem Mantel dargestellt, der aus bunten Flicken besteht. Aus der Figur des Arlecchino entwickelte sich mit der Zeit der typische, naive Spaßmacher, wie man ihn heutzutage vor allem als Kasperle aus dem Puppentheater kennt.
Brighella
Brighella stammt ursprünglich aus dem Bergamo. Er ist hinterhältig, immer etwas verschlagen und meistens skrupellos auf seinen eigenen Vorteil bedacht, dabei zu akrobatischen Kunststücken fähig und Arlecchino intellektuell überlegen. Er lässt auch gerne andere für sich arbeiten. Seine Maske ist üblicherweise die eines gewöhnlichen Dieners oder aber sie zeigt seine listigen Wesenszüge und ist meist von schwarzer Farbe.
Pagliaccio
Mit seiner gelben Gesichtsmaske und/oder gelb bemehltem Gesicht und seinem weißleinenen, viel zu großen Gewand ist er bzw. die verwandte Figur Pedrolino ein Vorläufer Pierrots. Pagliaccio ist ein tollpatschiger Knecht und Nachäffer, in Worten kühn, aber in Wahrheit ein außerordentlicher Feigling. Für seine Fehlleistungen wird er oft mit Prügel bestraft.
Colombina
Colombina ist ebenfalls eine Person der unteren sozialen Schicht. Meistens spielt sie die Rolle der Magd oder Köchin. Ihr fehlt jedes gekünstelte Element der Oberschicht und sie ist eine lebenslustige und selbstsichere Figur. Durch ihre dominante und verführerische Art zieht sie oft Verehrer (zum Beispiel Brighella) an, gegen die sie sich zu wehren weiß. Die Figur der Colombina hat keine Maske und trägt meistens schlichte Frauenkleider.
Die Vecchi
Die Gruppe der Vecchi stellt die reiche Oberschicht der Zeit dar. Für sie ist typisch, dass sie sehr viel Geld haben und sich gebildet ausdrücken. Sie schätzen vor allem Kultur und Wissen. Meistens versuchen sie sich vom einfachen Volk abzuheben, da sie sich als etwas besseres sehen. Gerade diese Eigenschaften wirken auf den Zuschauer äußerst unsympathisch, teilweise schon lächerlich.
Zu ihnen gehören:
Pantalone
Pantalone ist meistens ein wohlhabender Kaufmann aus Venedig, der aufgrund seines hohen Alters oft kränklich ist. Obwohl er viel Geld hat, so ist er doch sehr geizig. Pantalone mischt sich gerne in Dinge ein, die ihn gar nichts angehen. Außerdem hat er häufig Verhältnisse zu jüngeren Frauen, auch wenn er verheiratet ist, und hält seine Tochter in engen Grenzen. Er hat einen großen, lange währenden Hass auf Dottore, genauso wie dieser auf ihn. Man erkennt Pantalone an einer braunen Maske mit gebuckelter Nase, einem Ziegenbart sowie einem schwarzen Umhang und einer eng anliegenden roten Hose.
Dottore
Dottore verkörpert meistens den gebildeten Juristen oder Gelehrten aus Bologna. Dies zeigt er auch gerne durch die häufige Verwendung von Denkerposen. Jedoch wirkt sein Wissen eher belustigend, da er die Verkörperung des Wissens ohne wahres Wissen darstellt. So stellt er bei jeder Gelegenheit zur Schau, über welches Wissen er verfügt, dies jedoch selten zur Situation passend. Obwohl er sehr kurzsichtig ist, sind seine Bewegungen auf der Bühne fließend und geschmeidig. Wie Pantalone einen tiefsitzenden Hass gegen Dottore hat, so hasst auch Dottore die Figur des Pantalone ohne Einschränkung. Häufig trägt die Figur des Dottore eine schwarze Maske mit einer Knollennase, kugelförmiger Stirn und roten Wangen. Für seine Kleidung ist vor allem die weiße Halskrause sowie schwarze Jacke, Hose, Schuhe und Kappe kennzeichnend. Als Doktor Bartolo ist er auch in Rossinis Oper eingegangen.
Weitere Figuren
Außerdem gibt es noch andere Figuren, wie die Liebenden, die immer ohne Maske auftreten und etwa durch Octavio/Ottavio verkörpert wird, oder den Soldaten Il Capitano (Spavento), der immer vorgibt ein Held zu sein, jedoch in Wahrheit ein ausgemachter Feigling ist, der Angst vor seinem eigenen Schwert hat. Scaramuccia (Scaramuz) ist der Aufschneider, Angeber und Großsprecher.
Weitere, bisher nicht erwähnte bekannte Masken und Figuren sind: Arlecchina, Bramante, Clarice, Coviello, Donna Martina, Il Farmacista (mit Klistierspritze), Florindo, Franceschina, Fritellino, Isabella, Graziano/Gratiano, Julia/Giulia, La Ballerina, Leandro, Leda, Mattaccino, Menego, Pa(s)quar(i)ello, Pierro(t), Pulcinella, Silvio, Smeraldina, Spaventino, Stenterello, Rimella, Tartaglia, Tognino und Truffaldino, von denen einige jedoch Alternativnamen der oben genannten Hauptfiguren sind, die ihnen von den jeweiligen Schauspielern gegeben wurden.
Gozzi und Goldoni
Während die Commedia dell’arte nördlich der Alpen zunehmend an Bedeutung gewann, tobte in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Venedig der Krieg zwischen Carlo Gozzi und Carlo Goldoni. Beide hatten, unter unterschiedlichen Ansätzen, eine Reform der Komödie vor. Goldoni plädierte für eine wortgetreue Wiedergabe des Textes und einen natürlichen Schauspielstil. Statt Obszönitäten solle eine gute Moral im Vordergrund stehen und das Dargestellte solle nicht unrealistisch und unlogisch erscheinen. Dadurch sollte das Ansehen der Berufsschauspieler verbessert werden und Truppen als respektierte Produktionsgemeinschaften angesehen werden. Goldoni schrieb in Folge nur Stücke, die seinen eigenen Zielvorstellungen entsprachen. Er kämpfte für ein realistisches Theater und wollte daher den Verzicht auf die Masken und das improvisierte Spiel. Sein Gegenspieler Gozzi, dem Adel angehörig, begegnete diesem Realismus mit seinen fiable teatrali (Theatermärchen, z. B. in Die Liebe zu den drei Orangen). Dieses situierte er in fremd anmutenden Reichen und schöpfte aus exotischen Geschichten wie Tausendundeine Nacht. Dabei ließ er den traditionellen Masken Truffaldino und Tartaglia ihre Improvisationsszenen, indem er eine Mischform aus Dramentext und Szenario wählte.
Das heutige Theaterverständnis der Commedia darf sich jedoch nicht von einer der beiden Reformen ableiten lassen, denn beide waren zweifelsohne für das Verständnis der Komödie wichtig.
Bedeutung
Die Commedia dell’arte hatte seit ihrem Entstehen einen großen Einfluss insbesondere auf das französische (comédie italienne, Molière) Theater. Die Größe des Einflusses auf das spanische und das englische Theater wird unter Wissenschaftlern diskutiert; fest steht jedoch, dass dieser dort eher als gering einzustufen ist.
Auf das deutschsprachige Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, das Alt-Wiener Volkstheater und die „Haupt- und Staatsaktionen“ der deutschen Wanderbühnen übte sie jedoch einen größeren Einfluss aus. Auch der österreichische Hanswurst wurzelt wahrscheinlich in dieser Theaterform. Für Deutschland ist ein erstes überliefertes Szenario in deren Geschichte überhaupt[4] verbürgt: eine Aufführung am Hof des Herzogs Albrecht V. von Bayern anlässlich der Hochzeitsfeierlichkeiten seines Sohns Wilhelm mit Renata von Lothringen im Jahr 1568 unter der musikalischen Leitung von Orlando di Lasso, der den Hofmusiker Massimo Troiano beauftragte, ein Lustspiel im Stil der italienischen Komödie zu schreiben. Letzterem ist ein Skript der Aufführung zu verdanken.[5]
Im 19. Jahrhundert wurde E. T. A. Hoffmann von den Figuren der Commedia dell’arte zu den Phantasiestücken in Callots Manier inspiriert, welche wiederum Robert Schumann zu einem Zyklus von Klavierstücken Fantasiestücke op. 12 anregten.
Im 20. Jahrhundert kehrte die Commedia dell’arte in der einen oder der anderen Art wieder ins europäische Theater zurück: das berühmteste Beispiel stellt die Oper Ariadne auf Naxos von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal aus den Jahren 1912/16 dar.
Ebenso wurde die Commedia dell’arte in Russland zu Anfang des Jahrhunderts wiederentdeckt und in unterschiedlichster Form wiederbelebt, wobei sich hier insbesondere Meyerhold hervortat. Ähnliche Anstrengungen waren auch im übrigen Europa, vor allem in Italien zu beobachten. Besonders Max Reinhardt, Giorgio Strehler, David Esrig, Dario Fo und Alessandro Marchetti haben sich um die Revitalisierung der Methoden der Commedia dell’arte verdient gemacht. In neuerer Zeit, also gegen Ende des 20. bzw. anfangs des 21. Jahrhunderts, sind Carlo Boso in Paris, Markus Kupferblum in Wien und die Gruppe I MACAP in Frankfurt am Main zu nennen, welche versuch(t)en, die Tradition der Commedia dell’arte im heutigen Theater lebendig zu halten. Besonderes Ziel ist es dabei, mit den dramaturgischen Regeln und der hierarchischen Struktur der Charaktere heutige Geschichten zu erzählen.
In neuerer Zeit erinnern Fernsehserien wie Dallas etc., Filmdrehbücher und Comics wie Donald Duck, Micky Maus in der Typisierung der Figuren an die Commedia dell’arte.
Die Commedia dell’arte in der Wissenschaft
Da die Commedia dell’arte auf einem heute kaum mehr verfügbaren schauspieltechnischem Können beruht, ist es schwer, eine konkrete Vorstellung von der Theaterform zu gewinnen. Zudem setzte die Erforschung dieser Theaterform erst ein, als es keine originalen Aufführungen mehr gab. Sie erscheint uns heute vielfach verklärt, worauf Krömer hinweist: „Um sie hat sich eine Art Mythos gebildet“ und diese Verklärung „wird dadurch erleichtert, daß man kein echtes Stegreiftheater mehr sehen kann, sondern bestenfalls ihr nahestehende Stücke in Interpretationen von nicht für das Stegreifspiel ausgebildeten Schauspielern“.[6] Unterschiedliche Typen, verschiedene Masken und Handlungsgerüste lassen sich aus unterschiedlichen Textquellen herleiten und variieren im Verlauf der Geschichte. Rückschlüsse auf die Dramaturgie der Commedia sind nur bedingt möglich, da sich die Hinweise meist nur auf das Standardwerk Histoire du théâtre Italien von Luigi Riccoboni beschränken und dieser die Improvisationskomödie nach seinen eigenen reformatorischen Gedanken historisierte.
Neben Goldonis und Gozzis Komödienreform prägen histografische Konstrukte des 19. und 20. Jahrhunderts das Bild der Commedia dell’arte. Hierbei wird die Commedia als romantische Volkskomödie verstanden. Dabei verweist „Volk“ auf das Verständnis der Commedia als eine subversive Kunstform der Unterprivilegierten. Weiterhin ist die Vorstellung der Commedia als eine subversive Kunstform unter Theatergeschichtsschreibenden verbreitet, aber nicht korrekt. Meist waren die Truppen wie die Gelosi, Confidenti und Accesi aus ökonomischer Sicht zu einer enger Verbindung zum Hof gezwungen, was wiederum für die Truppen eine ambivalente Angelegenheit bedeutete, denn einerseits verfügten sie über einen Patentbrief und konnten ein Vorrecht gelten machen, andererseits waren sie den Launen ihres Herren ausgeliefert und wurden von ihm auf Reisen geschickt.
Die Commedia dell’arte in der Kunst
Die Abbildungen dieses Artikels sind, sofern nicht anders vermerkt, einem Werk des 19. Jahrhunderts entnommen, der zweibändigen Ausgabe Masques et Buffons von Maurice Sand aus dem Jahre 1860. Der Verfasser beschäftigte sich wissenschaftlich, literarisch und als Maler mit der Commedia dell’arte. Sein Rekonstruktionsversuch aus der Sicht der französischen Bohème kann nicht als authentisch gelten, berücksichtigt aber alle wesentlichen bekannten Erkenntnisse über das Erscheinungsbild der Figuren.
Die Commedia dell’arte war jedoch auch Motiv vieler weiterer Künstler. Der Zeichner, Grafiker, Radierer und Kupferstecher Jacques Callot fertigte mehrere Stiche, insbesondere des Pantalone an. Weitere bildende Künstler wie der oben gezeigte Watteau, Cézanne, Picasso und viele weitere ließen sich von der Commedia dell’arte inspirieren.
Einzigartig ist die sogenannte „Narrentreppe“ in der Burg Trausnitz in Landshut, die über vier Stockwerke hinweg in lebensgroßen Figuren Szenen aus der Commedia dell'arte zeigt, die nicht nur am Hofe des bayerischen Erbprinzen Wilhelm V. sehr beliebt war. Die Entwürfe stammen von Friedrich Sustris, die Ausführung übernahm Alessandro Padovano um 1575 bis 1579.
Vom Modellierer von Porzellanfiguren Franz Anton Bustelli der Porzellanmanufaktur Nymphenburg existieren 16 Figuren nach Charakteren des Volksschauspiels, die 1760 erstmals in der Geschichte der Manufaktur genannt wurden und zu den schönsten seiner Figuren zählen. Sie werden weiterhin nach seinen Vorlagen gefertigt, nachdem sie zuvor begehrte Sammlerobjekte gewesen waren.
Goethe beschreibt gegenüber Johann Peter Eckermann in dessen Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens vom 14. Februar 1830 seine Besuche im Theater Gozzis in Venedig, wobei es ihm besonders die Maske des Pulcinella angetan zu haben schien: „Ein Hauptspaß dieser niedrig-komischen Personnage […] bestand darin, daß er zuweilen auf der Bühne seine Rolle als Schauspieler auf einmal ganz zu vergessen schien“, und weiter: „Der Pulcinell ist in der Regel eine Art lebendiger Zeitung. Alles, was den Tag über sich in Neapel Auffallendes zugetragen hat, kann man abends von ihm hören. Diese Lokalinteressen, verbunden mit dem niedern Volksdialekt, machen es jedoch dem Fremden fast unmöglich, ihn zu verstehen.“
Franz Grillparzer vergleicht in den Notizen seiner Reise nach Italien aus Neapel vom Mai 1823 u. a. einen „Pulcinella der Neapolitaner“ mit einem „Arlechin der Franzosen“ und kommt zum Schluss, dass Ersterer „eine Natürlichkeit und Gutmütigkeit“ hat, die Letzterem fremd sei.
Literatur
- Ralf Böckmann: Die Commedia dell’arte und das deutsche Drama des 17. Jahrhunderts. Zu Ursprung und Einflußnahme der italienischen Maskenkomödie auf das literarisierte deutsche Theater. Verlag Traugott Bautz, Nordhausen 2010, ISBN 978-3-88309-351-2
- David Esrig (Hrsg.): Commedia dell’arte. Eine Bildgeschichte der Kunst des Spektakels. Greno, Nördlingen 1985, ISBN 3-921568-55-2
- A. K. Dshiwelegow: Commedia dell’Arte: Die italienische Volkskomödie. Henschelverlag, Berlin 1958
- Carlo Goldoni: Eine Geschichte meines Lebens und meines Theaters. Mit einem Nachwort von Heinz Dietrich Kenter. Piper, München, Zürich 1988 (Erstausgabe unter dem Titel Mémoire pour servir à l´histoire de sa vie et celle den son théâtre. Paris 1787)
- Carlo Gozzi: Nichtsnutzige Erinnerungen. Nach der Originalausgabe Venedig 1797 und dem von Paul de Muset besorgten Auszug übersetzt und bearbeitet von R. Daponte, Wien 1928
- Carlo Gozzi:: Fiable Teatrali. Testo, introduzione e commerto. Biblioteca di cultura, 261, Rom 1984
- Günther Hansen: Formen der Commedia dell’Arte in Deutschland. Lechte, Emsdetten 1984, ISBN 3-7849-1109-9
- Stefan Hulfeld: Tradition der Commedia dell’Arte zwischen Mythos und Praxis. Wien 2010
- Nils Jockel: Commedia dell’Arte zwischen Straßen und Palästen. Museumspädagogischer Dienst, Hamburg 1983
- Wolfram Krömer: Die italienische Commedia dell’arte. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1976, ISBN 3-534-04961-6
- Marcel Kunz: Arlecchino & Co. Historische Einführung, didaktische Darstellung, Spielanregungen zur Commedia dell’arte. Klett u. Balmer, Zug 1985, ISBN 3-264-80084-5 (Band 1 einer insgesamt dreibändigen Ausgabe zu Theorie und Praxis der Commedia dell’arte, teilweise mit Alessandro Marchetti)
- Alessandro Marchetti: Die Commedia dell’Arte oder Stegreifkomödie. In: Faltblatt zu einem Workshop über die dell’Arte am Theater am Turm, Frankfurt am Main o. J.
- Henning Mehnert: Commedia dell’arte. Struktur – Geschichte – Rezeption. Reclam, Stuttgart 2003, ISBN 3-15-017639-5
- Cesare Molinari: „Die Commedia dell’arte“. In: Cesare Molinari: Theater. Die faszinierende Geschichte des Schauspiels. Herder, Freiburg im Breisgau u. a. 1975, ISBN 3-451-17037-X, S. 157 – 166
- Ingrid Ramm-Bonwitt: Die komische Tragödie, Band 1: Commedia dell’Arte. Nold, Frankfurt am Main 1997, ISBN 978-3-922220-84-8
- Karl Riha: Commedia dell’arte. Mit den Figurinen Maurice Sands. Insel, Frankfurt am Main 1980 u. a. (Insel-Bücherei 1007/2), ISBN 3-458-19007-4
Weblinks
- Ein Gratis-Hörspiel zum Download nach Motiven und mit Figuren der Commedia dell’arte
- Commedia dell'arte Ausbildung
Einzelnachweise
- ↑ Wolfram Krömer: Die italienische Commedia dell’arte. Darmstadt 1976, S. 24 ff.
- ↑ Siehe Günther von Pechmann in Franz Anton Bustelli: Die italienische Komödie in Porzellan. Berlin 1947 und Stuttgart 1959, Seite 25: „Unter dem Patronat fürstlicher Mäzene, in festlichen Sälen, unter reichen Ausstattungen und Kostümen verloren diese besten Gesellschaften die volkstümliche Einfachheit und Derbheit“, wobei mit „diese besten Gesellschaften“ die Schauspielertruppen gemeint sind.
- ↑ Günther von Pechmann in Franz Anton Bustelli: Die italienische Komödie in Porzellan. Berlin 1947 und Stuttgart 1959, Seite 10 ff.
- ↑ Wolfram Krömer: Die italienische Commedia dell’arte. Darmstadt 1976, S. 27
- ↑ Abgedruckt in Franz Anton Bustelli: Die italienische Komödie in Porzellan. Berlin 1947 und Stuttgart 1959, Seite 26 ff.
- ↑ Wolfram Krömer: Die italienische Commedia dell’arte. Darmstadt 1976, S. 1
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