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Kantate
Die Kantate (lat. cantare ‚singen‘) bezeichnet in der Musik eine Formenfamilie von mehrsätzigen Werken für Gesangsstimmen und Instrumentalbegleitung. Rezitative, Arien, Ariosi, Chorsätze, Choräle und instrumentale Vor- und Zwischenspiele können sich in beliebiger Anzahl abwechseln. Ihre größte Bedeutung erlangte die Kantate in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Es gibt sowohl geistliche als auch weltliche Kantaten. Für das Weihnachtsfest werden bis heute Weihnachtskantaten geschrieben.
Als Kammerkantate wird eine Kantate ab dem 17. Jahrhundert bezeichnet, wenn sie nur für eine Vokalstimme, Generalbass und gelegentlich auch wenige Melodieinstrumente bestimmt ist.
Geschichte
Frühbarock
Als unerhörte und im kirchlichen Bereich zunächst umstrittene Neuerung galt die begleitete Monodie des Frühbarock. Im 17. Jahrhundert bildete sich auf dieser Grundlage das Geistliche Konzert heraus, das auch (der Motetten-Tradition der Renaissance folgend) mehrteilig sein und verschieden besetzte Abschnitte aufweisen konnte. Die mehr textorienterten und formal freieren Ausprägungen der Monodie entwickelten sich zum Rezitativ, die gesanglich-lyrischen zur Arie. Die für die Kantaten kennzeichnende Satzfolge aus voneinander abgesetzten Einzelstücken entwickelte sich besonders deutlich in den Werken des Komponisten Wolfgang Carl Briegel und verbreitete sich bald im gesamten mitteldeutschen Raum.
Barock
Die berühmtesten Kantaten-Komponisten des Barock sind Dieterich Buxtehude, Johann Sebastian Bach (siehe Bach-Kantaten) und Georg Philipp Telemann (siehe Telemann-Kantaten), die Kantaten vorwiegend, aber nicht ausschließlich für den kirchlichen Gebrauch komponierten.
Die deutsche Kirchenkantate entstand für den lutherischen Gottesdienst, wo sie dem Evangelium folgte oder – bei zweiteiligen Werken – die Predigt umrahmte.[1] Sie wurde als Wortverkündigung durch Musik verstanden, in zweiter Linie auch als Lobopfer. Daher war die möglichst eindringliche Textdeklamation bestimmend für ihre Entwicklung.
Eine typische Kirchenkantate aus der Zeit J. S. Bachs besteht aus:
- Instrumentalvorspiel (optional)
- Eingangschor
- Abfolge von Rezitativen, Arien, Ariosi und Chorälen
- Schlusschoral
Als Textgrundlage dienten Bibeltexte, Paraphrasen über diese, freie zeitgenössische Dichtung und Choräle, die ebenfalls häufig paraphrasiert wurden wie in den mittleren Sätzen von Bachs Choralkantaten von 1724.
Ebenfalls wichtig war die Solo-Kantate für nur eine Singstimme und Begleitung durch Continuo oder Orchester. Ein Meister dieser Form, die auch im weltlichen Bereich häufig vorkam, war v.a. Alessandro Scarlatti.
Größere Formen wie Passionen und Oratorien sind prinzipiell erweiterte Kantaten.
Klassik und Romantik
Nach einem Schattendasein in der Wiener Klassik wurde die Kantate in der Musik der Romantik vereinzelt neu aufgegriffen, so von Felix Mendelssohn Bartholdy (Lobgesang) und anderen Komponisten der Epoche. Die Verbindung der Sinfonie mit Elementen der Kantate seit Beethovens 9. Sinfonie führte zur Entwicklung der Sinfoniekantate.
Franz Lachner schuf die allegorische Kantate Die vier Menschenalter, op.31 (1829).
Für die Zeit des Biedermeier steht Christian Heinrich Rinck. Drei Kantaten von ihm sind zu nennen: die Charfreytags-Kantate für Soli, Chor und Orgel op. 76., die Weihnachtskantate op. 73 und die Kantate Gott sorgt für uns, op. 98 für Chor und Orgel.
1868 vollendete Johannes Brahms seinen Rinaldo op. 50, eine weltliche Kantate für Tenor, Männerchor und Orchester nach Johann Wolfgang von Goethe.
Ein typisches Werk der Spätromantik ist Gustav Mahlers 1880 vollendete weltliche Kantate Das klagende Lied mit überdimensionalem Orchester-, Chor- und Solisteneinsatz. Die große orchestrale Dimension Mahlers wird für verschiedene Komponisten des 20. Jahrhunderts zum Vorbild.
Im weltlichen Bereich sind Werke von Niels Wilhelm Gade zu nennen: die Kantate Korsfarerne (deutsch: Die Kreuzfahrer, 1865–66) und die Kantate Psyche (1880–81). Felix Draeseke schrieb die Kantaten Germania an ihre Kinder für Sopran, Männerchor und Orchester (WoO 3a, nach Heinrich von Kleist - 1859) und Der Schwur im Rütli, Kantate für Sopran, Männerchor und Orchester (WoO 9, 1869). Ludwig Thuille schuf am Ende des 19. Jahrhunderts Fridolin, eine Kantate für Soli, Männerchor und Orchester (Text nach Friedrich Schiller, 1893) und der russische Komponist Anton Stepanowitsch Arenski Die Fontäne von Bachtschissarai (op. 46, 1899).
1897 entstand die Kantate Amarus von Leoš Janáček auf ein Gedicht von Jaroslav Vrchlický, die die mystische Atmosphäre eines Klosters evoziert.
Eine geistlich erbauliche Richtung lassen die Kantaten von Sergei Iwanowitsch Tanejew am Ende bzw. zu Beginn des Jahrhunderts erkennen: Johannes von Damaskus, op. 1 (1884) und Nach dem Lesen eines Psalms, op. 36 (1915).
20. Jahrhundert
Anfang des Jahrhunderts
Im weltlichen Bereich ist der Frühling (häufig auch Der Frühling, russ. Весна) für Bariton, gemischten Chor und Orchester von Sergej Rachmaninow zu nennen, sein opus 20 aus dem Jahre 1902. Der schwedische Komponist Wilhelm Stenhammar schuf die beiden Kantaten Ett Folk, op. 22 (1905) und Sangen, op. 44 (1921). Carl Nielsens festliche Kantate für den Jahrestag der Kopenhagener Universität (Text: Niels Møller, op. 24, 1908) und von Karol Szymanowski die Kantate Demeter für Gesang, Chor und Orchester (Text: Zofia Szymanowska, op. 37, 1917) sind ferner am Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts zu erwähnen, auch wenn die Tonsprache vielfach noch spätromantisch und damit dem 19. zuzuordnen ist. Der Franzose Noël Gallon gewann 1910 den Prix de Rome mit seiner Kantate Acis et Galathée.
Im geistlichen Bereich ist ein Ringen um angemessene Formen und Dimensionen zu erkennen. So wurde im 20. Jahrhundert wieder der Versuch gemacht, die Kantate in weniger aufwändiger Form für den kirchlichen Gebrauch weiterzupflegen, insbesondere im Blick auf das christliche Weihnachts- und Osterfest. Die Gattung Kantate führte jedoch angesichts des gewaltigen historischen Erbes zunächst ein Randdasein.
1911/12 entstand auf einen christlich-symbolistischen Text Konstantin Balmonts die Kantate Le Roi des étoiles von Igor Strawinski. Von Walter Courvoisier stammt die Kantate Auferstehung (früherer Titel: Totenfeier), eine Kantate für vier Soli, gemischten Chor und Orchester op. 26; nach Worten der Bibel, bearbeitet von Alfred Bertholet (1915).
Nach dem Ersten Weltkrieg schuf Hans Pfitzner ein großes Werk der Gattung: Von deutscher Seele. Eine romantische Kantate, (op. 28; 1921) für Solostimmen, Chor, Orchester und Orgel (Dem Andenken meiner lieben Schwägerin Eva Kwast gewidmet). Die Textgrundlage sind Gedichte von Joseph von Eichendorff. Uraufführung war am 27. Januar 1922 in Berlin mit Selmar Meyrowitz als Dirigent.
Experimentierfreudig gingen die 20er-Jahre weiter: 1929 war die für das neue Medium Radio konzipierte Kantate Lindberghflug (1929) von Bertolt Brecht (Text) sowie Kurt Weill und Paul Hindemith (Musik) entstanden, die auch Sende- und Motorengeräusche einbezog. Weill schuf noch weitere Kantaten: Der neue Orpheus, Kantate für Sopran, Solo-Violine und Orchester, op. 16 (Text: Yvan Goll, 1927); Das Berliner Requiem, Kleine Kantate für Tenor, Bariton, Männerchor (oder drei Männerstimmen) und Blasorchester (Text: Bertolt Brecht, 1928) und zuletzt The Ballad of Magna Carta, Kantate für Tenor und Bass-Solisten, Chor und Orchester (Text: Maxwell Anderson, 1940). Der Franzose Tony Aubin gewann 1930 den Prix de Rome für seine Kantate Actéon. Ernst Krenek schrieb eine Kantate von der Vergänglichkeit des Irdischen (op. 72, 1932).
Aber auch im Bereich der Kirchenmusik wurde die Gattung vereinzelt weiter gepflegt: Frank Martin schuf anlässlich von Weihnachten eine Cantate pour le temps de Noel (Weihnachtskantate) zwischen 1929 und 1930.
Unter Rückgriff auf rumänische Volkspoesie, jedoch ohne Verwendung von Volksmusik schrieb Béla Bartók 1930 sein umfangreichstes und bedeutendstes Chorwerk, die allegorische Cantata profana („Die Zauberhirsche“) auf ein selbst verfasstes Libretto.
Der Franzose Eugène Bozza war 1934 Träger des renommierten Prix de Rome mit seiner Kantate „Légende de Roukmani“.
Zeit des Nationalsozialismus
Hugo Distler gab 1935 als Opus 11 seine geistliche Kantate Wo Gott zu Haus nit gibt sein Gunst als Choralkantate in altdeutsch-reformatorischem Sprachduktus heraus. Um seine kirchenmusikalischen Ziele politisch durchsetzen zu können, hatte Hugo Distler dem NS-Staat kulturelle Gegenleistungen zu erbringen. Im April 1934 unterbrach Distler daher die Arbeit an seinen geistlichen Kompositionen, um die Auftragsmusik zu einer weltlichen Thingspiel-Kantate Ewiges Deutschland über vaterländische Texte des Dichters Wolfram Brockmeier – Leiter der Lyrikabteilung der Reichsschrifttumskammer - zu schreiben. Edgar Rabsch schuf 1935 die Kantate Feier der Arbeit, Kurt Thomas steuerte zu den Berliner olympischen Spielen eine Kantate zur Olympiade (op. 28, 1936) bei.
Manche Komponisten flohen in dieser Zeit ins Exil: Ernst Toch schrieb 1937 im amerikanischen Exil die Kantate mit dem englischen Titel Cantata of the Bitter Herbs. Im englischen Exil schrieb Hans Gál De profundis, sein Opus 50 für Soli, Chor, Orchester und Orgel (1936/37). Walter Braunfels, der die innere Emigration wählte, schuf zwischen 1934 und 1937 eine Weihnachtskantate für Sopran, Bariton, Chor und Orchester op. 52.
1937 vertonte Wolfgang Fortner nach Texten von Wolfram Brockmeiers Feierkantate ein Werk für gemischten Chor und Orchester mit dem Titel Von der Kraft der Gemeinschaft - zur Zweihundertjahrfeier der Universität Göttingen. Zahlreiche Kantaten flossen auch aus der Feder Cesar Bresgens, etwa Lichtwende aus dem Jahre 1939. Der Historiker Michael H. Kater bewertete Bresgen aufgrund seiner Produktivität und seiner Resonanz als fleißigsten und populärsten Komponisten der Hitlerjugend. Mehrere Preise und Auszeichnungen, die Bresgen ab 1936 erhielt, werden als Beleg angeführt.[2]
Herbert Windt schuf eine sogenannte Funkkantate mit dem Titel Der Flug zum Niederwald, die 1936 zu Hitlers 47. Geburtstag über den Deutschlandsender ausgestrahlt wurde.
In seinem letzten Lebensjahr erlebte der todkranke Komponist Franz Schmidt den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich und wurde von den Nationalsozialisten als der bedeutendste lebende Komponist Österreichs hofiert. Er erhielt den Auftrag, eine Kantate mit dem Titel Deutsche Auferstehung zu komponieren, was nach 1945 von manchen zum Anlass genommen wurde, ihn als „vorbelastet“ anzusehen. Schmidt ließ diese Komposition jedoch unvollendet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden vor allem kirchenmusikalische Werke der Gattung: Rudolf Mauersberger schrieb 1948 Eine kleine Weihnachtskantate, während Friedhelm Deis im selben Jahr den 23. Psalm vertonte: Der Herr ist mein Hirte. Zu erwähnen ist das geistliche Kantatenschaffen von Johannes Driessler mit Denn Dein Licht kommt (op. 4, 1947), Die Segnung der Freude, op. 36,2 und andere Kantaten (z. B. über die Offenbarung des Johannes), die nach dem Zweiten Weltkrieg der Gattung neue Impulse vermittelten. Bengt Hambraeus komponierte eine Cantata pro defunctis für Bariton und Orgel (1951), mit der er inhaltlich einem Requiem nahekam. Ralph Vaughan Williams schuf seine Weihnachtskantate Hodie für Sopran, Tenor, Bariton, Chor und Orchester (1953-54). Fast zeitgleich (1953) entstand die Cantate de Noël als letzte Komposition des Schweizers Arthur Honegger. Klaus Huber, ebenfalls Schweizer, schuf dagegen 1952 seine Abendkantate, eines seiner ersten Werke. Mit expressiver Tonsprache arbeitete dessen Landsmann Willy Burkhard in seiner Kantate Die Sintflut – Kantate nach dem Bericht aus dem 1. Buch Mose (1954/1955), die als A Cappella-Werk höchste Anforderungen an das Leistungsvermögen des gemischten Chores stellt. Für Frankreich wichtig wurde Ginette Keller mit ihrer Kantate Et l’Homme vit se rouvrir les portes, mit der sie 1951 den Second Grand Prix de Rome zugesprochen bekam. Peter Cahn schuf als Choralkantate Es kommt ein Schiff geladen für eine tiefe Solostimme, 2 Violinen, vierstimmigen gemischten Chor und Orgel (1954). Rudolf Wagner-Régeny schuf 1956 die Kantate Genesis. Mit teils groß angelegten, dem Neoklassizismus zuneigenden Kantatenkompositionen trat auch Hans Chemin-Petit hervor (etwa der Symphonischen Kantate nach Worten des Predigers Salomo für Alt, gemischten Chor und Orchester von 1966). Kurt Fiebig schuf 1955 die Choralkantate Wie nach einer Wasserquelle Choralkantate, 1957 Et unam sanctam und zwei Paul-Gerhardt-Kantaten: Du meine Seele singe (1965) und Gib dich zufrieden und sei stille (1967) nach Liedtexten Paul Gerhardts.
Den Jahreszeiten wandte sich Vincent Persichetti inhaltlich mit zwei Kantaten zu: 1963 komponierte er die Spring Cantata (Cantata No. 1) opus 94, für Frauenchor und Klavier, ein Jahr später, 1964, das Gegenstück: die Winter Cantata (Cantata No. 2) opus 97, für Frauenchor, Flöte und Marimbaphon.
1964 entstand auch die biblisch-prophetische Kantate Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen von Wilhelm Keller anlässlich des Salzburger Adventsingens. Johann Nepomuk David komponierte eine pfingstliche Kantate zum traditionellen Hymnus Komm, Heiliger Geist (Veni Creator Spiritus) für zwei Chöre und Orchester (op. 72, 1972). Yun I-sang gab 1977 seiner Kantate nach Texten des Predigers Salomo und von Laotse für Bariton, gemischten Chor und kleines Orchester den Titel Der weise Mann. Allan Pettersson schrieb 1974 die Kantate Vox humana für Soli, Chor und Streichorchester nach Texten verschiedener lateinamerikanischer Dichter.
Mehr sanglich, aber nicht weniger ausdrucksstark sind auch die kirchlichen Kantaten von Helmut Barbe, Bertold Hummel, Paul Ernst Ruppel und Rolf Schweizer, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden.
Aber auch Kantaten mit literarischer Textgrundlage aus dem weltlichen Bereich entstanden: Günter Bialas vertonte "Eingeborenen-Dichtungen" in seiner Indianische Kantate im Jahre 1949 für Bariton, Kammerchor, acht Instrumente und Schlagzeug. Harald Genzmer schuf eine Racine-Kantate für Baritonsolo, Chor und Orchester (1949), nach Texten von Jean Racine. Rolf Liebermann schrieb 1950 sein Streitlied zwischen Leben und Tod, eine Kantate für Soli, Chor und Orchester. Paul Angerer befasste sich 1954 mit der Gattung einer dramatischen Kantate: Agamemnon muss sterben. Das altorientalische Gilgamesch-Epos wurde für Bohuslav Martinů zur Grundlage einer gleichnamigen Kantate, die sich im Übergangsbereich zum Oratorium bewegt (H 351, UA 1958), ein Auftragswerk von Paul Sacher. Der estnische Komponist Arvo Pärt schuf 1959 Meie aed op. 3 (Unser Garten). 1960 schrieb Alfred Uhl Wer einsam ist, der hat es gut, eine "heitere Kantate" für Soli, gemischten Chor und Orchester nach Gedichten von Wilhelm Busch, Christian Morgenstern und Joachim Ringelnatz. Aribert Reimann gab 1966 seiner Kantate nach Texten von Cesare Pavese für Soli (Sopran, Tenor, Bariton), zwei gemischte Chöre und Orchester den Titel Verrà la morte.
Im politischen Sinn komponierte Reinhold Moritzewitsch Glière, als er die Kantate Ruhm der Sowjetarmee für Vokal-Solisten, Chor, Rezitator, Sinfonie- und Blasorchester, (op. 93, 1953) schuf. Bertolt Brechts Texte dienten dem SED-Mitglied Paul Kurzbach als Grundlage seiner Kantate nach Brecht: Alles wandelt sich (1950). Manfred Kluge widmete einem Politiker 1963 die Kantate zum Gedächtnis Kennedys.
Mit dem Werk Libertas cruciata schrieb Max Baumann eine von ihm so genannte Dramatische Kantate (op. 71, 1963) für Soli, Sprecher, Sprechchor, Chor und großes Orchester.
Lyrik verarbeitete Karl Marx in seinen beiden Kantaten Raube das Licht aus dem Rachen der Schlange, op. 57, nach Hans Carossa für Bariton-Solo, gemischten Chor und Orchester sowie Und endet doch alles in Frieden, Kantate nach Worten aus dem Hyperion von Friedrich Hölderlin für Soli, Chor und Orchester. Ähnlich Werner Egk mit seiner Kantate Nachgefühl für Sopran und Orchester nach Klabund (1975).
Karl Michael Komma steuerte 1977 anlässlich der 600-Jahr-Feier der Grundsteinlegung des Ulmer Münsters die Kantate Die Hütte Gottes bei. Eine Kantate für Frauenstimme und Orchester nach französischen Chansontexten aus dem XV. Jahrhundert (1986/88) mit dem Titel Quodlibet stammt von Mauricio Kagel.
Für Reinhard Schwarz-Schilling, der der Tonsprache Johann Sebastian Bachs nahe kommt, wurde das Werk Die Botschaft, Cantate (sic!) für Mezzosopran, Bariton, Chor und Orchester (1979-1982) zum Hauptwerk. Nähe zu Bach, aber in witziger Weise, zeigt P. D. Q. Bach alias Peter Schickele mit seiner Hundekantate „Wachet Arf!“ (engl. the canine cantata Wachet Arf!). Auf das Modell Bachs verweist auch Alfred Schnittkes 1983 entstandene Faustkantate Seid nüchtern und wachet ... (für Kontratenor, Kontraalt, Tenor, Bass, gemischten Chor, Orgel und Orchester).
Ernste Töne erklingen in der Kantate von Iván Eröd Vox Lucis (op. 56, 1988/89), der sonst eher eine leichtere Tonsprache pflegt. Evžen Zámečník schuf 1989 die Kantate Lachischer Frühling für Bariton Solo, Bratsche Solo, gemischten Chor und Orchester mit Texten von Petr Bezruč.
Zum größten Teil kirchlich-politische Kantaten schuf Felicitas Kukuck mit De Profundis (1989), Auf glühenden Kohlen gesungen (1990), Und es ward: Hiroshima und Schwerter zu Pflugscharen (1995). Ein Stück friedensethisch engagierter Musik schuf Felicitas Kukuck mit der Kantate Und es ward: Hiroshima. Eine Collage über Anfang und Ende der Schöpfung. Das Werk wurde am 11. August 1995 im Rahmen einer Weltfriedenswoche in Hamburg uraufgeführt. In diesem Werk, aber auch in späteren, setzte sich diese Komponistin mit existenziellen Fragen am Ende des Jahrtausends auseinander: mit Krieg und Frieden, mit Auschwitz oder mit Tschernobyl.
In einer Serie von Kantaten zu den Hauptfesten des Kirchenjahres schuf Wolfram Graf Wachet auf (1991) als Kantate zum Advent, für Kinderchor und Instrumente, Il est né (1992) als Kantate zu Weihnachten, Resurrectio (1993) für Chor, Sopran, Violoncello, Schlagwerk, Orgel und Tonband sowie Jesu meine Freude (1994) als Kantate zur Passion.
Als Guardini-Kantate, ein Werk nach Texten von Romano Guardini, wurde Robert Maximilian Helmschrotts Deutung des Daseins für Sprecher, Soli, Chor, zwei Trompeten, Streichorchester und Orgel (1998) bekannt.
Deutsche Demokratische Republik
Wichtig für die Musikgeschichte der DDR wurden die Kantaten aus der Hand Günter Kochans. Zu nennen sind. Die Welt ist jung. Kantate für gemischten Chor und Orchester (Text von Paul Wiens, 1952), Die Asche von Birkenau. Kantate für Alt-Solo und Orchester (Text von Stephan Hermlin, 1965), Aurora. Kantate für Frauenstimme, Chor und Orchester (Text ebenfalls Stephan Hermlin, 1966) und Die Hände der Genossen. Kantate für Bariton und Orchester (Text: Giannis Ritsos, 1974). Kurt Schwaen gestaltete als Komponist den König Midas, eine szenische Kantate (KSV 144, 1958). Reiner Bredemeyer schuf einige Kantaten. Friedrich Schenker schuf die Kantate I nach einem Text von Wladimir Majakowski (deutsch von Hugo Huppert) für Bariton und kleines Blasorchester (1967-1969).
Israel
Gerade auch in Israel nahm die Gattung der Kantate einen neuen Aufschwung:
In die jüdische Festtradition weist Josef Tal mit einer Succoth Cantata (1955) für Sopran, Alt, Tenor, Bass, gemischten Chor und Kammerorchester. Der Text stammt von Eleazar Ha'Kalir. Eher die politische Situation zum Anlass nimmt Julius Chajes, wenn er mit der Kantate The promised Land den neuen Staat Israel zum zehnten Jahrestag der Staatsgründung (1948-1958) mit Sprecher, Soli und Chor mit Klavierbegleitung besingen lässt.
Yizhak Sadai legt über zehn Jahre hinweg verschiedene Kantaten vor: Ecclesiastes als Kantate für Alt, Bariton und kleines Orchester entsteht 1958, ein Jahr später gefolgt von Psychoanalysis, einer Kantate für Alt, Tenor, Bariton und Orchester. 1960 folgt dann Hatzvi Israel, eine Kantate für Alt, Bariton, gemischten Chor und kleines Orchester sowie 1968 Prélude à Jérusalem, eine Kantate für Alt, Tenor, Bass, zwei weibliche und zwei männliche Sprecher, gemischten Chor und kleines Orchester.
Zu seinem 70. Geburtstag 1967 komponierte Karel Salmon die Kantate Chajei adam (deutsch: Ein Menschenleben) für Chor und Orchester. Tzvi Avni schrieb 1989 die Kantate Deep Callet unto Deep für gemischten Chor, Sopran und Orchester oder Orgel.
21. Jahrhundert
Auch im 21. Jahrhundert entstehen weiterhin neue Kantaten v. a. im kirchenmusikalischen Bereich, beispielsweise von Hans Georg Bertram, der eine Weihnachtskantate (2001), eine Vaterunserkantate (2002/2003) und eine Adventskantate (2004) geschaffen hat. Von Dieter Kanzleiter ist die Kantate Solang wir hoffen mit der auffallenden Besetzung für vier Sprecher, Blechbläserensemble und Perkussion/Schlagzeug erschienen.
Auf Anregung von Stadtsuperintendent i. R. Wolfgang Puschmann (Hannover) komponierten Matthias Drude, Alfred Koerppen, Eckhart Kuper, Pier Damiano Peretti, Hans-Wilhelm Plate, Siegfried Strohbach und Volker Wangenheim "Neue Kantaten zum Kirchenjahr" auf Texte, die Ulrich Meyer (Hannover) zusammengestellt hatte. Eine Auswahl von 11 dieser Kantaten wurde von verschiedenen Chören Hannovers (u. a. Knabenchor Hannover, Mädchenchor Hannover, Norddeutscher Figuralchor) auf einer Doppel-CD ("Glaubenslieder") eingespielt, die mit dem ECHO Klassik Preis 2010 ausgezeichnet wurde.
Eine Weihnachtskantate Der Anfang einer neuen Zeit auf Worte von Hans Krieger für Sopran, Bariton, Chor, Kinderchor und Streichorchester von Graham Waterhouse wurde 2011 erstmals aufgeführt.
Weitere Formen
Kinderkantate
Kinderkantaten sind Kantaten, die für den Stimmumfang von Kinderchören, Mädchenchören oder Knabenchören geschaffen wurden. Zuweilen steht hinter Kinderkantaten auch ein religionspädagogisches Interesse. Beispiele sind:
- Margret Birkenfeld schuf 1977 vier Kinderkantaten zu den Vier Jahreszeiten.
- Peter Hamburger: Komm, wir wollen leben, Kantate für Kinderchor.
- Günther Kretzschmar schuf von 1970 bis 1985 diverse geistliche und weltliche Kinderkantaten.
- Colin Mawby: Weihnachtskantate für Kinder.
- Ludger Stühlmeyer: Mache dich auf, werde licht und Jesus in Galiläa, Kantaten für Kinderchor.
Blueskantate
Mit den Stilmitteln des Blues arbeitet die Blueskantate
- Nis-Edwin List-Petersen: Utopia - eine Blueskantate aus dem Jahr 1989, Text: Wilhelm Willms (entstanden 1974)
Geistliche Kantate
Viele Kantaten besitzen als textliche Grundlage entweder einen Bibeltext oder aber einen geistlichen Choral des christlichen Gesangbuches. Dies führt zu den Begriffen Kirchenkantate, wenn der Aufführungsort oder der Aufführungszweck im Vordergrund steht, aber auch zu Gattungen wie Biblische Kantate oder Choralkantate, wenn die Textbasis in den Vordergrund gestellt werden soll.
Biblische Kantate
Basierend auf Texten des Alten und Neuen Testaments wurden Kantaten geschrieben, die sich Biblische Kantate nennen, etwa von
- Marco Enrico Bossi: Das hohe Lied / Canticum Canticorum, op. 120: Biblische Kantate in drei Teilen für Bariton, Sopran, Chöre, Orchester und Orgel
- Gustav Flügel: Kleine Cantaten auf die christlichen Feste über biblische Texte für gemischte Stimmen, op. 70 (Berlin 1871)
Choralkantate
Viele geistliche Kantaten besitzen als textliche Grundlage entweder einen Bibeltext oder aber einen geistlichen Choral des christlichen Gesangbuches. Wenn die Kantate vor allem einem Choral im Duktus und Inhalt folgt, spricht man von einer Choralkantate. In der Regel ist hier der Anteil der Chorsätze größer als bei anderen Kantaten. Den Extremfall stellt die „Per-omnes-versus“-Kantate dar, in der alle Strophen eines Chorals in den verschiedenen Sätzen verarbeitet werden. Johann Sebastian Bach bezog sich in den Choralkantaten seines zweiten Kantatenzyklus in Leipzig, begonnen nach Trinitatis 1724, auf genau einen Choral. Allerdings wurden meist nur die Außenstrophen des Chorals in Wortlaut und Melodie benutzt, die Binnenstrophen jedoch zu Rezitativen und Arien umgedichtet.
Sinfonische Kantate
Unter stärkerer Einbeziehung eines sinfonischen Orchesters kommt es bei Peter Michael Braun zur Untergattung Sinfonische Kantate. Um die Jahrtausendwende entstand Die Herrlichkeit Gottes, eine Sinfonische Kantate nach Texten des Alten und Neuen Testaments (1997/2000).
2009 wurde Quo Vadis für Tenor, Chor und großes Orchester des schwedischen Komponisten Anders Eliasson in Stockholms Berwaldhalle uraufgeführt. Die sieben Textpassagen sind eher Zwischenspiele in einer pausenlos zu spielenden knapp einstündigen Sinfonie mit sieben rein orchestralen Passagen. Für den Komponisten sind die Vokalpassagen nicht die Hauptsache. So kommt den Instrumentalpassagen keine den Text stützende, gar ausmalende, Aufgabe zu. Für Eliasson sind die Texte „fast nicht nötig. Am ehesten dienen sie der Erinnerung an die zentrale Frage.“ Das Werk trägt zwar keine Gattungsbezeichnung, doch akzeptiert der Komponist die Bezeichnung "symphonische Kantate".[3] Eliasson verwendet sumerische, griechische (Sappho) und Sufi Texte (al-Halladj) in deutscher Übersetzung von Raoul Schrott bzw. aus ''Das lebendige Wort'' der Anthologie mit „Texten aus den Religionen der Völker“ von Gustav Mensching. Nur der zentrale Text Quo vadis, aus den apokyryphen Petrusakten wird lateinisch gesungen. Nach der Uraufführung von Eliassons Oratorium Dante anarca hatten das RSO Schweden und der Schwedische Radiochor auf Anregung des Dirigenten Manfred Honeck dem Komponisten einen Kompositionsauftrag für ein Requiem erteilt. Das Ergebnis war die knapp einstündige, durchgehend zu spielende "symphonische Kantate" Quo Vadis. Die Uraufführung fand am 15. Mai 2009 mit dem Tenor Michael Weinius, dem Sveriges Radios Symfoniorkester und dem Schwedischen Radiochor statt. Dirigent der Aufführung war Johannes Gustavsson.
Szenische Kantate
Im Graubereich zwischen den musikalischen Gattungen Kantate, Oper und Musikal bewegt sich die Untergattung szenische Kantate insofern, als zur Musik eine zurückhaltende szenische Darstellung tritt. Als Beispiel ist die szenische Kantate "Wer war Nikolaus von Myra? Wie ein Bischof seine Stadt aus einer Hungersnot rettete und vor dem Krieg bewahrte" von Felicitas Kuckuk zu nennen, die 1995 anlässlich der 800-Jahrfeier der Hamburger Hauptkirche St. Nikolai uraufgeführt wurde.
Anmerkungen
- ↑ „Die Kirchenkantate hat ihren Platz im sonn- und festtäglichen Hauptgottesdienst, dem „Amt“, nach der Verlesung des Evangeliums und vor dem Gesang des Lutherschen Glaubensliedes Wir glauben all an einen Gott. War die Kantate zweiteilig, so wurde der zweite Teil nach Beendigung des Kanzeldienstes oder zur Austeilung des Abendmahls musiziert.“ (Alfred Dürr: Die Kantaten von Johann Sebastian Bach. Kassel usw. 1971, S. 36f.).
- ↑ Michael H. Kater: Die mißbrauchte Muse, S. 280; The Twisted Muse, S. 146
- ↑ CD-Beiheft: Quo Vadis for Tenor, Choir and large Orchestra, cpo 777 495-2, 2011, S. 9
Siehe auch
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