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Lothar Elbogen

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Lothar Elbogen 1931

Lothar Stefan Elbogen (geboren am 19. Juni 1900 in Hinterbrühl bei Mödling, Niederösterreich; gestorben 12. Oktober 1941 im Konzentrationslager Zasavica bei Šabac, Serbien, Jugoslawien) war ein jüdisch-österreichischer Industrieller.[1][2]

Leben

Lothar Elbogen wurde als Sohn der Talkum-Industriellen Eduard und Jenny (Jenni) Melanie Elbogen, geb. Kadelburg (23. Oktober 1864 in Budapest – 23. September 1942 Treblinka) in Hinterbrühl geboren.[2] Er hatte drei Geschwister: Lilli Agathe Elbogen, Auguste Klarmann und Edgar Dagobert Elbogen (6. März 1899–1953).

Am 11. Dezember 1924 erlangte Lothar an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien den Doktor der Rechte.[1]

Die Verfolgung und Arisierung

Nach dem Tod seines Vaters Eduard 1931 leiteten Lothar und sein Cousin Franz Elbogen als Mitaktionär die Talkumbergbau- und Großhandelsfirma Edward Elbogen Nachfolger, die das Alleinverkaufsrecht für italienisches Talkum in den USA hatte.[1] Nach Kriegsausbruch 1939 befürchteten sie einen Kriegseintritt der USA und einen Entzug der amerikanischen Vermögenswerte. Wie sie dem Reichswirtschaftsministerium in Berlin gegenüber angaben, war dadurch eine Tarnung durch Übertragung unumgänglich geworden und sie beantragten einen Transfer ihrer amerikanischen Vermögenswerte nach Amsterdam.

Lothar Elbogen wurde im Sommer des Jahres 1938 verhaftet. Als Haftgrund wurden Widerstand gegen die Staatsgewalt (§ 81 StG wegen Verbrechens der öffentlichen Gewalttätigkeit gegen Amtspersonen) und Devisenvergehen genannt.[1] Am 20. Dezember 1938 wurde ihm daraufhin der Doktorgrad formal von der Universität Wien aus strafrechtlichen Gründen aberkannt, da er die rassistisch geprägte Enteignung seiner Firma und Besitzungen nicht ohne weiteres hinnehmen wollte.

Das Unternehmen Eduard Elbogen Nachfolger, das als größtes Talkumproduzent und Talkumhändler Österreichs Millionenumsätze erzielte, wurde 1939 de facto entschädigungslos arisiert.[3] Als kommissarischer Verwalter des Werks war SA-Sturmführer Egon Iby eingesetzt, der Ende März 1939 abberufen wurde. Der neue kommissarische Verwalter Edwin Hauser (* 1901 in Wien) beleidigte Lothar Elbogen in der Haft antisemitisch.[4] Lothar Elbogen wurde gezwungen, sein Unternehmen zu verkaufen. Zum vereinbarten Kaufpreis gibt es unterschiedliche Angaben: 380.000 oder 130.000 Reichsmark, wobei bei Letzterem auch Schulden des Unternehmens beim Bankhaus zu tilgen waren. Verbindlichkeiten bei Lothars Bruder Edgar waren auch zu begleichen. Nach dem Krieg wurde der Wert gutachterlich auf 1 Mio. Österreichische Schilling veranschlagt.[5]

Da die Reichsfluchtsteuer in der Praxis 100 Prozent betragen sollte, stellte er zu einem am 27. September 1938 überlassenen Vertragsentwurf mit Herzog Ernst August von Braunschweig-Lüneburg fest, dass er „buchstäblich ein Bettler“ wäre, sobald er das Land verlassen hätte.[6] Der Vermögensverwalter des Herzogs war Paul Knoke.[7] Lothar hatte sich vertraglich verpflichten müssen, seinem Anwalt Otto Loeb „beglaubigte, unwiderruflich Vollmachten zu erteilen, durch welche dieser ermächtigt wird, ohne weiteres Wissen und Einvernehmen des Verkäufers für diesen sämtliche zur Durchführung dieses Vertrages erforderlichen und nützlichen Erklärungen abzugeben und Urkunden zu zeichnen.“ Der Leiter der Österreichischen Kontrollbank, Walther Kastner, hielt aufgrund dieses Passus eine Aufhebung des „Devisensicherungsgewahrsams“ von Lothar Elbogen für angebracht. Nicht jedoch die um die Erfüllung des Vertrages bangenden „Arisierer“. Diese Angelegenheit sollte aber binnen weniger Tage geklärt sein. Helmut Foltinek, der zu dieser Zeit im „landschaftlich einzigartig schönen“ Urlaubsdomizil Hintersee bei Berchtesgaden weilende zuständige Bearbeiter der Kontrollbank, empfahl, in dieser Sache doch „Exz. Dr. Knoke“, den Generalbevollmächtigten des Herzogs, zu konsultieren und der Devisenstelle mitzuteilen, dass sie vom endgültigen Besitzer der Fa. Auskunft erhält. Der Herzog bzw. sein Bevollmächtigter Knoke, über die Notwendigkeit der Haftverlängerung für Elbogen befragt, ließ durch seinen Vertrauensmann Ing. Herbert Uebersberger (* 1908) kurz darauf mitteilen, dass eine Ausreise von Lothar und Franz Elbogen vor vertraglicher Sicherungen unerwünscht sei.[8][9] Lothars Verlobte und spätere Erbin Grete Klug,[10] deren Eltern das Café Herrenhof betrieben,[11] und Franz Elbogen durften ausreisen. Am 16. Juni 1939 war der Kauf für 300 tausend RM durch die Kontrollbank perfekt.[12] Im Juli des gleichen Jahres flehte seine Mutter den Herzog an, ihn freizulassen, doch der Brief blieb ungehört.

„‚Mein Sohn, Dr. Lothar Elbogen, dessen Firma Sie, Königliche Hoheit, arisieren, befindet sich nun seit einem Jahr in Haft‘, schreibt Melanie Elbogen am 4. Juli 1939 an Herzog Ernst August, den Chef des Welfenhauses. ‚Ich bitte Sie, flehntlichst, Königliche Hoheit, geben Sie mir mein Kind wieder.‘“

Jenny Melanie Elbogen: Hannover (dpa)[13]

Lothar Elbogen wurde erst freigelassen, als ihm auch seine Auslandsguthaben abgepresst worden waren. Mittellos geworden, konnte Elbogen nach seiner Freilassung die vom Finanzamt geforderte Judenvermögensabgabe nicht bezahlen und erhielt daraufhin keinen Reisepass. Dennoch gelang ihm im Spätherbst 1939 zunächst die Flucht nach Jugoslawien worauf hin ihm vom Deutschen Reich die Staatszugehörigkeit aberkannt wurde. Seine Ausbürgerung wurde im Preussischen Staatsanzeiger Nr. 244 vom 18. Oktober 1941 angezeigt. Beim Einmarsch der Wehrmacht 1941 geriet er dort erneut in Gefangenschaft und wurden im Konzentrationslager Zasavica auf Befehl des österreichischen Wehrmachtsgenerals Franz Böhme, während der Kladovo-Transport-Internierung, von Wehrmachtssoldaten ermordet.

Im Juli 1941 nennt die Österreichische "Kontrollbank für Industrie und Handel" noch 96 weitere durchgeführte Arisierungsfälle.

„Bis 1945 wurden nur in Österreich von der Kontrollbank und der Vermögensverkehrsstelle 6 Milliarden Schilling an Kaufpreisen und 1.5 Milliarden an Arisierungsauflagen eingenommen. Zusätzlich 264 Millionen aus der Liquidierung zahlreicher Firmen. Dieses Geld wurde auf Sperrkonten auf die nur die Vermögensverkehrsstelle Zugriff hatte überwiesen. Die jüdischen Bankguthaben wurden später dann durch hohe Vermögenssteuern und Vermögensabgaben gestohlen.“

Johnathan Frick: Archive.today[14]

Im Jahr 1941 konnte sich Herzog Ernst August zu Braunschweig und Lüneburg gegenüber seinen Mitbewerbern durchsetzen und wurde neuer Eigentümer. Die bisherigen Besitzanteile der Brüder Ludwig und Franz Hintz wurden 1948 auf Christian Hintz übertragen. Herbert Uebersberger erwarb auch die Firmen Gebrüder Wiedenhofer in Anger (Steiermark), Ranacher-Talkum-Werke, Federweiss-Werke und Greinitzer A.G., vereinte sie zur Firma Deutsche Talkumindustrie und wurde zum Alleinprokuristen, Geschäftsführer und Betriebsführer der Werke ernannt.[15]

1953 befand sich der Gesamtbesitz im Eigentum der Österreichischen Talkumindustrie Ernst August Herzog zu Braunschweig und Lüneburg. Im Jahr 1959 erwarb die Firma Naintsch - Kiwisch und Co.[16] aus Graz das Unternehmen der Österreichischen Talkumindustrie und somit auch den Besitz bei Fusch. Im Jahr 1978 wurde der Firmenbesitz an privat veräußert und somit das Interesse an dem Standort aufgegeben.[17]

Die Restituierung und der Doktortitel

Im Jahr 1955 wurde das Unternehmen an die Erben Elbogens restituiert.[18] Ernst August von Braunschweig-Lüneburg wurde zu Entschädigungen verpflichtet, den Elbogen-Erben mehr als die Hälfte des Unternehmens zu überlassen und sie rückwirkend an den Unternehmensgewinnen zu beteiligen. Erst 17 Jahre nach der Aberkennung wurde von der Universität Wien festgestellt, dass Lothar Elbogen „vermutlich wiederverleihungswürdig [sei], doch müßte ein besonderer Antrag gestellt werden“ (sein Tod 1941 war der Universität damals nicht bekannt) und sein Doktorgrad im Mai 1955 vorerst noch nicht wieder verliehen. In der Senatssitzung vom 30. Juni 1955 wurde die posthume Wiederverleihung beschlossen, der Doktorgrad am 4. Juli 1955 wieder zuerkannt und die damalige Aberkennung für nichtig erklärt. Im Jahr 1956 sind als Gesellschafter der Firma genannt: Prinz Ernst August d.J., Nordstemmen, Grete Rappaport, London; Dr. Edgar Elbogen, Zürich.[19]

Der Arisierungsfall Firma Eduard Elbogen war nach 1945 Gegenstand mehrerer Strafverfahren, wobei Lothars einstiger Rechtsanwalt Otto Loeb Verteidiger von SA-Obersturmbannführer Herbert Ueberberg war. Herbert Uebersberger wurde im März 1947 zu einem Jahr schweren Kerker und Vermögensverfall verurteilt und Edwin Hauser im September 1950 mangels Beweisen freigesprochen.[15]

Literatur

Weblinks

 Commons: Lothar Elbogen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Katharina Kniefacz, Herbert Posch: Lothar Elbogen. In: Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien 1938. Universität Wien, abgerufen am 18. Juni 2024.
  2. 2,0 2,1 Bergwerkbesitzer - Eduard Elbogen. jewish-places.de, abgerufen am 19. Juni 2024.
  3. Theodor Venus, Alexandra-Eileen Wenck: Die Entziehung jüdischen Vermögens im Rahmen der Aktion Gildemeester. Eine empirische Studie über Organisation, Form und Wandel von „Arisierung“ und jüdischer Auswanderung in Österreich 1938–1941. (=Nationalsozialistische Institutionen des Vermögensentzuges, Band 2) Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission, Verlag Oldenbourg, München 2004, ISBN 3-7029-0496-4, S. 313f.
  4. Edwin Hauser (Seite 461). In: RG-17.003M Wiener Prozesse wegen NS-Verbrechen: Viennese post-war trials of Nazi war crimes Inventory. Part 3 Microfilm reels 1231-127. collections.ushmm.org, abgerufen am 19. Juni 2024.
  5. Theodor Venus, Alexandra-Eileen Wenck: Verwalter Egon Iby und Edwin Hauser (Seite 676). In: Die Entziehung jüdischen Vermögens im Rahmen der Aktion Gildemeester. hiko.univie.ac.at, abgerufen am 19. Juni 2024.
  6. Abschrift Lothar Elbogen aus dem Kerker, an Kanzlei Hans Mann für Herrn Schmidek. legacy.com/us/obituaries/washingtonpost, 1938, abgerufen am 20. Juni 2024.
  7. Interview mit Professorin Cornelia Rauh „Er machte, was ihm nützte“. Herzog Ernst August war zur NS-Zeit an zweifelhaften Geschäften beteiligt – das behauptete der NDR. Nun durften Historiker die Akten des Familienarchivs ran. taz, abgerufen am 20. Juni 2024.
  8. Verena Pawlowsky, Harald Wendelin: Arisierte Wirtschaft: Raub und Rückgabe : Österreich von 1938 bis heute; 2005; S. 142
  9. https://web.archive.org/web/20220626013245/https://weltexpresso.de/index.php/kino/3760-adel-verpflichtet-aber-nicht-zur-humanitaet
  10. https://www.archivportal-d.de/item/MYEOTOH7JX26J2PHCRDP4YA5TNF4Q5CV
  11. Annie Parolini (en). Washingtonpost, 2018, abgerufen am 20. Juni 2024.
  12. Hans Safrian,Hans Witek: Und keiner war dabei Dokumente des alltäglichen Antisemitismus in Wien (die Seiten 256 bis 257, PDF S 251 und 252). Pincus Verlag Wien, 1938, abgerufen am 20. Juni 2024.
  13. sueddeutsche.de Hannover (dpa)
  14. Arisierungen
  15. 15,0 15,1 Herbert Übersberger (Seite 465). In: RG-17.003M Wiener Prozesse wegen NS-Verbrechen: Viennese post-war trials of Nazi war crimes Inventory. Part 3 Microfilm reels 1231-127. collections.ushmm.org, abgerufen am 19. Juni 2024.
  16. H. E. Wagner: Talkabbau Naintsch - Der Schatz im Rabenwald. In: Bergbau und Hüttenwesen. sagen.at, abgerufen am 9. Januar 2024.
  17. Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, Band 148 (2008); S. 337
  18. https://web.archive.org/web/20240617142458/https://www.sn.at/wiki/Lothar_Elbogen
  19. Die Gesellschafter. In: Österreichisches Montan-Handbuch, Band 30 (1956), Seite 189. 1956, abgerufen am 20. Juni 2024.
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