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Makkaronische Dichtung

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Makkaronische Dichtung (von lateinisch macaronicus, italienisch macaronico, maccheronico), im Frühneuhochdeutschen auch „Nudelverse“ („nuttelverse“ Johann Fischart) genannt, ist Dichtung komischer oder burlesker Stilrichtung, die zur Erzielung eines komischen oder parodistischen Effektes zwei Sprachen vermischt, indem sie die Morphologie und Syntax der einen Sprache, meist des Lateinischen oder einer sonstigen Sprache sozialer Distinktion, auf den Wortschatz einer anderen Sprache (Volkssprache oder Dialekt) überträgt.

Geschichte

Sprachmischung dieser Art begegnet bereits im Mittelalter als komisches Stilmittel, etwa zur Charakterisierung der Ausdrucksweise von Scholaren, Juristen und Medizinern, wobei dann deren Sprache aus der Sicht des Lateinischen als unbeholfenes Küchenlatein, aus der Sicht der Volkssprache dagegen als gestelztes und auf die Täuschung einfacher Leute gerichtetes Bemühen um den Anschein von Professionalität und Gelehrsamkeit erscheinen soll. In der italienischen Renaissance, die den Begriff eingeführt hat (Tifi Odasi, † 1492, Macharonea), wird anfangs von Autoren aus Padua und Umgebung, dann auch aus weiteren oberitalienischen Regionen makkaronische Dichtung zu einer literarischen Kunstform entwickelt. Hauptvertreter war der Benediktiner Teofilo Folengo (1491–1544), der als Basissprache seines Opus macaronicum (1. Fassung 1517, vierte und letzte postum 1552 erschienen) ein literarisch hochkultiviertes Latein mit Wörtern aus der italienischen Literatursprache und aus seinem venetischen Dialekt relexifizierte.

Die italienischen Vertreter (besonders Folengo) wirkten auf ganz Europa ein. In Deutschland war Johann Fischart einer der ersten, der, beeinflusst von François Rabelais, kleinere Proben makkaronischer „Nuttelverse“ vorlegte. Ein herausragendes Werk deutsch-lateinischer makkaronischer Dichtung, zugleich ein Glanzstück frühneuzeitlicher Parodie der Gattung antiker Epik, war dann die Floïa (ungefähr: „Flohiade, Flohepos“), die ein unbekannter niederdeutscher Autor 1593 unter dem Pseudonym Gripholdus Knickknackius veröffentlichte[1] und die bald in verschiedenen nieder- und hochdeutschen Ausgaben kursierte.[2]

Das 16. und 17. Jahrhundert war die Blütezeit makkaronischen Dichtens. Das Gros der makkaronischen Texte entstand in dieser Zeit im deutschen Sprachraum, wo Deutsch nicht nur mit Latein, sondern auch mit Französisch oder im Baltikum mit Estnisch (Jacob Johann Malm, 1796–1862)[3] kombiniert wurde.

Im 19. Jahrhundert lebte die Tradition vor allem in Verballhornungen des Lateinischen in der Studentensprache weiter. Ausläufer gibt es bis in die Gegenwart hinein, z. B. Harry C. Schnurs Carmen heroico-macaronicum (1969), ein lateinisch-deutsches Hochzeitslied. In jüngerer Zeit ist besonders die Entlehnung englischer Wörter mit deutscher Flexion („ein tougher Typ“, „eine Datei vollständig gedownloadet“ oder „downgeloadet“ haben) ein grassierendes, zuweilen als „Denglisch“ bezeichnetes umgangs- und (computer-)fachsprachliches Phänomen, das dann auch für humoristisch oder satirisch übertreibende Nachahmungen eingesetzt wird.

Auch in der volkstümlichen Poesie Chinas lassen sich insbesondere in den Epochen der Fremddynastien makkaronische Dichtungen nachweisen.

Makkaronisch im weiteren Sinn

Dem Typ nach nicht eigentlich makkaronisch, sondern nur im weiteren Sinn so zu bezeichnen ist Sprachmischung, die Wörter oder Phrasen aus einer oder mehreren fremden Sprachen einbettet, ohne zugleich deren Morphologie und Syntax an die Ziel- oder Basissprache anzupassen, wie etwa in dem bekannten Weihnachtslied In dulci jubilo, das deutsche mit eingebetteten lateinischen Phrasen mischt und miteinander reimen lässt:

In dulci jubilo [In süß klingendem Jubel]
nun singet und seid froh!
Unsres Herzens Wonne leit in praesepio [in der Krippe]
und leuchtet als die Sonne matris in gremio [auf dem Schoß der Mutter]
Alpha es et O [Du bist Alpha und Omega]

Als im weiteren Sinne „makkaronisch“ lässt sich etwa auch in der Prosa der Redestil Martin Luthers beschreiben, wie er insbesondere in den Mitschriften seiner Tischreden zum Ausdruck kommt, in denen er unvermittelt, häufig auch mitten im Satz, zwischen Deutsch und Latein hin- und herwechselt, was hier als Ausdruck der (mündlichen) Zweisprachigkeit bei wenig elaborierter, spontaner Sprache gelten kann.

Textbeispiele

Johann Fischart:

Caseus vnd Schinckus die machen optime trinkus[4]
[Käse und Schinken, die machen schön durstig]
Dan Vinum saure klinglitum machet in aure [5]
[Dann macht saurer Wein einen Klingelton im Ohr]

Aus einem anonymen Certamen studiosorum cum vigilibus nocturnis („Streit der Studenten mit den Nachtwächtern“, 1689)[6]:

Bursa Studentorum cum tempore finstere noctis
Cum Cytharis Gigisque gaßatim lauffen et Harpffis
Inque steinis hawen, thuot feir ausspringen ab ipsis.
Non aliter rabidi Vigiles quam reißende Welfi
Accurrunt celeres cum Prüglis, Penglis et Heblis,
Hisque Studiosos antasten ilico verbis:
„Ite domum, Schelmi! sonuit jam zwelfen ab uris.“
Als eine Burschenschaft Studenten zur finsteren Nachtzeit
mit Gitarren, Geigen und Harfen durch die Gassen laufen
und (mit den Degen) in die Steine hauen, springt Feuer aus von ihnen.
Wütende Nachtwächter, nicht anders als reißende Wölfe,
laufen eilends herbei mit Prügeln, Bengeln und Hebeln (d. h. Schlagwaffen),
und mit diesen rühren sie die Studenten sogleich an, unter folgenden Worten:
„Geht nach Hause, Schelme! Es schlug bereits Zwölf von den Uhren.“

Makkaronik im weiteren Sinn (weitgehend ohne morphologisch-syntaktische Anpassung) aus einem deutsch-tschechischen Volkslied:[7]

Auf der grünen Wiese
sedi zajunc
und mit seinen Augen
pohli žajunc.
Kdybych take Augy měl,
co by ja tež pohližel,
wie der zajunc.
Auf der grünen Wiese
sitzt ein Hase
und mit seinen Augen
schaut er.
Wenn ich solche Augen hätte,
würde ich auch so schauen
wie der Hase.

Siehe auch

Ausgaben

  • Floia, Cortum versicale de Flois schwartibus, illis deiriculis, quae omnes fere Minschos, Mannos, Vveibras, Iungfras, &c. behùppere, & spitzibus suis schnaflis steckere & bitere solent. Avthore. Gripholdo Knickknackio ex Floilandia. Anno 1593. In: Hedwig Heger (Hrsg.): Spätmittelalter, Humanismus, Reformation. Texte und Zeugnisse, 2. Teilband: Blütezeit des Humanismus und Reformation (= Die deutsche Literatur, Texte und Zeugnisse, 2). C. H. Beck, München 1978, S. 491–497
  • Dr. Sabellicus [d.i. Eduard Wilhelm Sabell]: Floïa. Cortum versicale de Flohis. Auctore Griffholdo Knickknackio de Floïlandia. Ein makkaronisches Gedicht vom Jahre 1593. Nach den ältesten Ausgaben revidiert, mit einer neuen Uebersetzung, einer literarhistorischen Einleitung nebst Bibliographie, sprachlichen Anmerkungen und Varianten, sowie einem makkaronischen Anhang versehen und neu herausgegeben... Henninger, Heilbronn 1879
  • Fausta Garavini, Lucia Lazzerini (Hrsg.): Macaronee provenzali. Ricciardi, Milano/Napoli 1984 (kritische Edition)
  • Ivano Pacagnella (Hrsg.): Le macaronee padovane: Tradizione e lingua (= Medioevo e umanesimo, Bd. 36). Antenore, Padua 1979 (kritische Edition)
  • Martin Gimm (Hrsg.): Shengguan tu („Tafel der Beamtenkarriere“), eine makkaronische Volksballade aus der mittleren Qing-Zeit. In: Oriens Extremus 44, 2003/4, S. 211-252 (online)

Literatur

  • Walter Berschin: Küchenlatein, pedanteske und makkaronische Poesie. Zur Sprachsatire und Sprachkritik im Zeitalter des Humanismus. Berschin, Freiburg, 1972
  • Jürgen Dahl: Maccaronisches Poetikum, oder Nachtwächteri veniunt cum Spießibus atque Laternis. Langewiesche-Brandt Verlag, Ebenhausen (bei München) 1962 (belegreiche Beispielsammlung für deutsch-makkaronische Dichtungen; dort S. 77–91 zu englisch- und US-amerikanisch-makkaronischer Dichtung).
  • Josef Eberle: Lateinischer Carneval. Über maccaronische Poesie. In: Josef Eberle: Lateinische Nächte, Deutsche Verlagsanstalt, 1966, S. 250–257
  • Gerhard Grümmer: Makkaronische Poesie. In: Spielformen der Poesie. 2. Auflage. VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1988, S. 220–223
  • Hermann Wiegand: Makkaronische Dichtung. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Band 2, Berlin/New York 2000, Sp. 527–530.
  • Dirk Sacré: Makkaronische Dichtung. In: Der Neue Pauly 15/1, 2001, Sp. 281–285

Weblinks

Wiktionary: makkaronische Dichtung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Floia, Cortum versicale de Flois schwartibus, illis deiriculis, quae omnes fere Minschos, Mannos, Vveibras, Iungfras, &c. behùppere, & spitzibus suis schnaflis steckere & bitere solent. Avthore. Gripholdo Knickknackio ex Floilandia. Anno 1593. In: Hedwig Heger (Hrsg.): Spätmittelalter, Humanismus, Reformation. Texte und Zeugnisse, 2. Teilband: Blütezeit des Humanismus und Reformation, C. H. Beck, München 1978 (= (Die deutsche Literatur, Texte und Zeugnisse, 2), S. 491–497
  2. Zu den hochdeutschen Bearbeitungen siehe Jürgen Dahl, Maccaronisches Poetikum (1962), S. 34–45
  3. Maie Kalda: Deutsch-estnische makkaronische Dichtung. In: Michael Garleff (Hrsg.), Literaturbeziehungen zwischen Deutschbalten, Esten und Letten: Zwölf Beiträge zum 7. Baltischen Seminar, Carl-Schirren-Gesellschaft, Lüneburg 2007 (= Schriftenreihe Baltische Seminare, 5), ISBN 3-923149-39-5
  4. Zitiert nach Carl Blümlein, Die Floia und andere deutsche maccaronische Gedichte (1900), S. 17, der „Schunckus“ schreibt, wo der Sinn und Binnenreim „Schinckus“ nahelegen
  5. Zitiert nach Wilhelm Wackernagel, Geschichte des deutschen Hexameters und Pentameters bis auf Klopstock, in: ders., Kleinere Schriften, Band II, S. Hirzel, Leipzig 1873, S. 1–68, S. 40
  6. Zitiert nach Carl Blümlein, Die Floia und andere deutsche maccaronische Gedichte (1900), S. 64–67, S. 65
  7. Text und Übersetzung nach Bernhard Beller: Böhmen und mähr... – Zum Schülerwettbewerb 2004/2005: „Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn“, 1. Die deutsche Ostsiedlung in Böhmen und Mähren
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