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Richard von Mises

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Richard von Mises

Richard Edler von Mises (geb. 19. April 1883 in Lemberg, Galizien, Österreich-Ungarn; gest. 14. Juli 1953 in Boston, Massachusetts, Vereinigte Staaten) war ein österreichisch-US-amerikanischer Mathematiker. Er ist der Bruder des Wirtschaftswissenschaftlers Ludwig von Mises.

Leben

Richard von Mises studierte an der Technischen Universität Wien Mathematik, Physik und Ingenieurwissenschaft. Nach seinem Abschluss wurde er Assistent von Georg Hamel an der Technischen Universität in Brünn. 1907 wurde er an der TU Wien promoviert, 1908 folgte die Habilitation in Brünn. Anschließend war er als Dozent in Brünn tätig. Im Jahr 1909 wurde er außerordentlicher Professor für Angewandte Mathematik an der Universität Straßburg.

Richard von Mises (1930)

Während des Ersten Weltkriegs diente er in der österreich-ungarischen Armee. Wegen der im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit erworbenen Kenntnisse über Flugzeugbau und einer Ausbildung zum Piloten war er dort als Testpilot und Ausbilder tätig. Er leitete die Entwicklung eines neuen Flugzeuges („Mises-Flugzeug“), das 1916 fertiggestellt wurde, aber nicht zum Einsatz kam.

Nach dem Krieg war er von 1919 bis 1920 Professor für Festigkeitslehre, Hydrodynamik und Aerodynamik an der Technischen Hochschule Dresden.[1] Bereits 1920 wechselte er an die Universität Berlin und wurde dort Direktor des Instituts für Angewandte Mathematik. Im Jahr 1923 wurde er zum Mitglied der Leopoldina gewählt.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 war der katholisch getaufte von Mises trotz seiner jüdischen Herkunft zunächst nicht von seinem Lehrstuhl entfernt worden, da für Teilnehmer des Ersten Weltkriegs eine Ausnahmeregelung bestand. Außerdem war von Mises für seine eher deutsch-nationalen Ansichten bekannt. Wegen der Unsicherheit und Unerträglichkeit dieser Situation emigrierte er jedoch noch 1933 in die Türkei und übernahm einen Lehrstuhl für reine und angewandte Mathematik in Istanbul. Von Mises trat aus Protest gegen die Nichtverlängerung der Anstellung seiner Mitarbeiterin Hilda Geiringer von seiner Professur in Istanbul zurück. Da er außerdem um die politische Zukunft der Türkei nach dem Tod von Kemal Atatürk fürchtete,[2] nahm er 1939 eine Einladung an die Harvard University an, wo er allerdings erst 1945 eine volle Professur erhielt. Im Zweiten Weltkrieg arbeitete er als Zivilist für die US Army. 1946 wurde er US-Staatsbürger.

Im Jahr 1943 heiratete er die Mathematikerin Hilda Geiringer, die 1933 als Jüdin die Universität hatte verlassen müssen und von Mises in die Türkei und später in die USA begleitet hatte.

Werk

Seine Hauptarbeitsgebiete waren numerische Mathematik, Strömungsmechanik, Aerodynamik, Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie. In seinem 1919 erschienenen Werk Grundlage der Wahrscheinlichkeitsrechnung versuchte er, eine Definition der Wahrscheinlichkeit über den analytischen Grenzwertbegriff vorzunehmen. Das wurde zwar damals viel diskutiert, aber durch die Axiomatisierung der Wahrscheinlichkeitstheorie von Andrei N. Kolmogorow (1933) überholt und verdrängt.

Nach ihm benannt ist auch eine Anstrengungshypothese für zähe Werkstoffe in der Plastizitätstheorie. Mit der sogenannten „Gestaltänderungsenergiehypothese (GEH)“ lässt sich für einen 3D-Spannungszustand die Mises-Vergleichsspannung berechnen – damit kann für kombinierte Belastungen die Belastungsgrenze im Werkstoff (Fließen, Bruch) bestimmt werden.

Ebenfalls von ihm ist die von-Mises-Iteration zur Berechnung des betragsgrößten Eigenwertes einer Matrix.

Die von ihm eingeführte von-Mises-Verteilung ist eine der wichtigsten Verteilungen auf dem Kreis. Ihre Bedeutung in der zirkulären Statistik ist vergleichbar mit der Bedeutung der Normalverteilung für lineare Daten.

Zusammen mit seinem Freund Philipp Frank gab er das Lehrbuch Die Differential- und Integralgleichungen der Mechanik und Physik, Band I: Mathematischer Teil, Band II: Physikalischer Teil (1. Auflage 1925, 2. vermehrte Auflage 1930, unveränderter Nachdruck der 2. vermehrten Auflage 1961, Dover Publications Inc., New York und Friedrich Vieweg & Sohn, Braunschweig) heraus.

Eine kompakte Einführung in die Wissenschaftstheorie aus seiner Sicht, die wesentlich vom Wiener Kreis geprägt war, ist sein Kleines Lehrbuch des Positivismus – Einführung in die empiristische Wissenschaftsauffassung[3], das erstmals 1939 erschienen ist. Von Mises war außerdem ein großer Rilke-Verehrer und besaß eine der größten privaten Sammlungen über den Dichter.

Ehrung

Im Jahr 1944 wurde von Mises in die American Academy of Arts and Sciences gewählt.[4] Im Jahr 2015 wurde auf dem Campus der TU Dresden ein Gebäude in „von-Mises-Bau“ umbenannt. Seit 1989 verleiht die deutsche Gesellschaft für angewandte Mathematik und Mechanik (GAMM) den „Richard-von-Mises-Preis“.[5] 1950 wurde ihm die Aufnahme in die in Ostberlin beheimatete Deutsche Akademie der Wissenschaften angeboten, zu seinem Bedauern musste er damals im Klima des Kalten Krieges und der McCarthy-Ära aber ablehnen.

Literatur

  • Rudolf Nissen: Helle Blätter, dunkle Blätter. (Autobiographie) DVA 1969, Herder-Buchgemeinde 1969 und Ecomed, 2001 ISBN 3-609-16029-2, S. 212.
  • Siegmund Kaznelson (Hrsg.): Juden im deutschen Kulturbereich. Ein Sammelwerk. Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main. 3. Aufl. 1962, S. 393 f.
  • Elke-Vera Kotowski (Hrsg.): Juden in Berlin. Biografien. Henschel, Berlin 2005, ISBN 3-89487-461-9, S. 197 f. (siehe auch kritische Rezension des gesamten Buches von Tobias Schenk, online bei sehepunkte.de).
  • Reinhard Siegmund-Schultze Indeterminismus in der Quantentheorie: Richard von Mises wahrscheinlichkeitstheoretischer Purismus in der Theorie physikalischer Prozesse, in Karl-Heinz Schlote, Martina Schneider (Hrsg.) Mathematics meets physics: a contribution to their interaction in the 19th and the first half of the 20th century, Frankfurt am Main: Harri Deutsch, 2011, S. 241–270.
  • Karl Märker: Mises, Richard. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 17, Duncker & Humblot, Berlin 1994, S. 564–566 (Onlinefassung).
  • Hannelore Bernhardt: Zum Vergleich der wahrscheinlichkeitstheoretischen Konzepte von R. v. Mises und A. N. Kolmogorov. Perspektiven interkultureller Wechselwirkung für den wissenschaftlichen Fortschritt. Beiträge von Wiss.-Historikern der DDR zum XVIII. Internationalen Kongress für Geschichte der Wissenschaften in Berkley (USA), Akademie der Wissenschaften der DDR, Institut für Geschichte und Organisation der Wissenschaften. Kolloquienheft 43, S. 205–209. Berlin 1985.
  • Hannelore Bernhardt: Richard von Mises in seiner Berliner Zeit. In: Hans Reichenbach und die Berliner Gruppe, S. 101–112. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft, Braunschweig; Wiesbaden 1994.
  • Hannelore Bernhardt: Richard von Mises und die Berliner Akademie der Wissenschaften. Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin, Band 64, S. 180–185. trafo Wissenschaftsverlag Dr. Wolfgang Weist, Berlin 2004.

Weblinks

 Commons: Richard von Mises – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Mises, Richard Edler von. In: Dorit Petschel: 175 Jahre TU Dresden. Band 3: Die Professoren der TU Dresden 1828–2003. Hrsg. im Auftrag der Gesellschaft von Freunden und Förderern der TU Dresden e. V. von Reiner Pommerin, Böhlau, Köln u. a. 2003, ISBN 3-412-02503-8, S. 634.
  2. Reinhard Siegmund-Schultze Mathematicians fleeing from Nazi Germany, Princeton University Press 2009, S. 383
  3. Deutsche Ausgabe bei Suhrkamp stw 871, ISBN 978-3-518-28471-1
  4. Members of the American Academy. Listed by election year, 1900–1949 (PDF). Abgerufen am 8. Oktober 2015
  5. siehe Seite der GAMM über die Richard-von-Mises-Preisträger abgerufen 9. März 2016
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Richard von Mises aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.