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Sippenhaftung

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Die Sippenhaftung, oft auch Sippenhaft genannt, obwohl es sich nicht notwendigerweise um eine Haft handelt, ist eine Form der Kollektivhaftung. Sie bezeichnet das Einstehenmüssen der Familienmitglieder für Taten ihrer Angehörigen. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Sippenhaft als Terrormaßnahme gegen politische Gegner und deren Familien angewandt. Bis heute besteht sie in Nordkorea und wird in Russland und Tschetschenien angewendet.

Deutschland

Deutsches Recht im Mittelalter

Einer weit verbreiteten Auffassung zufolge ging das ältere deutsche Recht, das heißt das Recht in den deutschen Ländern vor der Rezeption des römischen Rechts, von der Vorstellung aus, dass die Verwandten (Magen, Sippe) für Delikte eines Familienmitgliedes mithaften müssten. Grundlage dieses Systems war, dass sich auch schwerste Straftaten durch eine Bußzahlung regulieren ließen, die an die Sippe des Geschädigten oder Getöteten zu leisten war. Mit dem Aufkommen seiner Sippe für den (pekuniären) Schaden war der Fall erledigt.

In einer neueren Untersuchung hat indes Harald Maihold (siehe Literatur) darauf hingewiesen, dass auch das römisch-kanonische Recht in gewissen Fällen, insbesondere dem des Majestätsverbrechens, eine Mithaftung der Familie kannte, und dass die Quellen des „altdeutschen Rechts“ im Umfang der Familienhaftung kaum über das römisch-kanonische Recht hinausgehen.

Nationalsozialismus

In späterer Zeit bekam die Bezeichnung eine neue Bedeutung: Gemeint war nunmehr die Bestrafung eines Menschen (Verwandten, Ehepartners) für die Straftat eines anderen „Sippenangehörigen“. Diese Art der Haftung wurde in totalitären Herrschaftssystemen wie zum Beispiel während der Zeit des Nationalsozialismus als Terrormaßnahme gegen politische Gegner (und deren Familien) angewandt.[1] Sippenhaft bedeutete dabei in der Regel Einweisung in ein Konzentrationslager.

Eines der ersten Beispiele dieser Art von Sippenhaftung war der Fall des Gustloff-Attentäters David Frankfurter, dessen Vater, Oberrabbiner Dr. Moritz Frankfurter, nach dem Einmarsch in Jugoslawien am 6. April 1941 von der SS gefangen genommen und öffentlich gefoltert wurde.

Nach dem Attentat auf Heydrich im Mai 1942 wurden die in der okkupierten Tschechoslowakei gebliebenen Familienangehörigen des ehemaligen tschechoslowakischen Ministers Ladislav Karel Feierabend, der nun Mitglied der Exilregierung in London war, in Konzentrationslager deportiert: seine Ehefrau, sein Vater, sein Bruder sowie dessen Frau und Söhne.

Nach dem Attentat des 20. Juli 1944 wurden zahlreiche Angehörige früherer oder gegenwärtiger Gegner des NS-Regimes im Rahmen der Aktion Gitter verhaftet oder anderen Repressionen ausgesetzt.

Am 5. Februar 1945 wurde in einem Erlass die Haftung mit Vermögen, Freiheit oder Leben für Angehörige von deutschen Kriegsgefangenen angeordnet, die in der Gefangenschaft Angaben über Stärke, Bewaffnung und Einsatzort ihrer Truppe gemacht und deshalb wegen Landesverrat rechtskräftig zum Tode verurteilt worden waren.[2]

Im Frühjahr 1945 kam es zu einem besonders dramatischen Fall von Sippenhaft: Im KZ Buchenwald wurde eine Gruppe von über 100 Sippenhäftlingen gesammelt, darunter zwölf Familienmitglieder Stauffenberg,[3] aber auch politisch eher wenig belastete wie aus der Familie des früheren Chefs der Heeresleitung Kurt von Hammerstein sowie vor allem Angehörige für außenpolitisch bedeutsam gehaltener Ausländer. Am 3. April 1945 wurde diese Gruppe zunächst ins KZ Dachau transportiert, dann am 17. April 1945 nach Innsbruck. Der Treck von inzwischen fast 140 Häftlingen zog dann zu Fuß unter Bewachung durch die SS durch die Dolomiten in Richtung Südtirol. Am 30. April 1945 wurden die Häftlinge durch den Offizier Wichard von Alvensleben aus der Gewalt der SS erlöst, in einem Hotel in Niederdorf einquartiert und am 4. Mai 1945 von US-Truppen aus deutscher Hand befreit und bis Ende Juni 1945 auf Capri untergebracht.[4]

Bundesrepublik Deutschland

In der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland wird eine Kollektivhaftung, welche die Sippenhaftung einschließt, als nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar betrachtet und hat daher keine juristische Definition. Soweit dennoch ein mit Sippenhaft vergleichbares Verhalten von staatlichen Institutionen praktiziert wird, wird dies von der Rechtsprechung unterbunden, so z. B. wurde eine Sanktion der Bremer Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales vom Landessozialgericht als rechtswidrig festgestellt und als Sippenhaftung bezeichnet.[5]

Russische Föderation

Seit November 2013 gibt es in Russland ein Gesetz zur Sanktionierung von Angehörigen von Straftätern, denen ein terroristisches Bestreben zur Last gelegt wird. Das Gesetz der Regierung Putins war als präventives Anti-Terror-Gesetz zur Sicherung der Olympischen Winterspiele 2014 gedacht, die nahe am umkämpften Kaukasus-Gebiet lagen. Im Detail ermöglicht das Gesetz beispielsweise die Beschlagnahmung von Eigentum, schon bei bloßer Verdächtigung eines Verwandten. Dem Gesetz voraus ging der wiederholte Aufruf des Guerillakämpfers Doku Umarow, die Winterspiele in Sotschi mittels Gewalt zu verhindern. In Tschetschenien können Terroristen „nahestehende“ Personen in Haft genommen werden. Die Anzahl der terroristischen Anschläge ist seitdem zurückgegangen.[6]

Japan

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In vielen nicht-westlichen Kulturen wurde die Sippenhaftung historisch zum Teil als normal angesehen und auch von nicht-totalitären Regierungen allgemein praktiziert. Ein Beispiel dafür ist Japan bis Mitte des 19. Jahrhunderts.

Nordkorea

In Nordkorea wird bis heute die Auffassung vertreten, dass bei der Verurteilung eines Familienmitgliedes die gesamte Familie schuldig sei. Die strengste Anwendung dieses Grundsatzes erfolgte während Säuberungen 1958 unter Kim Il-sung. Hierbei wurde die Verurteilung bis auf Angehörige der dritten Generation ausgedehnt.[7]

Literatur

  • Dagmar Albrecht: Mit meinem Schicksal kann ich nicht hadern. Sippenhaft in der Familie Albrecht von Hagen. Dietz, Berlin 2001, ISBN 3-320-02018-8.
  • Ekkehard Kaufmann: „Sippe“ und „Sippenstrafrecht“. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Herausgegeben von Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann unter philologischer Mitarbeit von Ruth Schmidt-Wiegand. Mitbegründet von Wolfgang Stammler, Red. Dieter Werkmüller. Band IV. Berlin 1990, S. 1668–1672
  • Harald Maihold: Die Sippenhaft: Begründete Zweifel an einem Grundsatz des „deutschen Rechts“. In: Mediaevistik. Band 18, 2005, S. 99–126 (PDF; 152 KB)

Einzelnachweise

  1. Manuel Becker, Christoph Studt (Hrsg.): Der Umgang des Dritten Reiches mit den Feinden des Regimes: XXII. Königswinterer Tagung (Februar 2009). In: Band 13 von Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 e.V, Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944, LIT Verlag Münster, 2010, ISBN 9783643105257
  2. Fernschreiben von Wilhelm Keitel nach Erich Kuby, Das Ende des Schreckens, List Bücher 1961, S. 50f
  3. Peter Koblank: Die Befreiung der Sonder- und Sippenhäftlinge in Südtirol, Online-Edition Mythos Elser 2006
  4. Hans-Günter Richardi, Caroline M. Heiss, Hans Heiss: SS-Geiseln in der Alpenfestung. Die Verschleppung prominenter KZ-Häftlinge aus Deutschland nach Südtirol. Verlag Raetia, 2005, 312 S., ISBN 88-7283-229-2
  5. Keine Sippenhaft, Die Tageszeitung – Website. Abgerufen am 31. Dezember 2013.
  6. Sippenhaft wie zu Zeiten Stalins, Die Tageszeitung – Website. Abgerufen am 31. Dezember 2013.
  7. Verbrechen und Terror in Nordkorea, Internationale Gesellschaft für Menschenrechte
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Sippenhaftung aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.