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Tugend

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Das deutsche Wort Tugend (lateinisch virtus, altgriechisch ἀρετή arete) ist abgeleitet von taugen; die ursprüngliche Grundbedeutung ist die Tauglichkeit (Tüchtigkeit, Vorzüglichkeit) einer Person. Allgemein versteht man unter Tugend eine hervorragende Eigenschaft oder vorbildliche Haltung. Im weitesten Sinn kann jede Fähigkeit, als wertvoll betrachtete Leistungen zu vollbringen, als Tugend bezeichnet werden. In der Ethik bezeichnet der Begriff eine als wichtig und erstrebenswert geltende Charaktereigenschaft, die eine Person befähigt, das sittlich Gute zu verwirklichen. Damit verbindet sich gewöhnlich die Auffassung, dass dieser Eigenschaft und der Person, die über sie verfügt, Lob und Bewunderung gebührt.

Etymologie und Begriffsgeschichte

Tugend ist als Verbalabstraktum von taugen abgeleitet, einem Verb, dessen Grundbedeutung "geeignet sein", "brauchbar sein", "nützen" ist. Im Althochdeutschen ist um 1000 tugund ("Tüchtigkeit", "Kraft", "Brauchbarkeit") bezeugt. Im Mittelhochdeutschen hat tugent, tugende zusätzlich die Bedeutungen "männliche Tüchtigkeit", "Heldentat". Unter dem Einfluss theologischer und philosophischer Literatur, die aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt wurde, trat im Mittelalter ein Bedeutungswandel ein: Der Begriff erhielt eine spezifisch moralische Bedeutung und bezeichnete eine sittliche Vollkommenheit im christlichen Sinn als Gegensatz zu Laster und Sünde. Diese Begriffsverwendung bürgerte sich seit der Übersetzungstätigkeit Notkers des Deutschen (10./11. Jahrhundert) ein.

In kirchlich orientierten Kreisen war mit Tugend in der Frühen Neuzeit und bis in die Moderne in erster Linie Keuschheit gemeint. Speziell mit Bezug auf Frauen wurde "Tugend" als Synonym von Keuschheit verwendet, etwa in Wendungen wie Sie bewahrte ihre Tugend. Die mit dem moraltheologisch geprägten Sprachgebrauch zusammenhängende Bedeutungsverengung und der damit oft verbundene Eindruck von Scheinheiligkeit und Pharisäertum hat in der Moderne zu einer Abwertung des Begriffs "Tugend" geführt. Die heutige Begriffsverwendung ist oft distanziert, auch spöttisch und ironisch ("Ausbund von Tugend", "Tugendbold").[1]

Antike Begriffe

Hauptartikel: Arete

Der altgriechische Ausdruck arete wird oft – auch in wissenschaftlicher Fachliteratur – mit „Tugend“ übersetzt. Zugleich wird aber in der Fachliteratur auf die Problematik dieser Übersetzung hingewiesen. Im allgemeinen (nichtphilosophischen) Sprachgebrauch der Antike bezeichnet arete die „Gutheit“, das heißt die Tüchtigkeit einer Person bei der Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben oder die Tauglichkeit einer Sache (auch eines Tieres oder eines Körperteils) für den Zweck, dem sie dienen soll. Im Deutschen kann somit arete, wenn es um die nichtphilosophische Bedeutung geht, mit „Tauglichkeit“, „Vorzüglichkeit“ oder „Vortrefflichkeit“ wiedergegeben werden. Die Übersetzung mit „Tugend“ ist in vielen Fällen missverständlich, denn oft ist keine Tugendhaftigkeit in einem moralischen Sinn gemeint.[2]

In philosophischen Texten hat arete gewöhnlich einen moralischen Sinn. Daher ist in einem solchen Kontext die Übersetzung mit „Tugend“ in der Regel nicht zu beanstanden. Allerdings ist eine Vermischung mit neuzeitlichen, christlich geprägten Tugendvorstellungen zu vermeiden.

Das lateinische Wort virtus leitet sich von vir („Mann“) ab und bezeichnet ursprünglich Mannhaftigkeit, die sich vor allem als (militärische) Tapferkeit äußert. Der Begriff diente aber auch als Übersetzung des griechischen arete und erhielt dadurch insbesondere in philosophischen Texten und später im christlichen Sprachgebrauch den Sinn, den arete in der griechischen Philosophie hatte (Tugend). In dieser Bedeutung war virtus (im Plural virtutes) eine Bezeichnung für unterschiedliche Eigenschaften, die im Rahmen sozialer und ethischer Wertvorstellungen als wünschenswert galten.

Tugendkataloge

Kardinaltugenden

Hauptartikel: Kardinaltugenden

Als die vier klassischen Grundtugenden (seit dem Mittelalter: Kardinaltugenden) gelten Klugheit oder Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung. Platons Theorie der Grundtugenden wurde für die ganze tugendethische Theorie richtungsweisend. Für Aristoteles ist Tugend der Weg zur Glückseligkeit. Die Glückseligkeit wird hier aber nicht verstanden als subjektives Glücksgefühl, sondern als geglücktes Leben. Das Leben glückt dann, wenn der Mensch die Möglichkeiten verwirklicht, die in ihm angelegt sind (Entelechie).

Christliche Tugenden

Julius Schnorr von Carolsfeld: Glaube, Liebe, Hoffnung

Die christlichen Tugenden gehen auf die zehn Gebote des Alten Testamentes zurück. Im Neuen Testament ergänzt Jesus Christus diese Moralvorstellungen in der Bergpredigt in seinen Seligpreisungen mit den Tugenden der Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Sanftheit, Reinheit des Herzens und Friedfertigkeit. Später in der Bergpredigt lehrt Jesus über die Anwendung der Tugenden des Almosengebens, des Betens und des Fastens (Mt. 6, 1–21): Es kommt ihm nicht nur auf das Tun an sich an, sondern vor allem auf die Beweggründe dahinter.

Die drei göttlichen Tugenden (auch theologische Tugenden genannt) stehen im ersten Brief an die Korinther des Apostels Paulus (1. Korinther 13,13). Sie werden unter anderem in den Werken Thomas von Aquins kommentiert. Es sind: Glaube (lat. fides), Hoffnung (lat. spes) und Liebe (lat. caritas). In der Lehre der katholischen Kirche treten zu diesen drei theologischen Tugenden noch die vier Kardinaltugenden hinzu.

Himmlische Tugenden

Angelehnt an die Psychomachia, einem Text des Christlichen Dichters Prudentius aus dem 4. Jahrhundert, hat sich im Mittelalter folgende Liste der sieben himmlischen Tugenden entwickelt, die jeweils mit einer entsprechenden Untugend (siehe auch Todsünde) um die Vorherrschaft in der Seele ringen. Diese Auflistung war auch durch die Bearbeitung im musikalische Werk von Hildegard von Bingen im christlichen Abendland des Mittelalters weit verbreitet:

Tugend Demut
(humilitas)
Mildtätigkeit
(caritas)
Keuschheit
(castitas)
Geduld
(patientia)
Mäßigung
(temperantia)
Wohlwollen
(humanitas)
Fleiß
(industria)
Untugend Hochmut/Stolz
(superbia)
Geiz/Habgier
(avaritia)
Wollust
(luxuria)
Zorn
(ira)
Völlerei
(gula)
Neid
(invidia)
Faulheit
(acedia)

Rittertugenden

Als Rittertugenden galten staete, minne, hoher muet, mâze und triuwe (mittelhochdt. Minnesang), was in etwa mit Beständigkeit (im Sinne von Integrität), Frauendienst, heitere Gelassenheit/Enthusiasmus, Mäßigung und aufrichtiger Treue übersetzt werden kann.[3],, Das allegorische Preisgedicht auf Kaiser Karl IV. von Heinrich von Mügeln „Der meide kranz“ (um 1355) enthält eine Tugendlehre, in der die zwölf Tugenden Weisheit, Wahrheit, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Friedfertigkeit, Starkmut (Stärke), Glaube, Mäßigkeit, Güte, Demut, Hoffnung und Liebe auftreten. Siehe auch Ritterlichkeit.

Bürgerliche Tugenden

Bürgerliche Tugenden umfassen insbesondere: Ordentlichkeit, Sparsamkeit, Fleiß, Reinlichkeit und Pünktlichkeit. Diese Tugenden sind auf die praktische Bewältigung des Alltags gerichtet. Ihre soziale Funktion besteht im Aufbau und der Sicherung einer wirtschaftlichen Existenz. Otto Friedrich Bollnow bezeichnet sie daher auch als wirtschaftliche Tugenden. Sie stellen das pragmatische Gegengewicht zu den sonstigen, oft an Idealen orientierten Tugenden dar. [4] Bürgerlich werden diese Tugenden genannt, da sie für das Bürgertum in der Epoche der Aufklärung die Voraussetzungen lieferten, sich gegenüber dem Adel kulturell und wirtschaftlich emanzipieren zu können.

Soziale Tugenden

In der Psychologie spricht der italienische Gestalttheoretiker Giuseppe Galli (Universität Macerata) von "sozialen Tugenden" und nennt als solche die Hingabe, die Dankbarkeit, das Staunen, die Vergebung, das Vertrauen und die Aufrichtigkeit. Es handelt sich dabei um positive und konstruktive zwischenmenschliche Verhaltensformen, die jeweils durch eine spezifische Struktur des zwischenmenschlichen Beziehungsfeldes charakterisiert sind.

Preußische Tugenden

Zu diesem Kanon unterschiedlicher Tugenden siehe Preußische Tugenden.

Buddhismus

Die sittlichen Grundregeln des Buddhismus sind die Fünf Silas:

  1. Ich gelobe, mich darin zu üben, kein Lebewesen zu töten oder zu verletzen.
  2. Ich gelobe, mich darin zu üben, nichts zu nehmen, was mir nicht gegeben wird.
  3. Ich gelobe, mich darin zu üben, keine ausschweifenden sinnlichen Handlungen auszuüben.
  4. Ich gelobe, mich darin zu üben, nicht zu lügen und wohlwollend zu sprechen.
  5. Ich gelobe, mich darin zu üben, keine Substanzen zu konsumieren, die den Geist verwirren und das Bewusstsein trüben.

Frauentugenden

In der abendländischen Kultur werden mit tugendhaften Frauen vor allem folgende Eigenschaften verbunden: Häuslichkeit, Sparsamkeit, Keuschheit. Seit der Christianisierung Europas gilt Maria als tugendhaftes Vorbild. Da sie in den Apokryphen oft als Frau geschildert wird, die Handarbeiten verrichtet, gehört es in der Folgezeit zum Tugendkanon für Frauen, Handarbeiten zu verrichten (Spr 31,10-31 EU). Die christlichen Autoren haben hier allerdings Verhaltensschemata der Antike und des Judentums übernommen (vgl. Lucretia, Penelope, die Ketubott des Talmud).

Soldatische Tugenden

In einer alten Version der Zentralen Dienstvorschrift der Bundeswehr heißt es, dass gegenseitiges Verständnis, guter Wille und Hilfsbereitschaft eine Kameradschaft entstehen ließen, die auch größeren Belastungen standhalte. „Die soldatischen Tugenden entwickeln sich in den kleinen Gemeinschaften der Truppe. Dort entsteht die Kameradschaft; sie zeigt sich im Einsatz füreinander, besonders in Mühe und Gefahr. Sie soll Vorgesetzte und Untergebene in allen Lagen fest verbinden. […] [sie gibt] Zuversicht und Halt. Wer mehr zu leisten vermag, muss dem weniger Erfahrenen und Schwächeren helfen. Falscher Ehrgeiz, Selbstsucht und Unaufrichtigkeit zerstören die Kameradschaft.“[5]

Siehe auch

Literatur

Allgemeines

Philosophiegeschichte

Ritterliche bzw. höfische Tugenden

  • Dinzelbacher, Peter (Hrsg.): Europäische Mentalitätsgeschichte. Hauptthemen in Einzeldarstellungen. Stuttgart 1993.
  • G. Eifler (Hrsg): Ritterliches Tugendsystem. Darmstadt 1970.
  • Ganz, Peter: Der Begriff des 'Höfischen' bei den Germanisten. In: Wolfram-Studien 4, S. 16–32.
  • Göttert, Karl-Heinz: Tugendbegriff und epische Struktur in höfischen Dichtungen. Böhlau, Köln 1971.
  • Kaiser, Gert / Müller, Jan-Dirk (Hrsg.): Höfische Literatur, Hofgesellschaft, Höfische Lebensformen um 1200.
  • Neumann, Eduard: Der Streit um das ritterliche Tugendsystem. In: Frings, Theodor; Müller, Gertraud: Keusch. In: Erbe der Vergangenheit. Germanistische Beiträge. Festgabe für Karl Helm zum 80. Geburtstage 19. Mai 1951. Niemeyer, Tübingen 1951, 137–155.
  • Paravicini, Werner: Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters. München 1994.

Bürgerliche Tugenden

  • Erich E. Geissler: Erziehung zu neuen Tugenden?. In: E. E. Geissler/W. Rüegg: Eliten in der Demokratie. Walter Raymond Stiftung; H. 33. 1983.

Soziale Tugenden (Psychologie)

  • Giuseppe Galli: Psychologie der sozialen Tugenden. Wien 2005 (2., erweiterte Auflage): Böhlau. ISBN 320577308X

Frauentugend

  • Blisniewski, Thomas: Frauen, die den Faden in der Hand halten. Handarbeitende Damen, Bürgersmädchen und Landfrauen von Rubens bis Hopper. München 2009, ISBN 978-3-938045-35-0
  • Blisniewski, Thomas: „... und schafft mit emsigen Händen“ – Weibliche Handarbeiten in Werken von Ridolfo Schadow, Carl Joseph Begas und Johann Anton Ramboux im Wallraf-Richartz-Museum – Fondation-Corboud. In: Kölner Museums-Bulletin. Berichte und Forschungen aus den Museen der Stadt Köln (3) 2001, S. 4–18
  • Sirna, Gail Carolyn: Frauen, die nie den Faden verlieren. Handarbeitende Frauen in der Malerei von Vermeer bis Dali. Mit einem Vorwort von Thomas Blisniewski. München 2007
  • Wyss, Robert L.: Die Handarbeiten der Maria. Eine ikonographische Studie unter Berücksichtigung der textilen Techniken. In: Stettler, Michael und M. Lemberg (Hg.): Artes Minores. Dank an Werner Abegg. Bern 1973, S. 113 ff.

Weblinks

 Commons: Tugend – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Tugend – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikiquote: Tugend – Zitate

Fußnoten

  1. Wolfgang Pfeifer: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, Band M-Z, 2. Auflage, Berlin 1993, S. 1473; Ruth Klappenbach u. a. (Hrsg.): Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache, Band 5, Berlin 1976, S. 3811f.
  2. Zur Problematik der Übersetzung des Begriffs siehe Peter Stemmer: Tugend. I. Antike. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 10, Basel 1998, Sp. 1532–1548, hier: 1532f.
  3. Einträge bei Silke Müller-Hagedorn, Höfische Kultur des Hohen Mittelalters online auf den Seiten der UB Karlsruhe.
  4. Otto Friedrich Bollnow: Vom Wesen und Wandel der Tugenden. S. 31 ff.)
  5. Zentrale Dienstvorschrift der Bundeswehr 10/1, Ziffer 704.
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