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Zirbeldrüse
Die Zirbeldrüse, Epiphysis cerebri oder kurz Epiphyse, anatomisch auch Glandula pinealis (deutsche Bezeichnung wohl nach der Zirbelkiefer (Pinus cembrum) bzw. der Form ihrer Zapfen; synonyme Fachausdrücke siehe weiter unten) ist ein kleines Organ im Epithalamus (einem Teil des Zwischenhirns). In der Zirbeldrüse wird von den Pinealozyten das Hormon Melatonin produziert. Die Hormonproduktion findet überwiegend nachts statt. Über das Melatonin werden der Schlaf-Wach-Rhythmus und andere zeitabhängige Rhythmen des Körpers gesteuert. Eine Fehlfunktion kann – außer einem gestörten Tagesrhythmus – sexuelle Frühreife oder Verzögerung bzw. Hemmung der Geschlechtsentwicklung bewirken.
Synonyme
Die Zirbeldrüse hat mehrere synonyme Bezeichnungen:
- Zirbel
- die Epiphyse oder Epiphysis (cerebri) (griechisch-klinisch ἐπίφυσις, wörtlich „der Auf-Wuchs“, „das aufsitzende Gewächs“ mit dem lateinischen Zusatz cerebri – des Gehirns, da auch die Knochenenden der langen Röhrenknochen als Epiphysen bezeichnet werden)
- das Corpus pineale (lateinisch-anatomisch, der Pinien[zapfenförmige]körper)
- die Glandula pinealis (lateinisch-anatomisch, die Piniendrüse).
- das Pinealorgan
Anatomie
Die Zirbeldrüse wird sowohl zum Epithalamus – einige Autoren vertreten allerdings die Meinung, dass die Glandula pinealis ein vom Epithalamus unabhängiges Organ ist – als auch zu den zirkumventrikulären Organen gerechnet. Sie liegt im Gehirn an der Hinterwand des III. Ventrikels über der Vierhügelplatte.
Die Farbe der Zirbeldrüse ist grau-rötlich. Die durchschnittliche Länge beträgt beim Menschen 5–8 mm bei einer Breite von etwa 3–5 mm und das Gewicht liegt bei etwa 80−500 mg, im Mittel etwa 100 mg. Die Größe der Zirbeldrüse ist bei den einzelnen Tierarten sehr unterschiedlich. Interessant ist auch das Verhältnis der Zirbeldrüsengröße zur Größe des gesamten Hirns. Bei einigen Vögeln erreicht dieser Wert etwa 10 %. Tiere, die in höheren Breitengraden leben (Pinguine), haben größere Zirbeldrüsen als Tiere, die in wärmeren Gebieten der Erde leben. Der Elefant, alle Krokodilarten und Alligatoren (Crocodylia) scheinen keine Zirbeldrüse zu haben.[1] Auch scheinen die nachtaktiven Tiere kleinere Zirbeldrüsen zu haben als die tagaktiven Tiere.
Histologie und Verschaltung
Die Zirbeldrüse besteht zum größten Teil aus sekretorischen Nervenzellen (Pinealozyten) und Gliazellen.
In das Gewebe der Zirbeldrüse sind oft konzentrisch geschichtete, verschieden große Kalkkonkremente eingebaut. Diese Konkremente werden auch als Hirnsand (Acervulus, Acervuli) bezeichnet und sind im Röntgenbild des Schädels in der Mittellinie sichtbar. Ihre Zahl steigt mit dem Alter, und sie sind auch in anderen Teilen des Gehirns zu finden. Hirnsand wurde bislang bei vielen Säugetieren und einigen Vögeln nachgewiesen. Die biologische Bedeutung ist immer noch unklar.
Bei Fischen, Amphibien, Reptilien und vielen Vögeln ist die Zirbeldrüse als Scheitelauge noch selbst lichtempfindlich, bei Säugetieren gelangen von Lichtreizen ausgelöste Erregungen indirekt über Retina und Sehnerv zunächst in den Nucleus suprachiasmaticus im Hypothalamus. Der Nucleus suprachiasmaticus ist das primäre chronobiologische Zentrum der Säugetiere. Von hier ziehen Nervenfasern über die dorsale parvicellulare Unterabteilung des Nucleus paraventricularis, wo sie Synapsen mit absteigenden Bahnen zum Rückenmark aufnehmen. Diese absteigenden Bahnen ziehen zu den sympathischen Wurzelzellen (Nucleus intermediolateralis) im oberen Brustmark. Die Axone gelangen über den Halsteil des Sympathikus (bzw. Truncus vagosympathicus) wieder zurück kopfwärts zum Ganglion cervicale superius. Von hier wird die Information zur Epiphyse geleitet.[2]
Pathologie
Tumoren des Zirbeldrüsengewebes selbst (sogenannte Pinealisparenchymtumoren, kurz Pinealome) sind Pineozytom, Pinealisparenchymtumor intermediärer Differenzierung und Pineoblastom. Nicht selten im Bereich der Zirbeldrüse auftretende Tumoren sind papillärer Tumor der Pinealisregion und auch Keimzelltumoren wie das Germinom. Bei der gutartigen Pinealiszyste handelt es sich um eine häufige nicht-tumoröse Veränderung im Bereich der Zirbeldrüse. Zirbeldrüsentumore stellen die häufigste Ursache des Nothnagel-Syndroms dar.[3]
Die Zirbeldrüse ist auf Schädelröntgenbildern zu sehen, wenn sie – im höheren Alter – schon verkalkt ist.[4]
Geschichtliches zur Zirbeldrüse und zum Melatonin
Erasistratos von Keos (305–250 v. Chr.) und Herophilos von Chalkedon (344–280 v. Chr.) waren Anatomen der Schule von Alexandria und gelten (mit Anderen ihrer Zeit) als die ersten Anatomen. Erasistratos interessierte sich für das Nervensystem des Menschen, Herophilos interessierte sich für das Auge und das menschliche Gehirn. Beide glaubten, dass die Zirbeldrüse ein Ventil wäre, das den Fluss unserer Erinnerungen kontrolliere.
Galenos von Pergamon (130−200), der auch in Alexandria studiert hatte und dann in Rom praktizierte, erweiterte das Werk des alten Alexandria um eigene anatomische Erkenntnisse, berief sich aber immer wieder auf die Lehren des Hippokrates von Kos. Von Galens etwa 500 Werken sind 83 erhalten geblieben. Er beschrieb die Lokalisation der Zirbeldrüse, ihre zapfenförmige Form und ihm war die häufige Verkalkung der Zirbeldrüse bereits bekannt. Er war der Meinung, dass die Zirbeldrüse eine Art Ventil sei, das den Gedankenfluss der Seitenventrikel regulieren würde (Humoralpathologie). Galen hielt die Zirbeldrüse für eine Drüse und ihn erinnerte die Pinealregion an die männliche Genitalregion.
Hinduistische Mystiker sehen in der Zirbeldrüse das 7. Chakra (Kronen-Chakra), das mit kosmischer Energie in Verbindung gebracht wird. Oft wird angenommen, die Zirbeldrüse wäre das 6. Chakra, dieses entspricht jedoch der Hypophyse (Hirnanhangdrüse).
Andreas Vesalius (1514–1564) beschrieb die Ähnlichkeit von Zirbeldrüsen mit Pinienzapfen.
René Descartes (1596–1650), der Begründer des Rationalismus, interessierte sich auch für die Zirbeldrüse. Er vermutete eine direkte Verbindung zwischen den Augen und der Zirbeldrüse. In der Zirbeldrüse sah er fälschlich die Hauptinstanz des Sehens. Er glaubte, dass dieses Organ die Muskelbewegungen mit dem, was wir sehen, koordiniert, indem Flüssigkeiten durch Röhren zwischen der Zirbeldrüse und den Muskeln fließen würden („esprits animaux“). Über die Zirbeldrüse sagte er: „Es gibt eine kleine Drüse im Gehirn, in der die Seele ihre Funktion spezieller ausübt als in jedem anderen Teil des Körpers“ (Les Passions de l’âme, Art. 31). Dies führte zu der Meinung, er hielte die Zirbeldrüse für den Sitz der Seele.
Der berühmte Anatom Morgagni äußerte 1769 die Meinung, dass die Verkalkung der Zirbeldrüse bei Geisteskranken häufiger anzutreffen sei. Otto Heubner, ein Kinderarzt, beobachtete 1898, dass ein Junge mit frühzeitiger Pubertät einen Zirbeldrüsentumor hatte. Allerdings wurde auch beobachtet, dass Zirbeldrüsentumoren auch mit verzögertem Eintritt der Pubertät einhergehen können. Außerdem wurde die endokrinen Funktion der Glandula pinealis entdeckt. Krabbe erwog 1916 eine Hormonproduktion in der Zirbeldrüse. Nils Holmgren, ein schwedischer Antom, entdeckte 1918 die Ähnlichkeit zwischen Netzhaut und Zirbeldrüse bei Fröschen und Fischen. Die im klassischen Röntgenbild sichtbaren Verkalkungen der Zirbeldrüse wurden 1918 von Schüler beschrieben. 1940 entdeckte der Japaner Aktani einen unbekannten Zirbeldrüsenfaktor mit tumorhemmender Wirkung.
Kitay und Altschule beobachteten 1954, dass die Verkalkungen der Zirbeldrüse mit dem Alter zunehmen. An der Yale University entdeckten der Hautarzt Aaron Lerner und sein Kollege J. D. Case die Struktur des Melatonins auf der Suche nach einem Medikament gegen die Vitiligo (Weißfleckenkrankheit). Sie brauchten dafür in vierjähriger Tätigkeit etwa 200.000 Rinderzirbeldrüsen, um das Melatonin zu isolieren. In den 1960er Jahren hat Gregory Hill die Zirbeldrüse als Tor zur inneren Macht in seiner diskordianistischen religiösen Schrift, den Principia Discordia erwähnt. Quay entdeckte 1964 den 24-Stunden-Rhythmus der Melatoninsekretion und 1965 mit seinen Mitarbeitern die Melatoninsynthese in der Retina. Russische Forscher (Asanova, Rakov?) beschrieben 1966 den Zusammenhang zwischen Magnetfeldern und Melatonin. In den Jahren 1971/72 erfolgte die Entdeckung der per-Mutation bei der Fruchtfliege Drosophila melanogaster durch Konopka und Benzer. Erste Hinweise für das Funktionsprinzip von biochemischen oder zellulären „Uhren“ (→ Chronobiologie). Damit war der Weg frei, das Funktionsprinzip zellulärer Uhren erklären zu können. 1972 entdeckten Robert Moore und Irving Zucker den Sitz der „zirkadianen Uhr“ bei Ratten, den Nucleus suprachiasmaticus.
Piechowak zeigte 1973 die hohe Durchblutung der Zirbeldrüse: Nur die Nierendurchblutung ist höher. 1978 veröffentlichten M. Cohen und Mitarbeiter in The Lancet einen Artikel, in dem sie die Vermutung äußern, dass eine übermäßige Verkalkung der Zirbeldrüse ihre Funktion beeinträchtigen könnte, was eine Bedeutung für die Ätiologie des Brustkrebses bei der Frau haben könnte. Jenny Redmam zeigte 1983, dass Melatonininjektionen bei Ratten zu einer Verschiebung ihrer endogenen zirkadianen Rhythmik führen und dass der Zeitpunkt der Melatoningaben dafür entscheidend ist.[5] Die Wirkung von Melatoningaben auf Personen, die unter Jetlag leiden, wurde 1986 von Josephine Arendt untersucht. Die drei Melatoninrezeptoren Mel1a, Mel1b und Mel1c wurden 1995 von Steve Reppert und D. R. Weaver kloniert. Im Oktober 1995 wurde Melatonin vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) als „arzneilich wirksame Substanz“ eingeordnet, was bedeutet, dass es als Nahrungsergänzung nicht mehr in Deutschland frei verkäuflich ist. Laut BgVV hat Melatonin keinen Nährwert. Im ganzen Jahr 1995 wurden in den USA etwa 50 Millionen Melatonintabletten verkauft. Die National Institute on Aging (NIA des NIH) warnten im April 1997 vor dem sorglosen Gebrauch von Melatonin, das in den USA rezeptfrei erhältlich ist.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ C. L. Ralph: The pineal gland and geographical distribution of animals. In: Int J Biometeorol. 19(4), 1975 Dec, S. 289–303.
- ↑ P. J. Larsen: Tracing autonomic innervation of the rat pineal gland using viral transneuronal tracing. In: Microsc Res Tech. 1999 Aug 15-Sep 1;46(4-5), S. 296–304. PMID 10469465
- ↑ Rudolf Sachsenweger: Neuroophthalmologie. 3. Auflage. Thieme Verlag, Stuttgart 1983, ISBN 3-13-531003-5, S 260
- ↑ Robert A Zimmerman: Age-Related Incidence of Pineal Calcification Detected by Computed Tomography. (PDF) Radiological Society of North America, abgerufen am 21. Juni 2012.
- ↑ Free-running activity rhythms in the rat: entrainment by melatonin. In: Science
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