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Feministische Linguistik

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Die Feministische Linguistik ist eine sozialwissenschaftliche Disziplin, welche Sprache und Sprachgebrauch unter feministischen Gesichtspunkten analysiert und beurteilt. Ihr Ursprung liegt wie bei der Frauenforschung im englischen Sprachraum. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand in den USA im Zuge der feministischen Bewegung ein verstärktes wissenschaftliches Interesse am unterschiedlichen Sprachgebrauch der Geschlechter. Wegweisend waren Language and Women's Place (1973) von Robin Lakoff, Male/Female Language (1975) von Mary Richie Key und Language and Sex (1975) von Nancy Henley.[1] Anders als die Linguistik versteht sich die Feministische Linguistik selbst nicht nur als beschreibende (deskriptive), sondern auch als intervenierende Wissenschaft und damit als Teil einer politisch-sozialen Bewegung, die Sprache und Sprachgebrauch anhand von soziologischen und politischen Kriterien kritisiert. Daher wird sie in der Sprachwissenschaft oft nicht als Teildisziplin wahrgenommen, sondern als feministische Sprachkritik aufgefasst.

Seit Mitte der 1980er Jahre haben sich zwei Themenschwerpunkte der Feministischen Linguistik herauskristallisiert: die Feministische Sprachanalyse (die Analyse des Sprachgebrauchs und der sprachlich transportierten Strukturen und Wertesysteme) und die Feministische Konversationsanalyse (die Analyse geschlechtsspezifischer Kommunikationsformen und Sprachnormen).

Feministische Analyse der deutschen Sprache

Abhängig von den bestehenden Möglichkeiten des Sprachsystems (Langue) neigt die Feministische Linguistik entweder eher zur Sichtbarmachung oder eher zur Neutralisierung des Geschlechts im Sprachgebrauch (Parole). Da im Deutschen die Movierung mit {-in} produktiv und fast generell möglich ist, überwiegt für diese Sprache die Forderung nach Sichtbarkeit, also expliziter Nennung beider natürlicher Geschlechter.

Wichtige Autorinnen für die feministische Analyse der deutschen Sprache sind Senta Trömel-Plötz und Luise F. Pusch sowie Deborah Tannen für die Feministische Konversationsanalyse. Zusammen mit Pusch gilt Trömel-Plötz als Begründerin der deutschen feministischen Linguistik.[2] Wegweisend waren ihr Text Linguistik und Frauensprache[3] und ihre „aufsehenerregend[e] Antrittsvorlesung“[4] als Professorin an der Universität Konstanz am 5. Februar 1979. Beide organisierten die Arbeitsgruppe Feministische Linguistik innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft, die enormes Interesse fand und großen Zulauf hatte. Zu den Jahrestagungen in Regensburg und Passau kamen Frauen nicht nur aus der Linguistik, sondern aus allen Gebieten, die mit Sprache umgingen, wie Schriftstellerinnen, Journalistinnen, Lehrerinnen, Theologinnen, Politikerinnen, Juristinnen.[5]

Formgleichheit von generischem und spezifischem Maskulinum – unklares Genus-Sexus-Verhältnis

Die Feministische Linguistik richtet sich gegen den Gebrauch des generischen Maskulinums in der deutschen Sprache. Die Formen der Nomina und der zugehörigen Personal- und Possessivpronomina seien im Deutschen beim generischen Maskulinum mit denen des spezifischen Maskulinums (der Bezeichnung für einzelne Jungen oder Männer bzw. für Gruppen, die ausschließlich aus Jungen oder Männern bestehen) identisch. Dies führe zu der Notwendigkeit, komplizierte Paraphrasierungen vorzunehmen, wenn man verdeutlichen wolle, dass eine bestimmte Personenbezeichnung sich nur auf männliche Personen bezieht. Diese Umformungen würden – so die Analyse um 1980 – jedoch im realen Sprachgebrauch nur selten gemacht; dadurch bleibe unklar, ob eine grammatisch maskuline Personenbezeichnung als generisches oder als spezifisches Maskulinum gemeint sei. Diese Vermischung von generischem und spezifischem Maskulinum in der Sprachverwendung wurde anhand vieler empirischer Untersuchungen belegt. Eine Übersicht findet sich in Trömel-Plötz: Frauensprache: Sprache der Veränderung.

Durch die Doppelfunktion grammatisch maskuliner Personenbezeichnungen würden Frauen, so die Autorinnen dieser Studien, systematisch „unsichtbar gemacht“. Während Männer bei Verwendung maskuliner Personenbezeichnungen immer gemeint seien, sei es bei solchen Bezeichnungen unklar, ob Frauen mitgemeint seien oder nicht. Dadurch entstünde ein so genannter male bias, der zum ständigen gedanklichen Einbezug von Männern, jedoch nicht von Frauen führe. Die Existenz dieses male bias wurde für den angelsächsischen Sprachraum – wenn auch die Genus-Sexus-Debatte auf die englische Sprache nur bedingt, d. h. auf den Umgang mit Pronomina, anwendbar ist – vielfach empirisch nachgewiesen. Empirische Untersuchungen für den deutschsprachigen Raum konnten die Resultate aus dem angelsächsischen Raum bestätigen.[6]

Diskriminierung von Frauen mit und in der Sprache

Viele Autoren der Feministischen Linguistik sehen in verschiedenen Bereichen eine latente Diskriminierung von Frauen innerhalb des deutschen Sprachsystems. Wo Frauen nicht unsichtbar gemacht würden, würden sie als zweitrangig dargestellt (durch Erwähnung an zweiter Stelle, wie bei „Romeo und Julia“) oder systematisch abgewertet, so die zusammenfassende feministische Kritik an der deutschen Sprache.

So setzten sich zum Beispiel in den 1970er und 1980er Jahren Feministinnen für die Nichtbenutzung des Wortes „Fräulein“ ein, weil dadurch eine Asymmetrie beseitigt werde, die darin bestehe, dass es kein männliches Gegenstück zu der diminutiven und insofern abwertenden Anredeform „Fräulein“ gebe. Frauen würden auch dadurch abgewertet, dass eine Frau, die gerne und viel spricht, als „Klatschtante“ bezeichnet werde, während ein Mann mit denselben Eigenschaften als „kommunikativ“ gelte, was eher positiv bewertet werde. Weitere abwertende Bezeichnungen für Frauen, für die es keine männlichen Gegenstücke gebe, seien „Blondine“, „Quotenfrau“ oder „Waschweib“.

Durch Metaphern und Redewendungen werden überholte Rollenklischees reproduziert.[7] Der Germanist Michael Hausherr-Mälzer hält das Sprichwort für einen „Tummelplatz historischer wie aktueller Sexismen“, das in „noch auffälligerer, weil direkter Weise, als sprachliche Strukturen ein unverkennbares Zeugnis einer sexistischen Gesellschaft ablegt.“[8] Während Redewendungen wie „Sie ist ein ganzer Kerl“ für Frauen eine Statuserhöhung bedeuten, ist die Assoziation eines Mannes mit weiblichen Eigenschaften – etwa „Du benimmst dich wie ein Mädchen“ – eine Herabsetzung.[7] Metaphern wie „ihren Mann stehen“ sind für Marlis Hellinger Beispiele „für die patriarchalische Regel, nach der das Weibliche als zweitrangige Kategorie gilt“.[9] Das Sprichwort „Herren sind herrlich, Damen sind dämlich“ assoziiert Frauen mit dem Adjektiv dämlich, obwohl „dämlich“ auf niederdeutsch „dämelen“, d.h. nicht recht bei Sinnen, zurückgeht und nichts mit der Etymologie von „Dame“ zu tun hat.[10][11]

Auch die persönliche Anrede ist sexistisch geprägt. Während Frauen mit ihrem biologischen Geschlecht angeredet werden („Frau“), wird für Männer ein sozialer Titel („Herr“) verwendet.[12] Bezeichnungen für Frauen und Männer reflektieren den historisch ungleichen Status der Geschlechter. So ist das Wort „Mädchen“ von „Mägdchen“ bzw. Magd abgeleitet, während „Junge“ und „Knabe“ auf „Junker“ und „Knappe“, die einen höheren sozialen Status als die Magd hatten, zurückzuführen sind.[13]

Gefragt wird in der Feministischen Linguistik auch danach, ob Frauen „in gesprochenen und geschriebenen Texten als eigenständige, gleichberechtigte und gleichwertige menschliche Wesen“[14] erkennbar sind. Dabei werden Empfehlungen für eine Ausdrucksweise vorgestellt.

Eine Empfehlung besteht darin, Formulierungen zu vermeiden, „die Frauen in stereotypen Rollen und Verhaltensweisen darstellen …“. Beispiel: Die Anrede „Fräulein“ ist ersatzlos zu streichen. Oder „Tennisdamen“ können durchaus auch als „Tennisspielerinnen“ bezeichnet werden.[15]

Richtlinien für einen geschlechtersensiblen Sprachgebrauch

Wie eingangs erwähnt, zielt die Feministische Linguistik nicht allein auf Beschreibung und Kritik der Sprachsysteme und Sprachnormen, sondern auf politisch-gesellschaftliche Veränderungen. Diesem Ziel wird die wissenschaftliche Neutralität untergeordnet. Unter anderem haben feministische Autorinnen aus diesem Bereich zu Beginn der 1980er Jahre Richtlinien für einen geschlechtersensiblen Sprachgebrauch formuliert, die an Bildungs- und andere Institutionen verteilt wurden. Zu den dort aufgeführten Empfehlungen gehören unter anderem folgende Punkte:

  • Das grammatische Geschlecht (Genus) von Personenbezeichnungen soll entsprechend dem Geschlecht der gemeinten Person (Sexus) formuliert werden. Als Alternative bieten sich geschlechtsneutrale Ersatzformulierungen (z. B. „Lehrkraft“) oder Substantivierungen von Adjektiven oder Partizipien im Plural (z. B. „Studierende“) an.
  • Frauen sollen dort, wo sie vorkommen, explizit und an erster Stelle genannt werden. Geschlechtsindefinite Bezeichnungen sollen zweigeschlechtlich formuliert werden.
  • Feminine Endungen sollen auch dort gebildet werden, wo dies zu Wort-Neukreationen führt.
  • Die Anreden „Dame“ und „Fräulein“ sollen ersatzlos gestrichen werden.
  • Formulierungen, in denen Frauen über Männer definiert werden („Herr Müller und Gattin“, „Familie Hans Müller“), sollen vermieden werden.
  • Zur Vereinfachung ausgeschriebener Doppelformen wird um 1980 der Gebrauch des Binnen-I empfohlen.

Darüber hinausgehend empfiehlt Friederike Braun als Autorin eines Leitfadens der Landesregierung Schleswig-Holstein, Asymmetrien wie „Weber, Schmidt, Fr. Freitag, Fr. Richter“ sowie das Wort „man“ zu meiden.[16]

Viele dieser Richtlinien werden seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum angewendet. So gibt es mittlerweile sowohl für Frauen als auch für Männer neue Berufsbezeichnungen, die das biologische Geschlecht der benannten Person berücksichtigen: „Krankenschwester“ wurde so zu „Krankenpfleger/-in“ usw. Das auch unter Feministinnen umstrittene Binnen-I für Fälle, in denen Männer und Frauen gemeint sind, wird in der Schweiz und in Österreich häufiger verwendet. In Deutschland ist dagegen im Zusammenhang mit Berufsbezeichnungen derzeit die Schrägstrichschreibung üblich, teilweise auch Klammerschreibungen, und in anderen Fällen die ausgeschriebene Beidnennung.

Die Richtlinien beziehen sich hauptsächlich auf die Schriftsprache und entsprechend sind Auswirkungen auf die mündliche Rede abseits der direkten Ansprache bisher vergleichsweise gering, vor allem wenn politische Reden, weil sie vorformuliert sind, als medial mündlich, aber konzeptionell schriftlich betrachtet werden.

Die Linguistin Luise Pusch lehnt auch einen Satz wie: „Mädchen sind die besseren Schüler“ ab, da die Mädchen hier unter das generische Maskulinum subsumiert werden. Diese grammatikalische Form solle durch einen angestrebten Sprachwandel vollständig abgeschafft werden. Die konsequente Nichtbenutzung des generischen Maskulinums bezeichnet Bettina Jobin als „feministischen Imperativ“: „Bezeichne nie eine Frau, einschließlich dir selbst, mit einem grammatischen Maskulinum.“[17] Bei konsequent angewandter „Geschlechtsneutralität“ könnte der o. g. Satz lauten: „Mädchen sind bessere Schülerinnen, als Jungen Schüler sind.“, „Mädchen sind die besseren SchülerInnen.“, „Mädchen sind die besseren Schüler/-innen.“ oder auch (wenn nicht von Jugendlichen ab 14 Jahren die Rede ist) „Mädchen sind die besseren Schulkinder.“ Wenn jedoch auf Sprachästhetik Wert gelegt und eine Sprachsensibilität angestrebt wird, die allen Geschlechtern gerecht wird, ohne eines davon besonders hervorzuheben[18], wäre etwa die Formulierung „Mädchen erbringen bessere schulische Leistungen als Knaben.“ angebracht.

Feministische Konversationsanalyse

In der Konversationsanalyse wird das Gesprächsverhalten von Gruppen oder Personen näher untersucht. Die Feministische Konversationsanalyse konzentriert sich auf die Unterschiede in der Kommunikation von Männern und Frauen. Viele der frühen Untersuchungen in diesem Bereich stammen aus den USA. Untersuchungen aus Europa, Deutschland und der Schweiz beziehen sich sehr oft auf den universitären und den öffentlichen Bereich (öffentliche Diskussionen, Fernsehen). Die wichtigsten Schlussfolgerungen der Studien in diesem Bereich sind – obwohl natürlich eine gewisse Entwicklung feststellbar ist – meist ungefähr dieselben: Frauen und Männer haben ein signifikant unterschiedliches Gesprächsregister.

Grob zusammengefasst ergeben sich folgende Ergebnismuster:

  • Frauen wählen öfter als Männer Formulierungen, die ihre Aussagen abschwächen. Dies geschieht einerseits durch den häufigeren Gebrauch von Diminutiven, andererseits durch relativierende Satzanfänge oder -enden.
  • Frauen formulieren ihre Aussagen häufiger als Männer in Frageform.
  • Frauen benutzen öfter als Männer selbstentwertende Formulierungen.
  • Frauen benutzen öfter als Männer indirekte sowie „vermittelnde“, das heißt sich auf den Gesprächspartner beziehende Redewendungen.
  • In Gruppen überlassen es Frauen häufiger als Männer ihren Gesprächspartnern, ob diese ein Gesprächsthema aufnehmen und weiterführen.
  • Frauen fluchen seltener als Männer. Die dabei gewählten Ausdrücke sind in der Regel milder.
  • Frauen benutzen insgesamt einen anderen Wortschatz als Männer. Tendenziell verfügen sie in traditionell weiblichen Bereichen über ein reicheres und präziseres Vokabular, während sie sich in traditionell männlichen Bereichen nur unpräzise ausdrücken können.
  • Frauen lassen sich öfter als Männer unterbrechen.
  • Häufiger als Männer gehen Frauen auf die Argumente des Gegenübers ein.
  • Seltener als Männer unterbrechen Frauen ihren Gesprächspartner.

In gewissen Fällen bedienen sich auch Männer eines „weiblichen“ und Frauen eines „männlichen“ Gesprächsregisters. Dies ist vor allem in Gesprächsgruppen mit starkem Machtgefälle zu beobachten: Einem Vorgesetzten gegenüber wird tendenziell eher ein „weibliches“ Register benutzt, einem Untergebenen gegenüber ein „männliches“.

Wissenschaftlich abgesicherte Erklärungen für das unterschiedliche Kommunikationsverhalten von Frauen und Männern gibt es bisher nicht. Die Feministische Linguistik versucht, das Kommunikationsverhalten einerseits über die geschlechtstypische Sozialisation zu erklären, andererseits über die „defizitäre gesellschaftliche Situation“ von Frauen, nach der Frauen gesellschaftlich eine schwache Position, Männern hingegen eine starke Position zugewiesen würde (Trömel-Plötz).

Gesellschaftliche Auswirkungen Feministischer Linguistik

Die Aussagen und Resultate der Feministischen Linguistik konnten, wie intendiert, zeitweise eine große öffentliche Resonanz verzeichnen. 20 Jahre nach der Veröffentlichung der in den „Richtlinien für einen nicht-sexistischen Sprachgebrauch“ gemachten Vorschläge werden viele der kritisierten Formulierungen kaum noch genutzt (zum Beispiel gilt das Wort „Fräulein“ heute laut „Duden“ als „veraltet“ bzw. „veraltend“).

Der Duden hat zum Beispiel erkannt, dass Splitting-Formen oft nicht regelgerecht verwendet werden, und gibt Tipps für den richtigen Umgang mit diesen Formen. Das Binnen-I bewertet er nach wie vor als „rechtschreibwidrig“. Stattdessen wird empfohlen, nach Formulierungen im generischen Neutrum zu suchen. Angestrebt wird dabei eine Schreibweise, die sowohl das Männliche wie auch das Weibliche zugunsten geschlechtsneutraler Grammatik in den Hintergrund treten lässt (z. B. „das Kollegium“ als Ersatz für „die Lehrer“).[19] Außerhalb des feministischen Lagers ist eine breite Akzeptanz für solche Formulierungen erkennbar, die nicht als „unschön“, „unnötig die Aussage verlängernd“ oder „uninformativ“ bewertet werden. In solchen Kreisen werden Splittingformen allenfalls als „notwendiges Übel“ akzeptiert; bei Fehlen von sozialem Druck bleibt es dort bei der Benutzung des generischen Maskulinums.

Kritik

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Von Seiten der etablierten Linguistik wird der feministischen Variante das Fehlen wissenschaftlicher Standards vorgeworfen. Da ein konkretes Ziel verfolgt werde, könne nicht vorurteilsfrei geforscht werden – eine Petitio principii. Auch sei die Behauptung, die Sprache transportiere patriarchale Machtstrukturen und perpetuiere diese in der unbewussten Anwendung, nicht verifizierbar. Insofern handele es sich strenggenommen um eine Pseudothese.

Weiterhin sind die Prämissen der sprachfeministischen Argumente umstritten. Beispielsweise entspringt die feministische Kritik am generischen Maskulinum der Annahme einer Kongruenz von Genus und Sexus. Diese ist jedoch Gegenstand linguistischer Debatten.

Die Frauenbewegung selbst kritisiert, der von Feministischen Linguisten vorausgesetzte determinierende Einfluss der Sprache auf die gesellschaftliche Realität sei nicht belegt. Bemängelt wird insbesondere die Vernachlässigung der Handlungs- und Entscheidungsfreiheiten der sozialen Akteure im Vergleich zur Sprache. Dem Instrument „Sprache“ werde im Vergleich mit den wahren sozialen Akteuren eine überhöhte Bedeutung zugemessen, so dass es in den Analysen einiger Autorinnen oft sogar vom Objekt zum Subjekt wird.[20]

Eine weitere oft geäußerte Kritik bezieht sich auf die Vernachlässigung der Dialektik zwischen Sprachwandel und gesellschaftlichem Wandel: Die Sprache beeinflusse den gesellschaftlichen Wandel, aber noch stärker beeinflusse der gesellschaftliche Wandel die Sprache. Diese Dialektik werde zwar nicht geleugnet, jedoch gemäß den Prämissen so gewendet, dass in der sprachlichen bereits eine gesellschaftliche Veränderung gesehen wird. Nicht die Sprache konstruiere jedoch die Wirklichkeit, sondern die sprechenden Subjekte.

Viele Sprachpraktiker bemängeln die Konsequenzen von Splittingmethoden: Durch die Zusätze würden Aussagen unnötig lang, ohne dass ihr Informationsgehalt zunehme; gerade in knapp zu haltenden Texten wirkten aber Redundanzen überaus störend. Auch beeinträchtigten „Schrägstrichorgien“ und das Binnen-I das Schriftbild von Texten, störten den Lesefluss und seien nur schwer in gesprochene Sprache übersetzbar. Zudem sei das Binnen-I leicht mit dem kleinen „i“ zu verwechseln, was zu einem „female bias“ (Männer sind nicht mitgemeint) führe.

Kritik am Binnen-I Sprachgebrauch erfolgt nicht nur in formaler, auch in inhaltlicher Hinsicht. Durch die fortgesetzte Betonung des eigentlich Selbstverständlichen, nämlich der Mehrgeschlechtlichkeit, werden die gesellschaftlichen Ungleichheiten nicht nur nicht aufgeweicht, sondern zementiert.[21]

Die Kritik an der Feministischen Kommunikationsanalyse bezieht sich insbesondere darauf, dass der Inhalt zugunsten der Form aufgegeben werde. So sei vor allem untersucht worden, wie gesprochen wird, nicht aber was gesagt wird. So würden Frauen vielfach nicht durch die Sprache selbst unterdrückt, sondern durch den geführten Diskurs. Deshalb bestehe grundsätzlich die Gefahr, dass mögliche positive Auswirkungen einer sprachlichen Änderung sich immer dann ins Gegenteil verkehren, wenn sich das Ziel nur auf die Veränderung des Sprachgebrauchs beschränke. Bestehende Benachteiligungen ließen sich nicht an Wörtern und Satzkonstruktionen festmachen, sondern an Inhalten.

Literatur

Literatur über die Feministische Linguistik

  • Marlis Hellinger: Kontrastive Feministische Linguistik. Mechanismen sprachlicher Diskriminierung im Deutschen und Englischen. Huber Verlag, 1990, ISBN 3-19-006605-1.
  • Gisela Klann-Delius: Sprache und Geschlecht. Eine Einführung. J. B. Metzler, Stuttgart, Weimar 2005, ISBN 3-476-10349-8.
  • Sara Mills: Language and Sexism. Cambridge University Press, Cambridge 2008.
  • Gisela Schoenthal (Hrsg.): Feministische Linguistik – Linguistische Geschlechterforschung: Ergebnisse, Konsequenzen, Perspektiven. Georg Olms, 1998, ISBN 3-487-10636-1.
  • Ingrid Samel: Einführung in die feministische Sprachwissenschaft. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. E. Schmidt, Berlin 2000, ISBN 3-503-04978-9.
  • Susanne Schmidt-Knaebel: Frauen und Sprache. In: Oldenburger Universitätsreden. Nr. 23, Oldenburg 1988, ISBN 3-8142-1023-9.

Hauptwerke Feministischer Sprachanalyse

  • Marlis Hellinger, Hadumod Bußmann: Gender Across Languages: The Linguistic Representation of Women and Men. 3 Bände, Benjamins, Amsterdam, Philadelphia 2001.
  • Luise F. Pusch: Das Deutsche als Männersprache. Suhrkamp, 1984, ISBN 3-518-11217-1.
  • Luise F. Pusch: Alle Menschen werden Schwestern: Feministische Sprachkritik. Suhrkamp, 1990, ISBN 3-518-11565-0.
  • Luise F. Pusch: Die Frau ist nicht der Rede wert: Aufsätze, Reden und Glossen. Suhrkamp, 1999, ISBN 3-518-39421-5.
  • Senta Trömel-Plötz: Vatersprache, Mutterland. 2. überarbeitete Auflage. Frauenoffensive, 1993, ISBN 3-88104-219-9.
  • Maria Pober: Gendersymmetrie: Überlegungen zur geschlechtersymmetrischen Struktur eines Genderwörterbuches im Deutschen. Königshausen & Neumann, Würzburg 2007.

Rezensionen

Hauptwerke feministische Kommunikationsanalyse

  • Senta Trömel-Plötz (Hrsg.): Gewalt durch Sprache: Die Vergewaltigung von Frauen in Gesprächen. Neuauflage Auflage. Fischer TB, 1997, ISBN 3-596-23745-9. EA 1984
  • Senta Trömel-Plötz: Frauensprache. Sprache der Veränderung. Neuauflage Auflage. Fischer TB, 1992, ISBN 3-596-23725-4.
  • Senta Trömel-Plötz: Frauengespräche. Sprache der Verständigung. Neuauflage Auflage. Fischer TB, 1996, ISBN 3-596-13161-8.
  • Deborah Tannen: Du kannst mich einfach nicht verstehen. 1. Auflage. Ernst Kabel Verlag, Hamburg 1986, ISBN 3-442-15301-8. Neuauflage bei Goldmann 2004

Siehe auch

Weblinks

Feministische Linguistik

Kritik an Themen der feministischen Linguistik

Einzelnachweise

  1. Daniela Wawra: Männer und Frauen im Job Interview. Eine evolutionspsychologische Studie zu ihrem Sprachgebrauch im Englischen (Reihe: Beiträge zur Englischen Sprache und Kultur, Bd. 1), LIT Verlag 2004, ISBN 3-8258-7283-1, S. 2.
  2. Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen (Hrsg.): Tatort Medien. Die mediale Konstruktion von Gewalt. In: Zeitung der Plattform gegen die Gewalt in der Familie. Nr. 4, 2002, S. 12.
  3. 1978 in: Linguistische Berichte 57, S. 49–68 (zitiert nach M. A. Torres Morales)
  4. 1979. In: FrauenMediaTurm. Abgerufen am 6. Januar 2012.
  5. Senta Trömel-Plötz: Vatersprache, Mutterland. S. 23, Kapitel „Der Ausschluss von Frauen aus der Universität“
  6. Dagmar Stahlberg & Sabine Sczesny: Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen. In: Psychologische Rundschau. Band 52, Nr. 3, 2001, S. 131–140. doi:10.1026//0033-3042.52.3.131
  7. 7,0 7,1 Georg Stötzel und Martin Wengeler (Hrsg.): Kontroverse Begriffe: Geschichte des öffentlichen Sprachgebrauchs in der Bundesrepublik Deutschland. Verlag Walter de Gruyter, Berlin 1995, ISBN 3-11-014106-X, S. 527.
  8. Michael Hausherr-Mälzer: Die Sprache des Patriarchats: Sprache als Abbild und Werkzeug der Männergesellschaft. P. Lang, Frankfurt am Main 1990, ISBN 3-631-43088-4, S. 36.
  9. Marlis Hellinger: Kontrastive feministische Linguistik: Mechanismen sprachlicher Diskriminierung im Englischen und Deutschen. M. Hueber, Ismaning 1990, ISBN 3-19-006605-1, S. 70.
  10. Luise F. Pusch: Das Deutsche als Männersprache. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-518-11217-1, S. 31.
  11. Ingrid Samel: Einführung in die feministische Sprachwissenschaft. E. Schmidt, Berlin 2000, 2. Auflage, ISBN 3-503-04978-9, S. 139.
  12. Gisela Klann-Delius: Sprache und Geschlecht: eine Einführung. Metzler, Stuttgart 2005, ISBN 3-476-10349-8, S. 17.
  13. Karl Lenz und Maria Adler: Geschlechterverhältnisse: Einführung in die sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung. Juventa, Weinheim 2010, ISBN 978-3-7799-2301-5, S. 100.
  14. Susanna Häberlin, Rachel Schmid, Eva Lia Wyss: Übung macht die Meisterin. Ratschläge für einen nichtsexistischen Sprachgebrauch. München 1992, S. 104.
  15. Margarete Jäger: Gewalt gegen Frauen – durch Sprache?
  16. Ministerium für Justiz, Frauen, Jugend und Familie des Landes Schleswig Holstein: Mehr Frauen in die Sprache. Leitfaden zur geschlechtergerechten Formulierung. 1990. S. 11 (PDF-Datei; 628 kB)
  17. Bettina Jobin: Genus im Wandel. Dissertation, Stockholm 2004, S. 63.
  18. Ingrid Thurner: Choreografie der Sonderzeichen. In: Wiener Zeitung, 31. Jänner 2015.
  19. Ingrid Thurner: Wider den Sex im Satzbau In: Die Presse, 17. Juli 2014.
  20. Senta Trömel-Plötz: Unsere Sprache tut uns Gewalt an.
  21. Ingrid Thurner: ’’Der Gender-Krampf verhunzt die deutsche Sprache’’. In: Die Welt, 2. Februar 2013.
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