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Alfred Kantorowicz (Zahnmediziner)

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Alfred Kantorowicz, um 1935

Alfred Kantorowicz (geb. 18. Juni 1880 in Posen; gest. 6. März 1962 in Bonn) war ein deutscher Mediziner, Zahnarzt, Lehrstuhlinhaber für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten sowie Wegbereiter der Schul- und Jugendzahnpflege.

Leben

Kantorowicz wurde als Sohn von Wilhelm und Rosa Kantorowicz, geborene Giedzinska, in der Hauptstadt der preußischen Provinz Posen geboren. 1884 zog er mit seinen Eltern und seinen Geschwistern Hermann, Erich und Else nach Berlin.[1] Dort studierte er Zahnmedizin. Nach seiner Approbation als Zahnarzt am 17. Dezember 1900 studierte er von 1901 bis 1905 in Berlin und Freiburg im Breisgau ergänzend Medizin. 1905 absolvierte er sein medizinisches Staatsexamen und wurde in Freiburg mit einer Arbeit über Perkussionsmethoden[2] zum Doktor der Medizin promoviert. Die Approbation als Arzt erhielt Kantorowicz 1906 und danach arbeitete er als Assistenzarzt in Berlin, Bonn und München, dort beim Zahnarzt Otto Walkhoff. Neben seiner Praxistätigkeit veröffentlichte er seine ersten wissenschaftlichen Schriften.[3][4]

Nach seiner Habilitation in Zahnheilkunde am 19. Dezember 1911 an der Georg-August-Universität Göttingen, dessen Opus magnum „Bakteriologische und histologische Studien über die Caries des Dentins“ lautete, wurde er am 18. März 1912 an der Universität München zum Privatdozent ernannt und erhielt dort die Venia legendi (Lehrbefugnis). Er ehelichte am 28. Februar 1912 Annemarie, geborene Steinlein. Aus der Ehe ging die Tochter Thea (1909–1986) hervor, die nach ihrem Abitur an der reformpädagogischen Schule am Meer ebenfalls Medizin studierte.[5][6] Bei Ausbruch des 1. Weltkrieges meldete sich Kantorowicz freiwillig als landsturmpflichtiger Arzt an das Reservelazarett Hagenau im Elsass, wo er ab 1916 als Arzt und Leiter der Zahnstation tätig war. Mit Wirkung vom 1. April 1918 wurde Kantorowicz zum „Lehrer der Zahnheilkunde“ an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Nachfolger Max Eichlers ernannt und übernahm die Leitung des privaten Zahnärztlichen Instituts sowie der Schulzahnklinik. Am 4. Juni 1918 erhielt er an der Universität Bonn den Titel eines Professors, am 23. August 1921 wurde er Extraordinarius und Direktor des zahnärztlichen Instituts. Am 9. April 1923 wurde er zum Ordinarius für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn bestallt.[4]

Verfolgung und Exil

Kantorowicz wurde am 7. April 1933, am Tag des Inkrafttretens des antisemitischen Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, ebenso wie sein Bruder, der Rechtswissenschaftler Hermann Kantorowicz, als Jude und Sozialdemokrat aus dem Amt entlassen. Von 1919 bis 1933 war er Stadtverordneter und Mitglied der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Bonn. Alfred wurde in „Schutzhaft“ genommen und im KZ Börgermoor interniert, danach im Lager Lichtenstein-Callnberg. Die Fakultät entzog ihm einstimmig die Ehrendoktorwürde.[6] Nach neunmonatiger Haft entließen ihn NS-Behörden nach einer Intervention des Präsidenten des Schwedischen Roten Kreuzes, des Prinzen Carl von Schweden, Ende Dezember 1933. Ein Diplomat der türkischen Botschaft in Berlin besuchte ihn persönlich und lud ihn ein, nach Istanbul zu emigrieren, wo er dem damit verbundenen akademischen Ruf folgend von 1934 bis 1948 Lehre und Forschung der Türkei im Bereich der Zahnmedizin maßgeblich beeinflusste.[7][8] Seine Schwester Elsa folgte ihm nach Istanbul ins Exil, sein Bruder Hermann emigrierte in die Vereinigten Staaten. Im Oktober 1934 wurde Alfred Kantorowicz in Prag bei einer international besetzten wissenschaftlichen Tagung der deutschen Zahnärzte in der Tschechoslowakischen Republik mit besonderer Begeisterung begrüßt.[9] Für den Schah von Persien fertigte er 1935 in Istanbul eine Ober- und Unterkieferprothese aus Kautschuk an. Die Behandlung erfolgte im Dolmabahçe-Palast.[10] 1950 kehrte er nach Deutschland zurück.[11] Im Jahre 1947, ein Jahr vor seiner Emeritierung, lehnte er wegen einer schweren Herzerkrankung einen Ruf an die Universität Bonn ab.

Wirken

Kantorowicz wurde bekannt durch sein Werk Klinische Zahnheilkunde, untersuchte besonders die rachitischen Störungen am Säuglingsgebiss sowie die Kieferdeformierungen bei behinderter Atmung und machte sich durch einige Neuerungen auch um die Schulzahnpflege verdient. Er entwarf das sogenannte Bonner System der Schulzahnpflege und entwickelte entscheidend das Fach Kieferorthopädie mit der sogenannten Bonner Schule fort.[12][13][14][4] Zu seinen Schülern zählte Gustav Korkhaus (1895–1978), der seine akademische Entwicklung im kieferorthopädischen Wissenschaftsbereich Kantorowicz zu verdanken hatte.[15][16]

Ehrungen

  • 1917 Eisernes Kreuz II. Klasse
  • 1926 Verleihung der Ehrendoktorwürde in Zahnmedizin durch die Universität Bonn
  • Benennung der Istanbuler Medizinischen Bibliothek nach Kantorowicz zur Würdigung seines Wirkens[17]
  • 1955 Ehrendoktorwürde der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn
  • 1958 Ehrendoktorwürde der Universität Istanbul[18]
  • 1962 Goldenes Dozentenjubiläum[19]
  • 2001 Benennung des großen Hörsaals des Bonner Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde nach Kantorowicz[20]
  • 2017 Umwandlung seines Grabes in ein Ehrengrab auf dem Poppelsdorfer Friedhof zum 55. Todestag am 6. März – dem „Tag des Zahnarztes“ – durch die Stadt Bonn[21]

Schriften (Auswahl)

  • Bakteriologische und histologische Studien über die Caries des Dentins, Leipzig 1911
  • Klinische Zahnheilkunde, Berlin 1924 (3. Aufl. 1930)
  • Tagesfragen der chirurgischen, konservierenden und technischen Zahnheilkunde, Berlin 1925
  • Konservierende Zahnheilkunde, München 1925
  • Handwörterbuch der gesamten Zahnheilkunde, Leipzig 1929–1931 (4 Bände)
  • Repetitorium der klinischen Zahnheilkunde für das Staatsexamen, Konstanz 1949

Literatur

  • Ali Vicdani Doyum: Alfred Kantorowicz unter besonderer Berücksichtigung seines Wirkens in İstanbul (Ein Beitrag zur Geschichte der modernen Zahnheilkunde). Medizinische Dissertation, Würzburg 1985, 334 Seiten.
  • Ralf Forsbach: Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im „Dritten Reich“. Oldenbourg, München 2006, insbes. S. 335–347.
  • Andreas Mettenleiter: Selbstzeugnisse, Erinnerungen, Tagebücher und Briefe deutschsprachiger Ärzte. Nachträge und Ergänzungen III (I–Z). In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 22, 2003, S. 269–305; hier: S. 270 f.
  • Werner E. Gerabek: Kantorowicz, Alfred. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 716 f.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Leonie Breunung, Manfred Walther: Westeuropäische Staaten, Türkei, Palästina/Israel, lateinamerikanische Staaten, Südafrikanische Union, S. 219, Walter de Gruyter 1 October 2012, ISBN 978-3-11-025910-0
  2. Alfred Kantorowicz: Kritik der neueren Methoden der Perkussion. Medizinische Dissertation Freiburg im Breisgau 1906.
  3. Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil: Enzyklopädie Medizingeschichte, S. 716–717, Walter de Gruyter 1. Januar 2007, ISBN 978-3-11-097694-6
  4. 4,0 4,1 4,2 Freddy Litten, Alfred Kantorowicz ‒ Kurzbiographie, 19. Oktober 2016. Abgerufen am 30. September 2017.
  5. Ralf Forsbach: Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im Dritten Reich, Oldenbourg-Verlag, München 2006. ISBN 978-348657-989-5, S. 402–403.
  6. 6,0 6,1 Thomas Becker: Zwischen Diktatur und Neubeginn: Die Universität Bonn im ›Dritten Reich‹ und in der Nachkriegszeit, S. 134, V&R Unipress 29. April 2009, ISBN 978-3-89971-593-4
  7. Ekkhard Häussermann, Deutsche Zahnärzte 1933 – 1945, Newsletter der AKFOS, Organ des Interdisziplinären Arbeitskreises für Forensische Odonto-Stomatologie der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde und der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, (2009) Jahr 16, Nr. 3, S. 42–53. Abgerufen am 17. Juni 2015.
  8. Heinz Anstock berichtet in seinen Erinnerungen, dass Kantorowicz neben dem Einsatz türkischer Stellen auch von einer Intervention des schwedischen Kronprinzen profitierte, der sich wegen seiner Verdienste um die Kinderzahnpflege für ihn einsetzte. Anstock lebte zeitweise im Haushalt der Familie in Istanbul und war zuvor in Köln mit der Tochter Thea befreundet gewesen. Buchausgabe 2007, Eigenverlag, ohne ISBN, S. 135
  9. Wissenschaftliche Tagung der deutschen Zahnärzte in Prag. In: Internationales ärztliches Bulletin 1. Jg. (1934), Heft 10-11 (Oktober-November), S. 157–158 Digitalisat
  10. Ali Vicdani Doyum: Alfred Kantorowicz unter besonderer Berücksichtigung seines Wirkens in İstanbul (Ein Beitrag zur Geschichte der modernen Zahnheilkunde). Medizinische Dissertation, Würzburg 1985, S. 264–267
  11. Wolfgang Kirchhoff: Alfred Kantorowicz und Gustav Korkhaus – Ein Thema, zwei Weltanschauungen. zm online, 1. Oktober 2009, abgerufen am 29. September 2017.
  12. Elisabeth Schenck - Bonn. Die Bedeutung der Schulzahnklinik für die Schulzahnpflege. In: Der sozialistische Arzt, 4. Jg. (1928), Heft 3-4 (Dezember), S. 25–30 Digitalisat
  13. Max Jarecki. Die Bedeutung der Schulzahnklinik für die Schulzahnpflege. In: Der sozialistische Arzt, 5. Jg. (1929), Heft 2 (Juni), S. 73–76 Digitalisat
  14. Zur Geschichte der Jugendzahnpflege – Ein Blick in die Vergangenheit der Gruppenprophylaxe. zm online, 1. Mai 2003, abgerufen am 29. September 2017.
  15. Ein Thema, zwei Weltanschauungen, Zahnärztliche Mitteilungen, 01. Oktober 2009, Heft 19/2009. Abgerufen am 30. September 2017.
  16. Rosemarie Mattern, „Alfred Kantorowicz und Gustav Korkhaus als Vorreiter der Kieferorthopädie in Deutschland und ihr Verhältnis zueinander im Spannungsfeld der Geschichte“, Masterthese zur Erlangung des „Master of Science Kieferorthopädie“ (MSc), 2009, Universität Krems.
  17. Wolfgang Kirchhoff: Medizinhistorisches Kolloquium – Ärzte und Judentum im Spiegel der Geschichte. zm online, 16. Februar 2010, abgerufen am 29. September 2017.
  18. >Vicdani Doyum: Alfred Kantorowicz unter besonderer Berücksichtigung seines Wirkens in Istanbul: ein Beitrag zur Geschichte der modernen Zahnheilkunde. Universität Würzburg 1985, S. 77.
  19. Hartlmair, Lectio aurea in Bonn, Prof. Kantorowicz beging sein Goldenes Dozentenjubiläum, Zahnärztliche Mitteilungen 52 (1962), 271-272
  20. Ralf Forsbach: Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im "Dritten Reich", S. 56, De Gruyter 1. Januar 2006, ISBN 978-3-486-84020-9
  21. Nicolas Ottersbach, Ehrengrab für Pionier der Zahnmedizin, General-Anzeiger, 7. März 2017. Abgerufen am 30. September 2017.


Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Alfred Kantorowicz (Zahnmediziner) aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. Hauptautor des Artikels (siehe Autorenliste) war Michael Kühntopf. Weitere Artikel, an denen dieser Autor maßgeblich beteiligt war: 2.657 Artikel (davon 1.533 in Jewiki angelegt und 1.124 aus Wikipedia übernommen). Bitte beachten Sie die Hinweise auf der Seite Jewiki:Statistik.