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Bundesstaat (Föderaler Staat)
Als Bundesstaat wird ein Staat bezeichnet, der aus mehreren Teil- oder Gliedstaaten zusammengesetzt ist. Rechtlich besteht ein solcher Bundesstaat aus mehreren Staatsrechtssubjekten, das heißt politischen Ordnungen mit Staatsqualität, und vereint deshalb in der Regel verschiedene politische Ebenen in sich: eine Bundesebene und mindestens eine Ebene der Gliedstaaten. Damit unterscheidet sich der föderal organisierte Staat sowohl von einem locker gefügten Staatenbund als auch von einem zentralistischen Einheitsstaat.
Ein Bundesstaat ist demnach eine staatsrechtliche Verbindung von (nichtsouveränen) Staaten zu einem (souveränen) Gesamtstaat. Die Beziehungen zwischen diesem Bund und den Gliedstaaten und zwischen Letzteren untereinander sind staatsrechtlicher (nicht völkerrechtlicher) Art.[1]
Im deutschen Verfassungsrecht ist der Begriff des Bundesstaates ein normativer Begriff.[2]
Organisation
Ein Staat kann entweder unitarisch oder föderativ (bundesstaatlich) organisiert sein. In diesem Sinne ist er entweder ein Einheitsstaat oder ein Bundesstaat. Ein traditionelles Beispiel für einen Einheitsstaat ist Frankreich. Dort verfügt allein die oberste, die nationale Ebene im Staatsaufbau über Souveränität und Staatlichkeit.
Im Gegensatz dazu besitzen föderale Systeme wie das der Vereinigten Staaten von Amerika oder der Bundesrepublik Deutschland neben einem souveränen Gesamtstaat – mit republikanischer Staatsform wird dieser häufig als Bundesrepublik, ansonsten als föderale Republik bezeichnet – auch untergeordnete Einheiten mit staatlicher Qualität (Gliedstaaten/Bundesländer). Diese Gliedstaaten sind auf dem Gebiet ihrer staatlichen Zuständigkeit Teilstaaten. Sie haben das Recht, vieles selbstständig und ohne Einmischung der Bundesebene zu regeln, wobei dort angesiedelte Staatsorgane (vor allem oberste Bundesorgane wie das Bundesparlament oder oberste Bundesgerichte) ihnen – im hierarchischen Sinn – übergeordnet sind.[3] Das Schulwesen in den Vereinigten Staaten und in Deutschland wird beispielsweise in den Gliedstaaten organisiert, während die nationale Ebene etwa die Verteidigung und Außenpolitik bestimmt.
In einem föderativen Staat besteht das Parlament typischerweise aus zwei Kammern. Die eine dient der direkten Volksvertretung und repräsentiert das Volk als Ganzes. Die andere vertritt grundsätzlich die Interessen der Gliedstaaten (Länderkammer).
Abgrenzung und Entwicklung
Ein föderativer Staat oder Föderation (staatsrechtliche Staatenverbindung) ist nicht nur vom Einheitsstaat abzugrenzen, sondern ebenso vom Staatenbund (völkerrechtliche Staatenverbindung, ggf. Konföderation).[4] Die Frage nach dem Sitz der Souveränität zur Abgrenzung staatlicher Organisationsverbände heißt: Bundesstaat oder Staatenbund? Dabei ist ein Staatenbund eine lose Verbindung von Einzelstaaten, die ihre Souveränität behalten, sodass die föderale Struktur ohne Preisgabe wesentlicher staatlicher Kompetenzen besteht.[5] Der Staatenbund als solcher kann somit nur Entscheidungen treffen, wenn die Einzelstaaten diese gutheißen.
Deutschland
In der deutschen Geschichte gilt der Deutsche Bund (1815–1866) als wichtigstes Beispiel für einen Staatenbund, der Norddeutsche Bund von 1867 bis 1871 hingegen war der erste deutsche Bundesstaat. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland spricht in Artikel 20 erstmals ausdrücklich von einem „Bundesstaat“ zur Verankerung des föderativen Prinzips.
1871 gründete ein Bündnisvertrag deutscher Staaten den Bundesstaat des Deutschen Reiches. Der Bundesstaat der Weimarer Republik entstand 1919 ebenso wie der Bundesstaat der Bundesrepublik Deutschland 1949 durch die verfassungsgebende Gewalt des Volkes.
Schweiz
Die Schweiz ist seit 1848 ein Bundesstaat. Die Kantone sind souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist; sie üben alle Rechte aus, die nicht dem Bund übertragen sind.[6]
Listen
Aktuell
Land | Staatsform | Gliedstaaten | Bundesunmittelbare Gebiete | Bemerkungen |
Argentinien | Bundesrepublik | 23 Provinzen | Hauptstadtdistrikt | Verfassung von 1994 |
Australien | föderale parlamentarische Monarchie | 6 Bundesstaaten | 3 Territorien, 7 Außengebiete | Verfassung von 1901 |
Äthiopien | parlamentarische Bundesrepublik | 9 Bundesstaaten, 2 eigenständige Städte |
Verfassung von 1995 | |
Belgien | föderale, konstitutionelle Erbmonarchie | 3 Regionen, 3 Gemeinschaften (überschneidend) | Verfassung von 1994 | |
Bosnien und Herzegowina | parlamentarische Bundesrepublik | 2 Entitäten | ein Kondominium der beiden Entitäten | Abkommen von Dayton von 1995 |
Föderation Bosnien und Herzegowina | Entität von Bosnien und Herzegowina | 10 Kantone | Bosniakisch-kroatische Entität innerhalb von Bosnien-Herzegowina (selbst kein souveräner Staat, sondern nur Gliedstaat) | |
Brasilien | Bundesrepublik | 26 Bundesstaaten | Bundesdistrikt | Verfassung von 1988 |
Deutschland | parlamentarische Bundesrepublik | 16 Länder | Grundgesetz von 1949 (1990) | |
Indien | parlamentarische Bundesrepublik | 29 Bundesstaaten | 7 Territorien (einschl. National Capital Territory Delhi) | Verfassung von 1950 |
Irak | Bundesrepublik | 18 Gouvernements | Verfassung von 2005 | |
Kanada | parlamentarische Monarchie | 10 Provinzen | 3 Territorien | Verfassung von 1867/1982 |
Komoren | islamische Bundesrepublik | 3 Inseln | Verfassung von 2001 | |
Malaysia | föderale, parlamentarische Wahlmonarchie | 13 Bundesstaaten | 3 Territorien | Verfassung von 1957 |
Mexiko | Bundesrepublik | 31 Bundesstaaten | Hauptstadtdistrikt | Verfassung von 1917 |
Mikronesien | Bundesrepublik | 4 Teilstaaten | Verfassung von 1979 | |
Nepal | parlamentarische Bundesrepublik | 14 Zonen | Verfassung von 2008[7] | |
Nigeria | Bundesrepublik | 36 Bundesstaaten | Hauptstadtterritorium | Verfassung von 1979 |
Österreich | Bundesrepublik | 9 Bundesländer | Verfassung von 1920 in der Fassung von 1929 | |
Pakistan | islamische, parlamentarische Bundesrepublik | 4 Provinzen | 4 Territorien | Verfassung von 1973 |
Schweiz | Bundesrepublik | 26 Kantone | Verfassung von 1848 (Totalrevisionen von 1874 und 1999) | |
Sudan | islamische Bundesrepublik | 17 Bundesstaaten | ||
Südsudan | Bundesrepublik | 10 Bundesstaaten | ||
Venezuela | Bundesrepublik | 23 Bundesstaaten | Hauptstadtdistrikt, abhängiges Gebiet | Verfassung von 1999 |
Vereinigte Arabische Emirate | föderale Erbmonarchie | 7 Emirate | Verfassung von 1971 | |
Vereinigte Staaten von Amerika | Bundesrepublik | 50 Bundesstaaten | Hauptstadtdistrikt, 14 Außengebiete | Verfassung von 1787 |
Grenzfälle
Die folgenden Staaten weisen zwar eine föderalistische Struktur auf, die Befugnisse der Gliedstaaten sind aber so gering ausgestaltet, dass sie weder eindeutig als Bundesstaaten noch als Einheitsstaaten eingestuft werden können.[8]
Land | Gliedstaaten | Bundesunmittelbare Gebiete | Bemerkungen |
Russland | Insgesamt 85 Föderationssubjekte (22 Teilrepubliken, 9 Regionen, 46 Oblaste, 3 Städte föderaler Bedeutung, 1 autonome Oblast, 4 autonome Kreise) |
Verfassung von 1993 in der Fassung von 2014. Die Föderationssubjekte sind zu 9 Föderationskreisen zusammengefasst. Asymmetrischer Föderalismus: Der Grad der Autonomie ist unter den verschiedenen Typen von Föderationssubjekten unterschiedlich stark.[9] | |
Südafrika | 9 Provinzen | Verfassung von 1996 |
Historisch
Land | Gliedstaaten | Bundesunmittelbare Gebiete | Bemerkungen |
Deutsche Demokratische Republik (1949–1952) | 5 Länder und Ost-Berlin | danach Ersetzung der Länder durch Bezirke („Demokratischer Zentralismus“) | |
Deutsches Reich (1919–1933) | 18 Länder, ab 1929 17 Länder | ||
Deutsches Reich (1871–1918) | 25 Bundesstaaten (Bundesglieder) | 1 Reichsland | |
Norddeutscher Bund (1867–1871) | 22 Bundesstaaten/Bundesglieder | Südteil des Großherzogtums Hessen bundesfreies Gebiet | |
Jugoslawien (1945–1992) | 6 Teilrepubliken | ||
Vereinigte Staaten von Kolumbien (1863–1886) | 9 Staaten | ||
Konföderierte Staaten von Amerika (1861–1865) | 13 Staaten | 1 Territorium | |
Demokratische Republik Kongo (1964–1967) | 26 Provinzen | ||
Österreich (1934–1938) | 8 (Bundes-)Länder | Bundeshauptstadt Wien | |
Vereinigte Staaten von Indonesien (1949–1950) | 16 Teilstaaten | Bundeshauptstadt Jakarta | |
Föderation von Rhodesien und Njassaland (1953–1963) | 3 Teilstaaten | ||
Sowjetunion (1922–1991) | 15 Unionsrepubliken | ||
Bundesrepublik Jugoslawien (1992–2003) | 2 Teilrepubliken | ||
Spanien (1873–1874) | 15 Teilstaaten | ||
Tschechoslowakei (1968–1992) | 2 Republiken | ||
Tschecho-Slowakische Republik (1938–1939) | 2 autonome Teilrepubliken |
Siehe auch
Literatur
- Karl Doehring: Allgemeine Staatslehre. 3. Auflage, C.F. Müller, Heidelberg 2004, § 6, Rn. 155–173 (S. 68–75).
- Walter Haller, Alfred Kölz, Thomas Gächter: Allgemeines Staatsrecht. 5. Auflage, Nomos, Baden-Baden 2013, §§ 19–23, S. 154–191.
- Burkhard Schöbener, Matthias Knauff: Allgemeine Staatslehre. 2. Auflage, C.H. Beck, München 2013, § 6, Rn. 5–22 (S. 256–262).
- Reinhold Zippelius: Allgemeine Staatslehre. 16. Auflage, C.H. Beck, München 2010, § 39 (Bundesstaaten und Staatenbünde), S. 311–318.
- Hans Kristoferitsch: Vom Staatenbund zum Bundesstaat? – Die Europäische Union im Vergleich mit den USA, Deutschland und der Schweiz. Springer, Diss. Univ. Wien 2007, ISBN 978-3-211-35201-4.
- Klaus Stern: Deutsches Staatsrecht. Band I, 2. Auflage, § 19, C.H. Beck, München 1984, ISBN 3-406-09372-8.
- Thomas Krumm: Föderale Staaten im Vergleich. Eine Einführung. Springer VS, Wiesbaden 2015, ISBN 978-3-658-04955-3.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Vgl. Ingo von Münch, Ute Mager: Staatsrecht I. Staatsorganisationsrecht unter Berücksichtigung der europarechtlichen Bezüge. 7. Aufl., Stuttgart 2009, S. 370 ff.
- ↑ Konrad Hesse: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Neudruck der 20. Aufl., C.F. Müller, Heidelberg 1999, Rn 217; Edin Šarčević: Das Bundesstaatsprinzip. Eine staatsrechtliche Untersuchung zur Dogmatik der Bundesstaatlichkeit des Grundgesetzes, Mohr Siebeck, Tübingen 2000 (Jus Publicum, Bd. 55), S. 35 f.
- ↑ E. Gruner, B. Junker: Bürger, Staat und Politik in der Schweiz, 1972.
- ↑ Dazu Theodor Schweisfurth: Völkerrecht, Mohr Siebeck, Tübingen 2006, S. 36 f.
- ↑ Heinrich Wilms: Staatsrecht I. Staatsorganisationsrecht unter Berücksichtigung der Föderalismusreform. Kohlhammer, 2007, Rn 234.
- ↑ Art. 3 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999.
- ↑ Haller, Kölz, Gächter: Allgemeines Staatsrecht, 2013, Rn. 500 (S. 155).
- ↑ Haller, Kölz, Gächter: Allgemeines Staatsrecht, 2013, Rn. 501 (S. 155).
- ↑ Dazu Andreas Heinemann-Grüder: Der asymmetrische Föderalismus Russlands und die Rolle der Regionen. In: Russland unter neuer Führung. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts. Agenda, Bremen 2001, S. 78–88; Jakob Fruchtmann: Die Entwicklung des russischen Föderalismus—eine Zwischenbilanz. In: Russland heute. Rezentralisierung des Staates unter Putin. VS Verlag, Wiesbaden 2007, S. 67–68; Daniel Thym: Ungleichzeitigkeit und europäisches Verfassungsrecht. Nomos, Baden-Baden 2004, S. 349 ff.
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