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Günter Guillaume

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Willy Brandt und Günter Guillaume in Düsseldorf

Günter Karl Heinz Guillaume (* 1. Februar 1927 in Berlin; † 10. April 1995 in Eggersdorf als Günter Bröhl) war Offizier im besonderen Einsatz (OibE) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und als Agent im Bundeskanzleramt Namensgeber der Guillaume-Affäre.[1][2] Seine Enttarnung war einer der größten Spionagefälle in der Geschichte der Bundesrepublik und einer der Gründe für den Rücktritt von Bundeskanzler Willy Brandt, dessen persönlicher Referent er von 1972 bis 1974 war.

Leben

Kindheit

Günter Guillaume wurde 1927 als Sohn eines Musikers in Berlin geboren. 1944/1945 war er im Zweiten Weltkrieg Flakhelfer. Die Berliner Zeitung berichtete im Juli 2007 unter Berufung auf den Historiker Götz Aly, dass Guillaume als Hitlerjunge 1944 auch NSDAP-Mitglied geworden sei. Als er 1945 nach Berlin zurückkehrte, arbeitete er dort zunächst als Fotograf.

Anwerbung durch das MfS und Übersiedlung in die Bundesrepublik

1950 wurde Guillaume Redakteur im Verlag Volk und Wissen in Ost-Berlin. 1952 trat er in die SED ein. Den Datenbanken der HVA zufolge, wurde er im September 1954 unter dem Decknamen „Hansen“ als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) registriert.[3] Seine Frau Christel Boom, mit der er seit 1951 verheiratet war, wurde im Oktober 1958 unter dem Decknamen „Heinze“ erfasst. Aus der Ehe ging der gemeinsame Sohn Pierre Boom hervor. Das Ministerium für Staatssicherheit unterzog Guillaume zunächst einer mehrmonatigen nachrichtendienstlichen Ausbildung. Seine Schwiegermutter, eine Holländerin, meldete ihren Wohnsitz in Frankfurt am Main an, so dass das Ehepaar 1956 in den Westen „flüchten“ konnte, ohne sich den geheimdienstlichen Befragungen im Notaufnahmelager zu unterziehen. Das MfS gab ihnen zudem eine „Starthilfe“ in Höhe von 10.000 DM mit. In Frankfurt betrieb Guillaume das Boom am Dom, einen Kaffee- und Tabakladen.

Eintritt in die SPD und Spionagetätigkeit im Bundeskanzleramt

Guillaume mit Willy Brandt auf einer Wahlkampfreise in Niedersachsen 1974

1957 trat er in die SPD ein. Christel Guillaume wurde Sekretärin im Parteibüro der SPD Hessen-Süd. Seit 1964 war Günter Guillaume hauptamtlich als Parteifunktionär für die SPD tätig, und zwar zunächst als Geschäftsführer des SPD-Unterbezirks in Frankfurt am Main und ab 1968 der SPD-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung. Im gleichen Jahr wurde er auch in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. 1969 leitete Guillaume den Wahlkampf des Bundesministers für Verkehr Georg Leber in dessen Wahlkreis in Frankfurt und bewies dabei sein Organisationstalent, was dem Minister eine sehr hohe Anzahl von Erststimmen einbrachte.

Von Leber wurde Guillaume nach der Wahl als Referent in die Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik des Bundeskanzleramts vermittelt, wo er das Vertrauen seiner Vorgesetzten erwarb. 1972 stieg er aufgrund seines großen Arbeitseinsatzes und seines Organisationstalents zum Persönlichen Referenten des Bundeskanzlers Willy Brandt auf. Hier erhielt er Zugang zu geheimen Akten und den Gesprächsrunden im engeren Kreis um den Bundeskanzler. Zudem hatte Guillaume Einblick in die Privatsphäre von Brandt.

Verhaftung und Verurteilung des Ehepaars Guillaume

Obwohl den bundesdeutschen Sicherheitsdiensten seit Mitte 1973 Indizien für die Agententätigkeit der Eheleute Guillaume vorlagen, verging fast ein Jahr bis zu deren Festnahme. Ausgangspunkt war, dass das MfS in den 1950er Jahren seinen Agenten im Westen verschlüsselte Geburtstagstelegramme schickte. Aus der Kombination der Geburtsdaten gelang es erst nach Jahren, den Verdacht gegen Guillaume zu erhärten, wobei der gerichtliche Beweiswert verschwindend gering war. Am 24. April 1974 wurde Guillaume in Bonn unter Spionageverdacht verhaftet. Bei seiner Verhaftung sagte Guillaume: „Ich bin Offizier der Nationalen Volksarmee der DDR und Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Ich bitte, meine Offiziersehre zu respektieren“.[4] Dieser Satz war ein wesentlicher und gerichtsverwertbarer Aspekt, der gegen ihn sprach, da bis zu seinem Geständnis die Beweislage relativ dünn war. Die Enttarnung bildete den Anfang der nach ihm benannten Guillaume-Affäre. Sie löste in der Bundesrepublik eine schwere innenpolitische Krise aus, an deren Ende am 7. Mai 1974 der Rücktritt Willy Brandts als Bundeskanzler stand. Am 6. Juni 1974 beschloss der Bundestag auf Antrag der Opposition die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Affäre, die schwere Überwachungsmängel der Sicherheitsbehörden offenbarte.

Im Dezember 1975 wurde Günter Guillaume wegen Landesverrats zu dreizehn, seine Frau zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Günter Guillaume saß die Strafhaft teilweise in der Justizvollzugsanstalt Rheinbach ab.

Seine Agententätigkeit war weniger bedeutend als früher vermutet.[5] Gemäß den Datenbanken der HVA gingen unter dem Decknamen „Hansen“ zwischen Juli 1969 und April 1974 nur 24 Berichte und Dokumente ein, also 5 Berichte pro Jahr. Die Hälfte der registrierten Informationen betrafen SPD-Parteiinterna. Ein knappes Viertel widmete sich Gewerkschaftsfragen. Nur ein gutes Viertel befasste sich mit der Politik der Regierung Brandt. Der geringe Wert der Quelle „Hansen“ zeigt sich auch darin, dass die HVA von neunzehn benoteten Informationen vierzehn mit „3“ („mittlerer Wert“) bewertete. Nur fünf erhielten die Note „2“ („wertvoll“) und keine die Note „1“ („sehr wertvoll“).[6]

Vorzeitige Freilassung und Ehrungen in der DDR

Im Jahr 1981 kehrte das Ehepaar Guillaume im Rahmen eines Agentenaustauschs in die DDR zurück, wo er offiziell als „Kundschafter des Friedens“ gefeiert wurde. Beide Eheleute erhielten den Karl-Marx-Orden; Günter Guillaume wurde zum Obersten im MfS befördert, seine Frau Christel zum Oberstleutnant im MfS. Fortan trat Günter Guillaume bei MfS-Agentenschulungen als „Stargast“ auf. Am 28. Januar 1985 verlieh die Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit in Potsdam Guillaume in „Anerkennung seiner besonderen Verdienste um die Sicherung des Friedens und die Stärkung der DDR“ den Titel „Doktor der Rechtswissenschaft (ehrenhalber)“.

Scheidung, zweite Ehe und Tod

Aufgrund einer Affäre, die Günter Guillaume am Tag seiner Rückkehr in die DDR mit der ebenfalls für das MfS arbeitenden Krankenschwester Elke Bröhl begonnen hatte, ließ sich Christel Guillaume am 16. Dezember 1981 von ihrem Mann scheiden. 1986 heiratete Günter Guillaume die 17 Jahre jüngere Bröhl, deren Familiennamen er annahm (vgl. Hermann Schreiber, Kanzlersturz). 1988 veröffentlichte er seine Memoiren Die Aussage. Am 10. April 1995 starb Günter Bröhl an metastasierendem Nierenkrebs in Petershagen/Eggersdorf, nahe Berlin. Begraben ist er auf dem Parkfriedhof Marzahn in Berlin.

Weiteres Leben von Guillaumes Sohn und erster Ehefrau

Der Sohn des Ehepaars Guillaume, Pierre Boom (* 1957), ging nach der Verhaftung seiner Eltern 1975 in die DDR, wo er eine Ausbildung zum Fotojournalisten absolvierte. 1988 stellte er einen Ausreiseantrag und siedelte mit seiner Familie noch im selben Jahr in die Bundesrepublik über. Weil das MfS seine Ausreise unter dem Namen Guillaume nicht zulassen wollte, nahm er den Mädchennamen seiner Mutter an, den diese durch Adoption durch einen Niederländer erworben hatte, und nannte sich fortan Pierre Boom. 2004 veröffentlichte er seine Erinnerungen unter dem Titel Der fremde Vater.

Günter Guillaumes erste Frau starb als Christel Boom am 20. März 2004 an einem Herzleiden.

Schriften

Literatur

Film

Weblinks

 Commons: Günter Guillaume – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Nina Grunenberg, Der Haken, an dem ein Kanzler sich aufhängte. In: Die Zeit, 27. Juni 1975.
  2. Helmut Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Christoph Links Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-86153-145-3 (online).
  3. Ende einer Kanzlerschaft. 23. April 2019, abgerufen am 12. Mai 2019 (deutsch).
  4. Der Fall Guillaume. Der Spiegel 41/1974.
  5. Meldung: Behörde verweigert Stasi-Forscher Rechtsbeistand im Prozess gegen zwei mutmaßliche Ex-DDR-Spione. In: Focus, 43/2012. Wörtlich: Ein hochrangiger Staatsschutz-Beamter sagte FOCUS: „Im Vergleich zu diesem Paar war Kanzlerspion Guillaume ein Schwachstruller.“
  6. Ende einer Kanzlerschaft. 23. April 2019, abgerufen am 12. Mai 2019 (deutsch).
  7. Karl Wilhelm Fricke: Geschichtsrevisionismus aus MfS-Perspektive (Memento vom 27. Juni 2013 im Internet Archive) (PDF; 132 kB)
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Günter Guillaume aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.