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Lothar Hermann
Lothar Hermann (geboren 1901 in Quirnbach;[1] gestorben im Juli 1974 in Coronel Suarez, Argentinien) war ein deutscher Jude und KZ-Überlebender, der maßgeblich zu Adolf Eichmanns Enttarnung in Buenos Aires beitrug, die schließlich zur Entführung und Verurteilung von Eichmann führte.
Leben und Wirken
Frühe Lebensstationen und Exil
Hermann wurde 1901 als dritter Sohn des Viehhändlers Max Hermann und seiner Frau Sophie im kleinen Ort Quirnbach im Westerwald geboren. Von seinen elf Geschwistern verstarben einige früh.[2] Nach der Schule absolvierte er in Wittlich beim jüdischen Textilhaus Stulz eine kaufmännische Lehre und arbeitete anschließend in einem Inkassobüro.[3]
Ab seiner Lehrzeit war er möglicherweise Mitglied der KPD. Obwohl kein Zionist, soll er zusammen mit seinem Bruder Ludwig regelmäßig Devisen von Deutschland nach Frankreich geschmuggelt haben, um Juden in Palästina zu unterstützen. Dabei fiel er mehrfach polizeilich auf. 1935 wurde er bei einem weiteren Devisenschmuggel nach Frankreich mit 90 Reichsmark in flagranti ertappt, von der Gestapo verhaftet und wegen Verdachts auf Spionage im KZ Dachau inhaftiert.[4] Dort wurde er schwer misshandelt und verlor durch Schläge die Sehkraft eines Auges.
Nach seiner KZ-Haftentlassung verließ Hermann Deutschland im August 1936 in Richtung Niederlande. Dort lernte er seine spätere nichtjüdische Frau Marta Waldmann kennen. Im Dezember 1938 emigrierte er mit seiner Frau über Rotterdam nach Montevideo (Uruguay) und zog dann nach Argentinien weiter. 1942 wurde seine Tochter Silvia geboren, die jedoch nicht im jüdischen Glauben erzogen wurde. Während der NS-Zeit wurde, mit Ausnahme seines Bruders Hugo und drei weiterer Angehöriger, seine gesamte Familie ermordet.[5][6]
Enttarnung Adolf Eichmanns
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lebte Hermann als staatenloser Jude in Olivos im Ballungsraum von Buenos Aires. Als Rentenberater trat er – obwohl nie promoviert – mit Doktortitel auf und beriet deutsch-jüdische Emigranten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche auf „Wiedergutmachung“. Argentinien war während der NS-Diktatur zum drittwichtigsten Exilland für europäische Juden geworden. Während der Präsidentschaft Juan Peróns gelangten vermehrt aber auch geflohene Täter des NS-Regimes nach Argentinien, die unter Perón bis zu seinem Sturz 1955 nichts zu befürchten hatten. Auch in den Folgejahren zeigte Argentinien wenig Interesse, die nationalsozialistischen deutschen Verbrecher zu verfolgen und auszuliefern.
1954 traf Hermanns damals 12-jährige Tochter Silvia im Stadtteilkino York zufällig auf Eichmanns ältesten Sohn Klaus, der zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt war. Lothar Hermann, der inzwischen auf seinem anderen Auge an Grauem Star erkrankt und nahezu blind war, vermutete nach Recherchen, dass es sich bei diesem Klaus um den Sohn Adolf Eichmanns handele. Noch 1954 gab Hermann seine Vermutungen zuerst der jüdischen Gemeinde in Buenos Aires und dann der DAIA (Delegacion de Asociaciones Israelitas Argentinas), der jüdischen politischen Dachorganisation in Argentinien, weiter, die aber nicht darauf reagierten. Anschließend leitete Hermann seine Information an Fritz Bauer weiter und auch an Tuviah Friedman, der von Israel aus versuchte, Nazi-Verbrecher zu ermitteln, aber bei der weiteren Kontaktaufnahme mit Hermann von den israelischen Behörden massiv behindert wurde. Fritz Bauer, der zu diesem Zeitpunkt in Hessen als Generalstaatsanwalt arbeitete, gab diese Information seinerseits auf geheimem Weg an den israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad weiter. Mit Hilfe seiner Tochter Silvia konnte Lothar Hermann schließlich nachweisen, dass Klaus’ Vater Riccardo Klement einen falschen Namen trug und tatsächlich Adolf Eichmann war. Agenten des Mossad beschatteten Adolf Eichmann nach anfänglichen Zweifeln und entführten ihn 1960 schließlich nach Israel, wo ihm 1961 der Prozess gemacht und er nach seiner Verurteilung 1962 hingerichtet wurde.
Hermann selbst wurde, als er die vollständigen Hintergründe der jahrelangen Verhinderung einer Verhaftung Eichmanns und die tatsächlichen Umstände seiner dann schließlich erfolgten Festnahme öffentlich darlegen wollte, 1961 von der argentinischen Polizei verhaftet (unter dem Vorwand des Mossad, hier den in Argentinien vermuteten KZ-Arzt Josef Mengele gefunden zu haben) und im argentinischen Gefängnis gefoltert. Erst ein Vergleich der Fingerabdrücke brachte 14 Tage nach seiner Verhaftung Aufklärung und Hermann kam frei.[7] Später äußerte er sich nie mehr zu den Dingen; erst durch seine Großnichte Liliana Hermann wurden die Ereignisse wieder publik. (Siehe auch dazu das Feature im Deutschlandradio vom 26. Februar 2013.)[8]
Der Wortlaut des im Jahr 2012 auf mehreren öffentlich-rechtlichen deutschen Hörfunkkanälen ausgestrahlten Features von Gaby Weber bringt einige Details der Recherchen von Hermanns Nachfahren zur Sprache, die den Umgang des Staates Israel mit Hermann zu dessen Lebzeiten in keinem günstigen Licht erscheinen lassen.[9]
Aus Angst vor einem Racheakt floh Hermanns Tochter Silvia in die USA. Bis zu seinem Tod im Juli 1974 in Argentinien traf Lothar Hermann seine Tochter nie wieder.[10][11][12]
Die von dem Autor und Nazijäger Tuviah Friedman ausgesetzte Belohnung von 10.000 US-Dollar für die Ergreifung Eichmanns wurde nach langem Zögern zur Regierungszeit Golda Meirs 1972 an Hermann gezahlt.[8]
Eine in Argentinien gehostete Website berichtet ausführlich über Hermann. Enthalten sind auch Fotos und Hinweise zur Ehrung seines Verdienstes.[13] In einem englischsprachigen Artikel auf einer von Jack Beckett verantworteten Website wird Lothar Hermann ebenfalls als explizit erster Informant und erste Quelle für den Eichmann-Wohnort genannt.[14]
- „Erst 1972 bewilligte Golda Meir, die israelische Premierministerin, die Auszahlung der versprochenen Belohnung. Sie erkannte damit an, dass die Entdeckung von Adolf Eichmann auf Lothar Hermann zurückgegangen ist. 1974 starb er in Coronel Suarez, wo er begraben wurde. Aber erst am 13. August 2012 wurde Lothar Hermann posthum vom Staat Israel geehrt – als Person, die Eichmann entdeckte, ihn verfolgte und seine Verhaftung beschloss. Sechs Wochen später, am 28. September 2012, ehrte Ricardo Moccero, Bürgermeister der Stadt Coronel Suarez, Lothar Hermann, der seine letzten Lebensjahre in dieser Stadt verbracht hatte. Liliana Hermann, die Großnichte und seine früheren Nachbarn sowie die jüdische Gemeinde von Coronel Suarez waren anwesend, als eine Gedenktafel übergeben und an die Ungerechtigkeiten, die Lothar Hermann erleben musste, erinnert wurde. Lange Zeit blieb das Grab namenlos, jetzt wurde es gepflegt und auf dem Grabstein sein Name angebracht.“[13]
Filme
Der Autor und Regisseur Raymond Ley verfilmte seine Recherchen über Lothar Hermann und Adolf Eichmann 2010 in dem Doku-Drama Eichmanns Ende – Liebe, Verrat, Tod.[11] Dieser Film entspricht aber in vielen Dingen nicht den Tatsachen. Vor allem die angebliche Liebesbeziehung zwischen Silvia Hermann und Klaus Eichmann ist frei erfunden, aber auch die Hintergründe, die zur Ergreifung Eichmanns führten.
Auf Basis der mitgeschnittenen Verhöre und Verhandlungen von Adolf Eichmann erarbeitete der israelische Regisseur Eyal Sivan 1999 den Dokumentarfilm Ein Spezialist, der von der Wiener Firma Lotus Film produziert wurde.[15]
Regisseur Chris Weitz inszenierte 2018 das Historiendrama Operation Finale, in dem Hermann von Peter Strauss verkörpert wurde.
Weblinks
- Eintrag zu Lothar Hermann in der Rheinland-Pfälzischen Personendatenbank
Einzelnachweise
- ↑ Bettina Stangneth: Eichmann vor Jerusalem: das unbehelligte Leben eines Massenmörders. Arche-Verlag, 2011, ISBN 978-3-7160-2669-4, S. 404.
- ↑ Darío Brenman: Historia de vida de Lothar Hermann (spanisch) Abgerufen am 5. März 2016.
- ↑ Gaby Weber: Der Held aus Quirnbach: Die späte Ehrung des Lothar Hermann. 26. Februar 2013. Abgerufen am 5. März 2016.
- ↑ Gaby Weber: Eichmann wurde noch gebraucht. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2012, S. 68.
- ↑ vgl. Isser Harel: The House on Garibaldi Street. Frank Cass Publishers, London 1997, ISBN 0-7146-4754-3, S. 16.
- ↑ Franz-Josef Schmit: Späte Anerkennung für die Enttarnung Adolf Eichmanns: Zur Geschichte des deutschen Juden Lothar Hermann aus Quirnbach (spanisch, PDF) Abgerufen am 5. März 2016.
- ↑ Gaby Weber: Halbherzige Ehrung. Ohne Selbstkritik: Jüdische Gemeinde erinnerte in Buenos Aires an Lothar Hermann. In: Junge Welt. 15. August 2012. (online auf: ag-friedensforschung.de)
- ↑ 8,0 8,1 Der Held aus Quirnbach. auf: dradio.de 26. Februar 2013.
- ↑ SWR2 Tandem – Manuskriptdienst: Der Kampf der Zwergin. (PDF; 80 kB) auf: swr.de
- ↑ So wurde Nazi-Monster Eichmann wirklich enttarnt.
- ↑ 11,0 11,1 "Eichmanns Ende" in der ARD: Teufels Advokat trifft Teufels Bürokrat. auf: spiegel.de, 25. Juli 2010.
- ↑ Eichmanns Ende – Liebe, Verrat, Tod. in der deutschsprachigen Wikipedia
- ↑ 13,0 13,1 Lothar Hermann, der Eichmann in Argentinien fand. auf: lotharhermann.com.ar, 3. Januar 2013.
- ↑ The incredible James Bond tactics used by Israeli spies to capture Nazi Adolf Eichmann in South America. (Memento vom 29. März 2013 im Internet Archive) auf: warhistoryonline.com, 18. Januar 2013.
- ↑ Eichmann war von fürchterlicher Komik. In: Der Spiegel. 45/1999.
Personendaten | |
---|---|
NAME | Hermann, Lothar |
KURZBESCHREIBUNG | deutsch-jüdischer Holocaust-Überlebender |
GEBURTSDATUM | 1901 |
GEBURTSORT | Quirnbach |
STERBEDATUM | Juli 1974 |
STERBEORT | Argentinien |
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Lothar Hermann aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |