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Martha Jacob

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Martha Jacob Leichtathletik
Voller Name Martha (Marthel) Jacob
Nation DeutschlandDeutschland Deutschland
Geburtstag 7. Februar 1911
Geburtsort Berlin, Deutschland
Beruf Diplomsportlehrerin
Sterbedatum 13. September 1976
Sterbeort Kapstadt, Südafrika
Karriere
Disziplin Speerwerfen
Bestleistung 38,24 m (Speerwerfen)

Martha Jacob (geb. 7. Februar 1911 in Berlin, gest. 13. September 1976 in Kapstadt) war eine deutsch-jüdische Meisterin im Speerwurf 1929.[1]

Leben

Jacob wurde als Tochter von Minna Nee und Adolph Jacob geboren. Beide Eltern lernt sie kaum kennen: Ihre Mutter stirbt bereits fünf Tage nach ihrer Geburt, bei der es zu Komplikationen kommt und ihr Vater drei Monate später an Grippe. Sie wächst bei nahen Familienangehörigen auf. Die ältere Schwester ihrer Mutter, Paulina Heimann kümmert sich fortan um die Waise. Sie zieht mit dem Baby zu Louis Heimann, dem ältesten Bruder von Marthas Mutter. Zu diesem Zeitpunkt ist er bereits 60 Jahre alt und mit Hedwig verheiratet, mit der er jedoch kinderlos bleibt. Martha wohnt in einem gutbürgerlichen Milieu in der Tile-Wardenberg-Str. 26, welche sich am Ufer der Spree in Berlin zwischen dem Wikingerufer und dem Hansa – Ufer befindet. Paulina und Louis, eigentlich Onkel und Tante, sind für Martha wie leibliche Eltern, die sie wie ihr eigenes Kind annehmen und lieben. Sie nennt sie auch Mutter Vater.

Studium und Karriere

Schon als junges Mädchen zeigte Jacob Interesse an jeder Art der Leibesübungen. Ihre ersten sportlichen Erfahrungen machte sie mit sechs Jahren als Mitglied im ältesten jüdischen Turnverein Deutschlands Bar Kochba Berlin. Sie lernte dort Turnen, Gymnastik und Tanz. Mit acht Jahren gewann sie ihren ersten Juniorenwettkampf im Turnen, mit 13 Jahren (1924) den ersten Vereins-Waldlauf der Senioren über 2 km. Da die jüdischen Sportvereine der damaligen Zeit, nicht die Struktur für eine hochklassige Trainings- und Betreuungsleistung boten, trat sie im selben Jahr dem Berliner Sport-Club (BSC) bei, ohne ihre Mitgliedschaft bei Bar Kochba aufzugeben. Beim BSC spielte sie im Hockey- und Handballteam, unter anderem zusammen mit Spielführerin Lilli Henoch, errang eine Vielzahl von Preisen und guten Platzierungen in der Leichtathletik sowohl in der Junior- als auch in der Frauenklasse. Hier stellte sich ihre Begabung für die Wurf- und Stoßdisziplinen, vor allem im Speerwurf heraus, woraufhin Jacob schließlich, mit 17 Jahren, im Herbst 1928 zum Sport-Club Charlottenburg (SCC) wechselte.

Der SCC gründete wie der BSC nach dem Ersten Weltkrieg eine Frauen- und Mädchenabteilung, die sich vor allem dem Handball, Hockey und der Leichtathletik widmete. Beim SCC lernte sie Arthur Holz kennen. Der bekannte Trainer und mehrmalige deutsche Meister im Zehnkampf half ihr mit Erfolg, bei der Verbesserung ihrer sportlichen Leistungsfähigkeit. Im Jahre 1928 bann sie ein Studium an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen (DHfL) in Berlin, denn für sie sand fest: „Ich habe mich dem Sport verschrieben. Sport soll mein Beruf werden.“[2]

Olympische Spiele 1928

Am 7. August 1928 entsandte die DHfL eine Gymnastik-Vorführgruppe zu den Olympischen Spielen nach Amsterdam. Die Studentinnen und Studenten- zu denen auch Jacob gehörte, liefen mit Geigen und Flöten auf dem Rasen im Amsterdamer Olympiastadion ein. Die Vorführung wurde ein überwältigender Erfolg, sodass die B.Z. am Mittag ihren Bericht mit „Eine Offenbarung“ betitelte.[3] Im April 1931 verlieh das IOC der DHfL dafür den Coupe Olympique.

Ein sportlicher Höhepunkt war die Deutsche Leichtathletikmeisterschaft am 21. Juli 1929 in Frankfurt/Main. In ihrer Paradedisziplin, dem Kugelstoßen, wurde Jacob nur Dritte. Sie siegte jedoch im anschließenden Speerwerfen. Aufgrund des deutlichen Sieges und der erzielten Weite rechnete sie sich gute Chancen auf eine vordere Platzierung bei den Deutschen Meisterschaften aus. Jacob schlug somit die aktuelle Weltrekordhalterin Auguste Hargus und wurde mit 38,24 m[4], welches sich auf ein Gespräch ihrer Mutter beruft zum ersten und einzigen Mal Deutsche Meisterin im Speerwurf im Bereich der Deutschen Sportbehörde für Leichtathletik (DSB). Den Weltrekord verfehlte sie mit ihrem Wurf nur um 15 Zentimeter. Einen Tag später stellte sie ihr Training auf das Speerwerfen um.[5]

Der Weg in die Nationalmannschaft

Diesem Meistertitel folgt für Martel die Berufung in die Nationalmannschaft für den zweiten Frauenländerkampf gegen Großbritannien, der am 8./9. August 1929 in Düsseldorf ausgetragen wird. Das Speerwerfen gewinnt Auguste Hargus, Martel Jacob wird zweite. Den Länderkampf gewinnt die deutsche Frauenmannschaft nicht zuletzt wegen des Doppelsieges im Speerwurf. Ende 1929 rangiert Martel mit 38,24 m in der Weltbestenliste des Speerwurfs auf dem 5. Platz, in Deutschland liegt sie auf Rang 2 hinter Tilly Fleischer (38,25 m). Martha beeindruckt somit die britischen Gegnerinnen mit ihrer Leistung und ihrer aufgeschlossenen Art. Es folgt eine Einladung der British Women’s Athletic Federation an Martha, mit dem Ziel, die britischen Leichtathletinnen im Frühjahr und Sommer 1931 für die Olympischen Spiele 1932 in Los Angeles zu trainieren. Martel nimmt die Einladung an- sie ist damit die erste ausländische Trainerin, die von der ''British Women’s Athletic Federation'' engagiert wird. Ihre leichtathletische Vielseitigkeit und ausgefeilte Technik, nicht zuletzt die Trainingsfortschritte führen dazu, dass man sie im Frühjahr 1932 erneut nach England ruft. Nach Beendigung ihres Engagements und der Rückkehr aus London widmet sie sich nun ihrem Studium und ihrem eigenen Training. Neben regelmäßigen Starts für den SCC bestreitet sie auch immer wieder Wettkämpfe für ihren jüdischen Verein Bar Kochba. Aufgrund ihrer Leistungen ist es verwunderlich, warum sie im März 1932 nicht an der ersten Makkabiah in Tel Aviv teilnimmt. Vermutlich setzt ihr eine Verletzung zu, oder- was wahrscheinlicher ist- sie widmet sich mit aller Kraft dem Abschluss ihres Studiums. Im September des Jahres zeigt sie sich topfit bei den Leichtathletikmeisterschaften des Deutschen Kreises des Makkabi–Weltverbandes in Leipzig und gewinnt dort das Diskus- und Speerwerfen. Am 21. Juni 1932 beendet Martel ihr Studium an der DHfL: Sie erhält das Sportlehrerinnen-Diplom. Das Thema der Diplomabschlussarbeit lautet: „Organisationsfragen- und -formen der Frauenleichtathletik“ (PA Hazel Shore). Für den SCC tritt sie im August bei den Verbandsmeisterschaften an, wo sie Dritte im Fünfkampf wird.

Sportliche Erfolge

  • 1924: Mit 13 Jahren gewinnt sie ihren ersten Vereins-Waldlauf der Senioren über 2 km. Wechsel zum Hockey- und Handballteam des BSC, unter anderem zusammen mit Spielführerin Lilli Henoch, erringt sie eine Vielzahl von Preisen und guten Platzierungen in der Leichtathletik, sowohl in der Junior- als auch in der Frauenklasse.
  • 1928: Im Herbst wechselt sie mit 17 Jahren zum Sport-Club Charlottenburg (SCC) aufgrund ihrer Begabung für Wurf- und Stoßdisziplinen. 7. August: Olympische Spiele 1928 in Amsterdam: die DHfL entsendet eine Gymnastik-Vorführgruppe bestehend aus Studeninnen und Studenten (wozu auch Martha gehört) nach Amsterdam, wo sie mit Geigen und Flöten auf dem Rasen im Amsterdamer Olympiastadion einlaufen.
  • 1929: 21. Juli in Frankfurt/ Main: Deutsche Leichtathletikmeisterschaft: 3. Platz im Kugelstoßen und Deutsche Meisterin im Speerwerfen mit 38,24 m (Sie schlägt somit die aktuelle Weltrekordhalterin Augustine Hargus) 8./9. August, Düsseldorf: Nationalmannschaft: Zweiter Frauenländerkampf gegen Großbritannien: 1. Platz für die deutsche Frauenmannschaft; Augustine Hargus: 1. Platz im Speerwerfen, Martha: 2. Platz im Speerwerfen. Zum Ende des Jahres ist Martha auf der Weltbestenliste des Speerwurfs auf dem 5. Platz mit 38,24 m (in Deutschland liegt sie auf Rang 2 hinter Tilly Fleischer (38,25 m)).
  • 1931: Im Frühjahr und Sommer: Trainerin der britischen Leichtathletinnen mit dem Ziel diese für die Olympischen Spiele 1932 in Los Angeles zu trainieren.
  • 1932: Frühjahr: erneut Trainerin in England. Bestreitet regelmäßige Starts für den SCC und Wettkämpfe für "Bar Kochba" unter anderem am 11. September bei den Leichtathletikmeisterschaften des Deutschen Kreises des Makkabi – Weltverbandes (Makkabiade) in Leipzig: 1. Platz im Diskuswerfen (38,38 m) und 1. Platz im Speerwerfen.
  • 1933: Mai, Leichtathletikwettkämpfen: Marthel stellt neue Rekorde im Diskuswerfen und Kugelstoßen auf. September, Europäischen Makkabi – Meisterschaften in Prag: 1. Platz im Speerwerfen und 1. Platz im Diskuswerfen.
  • 1934: In Frankreich bietet man Martha an, Trainerin der französischen Frauenleichtathletik Mannschaft zu werden. Martha soll diese auf die Olympischen Spiele vorbereiten. Ihr wird als Olympiatalent eine Arbeitserlaubnis in Aussicht-gestellt. Als bekannt wird, dass es sich bei Martha Jacob um eine deutsche Jüdin handelt, versagt man ihr jedoch plötzlich jede Unterstützung.
  • 1935: 2.–7. April: Qualifizierung für 2. Makkabiah in Palästina: Jacob startet jedoch nicht für das britische oder französische, sondern für das deutsche Team. Sie verpasst dreimal knapp den Sieg im Kugelstoßen, erreicht aber den 2. Platz im Speerwerfen und den 2. Platz im Diskuswerfen (hinter der US-Meisterin und Weltrekordhalterin im Diskuswerfen Lillian Copeland.
  • 1935: Teilnahme an jüdischen Sportfesten in Berlin. Juni: Letzte Sportliche Teilnahme in Deutschland: Sportplatz der jüdischen Gemeinde Berlin im Grunewald.
  • 1937: Südafrikanische Leichtathletikmeisterschaften: 1. Platz im Speerwerfen.

Geschichtlicher Kontext

Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 und der damit verbundenen Welle des Antisemitismus verändert sich das Sportleben. Offiziell wird die jüdische Sportbewegung geduldet. Der Grund hierfür sind- aus diplomatischer Sicht- die Olympischen Spiele. Allerdings kommt es gegenüber den jüdischen Sportlern zu Schikanen, lokalen Übergriffen und Verweigerung der Sportstättennutzung, folglich wird der Wettkampfbetrieb erheblich erschwert. Viele Turn- und Sportverbände und -vereine beginnen sich gleichzuschalten und führen Wehrsport und Führerprinzip ein. Für den SCC, wo Jacob trainiert, ist zunächst das Verhalten seines Dachverbandes – dem Verband Berliner Athletik-Vereine (VBAV) – ausschlaggebend. Der VBAV ist einer von sieben Mitgliedsverbänden der Deutschen Sportbehörde für Athletik. Dieser positioniert sich frühzeitig und legt seinen beiden jüdischen Mitgliedsvereinen nahe, ihren Austritt zu erklären. Der SCC nimmt den Arierparagraphen in seine Satzung auf. Die Deutsche Turnerschaft beschließt im April 1933 ohne jede rechtliche Grundlage eine „Vollarisierung“. Das führt zum Ausschluss jüdischer Sportler. Dadurch verdoppelt sich die Anzahl der Mitglieder in den jüdischen Sportverbänden Makkabi und Schild. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten beschließt eine Delegiertenversammlung des SCC 1933 im vorauseilenden Gehorsam die Anwendung eines gegenüber der Nazi-Gesetzgebung verschärften Arierparagraphen. Die Frauenabteilung des SCC verliert hierdurch fast zwei Drittel der Mitglieder. [6] Selbstverständlich kann nachträglich nicht ermittelt werden, ob es sich bei diesem Mitgliederverlust ausschließlich um jüdische Mitglieder handelt. Der zeitliche Zusammenhang ist jedoch evident. Gleichzeitig schließt der Verband Berliner Athletikvereine alle jüdischen Vereine und Sportler/innen aus dem Verband aus. Der Ausschluss der deutschen Juden aus den "allgemeinen" Sportvereinen löst vor den Olympischen Spielen 1936 weltweit Proteste aus. Neben der USA drohen einige Länder mit dem Boykott der Spiele, woraufhin die Organisatoren gegensteuern und versprechen, deutsche Juden gleich zu behandeln.

Unmittelbar nach den Spielen 1936 in Berlin, endet die friedliche Selbstdarstellung des NS-Regimes und die Radikalisierung der Judenverfolgung setzt ein. Viele Juden wandern aus, was dazu führt, dass viele jüdische Vereine ihre Mitglieder verlieren: Bar Kochba-Hakoah verliert 1936 900 Mitglieder, Makkabi-Vereine schrumpfen von 120 (1936) auf 105 (1938). Mit dem von Goebbels provozierten Terror in der Pogromnacht des 9./10. November 1938 endet der jüdische Sport in Deutschland. Führungskräfte werden verhaftet, Zeitungen, Verbände und Vereine werden aufgelöst und verboten.

Das Leben von Marthel Jacob im geschichtlichen Kontext

Martel berichtet über diese Geschehnisse später:

„I was evicted from the S.C.C in March 1933 because I was a Jew.“[7]

Was bedeutet es für eine junge Frau, deren Selbstverständnis sich maßgeblich über den Sport definiert? Sie darf nun nicht mehr bei Wettkämpfen für den eigenen Verein starten. Selbst wenn die Teilnahme an den geregelten Trainingseinheiten weiterhin möglich ist, verhindern unweigerlich moralische Konflikte, diese Bestimmungen tatenlos hinzunehmen. Auf Anraten ihrer Tante begibt sich Martha im April 1933 nach London, wo sie aus ihrer Zeit als Nationaltrainerin noch über frische Kontakte verfügt. Mit wenig Geld und kleinem Gepäck versucht sie hier einen Neuanfang. Doch die Zeiten haben sich geändert. Selbst als bekannte Leistungssportlerin und Trainerin, als Diplomsportlehrerin und ausgebildete Masseurin ist es ihr 1933 fast unmöglich eine einträgliche Beschäftigung zu finden, insbesondere als deutsche Jüdin. Ohne offizielle Arbeitserlaubnis erweisen sich ihre Versuche als schwieriges Unterfangen. Trotz des Dilemmas startet Martha bei verschiedenen Leichtathletikwettkämpfen und stellt im Mai 1933 neue Rekorde im Diskuswerfen und Kugelstoßen auf. Im September des Jahres reist Martha als einzige Frau im 25-köpfigen britischen Team zu den europäischen Makkabi – Meisterschaften nach Prag und gewinnt dort Goldmedaillen im Speer- und Diskuswerfen.

Diese Erfolge sichern jedoch nicht ihre Eigentumsverhätnisse und so zieht sie in der Hoffnung, eine Arbeitserlaubnis, zu erhalten bereits 1934 nach Frankreich. Hier soll sie ihr Glück finden. Da sich die französische Frauenleichtathletik zu dieser Zeit noch nicht auf internationalem Niveau befindet, bietet man ihr an, das olympische Team für die Olympischen Spiele vorzubereiten und man stellt ihr als Olympiatalent eine Arbeitserlaubnis in Aussicht- eine Ausnahmeregelung soll dies ermöglichen. Als bekannt wird, dass es sich bei Martha Jacob um eine deutsche Jüdin handelt, versagt man ihr jedoch plötzlich jede Unterstützung. Aufgrund ihrer weiterhin konstant hohen Leistung, die sie anlässlich diverser Wettkämpfe unter Beweis stellt, qualifiziert sie sich an der 2. Makkabiah vom 2. bis 7. April 1935. In Palästina startet sie jedoch nicht für das britische oder französische, sondern für das deutsche Team. An dem weltgrößten jüdischen Sportfest nehmen 7.000 Athleten aus 27 Staaten teil. Martha verpasst dreimal nur knapp den Sieg- im Kugelstoßen, Speer- und Diskuswerfen erringt sie jeweils die Silbermedaille hinter der US- Meisterin und Weltrekordhalterin im Diskuswerfen Lillian Copeland. Auf ihrer Suche nach einem Auskommen verschlägt es sie wenig später in die Niederlande, wo man – zum derzeitigen Augenblick- ohne Arbeitserlaubnis legal Geld verdienen kann. Hier lernt sie Leo Kerz kennen, einen bereits zu dieser Zeit bekannten Bühnenbildner und Beleuchtungsmeister. Er hat in der Weimarer Zeit bei dem Avantgardisten Erwin Piscator sein Handwerk erlernt und soll nach dem Krieg neben anderen Stationen noch lange Jahre am Broadway tätig sein. In den Niederlanden wird ihre Verlobung gefeiert, auch wenn die Umstände nicht auf eine glückliche Zukunft hindeuten.

Trotz der sich verstärkenden Ausgrenzung der Juden in Deutschland zieht es Martha immer wieder zurück nach Berlin, um an jüdischen Sportfesten teilzunehmen und bei diesen Gelegenheiten Familie und Freunde zu besuchen. Zuletzt startet Martha im Juli 1935 auf dem Sportplatz der jüdischen Gemeinde Berlin im Grunewald. Zu Hause erwarten sie nicht nur ihre Tante Paulina und ihr Onkel Louis, sondern auch eine polizeiliche Vorladung, in der man ihr erklärt, dass es Probleme mit ihren Papieren gibt. Obwohl die Tante ihr dringend davon abrät, bleibt Martha von ihrer unbekümmerten und unängstlichen Art entschlossen, der Vorladung zu folgen. Also treffen Martha und ihre Tante Paulina pünktlich um 9:00 Uhr auf der Dienststelle ein [8]. Martha verschwindet hinter einer Tür, ihre Tante harrt voller Sorge aus. Schnell stellt sich heraus, dass mit ihren Papieren alles in bester Ordnung sei. Sie ist aus anderen Gründen in das Visier des Sicherheitsdienstes geraten. Durch ihre Aktivitäten in Großbritannien, wo sie sich für die europäischen Makkabi- Meisterschaften in Prag und auch für die 2. Makkabiah in Tel Aviv stark engagiert, wird sie mit Sir Henry Mond Melcgett bekannt, einem einflussreichen Industriellen und Präsidenten des Makkabi-Weltverbandes. Vermutlich im Zusammenhang mit den Boykottbestrebungen im Ausland versucht man von Martha Informationen darüber zu gewinnen, wie das britische Establishment über die Deutschen und die Olympischen Spiele denkt. Nach wenigen Minuten stellt sich heraus, dass Martha hierzu nur sehr wenig sagen kann. Dessen ungeachtet setzt man die Befragung bis zum Abend fort. Paulina ist überglücklich dass sich die Tür überhaupt wieder öffnet. Noch auf der Heimfahrt fällt für Martha der Entschluss "Nazi-Deutschland" unverzüglich zu verlassen. Paulina näht ihr etwas Hartgeld in den Mantel und in der selben Nacht fährt sie ihr Onkel Louis zu einem Bahnhof in sicherer Entfernung von der Reichshauptstadt Berlin. Von hier aus flüchtet Martha mit dem Zug über Belgien zurück in die Niederlande.

Der Weg ins Exil

Trotz der Erlebnisse in Berlin will Martha Europa nur ungern verlassen. Da die Versuche eine dauerhafte Arbeitserlaubnis und damit eine echte Existenzgrundlage zu erlangen, ohne Erfolg bleiben, ist sie gezwungen sich nach Alternativen umzusehen. Im Moment ihrer Flucht befindet sich ihr ältester Cousin zu einem Ruderwettkampf in Südafrika. Als dieser von den Entwicklungen in Deutschland erfährt und von Abraten seiner Mutter zurückzukehren, bleibt er in Südafrika. Hier sammelt er zusammen mit seiner südafrikanischen Rudermannschaft die notwendigen 100 Pfund zusammen für ein dauerhaftes Visum um Martha die Einreise zu ermöglichen. Nach drei Jahren auf der Suche nach einer neuen Lebensgrundlage emigriert sie und findet ihre neue Heimat Johannesburg, Südafrika. Hier heiratet sie ihren verlobten Leo Kerz. Die sportlich-dynamische Martha steht als Frühaufsteherin spätestens ab sechs auf den Beinen. Hier fällt es ihr leicht sich aufzuwärmen, um für Frauen mit gehobenen Anspruch Gymnastikkurse zu geben.

Tagsüber verdient sie sich mit Massagen zusätzliches Geld, um nachmittags auf dem Sportplatz zu trainieren und abends zeitig zu Bett zu gehen. 1937 startet sie bei den südafrikanischen Leichtathletikmeisterschaften, gewinnt das Speerwerfen und fügt damit ihrer umfangreichen Sammlung den vierten Titel hinzu. Der Tagesrhythmus ihres Ehemannes verläuft konträr zu ihrem. Er schläft tagsüber, um abends und nachts in der intellektuellen Theater- und Kunstszene zu verkehren. Für das tägliche Miteinander stellt diese Unverhältnismäßigkeit von Gemeinsamkeiten und Unterschieden eine schwache Hypothek dar. So verwundert es kaum, dass sich beide nach drei Jahren Ehe dazu entscheiden, getrennte Wege zu gehen.

Ihren zweiten Ehemann, Barney Shore, begegnet Martha bereits unmittelbar nach der Ankunft in Südafrika 1936. Dies ist allerdings kein Zufall, denn bereits vor ihrem persönlichen Kennenlernen ist er beeindruckt von der Sportlerin, welche die Titelblätter zahlreicher Sportzeitungen und Magazine schmückt. Doch ihre erste Begegnung offenbart eine besondere Nähe zwischen ihnen. Da Martha zu diesem Zeitpunkt bereits mit Leo verlobt ist, verspricht Barney ihr auf sie zu warten. 1940 heiratet Barney Shore seine große Liebe. Darauf folgt der Umzug nach Kapstadt, wo 1942 Sandra und 18 Monate später 1944 Hazel geboren werden. Als Martha mit ihrem Ehemann 1952 in das „Land der Täter“ zurückkehrt, erinnert nicht mehr viel an Berlin, indem sie ihre Kindheit verbracht hat. Das Wohnhaus in dem sie lebte gibt es nicht mehr, von ihrer Familie überlebt nur Paulina, die 1939 fliehen konnte und ihr nach Südafrika folgte. Louis wird in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 von SA- Männer in ein Lager verschleppt, aus dem er nicht heimkehrt. Es gibt keine Freunde mehr und das Verhalten von vielen Deutschen hat sich seit ihrem letzten Aufenthalt im "Dritten Reich" erschütternd wenig verändert. Auch wenn ihre Muttersprache deutsch ist, beherrscht sie durch die gezwungene Entwurzelung inzwischen vier weitere Sprachen fließend. Ihre Heimat hat sie in Südafrika gefunden, hier lebt sie glücklich mit ihrem Mann, ihren beiden Töchtern und, bis zu ihrem Tod mit 86 Jahren, 1961, ihrer Tante Paulina.

Am 13. September 1976 stirbt Martha Jacob 65-jährig in Kapstadt.

Nur Hazel Shores langem Atem und Geduld sowie des Drängens des American Jewish Committees ist es zu verdanken, dass sich der SCC nunmehr bereit erklärt hat, mit einer Gedenktafel seiner jüdischen Mitglieder zu gedenken.[9]

Literatur

  • Berno Bahro, Jutta Braun und Hans Joachim Teichler (Hrsg.): Vergessene Rekorde. Jüdische Leichtathletinnen vor und nach 1933. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2009 ISBN 978-3-86650-038-9, S. 77–87.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Berno Bahro: Martha Jacob – „Ich habe mich dem Sport verschrieben“. In: Berno Bahro, Jutta Braun und Hans Joachim Teichler (Hrsg.): Vergessene Rekorde – jüdische Athletinnen vor und nach 1933. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2009, ISBN 978-3-86650-038-9, S. 77–87.
  2. Zeitungsinterview mit Martha Jacob, Juli 1929 (Privatarchiv Hazel Shore)
  3. B.Z. am Mittag. Nr. 216, Bericht: „Eine Offenbarung“.
  4. Der Leichtathlet. vom 23. Juli 1929.
  5. Zeitungsinterview mit Martha Jacob, Juli 1929 (PA Hazel Shore).
  6. Protokoll der Delegiertenversammlung 12. September 1933, Amtsgericht Berlin Charlottenburg, Register-Nr. 366 B.
  7. Berno Bahro, Jutta Braun und Hans Joachim Teichler (Hrsg.): Vergessene Rekorde. Jüdische Leichtathletinnen vor und nach 1933. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2010 ISBN 978-3-86650-038-9.
  8. Aussagen von Hazel Shore, 27.04.2009, welches sich auf ein Gespräch ihrer Mutter beruft
  9. Sport unter dem Davidstern auf germanroadraces.de
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