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Peter Brötzmann
Peter Brötzmann (* 6. März 1941 in Remscheid; † 22. Juni 2023 in Wuppertal)[1][2] war ein deutscher Jazzmusiker, der großen Einfluss auf den europäischen Free Jazz hatte. „Von allen Jazzinnovatoren ist er derjenige, der am radikalsten mit allen Traditionen gebrochen hat – nicht nur des Jazz, sondern des Musizierens überhaupt.“[3] Er war – aus der Fluxusbewegung kommend – ein experimentierfreudiger Saxophonist, der gelegentlich auch Klarinette sowie Tárogató spielte. Insbesondere dem Basssaxophon – einem sonst eher selten eingesetzten Instrument – wurde durch Brötzmann neue Beachtung im Jazz geschenkt. Für Brötzmanns markante und energetische Spielweise entstand in Free-Jazz-Zirkeln der Begriff „brötzen“.
Leben und Wirken
Brötzmann lernte als Neunjähriger Klarinette. Mit siebzehn Jahren begann er an der Werkkunstschule in Wuppertal ein vierjähriges Kunststudium. Nebenher arbeitete er als Grafiker, spielte in verschiedenen Bands Klarinette oder Tenorsaxophon und begann sich Anfang der 1960er Jahre für den freien Jazz zu interessieren. 1961 gründete er mit Peter Kowald und Dietrich Rauschtenberger ein Trio.[4] Brötzmann spielte auf den einschlägigen Festivals, arbeitete 1966 in Paris mit Michael Mantler, Carla Bley und Aldo Romano (mit denen er auch auf Tournee ging). Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Globe Unity Orchestra. Seine 1968 mit einem Oktett eingespielte Schallplatte Machine Gun gilt als eines der provozierendsten Werke der modernen Jazzgeschichte Europas. Ab Ende der 1960er arbeitete er mehrere Jahre im Trio mit Fred Van Hove und Han Bennink.
Brötzmann war einer der Gründer des Plattenlabels Free Music Production in Berlin. Bis in die 1980er Jahre trat er regelmäßig beim Total Music Meeting auf, 1973, 1979, 1980 sowie 1984 auch bei den offiziellen Berliner Jazztagen. In der Zusammenarbeit mit Harry Miller und Louis Moholo gewann „rhythmische Energie als zentrales Antriebsmoment“ ein „Übergewicht über die theatralische, von dadaistischen Episoden durchzogene Aufführungspraxis“ der 1970er Jahre.[5]
Brötzmann war ab Beginn der 1980er Jahre regelmäßig in den USA und Japan präsent, in wechselnden Trios und größeren Besetzungen, häufig aber auch in Duo-Konstellationen. Ab 1981 arbeitete er auch sporadisch mit Bernd Klötzer zusammen. 1986 wurde er neben Sonny Sharrock und Ronald Shannon Jackson Mitglied von Bill Laswells Jazznoisegruppe Last Exit, mit der er mehrere Alben einspielte. Seit dieser Zeit, vor allem in den 1990er Jahren, gewann Brötzmann überraschend große Popularität in den USA.
Mit Ken Vandermark (sax, cl) aus Chicago und dem Schweden Mats Gustafsson (sax) als Kerngruppe seines Chicago Tentetts spielt er ab 2002 im Generationen übergreifenden Trio Sonore. 2004 formiert sich Brötzmann mit Michael Wertmüller (dr) und Marino Pliakas (b) zum Trio Full Blast. Ab 2016 spielte er mit der amerikanischen Pedal-Steel-Gitarristin Heather Leigh in einem Duo (2017 auch zum Trio erweitert um den Trompeter Toshinori Kondō).
Peter Brötzmanns Sohn, Caspar Brötzmann, ist ebenfalls Musiker. Im Rahmen einer Live-Aufnahme des Peter Brötzmann Tentets 1992 in Wuppertal wirkte Caspar als ein Zehntel des Line-ups mit. Vater und Sohn spielten gemeinsam das Album Last Home ein. Brötzmann kuratierte im November 2011 die 25. Ausgabe des Unlimited Festival in Wels und trat dort an vier Tagen mit den unterschiedlichsten Besetzungen auf, mit Musikern der Chicago- und der New-York-Szene, aber auch mit den Japanern Masahiko Sato und Michiyo Yagi. Das Festival war schon Monate zuvor ausverkauft und wurde mit der 5-CD-Box Long Story Short dokumentiert.
Aufsehen erregte 2020 seine Veröffentlichung I Surrender Dear, denn „… der wildeste Mann des bundesdeutschen Jazz, spielt Evergreens. Wie hier: Nice work if you can get it von den Gershwin-Brüdern. Ella Fitzgerald hat es einst anmutig geflötet, Tony Bennett hat es lustvoll gecroont, zusammen mit der supercoolen Diana Krall – und Peter Brötzmann? Er brötzt es. Dieses Verb gibt es wirklich, es wurde auf ihn geprägt. Aber es drückt viel mehr Nuancen aus als man denken könnte. Es beginnt zwar mit „br“ wie brutal – aber hier entsteht häufig eine fast zärtliche Melancholie.“[6]
Neben seiner Karriere als Musiker arbeitete er auch als Maler, Grafiker, Designer und Objektkünstler mit Ausstellungen in Deutschland (u. a. Akademie der Künste Berlin 1979 mit Han Bennink), Schweden, den USA (u. a. Chicago), Österreich, den Niederlanden und Australien. Anfang der 1960er Jahre war er in Wuppertal und Amsterdam Assistent von Nam June Paik bei dessen frühen Installationen und nahm an Fluxus-Aktionen in Deutschland und Amsterdam teil. 1984 stellte er im Kunstverein Ingolstadt aus. Am 4. März 2021 kam sein Kunstbuch Along the way: Artwork from 2012 to 2020 (Trost Verlag) heraus, das trotz österreichischem Verlag in englischer Sprache erscheint. Es enthält neben seinen eigenen Texten Textbeiträge von Thomas Millroth, John Corbett, Markus Müller, Sotiris Kontos, Stephen O’Malley, Heather Leigh und Karl Lippegaus.[7][8]
Ehrungen
Im Jahr 2005 wurde Brötzmann der Von der Heydt-Kulturpreis der Stadt Wuppertal verliehen, nachdem er bereits 1971 den Förderpreis dieses Kulturpreises erhalten hatte.
Auf dem New Yorker Vision Festival 2011 erhielt er den Lifetime Achievement Award.[9] Im selben Jahr wurde er für sein Lebenswerk mit dem Deutschen Jazzpreis ausgezeichnet.[10]
Im Jahr 2021 erhielt Brötzmann gemeinsam mit Nils Petter Molvær den Europäischen Filmpreis für die Musik in dem Historiendrama Große Freiheit. 2022 wurde ihm von der Jury des Preis der deutschen Schallplattenkritik der Ehrenpreis zugedacht als einer Persönlichkeit aus der Musikwelt, die in ihrem Wirkungskreis neue Maßstäbe gesetzt hat und ihren individuellen Weg ging, Hörgewohnheiten veränderte und Maßstäbe setzte im Avantgarde-Jazz.[11]
Diskografie (Auswahl)
- For Adolphe Sax (1967, mit Peter Kowald und Sven-Åke Johansson) (FMP)/Atavistic
- Machine Gun (1968, mit Willem Breuker, Evan Parker, Fred Van Hove, Peter Kowald, Buschi Niebergall, Han Bennink, Sven-Åke Johansson)
- The End (1971, mit Van Hove, Bennink und Albert Mangelsdorff)
- Brötzmann/Van Hove/Bennink (1973)
- Brötzmann, Aaltonen, Kowald, Vesala: Hot Lotta (1973, CD 2011)
- Brötzmann/Solo (1976) (FMP) 0360
- Peter Brötzmann / Misha Mengelberg / Han Bennink 3 Points and a Mountain … Plus (1979)
- Opened, but Hardly Touched (1980; mit Harry Miller und Louis Moholo)
- Low Life (1987, mit Bill Laswell)
- Réservé (1988, mit Barre Phillips und Günter Sommer)
- No Material (1989, mit Ginger Baker, Nicky Skopelitis, Sonny Sharrock, und Jan Kazda)
- Die Like a Dog Quartet Little Birds Have Fast Hearts (1997, mit Toshinori Kondō, William Parker und Hamid Drake)
- Tales Out of Time (2004, u. a. mit Joe McPhee)
- Be Music, Night (2004, mit dem Chicago Tentet featuring Mike Pearson)
- Brötzmann-Pliakas-Wertmüller Full Blast (2006)
- Joe McPhee / Peter Brötzmann / Kent Kessler / Michael Zerang: Guts (2006)
- Berg- und Talfahrt: A Night in Sana'a (2009, mit Michael Zerang, Abdul-Aziz Mokrid, Khalid Barkosch, Achmed Al-Khalidy, Ali Saleh, Yasir Al-Absi)
- Joe McPhee, Peter Brötzmann, Kent Kessler, Michael Zerang: The Damage Is Done (2009)
- Long Story Short (2011; Preis der Deutschen Schallplattenkritik)
- Paal Nilssen-Love/Brötzmann A Fish Stinks from the Head (2013)
- Peter Brötzmann & ICI Ensemble Beautiful Lies (2016)
- Karacho! (2017, mit Oliver Schwerdt, John Edwards, John Eckhardt und Christian Lillinger)
- Peter Brötzmann, Alexander von Schlippenbach, Han Bennink: Fifty Years After… Live at the Lila Eule 2018 (Trost, 2019)
- I Surrender Dear (2019, solo)
- Historic Music Past Tense Future (2002, ed. 2022), mit Milford Graves & William Parker
- An Eternal Reminder of Not Today / Live at Moers (2022), mit Oxbow
- Peter Brötzmann, Heather Leigh, Fred Lonberg-Holm: Naked Nudes (Trost, 2023)
Filmografie (Auswahl)
- Rage!, Regie: Bernard Josse (F 2011)
- Brötzmann. Filmproduktion Siegersbusch, Regie: René Jeuckens, Thomas Mau und Grischa Windus (Kino, DVD, D/UK 2011)
- Rohschnitt – Peter Brötzmann, Odyssee von Wuppertal bis China. 89 min., by Peter Sempel (Kino 2014).
Schriften
- Christoph J. Bauer, Peter Brötzmann: Brötzmann. Gespräche. Mit einem Essay von Christoph J. Bauer. Posth Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-944298-00-9.
- We Thought We Could Change the World. Conversations with Gérard Rouy. Wolke Verlag, Hofheim am Taunus 2014, ISBN 978-3-95593-047-9.
- Brötzmann. Graphic Works 1959–2016. Wolke Verlag, Hofheim am Taunus 2016, ISBN 978-3-95593-075-2.
- Along the Way: Artwork from 2012 to 2020. Wolke Verlag, Hofheim am Taunus 2021, ISBN 978-3-95593-253-4.
Lexigraphische Einträge
- Wolf Kampmann (Hrsg.), unter Mitarbeit von Ekkehard Jost: Reclams Jazzlexikon. Reclam, Stuttgart 2003, ISBN 3-15-010528-5.
- Martin Kunzler: Jazz-Lexikon. Band 1: A–L (= rororo-Sachbuch. Bd. 16512). 2. Auflage. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2004, ISBN 3-499-16512-0.
Weblinks
- Literatur von und über Peter Brötzmann im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- peterbroetzmann.com/
- Umfangreiche Diskografie inkl. Fotografien, Audio-Samples etc. auf European Free Improvisation Pages (Memento vom 19. November 2022 im Internet Archive)
- FMP Projekte und Veröffentlichungen
- „Porträt: Peter Brötzmann“ (Memento vom 19. Mai 2014 im Internet Archive) Goethe-Institut China
- Peter Brötzmann bei Discogs (englisch)
Einzelnachweise
- ↑ Freejazzsaxofonist Peter Brötzmann gestorben: Sie nannten ihn Machine Gun. taz.de, 23. Juni 2023, abgerufen am 23. Juni 2023.
- ↑ Alles wegblasen. Zum Tod des Jazzmusikers Peter Brötzmann. spiegel.de, 23. Juni 2023, abgerufen am 23. Juni 2023.
- ↑ E. Dieter Fränzel, Jazz AGe Wuppertal (Hrsg.): Sounds Like Whoopataal. Wuppertal in der Welt des Jazz. Essen 2006, S. 168.
- ↑ Vgl. Sounds Like Whoopataal. Wuppertal in der Welt des Jazz. Essen 2006, S. 172f.
- ↑ Ekkehard Jost: Europas Jazz. 1960–1980. Fischer, Frankfurt a. M. 1987, S. 133.
- ↑ Roland Spiegel: Peter Brötzmann: I surrender dear auf www.br-klassik.de, 15. November 2019 (abgerufen am 25. Februar 2020)
- ↑ Brötzmann: Along the Way, buecher-zur-musik.de, abgerufen am 4. März 2021.
- ↑ Peter Brötzmann – Along the way (unsigned regular version) (Memento vom 12. August 2021 im Internet Archive), abgerufen am 4. März 2021.
- ↑ Peter Brotzmann Honored with Lifetime Achievement Award at Vision Festival (abgerufen am 13. Juni 2011)
- ↑ Albert Mangelsdorff-Preis 2011 für Peter Brötzmann auf nmz.de, abgerufen am 18. September 2011.
- ↑ Ehrenpreise 2022. Preis der deutschen Schallplattenkritik, abgerufen am 2. November 2022.
Personendaten | |
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NAME | Brötzmann, Peter |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Jazzmusiker |
GEBURTSDATUM | 6. März 1941 |
GEBURTSORT | Remscheid, Deutschland |
STERBEDATUM | 22. Juni 2023 |
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