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Schovrim Schtika
Schovrim Schtika (hebräisch שוברים שתיקה, deutsch Das Schweigen brechen, englisch Breaking the Silence (BtS), Schreibung oft auch in Anlehnung an die englische Umschrift Shovrim Shtika) ist eine politische israelische Nichtregierungsorganisation von ehemaligen und aktiven Soldaten der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF), deren Ziel es ist, die israelische Gesellschaft über die Aktivitäten der IDF in den israelisch besetzten Gebieten zu informieren, indem sie Berichte von Soldaten über ihre Erlebnisse während ihres Dienstes veröffentlicht. Die israelische Armee und Regierung lehnen die Organisation ab und kritisieren deren finanzielle Unterstützung durch ausländische Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen.
Geschichte
Schovrim Schtika wurde im Februar 2004 von Jehuda Schaul und anderen ehemaligen Soldaten gegründet, um die eigenen Erlebnisse im Besatzungsdienst emotional zu verarbeiten und die israelische wie europäische und amerikanische Öffentlichkeit beispielsweise mit Vorträgen über Aspekte des Besatzungsalltags im Rahmen des Nahostkonflikts aufzuklären.[1]
Hierzu sammelt Schovrim Schtika Aussagen und Dokumente von Soldaten über ihren Besatzungsdienst im Gazastreifen, auf dem Golan und in der Westjordanland und bereitet diese für die Öffentlichkeit auf, z. B. auch als Videoclips oder Fotoausstellung. Inhaltlich geht es um mutmaßliche Übergriffe gegen Zivilisten, aber auch um den Arbeitsalltag der Soldaten, z. B. an den Checkpoints, oder die Selbstmordquote im Militär. Laut der Organisation stellen Misshandlungen an Palästinensern, das Plündern sowie die Zerstörung von Eigentum seit Jahren die Norm dar. Das Militär hingegen verweist auf militärische Notwendigkeiten in der Bekämpfung des Terrorismus und vereinzelte Verfehlungen.
Nach der Operation Gegossenes Blei 2008/2009 löste die Organisation mit der Veröffentlichung von Aussagen an der Militäroperation beteiligter Soldaten über kontroverse Anordnungen von Offizieren wie „Shoot and don’t worry about the consequences“ eine intensive Diskussion in Israel wie international aus.[2]
Finanzierung
Die Organisation erhält von einer Reihe staatlicher und nicht staatlicher Organisationen finanzielle Unterstützung, darunter auch christliche Gemeinschaften.[3] Die israelische Armee und die Regierung kritisieren, dass es sich nicht um eine Nichtregierungsorganisation (NGO) handele, sondern um eine von ausländischen Institutionen geförderte Firma, und Premierminister Netanjahu forderte alle ausländischen Regierungen auf, die Organisation nicht weiter finanziell zu unterstützen.[4] Schovrim Schtika gibt folgende Geldgeber an:[5]
Name des Geldgebers | Land | Art der Organisation | Betrag in Schekel (2013)[6] |
---|---|---|---|
Europäische Union | Regierungsorganisation | 422.566 | |
MISEREOR | christlich (kath.) | 333.139 | |
Broederlijk Delen | christlich (kath.) | 270.024 | |
Fondation pro Victimis | NGO | 273.372 | |
Norwegische Botschaft | Regierungsorganisation | 248.823 | |
Spanish Agency for International Cooperation (AECID)[7] | Regierungsorganisation | 177.660 | |
Sigrid Rausing Trust | NGO | 157.150 | |
Rockefeller Brothers Fund | NGO | 155.980 | |
Norwegische Botschaft in Tel Aviv | Regierungsorganisation | 148.315 | |
Interchurch Organisation for Development Cooperation (ICCO)[8] | christlich (kath.) | 147.325 | |
Open Society Institute | NGO | 135.740 | |
Dan Church Aid (DCA) | christlich (prot.) | 125.594 | |
Macmillan Royalties | 108.499 | ||
New Israel Fund | NGO | 72.025 | |
Medico international | NGO | 50.673 | |
Foundation for Middle East Peace | NGO | 36.185 | |
Britische Botschaft in Israel | Regierungsorganisation | ||
Christian Aid | christlich | ||
Ford Foundation[9] Israel | NGO (pro palästinensisch)[10] | ||
Moriah Fund[11] | NGO | ||
Oxfam Vereinigtes Königreich | NGO (pro palästinensisch) | ||
The Sparkplug Foundation[12] | NGO (pro palästinensisch)[12] | ||
Steuncomité Israëlische Vredes- en Mensenrechten Organisaties (SIVMO)[13] | NGO (pro palästinensisch)[13] | ||
Trócaire | christlich (kath.) |
Methoden und Aktionen
Anonyme Soldaten-Zeugenaussage
Die kontroverseste Methode von Schovrim Schtika ist die anonyme Zeugenaussage von Soldaten. Laut den israelischen Streitkräften führten diese Aussagen zu Fehlern bei der Untersuchung von gemeldeten Vorfällen.[14] Schovrim Schtika gibt dagegen an, dass persönliche Berichte von Soldaten für offizielle, unabhängige Untersuchungen zur Verfügung gestellt werden können, solange die Identität der Soldaten nicht öffentlich gemacht wird.[15]
Einige der von Mitgliedern der Organisation berichteten Vorfälle haben öffentliche Debatten in Israel über die Auswirkungen der andauernden Besatzung ausgelöst.[16][17]
Hebron-Führungen
Schovrim Schtika organisiert wöchentlich Stadtführungen in Hebron für Israelis, um auf das ihrer Meinung nach dortige Fehlverhalten des Militärs hinzuweisen.[18]
Wanderausstellung
Die Organisation konzipierte zudem eine aus Fotografien bestehende Wanderausstellung unter dem Titel So haben wir in Gaza gekämpft. Gezeigt werden Fotografien israelischer Soldaten, die sie während ihres Militärdienstes zur Dokumentation ihres Besatzungsalltags machten. Teil des Konzeptes ist, dass zwei ehemalige Soldaten durch die Ausstellung führen.[19]
2012 gastierte sie im Willy-Brandt-Haus in Berlin,[20] 2015 war sie im Kulturhaus Helferei der Kirchengemeinde Grossmünster in Zürich zu sehen. Dies sowie insbesondere ihre Bezuschussung durch die öffentliche Hand wurde kritisiert.[21][22] Im Oktober 2015 sollte die Ausstellung im Rahmen zweier Jubiläen in der Kölner Volkshochschule gezeigt werden: dem 50-jährigen Bestehen der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland und des 55. Jahrestags des Schüleraustausches der Stadt Köln mit der israelischen Partnerstadt Tel Aviv. Nach einem Protestbrief der israelischen Botschaft wurde die Ausstellung im Juni 2015 vom Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters mit Verweis auf den Kontext der Jubiläumsfeierlichkeiten und ihre nicht kontextualisierte Einseitigkeit abgesagt.[23][24] Auch mehrere christlich-jüdische Organisationen hatten Bedenken geäußert. Die israelische Botschaft erklärte, es sei nicht um eine Absage der Veranstaltung an sich gegangen, sondern nur bemängelt worden, dass sie unter dem Etikett der Feierlichkeiten lief.[24] Während Kommunalpolitiker für die Absage überwiegend Verständnis äußerten und die Fraktionschefs von SPD und FDP erklärten, es wäre besser gewesen, die Bedenken früher zu prüfen und die Zusage gar nicht erst zu erteilen, protestierten Rupert Neudeck und Moshe Zimmermann gegen eine „haarsträubende Kapitulation Kölns“.[25][26][27] Am 16. Juni 2015 kündigte die Stadt Köln an, die Ausstellung im Jahr 2016 „in einem angemessenen Kontext“ präsentieren zu wollen.[27]
Rezeption
Die linksliberale israelische Zeitung Haaretz wies darauf hin, dass Schovrim Schtika eine „klare politische Agenda“ habe und deshalb nicht länger als Menschenrechtsorganisation bezeichnet werden könne. Eine Organisation, die erkläre, die „das militärische System durchdringende Korruption“ aufdecken zu wollen, sei kein neutraler Beobachter. Die Konsequenzen der militärischen Präsenz in der West Bank und in Gaza aufzuzeigen, scheine Schovrim Schtika wichtiger als die Bekämpfung konkreten Unrechts zu sein. Denn die gesammelten Zeugenaussagen seien in strafrechtlichen Ermittlungen kaum verwendbar.[28]
Auszeichnung
Die Organisation wurde 2008 mit dem Emil-Grünzweig-Menschenrechtspreis der Vereinigung für Bürgerrechte in Israel ausgezeichnet.
Siehe auch
- Israelisch-Palästinensischer Konflikt
- Hamas, Fatah
- Gusch Schalom, Schalom Achschaw, Givat Haviva
- Geschichte der jüdischen Streitkräfte in Palästina
Literatur
- Georg Cadeggianini: Das zweite Leben des Yehuda Shaul. In Chrismon, 1/2008, S. 30–35
- Akiva Eldar: Raus aus der Uniform – hinein in den Konflikt. Ein Interview mit Ilan Paz, Haaretz, 14. Mai 2006
- Breaking the Silence: Israelische Soldaten berichten von ihrem Einsatz in den besetzten Gebieten. Econ, 2012, ISBN 978-3430201476
Film
- Tamar Yarom (Regie): To See If I'm Smiling, oder No Place for a Lady, Israel, 2007, Dokumentarfilm über 6 ehemalige Soldatinnen
Weblinks
- breakingthesilence.org.il Homepage (englisch)
- Soldiers' Testimonies from Operation Cast Lead, Gaza 2009 (PDF; 563 kB), Broschüre, veröffentlicht im Juli 2009 von Schovrim Schtika
- Reaction to 'Breaking the Silence' human rights report, Israel Ministry of Foreign Affairs im Juli 2009
- Fotodokumentation „Bruch des Schweigens“ bei Hagalil
- „Breaking the Silence“ – Erschütternde Zeugnisse israelischer Soldaten (Memento vom 27. November 2012 im Internet Archive), ttt – titel, thesen, temperamente anlässlich einer Fotoausstellung im September 2012
- Das Schweigen brechen: Israelische Soldaten sprechen über ihr Besatzungstrauma, Deutschlandfunk: Hintergrund im August 2012
- Ausstellung „Breaking the Silence“: Das Schweigen der Besatzer
- englische Medien
- CNN News: Soldiers' photo exhibit strikes nerve
- ABC News: Israeli conscripts break the silence
- The Independent: Breaking silence over the horrors of Hebron
- New York Times: Former Israeli Soldiers Tell of Harassment of Palestinians
Einzelnachweise
- ↑ Israeli Soldiers Talk Of Abuses. , CBS News, 11. Juli 2005.
- ↑ Ethan Bronner: Soldiers' Accounts of Gaza Killings Raise Furor in Israel, The New York Times, 19. März 2009.
- ↑ Breaking silence on Gaza abuses. , BBC News, 15. Juli 2009.
- ↑ Crying out loud. , Haaretz, 19. November 2010.
- ↑ Our funders. In: Transparency. Breaking the Silence. Abgerufen am 14. September 2012.
- ↑ BtS Financial Report 2013
- ↑ AECID home. AGENCIA ESPAÑOLA DE COOPERACIÓN INTERNACIONAL PARA EL DESARROLLO. Abgerufen am 14. September 2012.
- ↑ ICCO Home. ICCO 2012. Abgerufen am 14. September 2012.
- ↑ Ford Foundation Home. Ford Foundation. Abgerufen am 14. September 2012.
- ↑ Sherman, Scott: Target Ford. , The Nation, 5. Juni 2006. Abgerufen am 18. Oktober 2006.
- ↑ The Moriah Fund. Moriah Fund. Abgerufen am 14. September 2012.
- ↑ 12,0 12,1 Mission statement. Sparkplug Foundation. Abgerufen am 14. September 2012.
- ↑ 13,0 13,1 About SIVMO. Committee for Support to Israeli Peace and Human Rights Organisations. Abgerufen am 14. September 2012.
- ↑ Jonathan Lis: IDF questions reservists who organized Hebron photo exhibit. , Schovrim Schtika, 23. Juni 2004.
- ↑ Oded Na'aman: Israel needs the truth about Cast Lead. , The Guardian, Juli 2009.
- ↑ Army fury at Hebron soldiers' brutality exhibition. Echoes of Abu Ghraib in photos showing 'banal evil' of occupation. , The Guardian, 24. Juni 2004.
- ↑ Our reign of terror, by the Israeli army. In shocking testimonies that reveal abductions, beatings and torture, Israeli soldiers confess the horror they have visited on Hebron. , The Independent, 19. April 2008.
- ↑ Former Israeli soldier seeks to shine a light on Hebron. , LA Times, 16. November 2010.
- ↑ Eine Debatte ausgelöst und dem Druck nicht nachgegeben. In: deutschlandfunk.de. Abgerufen am 17. Juni 2015.
- ↑ Andreas Damm, Christian Parth: Nach Protest der israelischen Botschaft: Jürgen Roters sagt israelkritische Ausstellung ab. In: ksta.de. 12. Juni 2015, abgerufen am 15. Juni 2015.
- ↑ Curdin Vincenz: Eine israelkritische Austellung in Zürich polarisiert. In: srf.ch. 4. Juni 2015, abgerufen am 15. Juni 2015.
- ↑ Salome Müller: Stadt Zürich stösst Juden vor den Kopf. In: tagesanzeiger.ch. 3. Juni 2015, abgerufen am 15. Juni 2015.
- ↑ Michael Hesse und Joachim Frank: Gaza-Krieg: Köln sagt Ausstellung ab. In: fr-online.de. 15. Juni 2015, abgerufen am 15. Juni 2015.
- ↑ 24,0 24,1 OB sagt israelkritische Schau ab. In: welt.de. 15. Juni 2015, abgerufen am 17. Juni 2015.
- ↑ Absage von Ausstellung löst Kontroverse aus. In: welt.de. 16. Juni 2015, abgerufen am 17. Juni 2015.
- ↑ Kontroverse um israelkritische Ausstellung. In: Domradio. 15. Juni 2015, abgerufen am 15. Juni 2015.
- ↑ 27,0 27,1 Stadt Köln will abgesagte israelkritische Ausstellung 2016 zeigen – domradio.de. In: Domradio. 16. Juni 2015, abgerufen am 16. Juni 2015.
- ↑ Amos Harel: Gaza testimonies/Diverting the debate from the real issue. In: haaretz.com. 16. Juli 2009, abgerufen am 17. Juni 2015.
Siehe auch
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