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Sephardim
Sephardim (hebräisch סְפָרַדִּים Sfaradim; deutsch Sepharden, spanisch sefardís) ist die Bezeichnung für Juden und ihre Nachfahren, die bis zu ihrer Vertreibung 1492 und 1513 auf der Iberischen Halbinsel lebten. Nach ihrer Flucht ließen sich die Sepharden zum größten Teil im Herrschaftsgebiet des Osmanischen Reiches (Thrakien, Makedonien, Bosnien) und in Nordwestafrika (Maghreb) nieder. Ein kleiner Teil siedelte sich auch in Nordeuropa an, insbesondere in den Seehandelsstädten der Niederlande (unter anderem Antwerpen und Amsterdam), und in Norddeutschland (vor allem in Hamburg), aber auch in Frankreich (Bordeaux, Bayonne), in Italien (Livorno, Ferrara), in Amerika, Indien und Afrika. Kultur und Sprache beruhen weiterhin auf ihrer iberischen Geschichte. Darin unterscheiden sich Sephardim von den mittel- und osteuropäisch geprägten Aschkenasim.
Namensherkunft und Schreibung
Der Name Sephardim leitet sich von der im biblischen Buch Obd 20 EU genannten Ort- oder Landschaft Sepharad oder Sefarad (ספרד) ab, wo zur Entstehungszeit des Buches Angehörige der Verlorenen Stämme des Nordreichs Israel gelebt haben sollen. Der Name wurde im Mittelalter auf die Iberische Halbinsel, das westliche Land im Mittelmeer (insbesondere Spanien), und die von dort stammenden Juden übertragen.
In der Neuen Rechtschreibung, die normalerweise – besonders bei griechischstämmigen Fremdwörtern – dem Ersetzen des Ph durch F gegenüber tolerant ist, wird „Sephardim“ geschrieben, da das „ph“ das hebräische „Pe“ wiedergibt, das nach Vokalen, außer im Falle der Gemination („pp“), regelmäßig wie „f“ ausgesprochen wird.
Geschichte
Goldenes Zeitalter
Auf der Iberischen Halbinsel waren bereits vor dem 1. Jahrhundert n. Chr. Juden ansässig.
Der Beginn des „Goldenen Zeitalters“ für die jüdische Bevölkerung auf der Iberischen Halbinsel wird normalerweise auf die Wirkungszeit von Chasdai ibn Schaprut angesetzt, einem jüdischen Diplomaten, der im 10. Jahrhundert im Dienst des in Córdoba residierenden umayyadischen Kalifen Abd ar-Rahman III. stand. In den folgenden Jahrhunderten wirkten in Spanien und Portugal bedeutende jüdische Gelehrte und Künstler, wie Moses und Abraham ibn Esra, Jehuda Halevi und Isaak Abrabanel.
Reconquista und Inquisition
Ausgelöst von antisemitischen Predigten des Priesters Ferrand Martinez kam es im März 1391 in Sevilla erstmals zu einem Pogrom im Königreich Kastilien. Ein Jahrhundert später, nachdem die Reconquista durch die Eroberung Granadas, des letzten maurischen Herrschaftsgebiets auf der iberischen Halbinsel, zum Abschluss gekommen war, erließen die „katholischen Könige“ Ferdinand II. und Isabella I. das gegen die Juden gerichtete Decreto de la Alhambra. Dieser Erlass vom Donnerstag, dem 31. März 1492 stellte die Juden Spaniens vor die Wahl zwischen Exil oder Konversion zum Christentum. Viele zogen den Gang ins Exil der Taufe vor. Ein Teil der Vertriebenen ließ sich in Nordafrika nieder, vor allem in Marokko in den Städten Fès und Casablanca. Ein weiterer Teil folgte der Einladung ins Osmanische Reich, die auf einen persönlichen Erlass des Sultans zurückging. Sie ließen sich vor allem in Thrakien und Makedonien nieder, dessen Hauptstadt Thessaloniki noch in der Zwischenkriegszeit einen jüdischen Bevölkerungsanteil von etwa 20 Prozent aufwies. Als Zentren des sephardischen Ritus gelten neben Fès und Thessaloniki die Städte Istanbul, Jerusalem, Safed, Kairo, Ancona, Edirne und Venedig.
Nach der Einführung der Inquisition in Portugal 1531 setzte die zweite Verfolgungswelle gegen die Juden auf der iberischen Halbinsel ein. Außer den Juden, die bei ihrem Glauben geblieben waren, wanderten auch viele Konvertiten (Conversos) und zwangsweise Getaufte, die Marranen, aus. Ziele der Flüchtlinge waren vor allem Hafenstädte, da viele von ihnen im Großhandel tätig waren. Zu diesen Städten zählen Casablanca, Bayonne, Bordeaux, Livorno, später auch Amsterdam, Hamburg und London und Fès im Binnenland. In Amsterdam wurde am 2. August 1675 die Portugiesische Synagoge eingeweiht. Im Gegensatz zu den früheren Auswanderern sprachen sie meist Portugiesisch oder Spanisch, nicht mehr Judenspanisch (Sephardisch).
20. Jahrhundert
Im griechischen Thessaloniki befand sich bis zur Besetzung durch deutsche Truppen im Jahr 1941 die wohl größte europäische sephardische Gemeinde; es hieß daher auch „Jerusalem des Balkans“.[1]
Die letzte große Einwanderungswelle erreichte Marokko während der Schoah im Zweiten Weltkrieg, oft als Zwischenstation ins überseeische Exil, zuweilen jedoch auch als ein Ziel der Emigration. Sultan Sidi Mohammed Ben Jussuf (König Mohammed V.) weigerte sich, die „Ausnahmegesetze“ des französischen Vichy-Regimes über die „Behandlung der Israeliten“ zu unterzeichnen. Die nordafrikanischen Juden hatten 1880 das französische Bürgerrecht erhalten und stellten unter anderem in Algerien einen bedeutenden Teil der europäischen Bevölkerung, waren jedoch in den Jahren 1940 bis 1944 antisemitischer Verfolgung ausgesetzt.
Nach der Entkolonialisierung französischer Kolonien in Nordafrika ab 1960 begann, auch wegen der zunehmenden antisemitischen Haltung der muslimischen Bevölkerung, die Auswanderung: Viele sephardische Juden verließen die neuen Nationalstaaten in Richtung Israel oder Frankreich. So besitzt die jüdische Gemeinde von Paris (ca. 200.000 Mitglieder) heute zum größten Teil Wurzeln in Nordafrika.
Im Februar 2014 legte die spanische Regierung einen Gesetzentwurf zur Wiedereinbürgerung von Nachfahren sephardischer Juden vor.[2][3]
Sephardisches Hebräisch
Die Hebraistik folgt in der Aussprache des masoretischen Textes hinsichtlich der Vokale der sephardischen Tradition. Die sephardische Aussprache zeichnet sich durch Realisierung des Qames als langes a aus, während man im Aschkenasischen ein kurzes o setzt.
Im gesprochenen Neuhebräisch (Ivrit) folgt die Aussprache der Vokale der sephardischen Tradition, während die Aussprache der Konsonanten stark europäisiert ist, das heißt unter anderem auf die emphatischen Laute verzichtet.
Demografie
2019 schätzt man die Anzahl der Sephardim auf 3,5 Millionen Menschen.[4]
Sephardim in Israel
Die religiöse Schas-Partei in Israel versteht sich insbesondere auch als Wahrer der sephardischen Glaubensausprägung. Neben den Aschkenasim stellen die Sepharden in Israel einen eigenen Oberrabbiner.
Spanische und portugiesische Staatsangehörigkeit
Spanien und Portugal vergeben die Staatsangehörigkeit an die Nachkommen der Sephardim.[5]
Mehr als 130.000 sephardische Juden haben in den vier Jahren bis September 2019, dem Ablauf der festgelegten Frist, die spanische Staatsbürgerschaft beantragt. Spanien hatte den ausländischen Sephardim seit 2015 die Möglichkeit gegeben, die spanische Staatsbürgerschaft zu beantragen, ohne ihre aktuelle Staatsbürgerschaft aufgeben zu müssen. Die meisten Anträge kamen aus Lateinamerika, hauptsächlich Mexiko, Kolumbien und Venezuela. Aus Israel habe es etwa 3000 Anfragen gegeben. Die eingegangenen Anträge werden jetzt geprüft. Neben dem Nachweis über den sephardischen Ursprung der Familie mussten die Anträge den Familiennamen, den Nachweis von Sprachkenntnissen und möglichst einen Stammbaum enthalten.[6]
Siehe auch
Literatur
- Amor Ayala, Stefanie von Schmädel: Identitätsdiskurse und Politisierung der Sepharden in Wien am Beispiel des Studentenvereins „Esperanza“ 1896–1924. In: Transversal. Schwerpunktheft Jüdischer Widerstand im NS. Centrum für Judische Studien der Karl-Franzens-Universität, 11. Jg., Heft 2. Studienverlag, Graz 2010, ISSN 1607-629X, S. 83–102.
- Georg Bossong: Die Sepharden. Geschichte und Kultur der spanischen Juden. Beck’sche Reihe, 2438. C. H. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-56238-9.
- Predrag Bukovec: Sephardische Juden in der Frühen Neuzeit. In: Europäische Geschichte Online, hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (Mainz), 2013, urn
- nbn:de:0159-2013040312:{{{2}}}
- Lion Feuchtwanger: Die Jüdin von Toledo. Handlung zur Zeit des Königs Alfonso VIII. 11. Auflage. Aufbau, Berlin 2008, ISBN 978-3-351-02398-0.
- Sabine Kruse, Bernt Engelmann (Hrsg.): „Mein Vater war portugiesischer Jude …“ Die sefardische Einwanderung nach Norddeutschland um 1600 und ihre Auswirkungen auf unsere Kultur. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Jüdischen Museum in Rendsburg und im Burgkloster von Lübeck 1992/1993. Steidl, Göttingen 1992, ISBN 3-929076-11-X.
- Michael Studemund-Halévy: Biographisches Lexikon der Hamburger Sefarden. Christians, Hamburg 2000, ISBN 3-7672-1293-5.
- Michael Studemund-Halévy (Hrsg.): Die Sefarden in Hamburg. Zur Geschichte einer Minderheit. Die Grabinschriften des Portugiesenfriedhofs an der Königstraße in Hamburg. Buske, Hamburg.
- Band 1. 1994, ISBN 3-87548-048-1.
- Band 2. 1997, ISBN 3-87548-099-6.
- Schlomo Svirsky, Devorah Bernstein, Karlheinz Schneider: Sefarden in Israel. Zur sozialen und politischen Situation der Jüdisch-Orientalischen Bevölkerung. Deutsch-Israelischer Arbeitskreis für Frieden im Nahen Osten, Hamburg 1999, ISBN 3-925031-02-2.
Weblinks
- Homepage. Institut Sépharade Européen, abgerufen am 24. November 2011.
- Homepage. Foundation for the Advancement of Sephardic Studies and Culture, abgerufen am 24. November 2011.
- Predrag Bukovec: Sephardische Juden in der Frühen Neuzeit. EGO, Europäische Geschichte Online, 8. April 2013
- Antje Hinz: Spanier ohne Vaterland – Eine Lange Nacht über die iberischen Juden und ihre Nachfahren. Deutschlandfunk, 8. November 2014, abgerufen am 11. Januar 2016.
Einzelnachweise
- ↑ Schalom. Deutschlandfunk, 25. November 2011
- ↑ Spanien: Gerechtigkeit für sephardische Juden. welt.de; abgerufen am 8. März 2014
- ↑ Spanien: Gesetzentwurf zur Wiedereinbürgerung von Nachfahren sephardischer Juden. sueddeutsche.de; abgerufen am 8. März 2014
- ↑ 3.000 Israelis beantragen spanische Staatsbürgerschaft. In: Israelnetz.de. 2. Oktober 2019, abgerufen am 5. Oktober 2019.
- ↑ Hubert Kahl: Vertriebene Juden aus Spanien und Portugal: Ein Pass für die Nachfahren. Spiegel Online, 3. Februar 2015
- ↑ 3.000 Israelis beantragen spanische Staatsbürgerschaft. In: Israelnetz.de. 2. Oktober 2019, abgerufen am 5. Oktober 2019.
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