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Streitbare Demokratie

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Das politische System der Bundesrepublik Deutschland wird vom Bundesverfassungsgericht als streitbare, wehrhafte Demokratie bezeichnet. In ihr wird die freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO) geschützt. Sie kann nicht auf legalem Weg oder durch Mehrheitsbeschlüsse aufgehoben werden. Gegen verfassungsfeindliche Einzelpersonen und Personenzusammenschlüsse (Parteien, Vereine und Organisationen) kann präventiv vorgegangen werden, bevor sie gegen die FDGO gerichtete Taten begehen.

Ideengeschichtlicher Hintergrund

Die Grundüberlegungen für ein politisches Konzept der „streitbaren Demokratie“ wurden von den während des Nationalsozialismus im Exil lebenden deutschen Soziologen Karl Loewenstein und Karl Mannheim (1943)[1] geprägt. So entwarf Loewenstein 1937 vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus das Modell der „militant democracy“ (streitbare Demokratie).[2] Karl Mannheims Überlegungen für eine „geplante Demokratie“ basierten vor allem auf seinen ideologiekritischen Arbeiten und seinen Analysen der Krisen einer modernen Massendemokratie.[3]

Definition anhand der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

Das politische Konzept der „Wehrhaften Demokratie“ legitimiert sich über Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich ihrer Definition von Verfassungswidrigkeit. Gero Neugebauer zufolge beurteilt das Gericht Handlungen als verfassungswidrig, „die darauf zielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung aggressiv und planvoll funktionsunfähig machen [sic], um sie letztlich zu beseitigen“.[4] Die Ablehnung der freiheitlich demokratischen Grundordnung hingegen ist allein nicht verfassungswidrig: „Eine Partei ist auch nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie diese obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht anerkennt, sie ablehnt, ihnen andere entgegensetzt. Es muss vielmehr eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen, sie muss planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen, im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen.“[5]

In einer Entscheidung definierte 1952 das Bundesverfassungsgericht die grundlegenden Kriterien für „die freiheitliche demokratische Grundordnung“. Danach stellt sie eine Ordnung dar, die „jegliche Willkürherrschaft“ ausschließt und „eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit“ bildet. Für diese Ordnung definiert das Gericht Mindeststandards. Dazu zählen „die Achtung vor den im Grundgesetz (GG) konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Regierungsverantwortung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“.[6][7]

Historische Ursachen für die streitbare Demokratie

Die Weimarer Republik wurde am Tag der Annahme ihrer Verfassung, dem 31. Juli 1919, von Innenminister Eduard David (SPD) als „demokratischste Demokratie der Welt“ bezeichnet. Der Präsident der Nationalversammlung, Constantin Fehrenbach (Zentrumspartei), bezeichnete die Deutschen als das „freieste Volk der Erde“. Nach der Machtergreifung im Jahr 1933 wurde Deutschland zu einem totalitären Staat. Entscheidungen waren nach der Weimarer Verfassung dem Willen der Mehrheit unterworfen, und nicht an Wertvorstellungen gebunden. Es handelte sich, wie es Otto Kirchheimer 1929, vier Jahre vor der Machtübernahme Adolf Hitlers, formulierte, um eine „Verfassung ohne Entscheidung“. Es gab nur veränderbares, positives Recht. Auch Adolf Hitler berief sich auf die in der Weimarer Verfassung festgehaltene Meinungsäußerungsfreiheit, die 1933 durch die Reichstagsbrandverordnung beseitigt wurde.

In der wehrhaften Demokratie stehen die Demokratie und ihre wichtigsten Elemente selbst nicht mehr zur Diskussion, sie können auch durch eine noch so große Mehrheit nicht aufgehoben werden. Ein Grund für die Einschränkung des Mehrheitsprinzips ist, in bestimmten Fällen zu verhindern, dass eine momentane Mehrheit für nachfolgende Generationen entscheidet.

Mittel der streitbaren Demokratie

Die Handhabung der wehrhaften Demokratie kann eine Einschränkung von Grundrechten bedingen. Es soll verhindert werden, dass eine Mehrheit eine legalisierte Diktatur errichten kann. Zur Verteidigung der FDGO und der durch sie garantierten Menschenrechte sind durch das Grundgesetz unter anderem folgende Mittel gegeben:

Zitate

„Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass es nicht zum Begriff der Demokratie gehört, dass sie selbst die Voraussetzungen für ihre Beseitigung schafft. (…) Man muss auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.“
Aus der Rede Carlo Schmids am 8. September 1948 im Parlamentarischen Rat.[8]

Siehe auch

Literatur

  • Markus Thiel (Hrsg.): Wehrhafte Demokratie. Beiträge über die Regelungen zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Mohr Siebeck Verlag Tübingen, 2003, ISBN 978-3-161-47967-0 (Eingeschränkte Vorschau)
  • Claus Leggewie/Horst Meier: Republikschutz. Maßstäbe für die Verteidigung der Demokratie, Reinbek 1995. ISBN 978-3-498-03882-3.
  • Stephan Eisel: Minimalkonsens und freiheitliche Demokratie: eine Studie zur Akzeptanz der Grundlagen demokratischer Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland, Paderborn 1986.
  • Erhard Denninger: Freiheitliche demokratische Grundordnung. Materialien zum Staatsverständnis und zur Verfassungswirklichkeit in der Bundesrepublik. Suhrkamp (suhrkamp taschenbuch wissenschaft), Frankfurt a. M. 1977.
  • Armin Scherb: Präventiver Demokratieschutz als Problem der Verfassungsgebung nach 1945, Frankfurt a. M. 1986.
  • Christoph Weckenbrock: Die streitbare Demokratie auf dem Prüfstand. Die neue NPD als Herausforderung. (Bouvier-Verlag) Bonn 2009.
  • Gereon Flümann: Streitbare Demokratie in Deutschland und den Vereinigten Staaten. Der staatliche Umgang mit nichtgewalttätigem politischem Extremismus im Vergleich. (Springer VS) Wiesbaden 2015.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. Karl Mannheim: Diagnosis of Our Time. Wartime Essays of a Sociologist, London 1943.
  2. Karl Loewenstein: „Militant Democracy and Fundamental Rights“, in: American Political Science Review 31/1937, S. 417–433 und S. 638–658.
  3. Vgl. Wilhelm Hofmann: Karl Mannheim zur Einführung. Junius Verlag, Hamburg 1996.
  4. Extremismus – Rechtsextremismus – Linksextremismus: Einige Anmerkungen zu Begriffen, Forschungskonzepten, Forschungsfragen und Forschungsergebnissen. (PDF-Datei; 24 kB) (Memento vom 20. März 2009 im Internet Archive)
  5. BVerfG, Urteil vom 17. August 1956, Az. 1 BvB 2/51, BVerfGE 5, 85, 141 - Verbot der KPD.
  6. BVerfG, Urteil vom 23. Oktober 1952, Az. 1 BvB 1/51, BVerfGE 2, 1, 12 - SRP-Verbot.
  7. Vgl. auch: Gero Neugebauer: Extremismus – Rechtsextremismus – Linksextremismus: Einige Anmerkungen zu Begriffen, Forschungskonzepten, Forschungsfragen und Forschungsergebnissen.
  8. Carlo Schmid: Rede am 8. September 1948 im Parlamentarischen Rat.
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