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Unwort des Jahres (Deutschland)
Die sprachkritische Aktion Unwort des Jahres wurde in Deutschland 1991 von Horst Dieter Schlosser ins Leben gerufen. Bis 1994 wurde das „Unwort des Jahres“ im Rahmen der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) gewählt. Nach einem Konflikt mit dem Vorstand der GfdS machte sich die Jury als „Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres“ selbständig.[1]
Ziele und Auswahl
Die Aktion „möchte auf öffentliche Formen des Sprachgebrauchs aufmerksam machen und dadurch das Sprachbewusstsein und die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern. Sie lenkt daher den sprachkritischen Blick auf Wörter und Formulierungen in allen Feldern der öffentlichen Kommunikation, die gegen sachliche Angemessenheit oder Humanität verstoßen.“ Da die Benennung der Wörter und Unwörter des Jahres „in erster Linie als Anregung zu mehr sprachkritischer Reflexion“[2] dient, stellt gerade die kritische öffentliche Diskussion einen Erfolgsfaktor der Juryarbeit dar.
Alle Bürger können Vorschläge zum Unwort des Jahres mit Angabe einer Quelle des sprachlichen Missgriffs einreichen. „Für das Auswahlverfahren eines Jahres können bis 31. Dezember des betreffenden Jahres Vorschläge gemacht werden, die den Grundsätzen der Unwort-Aktion entsprechen. In der ersten Januarhälfte des Folgejahres wählt eine Jury aus allen Vorschlägen und auf der Basis einer ausführlichen inhaltlichen Diskussion das ‚Unwort des Jahres‘, ggf. weitere Unwörter aus.“ Die Entscheidung ist nicht abhängig von der Zahl der Unterstützer eines Vorschlags.
„Unwortverdächtig“ sind Wörter oder Formulierungen, die
- gegen das Prinzip der Menschenwürde verstoßen (z. B. Geschwätz des Augenblicks für Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche),
- gegen Prinzipien der Demokratie verstoßen (z. B. alternativlos als Haltung/Position in der politischen Diskussion, um eine solche zu vermeiden und sich der Argumentationspflicht zu entziehen),
- einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminieren (z. B. durch unangemessene Vereinfachung oder Pauschalverurteilung, wie etwa Wohlstandsmüll als Umschreibung für arbeitsunwillige ebenso wie arbeitsunfähige Menschen),
- euphemistisch, verschleiernd oder irreführend sind (z. B. freiwillige Ausreise als Behördenterminus für die nur bedingt oder gar nicht freiwillige Rückkehr von Asylbewerbern in ihre Heimatländer aus Abschiebehaftanstalten).
Wesentlich für die Auswahl ist neben der Aktualität auch die durch Quellennachweis belegte öffentliche Äußerung des Wortes oder der Formulierung.
Rezeption
Viele Entscheidungen für „Unworte” standen unter massiver Kritik. Entlassungsproduktivität (Insgesamt tauchte das Wort 2005 nur fünfmal in der überregionalen Presse auf) und sozialverträgliches Frühableben oder Opfer-Abo[3] wurde nach Aussage der Kritiker nahezu nicht benutzt, Humankapital[4][5] und Ich-AG bewusst falsch verstanden.
Gerrit Kloss kritisiert im Wissenschaftsteil der FAZ, dass die Jury – entgegen ihrem eigenen Anspruch[6] – Unwörter „kreiere”, indem sie bei der Begründung zum Unwort des Jahres 2012 eine Bedeutung angegeben habe, die nicht derjenigen entspräche, die das Wort im Originalkontext habe.[7]
Jury
Die Jury besteht aus vier ständigen und zwei in jährlichem Wechsel kooptierten Mitgliedern. Sie wird von Horst Dieter Schlosser vertreten, der ihr seit 1991 angehört.[8]
Bis 1994 wurde das „Unwort des Jahres“ im Rahmen der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) gewählt. Nach einem Konflikt mit dem Vorstand der GfdS machte sich die Jury als „Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres“ institutionell unabhängig. Horst Dieter Schlosser war von 1991 bis 2011 Sprecher der Jury. Seit März 2011 ist Nina Janich Sprecherin der Jury.[9] An der Auswahl des „Unwortes“ 2011 („Döner-Morde“) nahm als nicht ständiges Mitglied Heiner Geißler teil.[6]
Unwörter des Jahres
Unwort des 20. Jahrhunderts: Menschenmaterial
Jahr | Unwort des Jahres[10] | Begründung |
---|---|---|
2013 | Sozialtourismus | Mit dem Schlagwort „wurde von einigen Politikern und Medien gezielt Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderer, insbesondere aus Osteuropa, gemacht“. Der Ausdruck reihe sich ein in ein Netz weiterer Unwörter, die diese Stimmung befördern [...] wie etwa „Armutszuwanderung“.[11] |
2012 | Opfer-Abo | Jörg Kachelmann äußerte anderthalb Jahre nach seinem Freispruch die Ansicht, dass Frauen in der Gesellschaft ein „Opfer-Abo“ hätten. Die Jury kritisierte den Begriff dafür, dass er Frauen „pauschal und in inakzeptabler Weise“ unter den Verdacht stelle, sexuelle Gewalt zu erfinden und damit selbst Täterinnen zu sein. |
2011 | Döner-Morde | Der Ausdruck stehe prototypisch dafür, dass die politische Dimension der Mordserie jahrelang verkannt oder willentlich ignoriert wurde. Durch die Reduktion auf ein Imbissgericht würden die Opfer der Morde in höchstem Maße diskriminiert und ganze Bevölkerungsschichten aufgrund ihrer Herkunft ausgegrenzt.[12][13] |
2010 | alternativlos | Das Wort suggeriere sachlich unangemessen, dass es bei einem Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternativen und damit auch keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation gebe. Behauptungen dieser Art seien 2010 zu oft aufgestellt worden, sie drohten, die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung zu verstärken.[14] |
2009 | betriebsratsverseucht | Die Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen störe zwar viele Unternehmen; Betriebsräte als Seuche zu bezeichnen, sei indes „ein sprachlicher Tiefpunkt im Umgang mit Lohnabhängigen“.[15] (bekannt wurde der Begriff durch seine Verwendung in der ARD. Nach Angaben eines Mitarbeiters der Baumarktkette Bauhaus wird er von Abteilungsleitern der Baumarktkette gebraucht, wenn Mitarbeiter aus einer der drei Filialen mit einem Betriebsrat in eine ohne wechseln wollen)[16][17] |
2008 | notleidende Banken | Der Begriff stelle das Verhältnis von Ursachen und Folgen der Weltwirtschaftskrise auf den Kopf. Während die Volkswirtschaften in ärgste Bedrängnis geraten seien und die Steuerzahler Milliardenkredite mittragen müssten, würden die Banken, durch deren Finanzpolitik die Krise verursacht worden sei, zu Opfern stilisiert.[18] |
2007 | Herdprämie | Abwertende Bezeichnung für Geld, das Eltern erhalten sollen, die ihre Kinder zuhause selbst auf- und erziehen und nicht in einer Kindertagesstätte betreuen lassen wollen – als negativer Gegensatz zur Berufstätigkeit statt alleiniger Kindererziehung. |
2006 | freiwillige Ausreise | Bezieht sich darauf, dass viele abgelehnte Asylbewerber vor einer drohenden Abschiebung „freiwillig“ in ihre Heimat zurückkehren. Tatsächlich hätten sie aber keine andere Wahl.[19] |
2005 | Entlassungsproduktivität | Gewinne aus Produktionsleistungen eines Unternehmens, nachdem zuvor zahlreiche für „überflüssig“ befundene Mitarbeiter entlassen wurden. |
2004 | Humankapital | degradiert Menschen zu nur noch ökonomisch interessanten Größen |
2003 | Tätervolk | grundsätzlich inakzeptabler Kollektivschuldvorwurf; als möglicher Vorwurf gegen Juden von Martin Hohmann gebraucht |
2002 | Ich-AG | Reduzierung von Individuen auf sprachliches Börsenniveau. |
2001 | Gotteskrieger | Selbst- und Fremdbezeichnung der Taliban und al-Qaida-Terroristen. |
2000 | national befreite Zone | Zynisch heroisierende Umschreibung einer Region, die von Rechtsextremisten terrorisiert wird, damit sie "ausländerfrei" wird. |
1999 | Kollateralschaden | Verharmlosung der Tötung Unschuldiger als Nebensächlichkeit; NATO-offizieller Terminus im Kosovo-Krieg. |
1998 | sozialverträgliches Frühableben | In einer öffentlichen Erklärung zynisch wirkende Ironisierung; Karsten Vilmar. |
1997 | Wohlstandsmüll | Umschreibung arbeitsunwilliger wie arbeitsunfähiger Menschen; Helmut Maucher, Nestlé. |
1996 | Rentnerschwemme | falsches, angstauslösendes Naturbild für einen sozialpolitischen Sachverhalt |
1995 | Diätenanpassung | Beschönigung der Diätenerhöhung im Bundestag |
1994 | Peanuts | abschätziger Bankerjargonismus; Hilmar Kopper |
1993 | Überfremdung | Scheinargument gegen Zuzug von Ausländern |
1992 | ethnische Säuberung | Propagandaformel im ehemaligen Jugoslawien |
1991 | ausländerfrei | fremdenfeindliche Parole in Hoyerswerda, siehe Ausschreitungen von Hoyerswerda |
Weitere Kandidaten
Neben den Unwörtern des Jahres veröffentlicht die Jury auch weitere Kandidaten für dieses Unwort oder zweit- und drittplatzierte Unwörter.
Jahr | Kandidaten zum Unwort des Jahres[10] | Begründung der Jury |
---|---|---|
2012 | Pleite-Griechen | Der Begriff „diffamiere ein ganzes Volk in ‚unangemessener und unqualifizierter Weise‘“ |
2012 | Lebensleistungsrente | Der Begriff sei eine „irreführende bis zynische Bezeichnung für ein Vorhaben, bei dem unter sehr restriktiven Bedingungen eine geringfügige Zusatzleistung des Staates versprochen wird“ |
2012 | Schlecker-Frauen | Dieser allgemein favorisierte Begriff erinnert an das Wort Trümmerfrauen und wurde im Rahmen der monatelangen Berichterstattung zu einer insolventen Drogeriekette und den um ihre Jobs bangenden Mitarbeiterinnen geprägt. |
2011 | Gutmensch | Insbesondere in Internet-Foren werde der demokratisch geprägte Ausdruck abwertend gebraucht, um Andersdenkende pauschal und ohne Ansehung ihrer Argumente zu diffamieren. Obgleich schon seit über 20 Jahren in dieser Form gebraucht, sei er 2011 einflussreicher geworden und habe somit ein verstärktes Potenzial als Kampfbegriff entfaltet.[12] |
2011 | Marktkonforme Demokratie | Die von Bundeskanzlerin Angela Merkel stammende Formulierung relativiere die Unvereinbarkeit der absoluten Norm Demokratie mit einer Konformität gegenüber jedweder Instanz. Auch wenn der Begriff gegenwärtig kritisch verwendet werde, stehe er für eine bedenkliche Entwicklung der politischen Kultur.[12] |
2010 | Integrationsverweigerer | Das vom ehemaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Umlauf gebrachte Wort unterstelle, viele Migranten verweigerten ihre Integration. In den Debatten um das Thema werde meist ausgeblendet, dass für eine solche Behauptung eine sichere Datenbasis fehle und der Staat für die Integration noch zu wenig tue. |
2010 | Geschwätz des Augenblicks | Angelo Sodano, der Dekan des Kardinalskollegiums, hatte diese Formulierung in der Ostermesse des Papstes benutzt. Damit sei versucht worden, die massiven Vorwürfe sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche beiseitezuschieben. |
2009 | Flüchtlingsbekämpfung | Bundeskanzlerin Angela Merkel benutzte auf einem Bürgerforum den Ausdruck, um damit die Abwehr von Flüchtlingen an den Grenzen Europas zu bezeichnen. Die Jury sagte dazu: „Es ist zu hoffen, dass damit nicht tatsächlich militärische Aktionen gemeint sind. In jedem Fall ist die Gleichsetzung einer Menschengruppe mit einem negativen und deshalb zu bekämpfenden Sachverhalt ein dramatischer sprachlicher Fehlgriff.“ |
2009 | Intelligente Wirksysteme | Der Begriff sei laut der Jury verharmlosend, da damit „ausschließlich [eine] technologisch hochentwickelte Munitionsart“ gemeint ist. |
2008 | Rentnerdemokratie | Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog malte damit ein Schreckenszenario, in dem „die Alten die Jungen ausplündern“ würden. |
2008 | Karlsruhe-Touristen | Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft Rainer Wendt bezeichnete im Zusammenhang der Diskussion der BKA-Gesetzesnovelle damit Bürger, die aufgrund von Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen vor das Bundesverfassungsgericht gehen. Dies wurde als ein bedenkliches Verständnis der Grundrechte gesehen. |
2007 | klimaneutral | Kritisiert wird der Versuch, mit diesem Begriff für eine Ausweitung des Flugverkehrs oder eine Steigerung anderer CO2-haltiger Techniken zu werben, ohne dass dabei deutlich wird, wie diese Klimabelastungen „neutralisiert“ werden sollen. |
2007 | entarten | Umschreibung für Entwicklung von moderner Kunst und Kultur ohne religiöse Bindung, begriffliche Nähe zum Begriff Entartete Kunst im Nationalsozialismus; Kardinal Joachim Meisner |
2006 | Konsumopfer | Umschreibung von Models, die durch Abmagern einem Schönheitsideal der Konsumgesellschaft gerecht werden müssen. |
2006 | Neiddebatte | Diffamierung der öffentlichen Diskussion um übertriebene Managergehälter |
2005 | Ehrenmord | inakzeptable Berufung auf eine archaische „Familienehre“ zur Rechtfertigung der Ermordung eines meist weiblichen Familienmitglieds |
2005 | Bombenholocaust | umstrittene, meist von Rechtsextremen genutzte Umschreibung der Luftangriffe auf Dresden, die Bezug auf den Holocaust nimmt |
2005 | Langlebigkeitsrisiko | unsensibler Fachterminus für das Versicherungsrisiko, das dadurch entsteht, dass Versicherte länger leben als kalkuliert, vgl. auch „Todesfallbonus“ |
2004 | Begrüßungszentren | sprachliche Verniedlichung von Auffanglagern für afrikanische Flüchtlinge; diese Wortbildung ist kongenial zu dem schon offiziellen Namen "Ausreisezentrum" für Abschiebehaftanstalten |
2004 | Luftverschmutzungsrechte | nicht nur ökologisches Unding, das Wort trägt vielmehr auch dazu bei, „Treibhausgasemissionen“ für unbedenklich zu halten, weil ihr Handel rechtlich geregelt wird |
2003 | Angebotsoptimierung | Beschönigung von Dienstleistungsminderungen, etwa Stilllegung von Bahnstrecken; ähnlich „Briefkastenoptimierung“ |
2003 | Abweichler | Diskriminierung von Bundestagsabgeordneten, die Gewissensentscheidung über Fraktions- bzw. Koalitionszwang stellten |
2002 | Ausreisezentrum | Behördenterminus für Sammellager, aus denen abgewiesene Asylbewerber abgeschoben werden |
2002 | Zellhaufen | sprachliche Verdinglichung von Biotechnikern für einen menschlichen Embryo |
2001 | Kreuzzug | pseudoreligiöse Verbrämung kriegerischer Vergeltungsmaßnahmen; US-Präsident George W. Bush |
2001 | Topterrorist | verharmlosende und positivierende Benennung von Osama bin Laden |
2001 | therapeutisches Klonen | zweifelhafte Wortzusammenstellung, um Manipulationen am menschlichen Erbgut gegen Krankheiten bzw. für Therapien in nicht absehbarer Zeit zu rechtfertigen |
2001 | Gewinnwarnung | von Aktionären verwendeter sachlich falscher Begriff, der vor geringeren Gewinnen als erwartet warnt |
2000 | überkapazitäre Mitarbeiter | Reduzierung von zu entlassenden Arbeitnehmern auf rein betriebswirtschaftliche Größen |
2000 | Separatorenfleisch | seriös klingende, bei BSE-Verdacht besonders unangemessene Bezeichnung von Schlachtabfällen |
2000 | „Dreck weg!“ | CDU-Parole in Darmstadt, die sich auch gegen „missliebige“ Menschen richtete |
2000 | Belegschaftsaltlasten | Abfallmetapher für Mitarbeiter, die ein Betrieb gern wieder loswerden möchte |
2000 | Humankapital | als Bezeichnung von Kindern |
2000 | Moralkeule | Fatale Koppelung von „Moral“ und einem Totschlaginstrument; Martin Walser |
2000 | Nachinformation | Euphemismus der Hessen-CDU bezüglich des verspäteten Einräumens von weiteren Details in der CDU-Spendenaffäre, die zuvor vehement bestritten worden waren |
1997 | Organspende | Pervertierung der Begriffe „Spende/spenden“ in der Transplantationsmedizin |
1997 | Blockadepolitik/-politiker | diffamierende Unterstellung einer argumentationslosen Verweigerungshaltung |
1997 | neue Beelterung | bürokratische Umschreibung neuer Erziehungsberechtigter, die an die Stelle der leiblichen Eltern treten sollen |
1996 | Flexibilisierung | Bezeichnung für eine betriebswirtschaftliche Strategie, die den Wert aktiver individueller »Flexibilität« leugnet, diesen Begriff aber schönfärberisch ausbeutet |
1996 | Outsourcing | Imponierwort, das der Auslagerung von Arbeitsplätzen einen seriösen Anstrich zu geben versucht |
1996 | Umbau des Sozialstaats | missbräuchliche Verwendung einer [Auf-]Baumetapher. |
1996 | Gesundheitsreform | missbräuchliche Verwendung des positiv besetzten Begriffs „Reform“ |
1996 | Sozialhygiene | höchst problematische Anwendung von Hygienevorstellungen auf soziale Sachverhalte; vgl. „Rassenhygiene“, „ethnische Säuberungen“ |
1995 | Altenplage | Beleidigung der älteren Generation |
1995 | biologischer Abbau | Zynismus für Ausscheiden aus dem Arbeitsleben |
1995 | sozialverträglicher Stellen-/Arbeitsplatzabbau | schönfärberische Umschreibung für Entlassungen |
1995 | abfackeln (von Sachen und Menschen) | jugendsprachliche zynische Gleichsetzung |
1994 | Besserverdienende | Pseudodefinition für neue staatliche Einnahmequellen |
1994 | Dunkeldeutschland | Ironismus für östliche Bundesländer1 |
1994 | Buschzulage | Gehaltszulage für sog. Aufbauhelfer in den östlichen Bundesländern1 |
1994 | Freisetzungen | für Entlassungen1 |
1993 | kollektiver Freizeitpark | Unterstellung einer sozialpolitischen Wunschvorstellung; Helmut Kohl |
1993 | Sozialleichen | Verstorbene, die aus völliger Verelendung stammen; Objekte für Auto-Crashtests |
1993 | schlanke Produktion/Lean Production (mit weiteren Varianten) | Unternehmensstrategie mit Arbeitsplatzvernichtung |
1993 | Selektionsrest | Für schwerstbehinderte Kinder, die nicht in „Normalklassen“ integriert werden können |
1992 | weiche Ziele | militärsprachliche Umschreibung für ungepanzerte Ziele, oft aber auch für Menschen (fehl-)verwendet |
1992 | auf-/abklatschen | tätliche und tödliche Angriffe auf Ausländer |
1992 | aufenthaltsbeendende Maßnahmen | Abschiebungen im sog. Asylkompromiss; GG Art. 16a |
1992 | Beileidstourismus | für Trauerkundgebungen anlässlich der Morde von Mölln |
1991 | durchrasste Gesellschaft | Mischung der Deutschen mit Ausländern; aus einem Interview mit Edmund Stoiber |
1991 | intelligente Waffensysteme | aus der Golfkriegsberichterstattung |
1991 | Personalentsorgung | für Entlassungen |
1991 | Warteschleife | Phase sozialer Unsicherheit von Arbeitskräften in den östlichen Bundesländern |
Börsenunwort des Jahres
Seit 2001 ermittelt die Börse Düsseldorf das Börsenunwort des Jahres:[20]
Jahr | Börsenunwort des Jahres[20] | Begründung der Jury |
---|---|---|
2012 | freiwilliger Schuldenschnitt | Kritisiert wurde, dass der Schuldenschnitt von Griechenland viele Privatanleger mehr oder weniger enteignete, obwohl diese bei den Verhandlungen ausgeschlossen waren.[21] |
2011 | Euro-Gipfel | Bemängelt werden insbesondere die geringen Auswirkungen der Einzel-Gipfel als auch deren Vielzahl, konträr zu den Eigenschaften eines Berggipfels.[22] |
2010 | Euro-Rettungsschirm | Richtiger wäre gewesen, von einer Notkreditlinie auf Zeit für bis über die Ohren verschuldete Staaten zu sprechen. |
2009 | Bad Bank | Es sei für das Publikum schwer nachvollziehbar, dass eine offenbar schlechte Bank eine weitere Bad Bank gründet und dies eine gute Lösung für Probleme der Finanzkrise sein soll. |
2008 | Leerverkauf | Ist irreführend, weil er befürchten lasse, dass Leerverkäufe ohne jeden „Inhalt“ vonstattengehen könnten. Jeder Verkäufer aber müsse das Wertpapier, ggf. ein ausgeliehenes, im Depot haben, weil er am Kassamarkt binnen zweier Tage seiner Lieferverpflichtung gegenüber dem Käufer nachkommen müsse. |
2007 | Subprime | Subprime heißt übersetzt „unterhalb der Spitze“ und ist somit ein Euphemismus für risikobeladene Anlegerprodukte. Im Sommer 2007 kam es in Verbindung zum Immobilienmarkt zur Subprime-Krise. |
2006 | Börsenguru | „Erstens ist der Begriff an sich irreführend, da es an der Börse prinzipiell keine Gurus geben kann. Im ursprünglichen Wortsinn, begründet in der hinduistischen Lehre, wirken Gurus als allwissende Propheten, die zu mehr Erleuchtung führen sollen – das widerspricht dem Wesen der Börse.“ |
2005 | Heuschrecken | Der Satz von SPD-Chef Franz Müntefering von „anonymen Finanzinvestoren, die wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen herfallen, sie abgrasen und weiterziehen“ prägt ein völlig falsches Bild dieser Investorengruppe. |
2004 | Seitwärtsbewegung | Das Wort sei völlig unsinnig. Denn eine „Seitwärtsbewegung“ an der Börse „findet immer dann statt, wenn sich gerade nichts bewegt“, gemeint ist also de facto Stagnation. Geprägt worden sei der Begriff von Charttechnikern, vermutlich um dem Stillstand noch etwas Dynamik abzugewinnen. |
2003 | Bester Preis | |
2002 | Enronitis | „Enronitis setzt Verfehlungen einiger weniger an der Börse mit einem seuchenartigen Krankheitsverlauf wie einer Epidemie gleich – eine glatte Fehlbesetzung. Entstanden ist der Begriff aus dem Bilanzfälschungsskandal des amerikanischen Energiehändlers Enron, der im Februar 2002 die Börsen überraschte. Als im Zuge verschärfter Kontrollen weitere Fälle bekannt wurden, kursierte bald darauf das Wort Enronitis als Synonym für den Vertrauensverlust der Anleger.“ |
2001 | Gewinnwarnung |
Siehe auch
- Wort des Jahres (Deutschland)
- Wort des Jahres (Liechtenstein)
- Wort des Jahres (Österreich)
- Unwort des Jahres (Schweiz)
Literatur
- Wörter und Unwörter. Sinniges und Unsinniges der deutschen Gegenwartssprache. Herausgegeben von der Gesellschaft für deutsche Sprache. Falken-Verlag, Niedernhausen 1993. ISBN 3-8068-1401-5
Weblinks
- Website der Aktion Unwort des Jahres
- Unwörter des Jahres bei der Gesellschaft für deutsche Sprache
- Horst Dieter Schlosser: Unwort des Jahres. Goethe-Universität Frankfurt, abgerufen am 27. April 2010 (Informationen zu einer sprachkritischen Aktion).
Einzelnachweise
- ↑ »Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres« Allgemeines
- ↑ Satzung der Jury „Wort des Jahres“
- ↑ Unwort des Jahres: „Opfer-Abo“? Findet Kachelmann gut. Spiegel Online. Abgerufen am 15. Januar 2013.
- ↑ Pressemitteilung „Unwahl des Jahres“ 2005“.
- ↑ Universität des Saarlandes: Prof. Christian Scholz zur Wahl des Wortes "Humankapital" zum Unwort 2004. Presseinformation vom 20. Januar 2005.
- ↑ 6,0 6,1 Startseite der Sprachkritischen Aktion Unwort des Jahres
- ↑ Gerrit Kloss: Hat Jörg Kachelmann das "Opfer-Abo" erfunden?; in FAZ vom 23. Januar 2013, Ressort: Natur und Wissenschaft, Seite N5
- ↑ Mitglieder der Jury seit 1991, abgerufen 3. Januar 2011, 13.30 Uhr
- ↑ Keine Bange vor bösen Mails, FR vom 4. März 2011
- ↑ 10,0 10,1 Die bisher gekürten Unwörter. Abgerufen am 26. September 2009.
- ↑ “Sozialtourismus” ist das Unwort des Jahres, Süddeutsche Zeitung, 14. Januar 2014
- ↑ 12,0 12,1 12,2 Pressemitteilung: Unwort des Jahres 2011 (PDF; 458 kB), 17. Januar 2012
- ↑ Diskriminierende Bezeichnung: Wie der Begriff "Döner-Morde" entstand Spiegel Online, 4. Juli 2012. Abgerufen am 4. Juli 2012
- ↑ Tagesschau, „Alternativlos“ ist das Unwort des Jahres, 18. Januar 2011
- ↑ Süddeutsche Zeitung, Tiefpunkt in einem Baumarkt, 19. Januar 2010
- ↑ Financial Times Deutschland
- ↑ Monitor-Beitrag vom 14. Mai 2009, in dem der Begriff erstmals genannt wurde
- ↑ Tagesschau.de, "Notleidende Banken" ist "Unwort des Jahres" (nicht mehr online verfügbar), 20. Januar 2009
- ↑ stern.de, Unwort des Jahres, 19. Januar 2007
- ↑ 20,0 20,1 Börsen-Unwort 2008: „Leerverkauf“. Boerse Düsseldorf, 20. Januar 2009, abgerufen am 7. Dezember 2009 (Bisherige Börsen-Unwörter im letzten Absatz).
- ↑ Börsen-Unwort des Jahres: "Frewilliger Schuldenschnitt" ist Börsenunwort 2012. wallstreet-online.de. Abgerufen am 20. Januar 2013.
- ↑ Pressemitteilung: Börsen-Unwort 2011 – „Euro-Gipfel“, 17. Januar 2012
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