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Vorfahr
Vorfahr(e) (von althochdeutsch -faro „Fahrender“; weiblich: Vorfahrin)[1] bezeichnet ein biologisches Eltern- oder Vorelternteil eines Lebewesens, von dem es in direkter Linie abstammt und dessen blutsverwandter Nachfahre es ist. Zweigeschlechtliche Lebewesen haben Vorfahren der mutter- und der vaterseitigen Linie (maternal, paternal); als Sammelbezeichnung für alle Vorfahren männlichen und weiblichen Geschlechts wird auch die Pluralform Ahnen verwendet. Die Vorfahrenschaft heißt fachsprachlich Aszendenz (lateinisch ascendere „hinaufsteigen“: aufsteigend) – ihr Gegenteil ist in absteigender Linie die Deszendenz: die Nachkommenschaft eines Lebewesens. Im übertragenen Sinne werden ganze Tierarten als Vorfahren von Arten bezeichnet, die sich aus ihnen entwickelt haben, beispielsweise gelten Dinosaurier als Vorfahren der Vögel, weil sie erstmals wärmende Federn entwickelten.
Von den biologischen Abstammungslinien unterscheiden sich in menschlichen Gesellschaften die kulturellen Abstammungsregeln, weil sie zu den Vorfahren einer Person auch Verwandte in geschwisterlichen Seitenlinien rechnen, sowie rechtliche Verwandte durch Adoption oder Vaterschaftsanerkennung, während in Kulturen mit einlinigen Abstammungsregeln von Vorvätern oder Vormüttern nur die Vorfahren eines Elternteils von Bedeutung sind (siehe unten).
Ahn(e), weiblich Ahne oder Ahnin,[2] bezeichnet im engeren Sinne einen toten Vorfahren, einen Altvorderen (siehe Ahnenkult/Ahnenverehrung). Allgemein werden als Ahnen weit zurückliegende Vorfahren-Generationen bezeichnet, im weitesten Sinn alle Vorfahren, und im übertragenen Sinne geistige Vorfahren einer Idee oder Tradition (Vorläufer). Das Wort „Ahn“ geht zurück auf mittelhochdeutsch an(e), althochdeutsch ano, bis auf einen Ursprung als „Lallwort der Kindersprache für ältere Personen aus der Umgebung des Kindes“ (Duden); früher bezeichnete es regional auch den Großvater.[2] Die Ahnenforschung, eine historische Hilfswissenschaft, sammelt systematisch Informationen zu den Vorfahren einer Person (siehe unten).
Urahn(e)[3] und Urahnin bezeichnen Vorfahren mit mehreren Generationen Abstand zur betreffenden Person, oder die frühesten nachweisbaren Vorfahren (Spitzenahnen), oder einen Stammvater (Ahnherr) oder eine Stammmutter (Ahnherrin).
Kulturelle Unterschiede zur biologischen Vorfahrenschaft
In allen sozialen Gruppen und Gesellschaften bestimmen kulturelle Abstammungsregeln, ob nur eine oder beide Abstammungslinien der Eltern zu den Vorfahren einer Person gerechnet werden, und inwieweit auch Seitenverwandte sowie adoptierte oder anerkannte Verwandte zu ihrer Vorfahrenschaft gehören.
Das engste soziale Konstrukt von Abstammung ist der „Mannesstamm“, vor allem bei Adelsfamilien: Bei ihnen beschränkt die Stammlinie die Vorfahren einer Person auf ihre Vorväter, zu denen in jeder Generation nur der älteste eheliche Sohn des Vorvaters gerechnet wird, der Agnat (siehe auch Erstgeborener, Erstgeburtsrecht). Dagegen beschränken etwa 160 Ethnien und indigene Völker ihre Vorfahrenschaft nur auf ihre Mütterlinie.[4] Im Unterschied zu diesen einlinigen Abstammungsregeln gilt im europäischen Kulturraum die gleichwertige Herkunft von Vater und Mutter (kognatisch-bilateral), wie in den meisten hochindustrialisierten Gesellschaften; dieser Regel folgen auch fast 30 Prozent der weltweit 1300 ethnischen Völker.[4] Der Bezug auf die Vorfahren beider Linien führt allerdings dazu, dass nicht sehr viele Generationen erinnert werden können und die Anzahl der Seitenverwandten sehr groß wird; demgegenüber können Angehörige einer Kultur mit reinen Mütter- oder Väterlinien bis zu zehn und mehr Generationen ihrer Vorfahren benennen.
Einen weiteren Unterschied zur biologischen Vorfahrenschaft der (Vor)Elternteile bilden Seitenlinien von Geschwistern der Eltern und Voreltern, die oft zusammen mit ihrer jeweiligen Nachkommenschaft zu den Vorfahren einer Person gerechnet werden; seitenverwandte Vorfahren sind beispielsweise Onkel (Brüder der Eltern) und Urgroßtanten (Töchter von Geschwistern der Ururgroßeltern). Allerdings können bei der mündlichen oder schriftlichen Überlieferung von Vorfahren-Generationen ganze Seitenlinien unterschlagen worden sein, wenn beispielsweise ein Vorfahre aufgrund von Unehelichkeit oder Streit, oder als „Schwarzes Schaf“ von seiner (Groß)Familie ausgestoßen und im Folgenden – zusammen mit seinen Nachkommen – verleugnet wurde.
Den dritten Unterschied zu genetischen Vorfahren bilden rechtliche Vorstellungen, die durch Adoption oder Vaterschaftsanerkennung die Eingliederung von Personen in die eigene Vorfahrenschaft ermöglichen, die nicht blutsverwandt mit anderen Vorfahren sind oder waren.
Ahnenforschung
In der Familiengeschichtsforschung (Genealogie) werden die namentlich bekannten Vorfahren einer Person, auch die lebenden, in einer „Ahnenliste“ oder „Ahnentafel“ dargestellt: Die Eltern beider Elternteile sind die vier Großeltern, alle deren Geschwister sind die Großonkel und -tanten, deren Eltern die acht Urgroßeltern, und so weiter aufsteigend (siehe Verwandtschafts- und Generationsbezeichnungen). Dabei kann die Darstellung auf alle vater- und mutterseitigen Voreltern beschränkt sein (ebenfalls in der Tierzucht üblich), oder auch Seitenlinien von Geschwistern der Eltern und Voreltern-Generationen einschließen (siehe dazu auch den „Stammbaum“).
Als „Spitzenahn“ wird entweder ein Stammvater (Ahnherr) oder eine Stammmutter (Ahnherrin) bezeichnet,[5] oder der älteste nachweisbare Vorfahre als frühester belegter Urahn einer Person.[6]
In der modernen Genealogie sind mutter- und vaterseitige Vorfahren von gleicher Bedeutung. Dabei findet sich oft in entfernten Seitenlinien ein Ahn, der auch in der Ahnenliste einer anderen (bekannten) Person enthalten ist; eine solche weit zurückliegende Verwandtschaft wird als „Ahnengemeinschaft“ bezeichnet (im Unterschied zur „Gemeinschaft der Ahnen“ bei der Ahnenverehrung). Eine vollständige, deckungsgleiche Ahnengemeinschaft haben vollbürtige Geschwister aufgrund ihrer identischen Vorfahren.
Einige Ahnen können gleichzeitig an zwei Stellen der Ahnenliste stehen, beispielsweise führen Cousinenheiraten dazu, dass für ihre Nachkommen zwei Großelternteile als Eltern der verschwisterten Eltern gleich vier Ahnenpositionen belegen, und diese Überschneidungen setzen sich rückwärtig fort; dieser Effekt wird „Ahnenschwund“ genannt: Die mathematisch mögliche Anzahl der Ahnen schwindet auf eine geringere Anzahl tatsächlicher Vorfahren, es entsteht ein „Ahnenverlust“.
Als „Stiefahnen“ werden (spätere) Ehepartner von Vorfahren einer Person bezeichnet, von denen sie nicht abstammt, beispielsweise ein Stiefvater oder eine spätere Ehefrau des Großvaters (Stiefgroßmutter); zu ihnen besteht keine Verwandtschaft, sondern ein angeheiratetes Schwägerschaftsverhältniss, das in neuerer Zeit auch die eingetragenen Lebenspartner von Vorfahren einbezieht.
Literatur
- Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. Leipzig 1793–1801:
- Vorfahr., Band 4, Spalte 1262–1263.
- Ahn. Band 1, Leipzig 1793–1801, Spalte 185.
- Urahn. Band 4, Leipzig 1793–1801, Spalte 958.
- Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Leipzig 1854–1960:
- Rosel Weidhase: Ahn. In: Goethe-Wörterbuch. Band 1, Stuttgart 1978, Spalte 292.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Duden-Redaktion: Vorfahr. In: Duden online. , abgerufen am 21. Januar 2014: „Vorfahr, der […] Angehöriger einer früheren Generation (der Familie) […] Herkunft: mittelhochdeutsch vorvar, 2. Bestandteil mittelhochdeutsch -var, althochdeutsch -faro = Fahrender, ursprünglich = Vorgänger (z. B. im Amt)“ .
Ebenda: Vorfahre: „Verwandte Form: Vorfahr“.
Ebenda: Vorfahrin: „weibliche Form zu Vorfahr(e)“. - ↑ 2,0 2,1 Duden-Redaktion: Ahn. In: Duden online. , abgerufen am 21. Januar 2014: „Ahn, der […] Bedeutungen: 1. <meist im Plural> (gehoben) Vorfahr; 2. (veraltet, noch landschaftlich) Großvater […] Herkunft: mittelhochdeutsch an(e), althochdeutsch ano, ursprünglich Lallwort der Kindersprache für ältere Personen aus der Umgebung des Kindes“ .
Ebenda: Ahne: „Substantiv, feminin […] weibliche Form zu Ahn […] Herkunft: mittelhochdeutsch ane, althochdeutsch ana“.
Ebenda: Ahnin: „Substantiv, feminin […] Bedeutung: Ahne“. - ↑ Duden-Redaktion: Urahn. In: Duden online. , abgerufen am 21. Januar 2014: „Urahn, der […] ältester nachweisbarer oder sehr früher Vorfahr […] Synonyme zu Urahn: Stammvater, Vorfahre; (gehoben veraltend) Ahnherr; (veraltet) Altvater […] Herkunft: mittelhochdeutsch urane, althochdeutsch urano“ .
Ebenda: Urahne: „Substantiv, maskulin […] Nebenform von Urahn“.
Ebenda: Urahne: „Substantiv, feminin […] weibliche Form zu Urahn […] Synonyme zu Urahne: Stammmutter, Vorfahrin; (gehoben veraltend) Ahnfrau“. - ↑ 4,0 4,1 J. Patrick Gray: Ethnographic Atlas Codebook. In: World Cultures. Band 10, Nr. 1, 1998, S. 86–136, hier S. 104: Tabelle 43 Descent: Major Type (PDF-Datei; 2,4 MB; ohne Seitenzahlen; eine der wenigen Auswertungen aller damaligen 1267 Ethnien): „584 Patrilineal […] 160 Matrilineal […] 349 Bilateral“ (= 46,1% patrilinear; 12,6% matrilinear; 27,6% kognatisch-bilateral). Ende 2012 waren im Ethnographic Atlas by George P. Murdock weltweit genau 1300 Ethnien erfasst.
- ↑ Karl Hauck: Haus- und sippengebundene Literatur mittelalterlicher Adelsgeschlechter, von Adelssatiren des 11. und 12. Jahrhunderts her erläutert. In: Walter Lammers (Hrsg.) Geschichtsdenken und Geschichtsbild im Mittelalter. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1961, S. 165–199, hier S. 173 (erstveröffentlicht 1954; PDF-Datei; 1,6 MB; 36 Seiten bei Monumenta Germaniae Historica): „Friedrich, der neue Herzog, der durch die besondere Gnade Gottes zum Spitzenahnen der staufischen Herrscher aufgerückte Vorfahr Barbarossas; […]“. Anmerkung: Die Bezeichnung Spitzenahn des anerkannten deutschen Mediävisten wurde von Fachwissenschaftlern und Ahnenforschern aufgegriffen.
- ↑ Wiki-Eintrag: Spitzenahnen. In: GenWiki. 10. Januar 2009, abgerufen am 21. Januar 2014: „Spitzenahnen sind die jeweils ältesten Vorfahren in einer Ahnenreihe, zu denen Daten für die Eltern fehlen.“
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