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Reinhard Gehlen

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Reinhard Gehlen (* 3. April 1902 in Erfurt; † 8. Juni 1979 in Berg am Starnberger See) leitete als Generalmajor der Wehrmacht die Abteilung Fremde Heere Ost (FHO) im Generalstab des Heeres. In der Bundeswehr bekleidete er den Dienstgrad eines Generalleutnants der Reserve. Nach dem Zweiten Weltkrieg baute er mit dem Einverständnis der amerikanischen Besatzungsmacht einen Auslandsnachrichtendienst auf, die Organisation Gehlen, die 1955 von der Bundesregierung übernommen und 1956 in den Bundesnachrichtendienst (BND) umgewandelt wurde. Er leitete diese Behörde von 1956 bis 1968.

Leben

Herkunft

Reinhard Gehlen wurde als Sohn einer bürgerlichen Familie in Erfurt geboren. Sein Vater Walther (1871–1943) war Major a. D. der Artillerie und ab 1908 Buchhändler in Breslau, wo Reinhard aufwuchs. Walther Gehlen war zuletzt Direktor für den Ferdinand-Hirt-Verlag in Breslau, dessen Leitung er von seinem Bruder Max Gehlen übernommen hatte.[1] Seine Mutter Katharina van Vaernewyk (1878–1922) stammte aus Flandern. Reinhard Gehlen war ein Cousin des einflussreichen Soziologen Arnold Gehlen.

Militärischer Werdegang

Reichswehr

Beförderungen

Nach dem Abitur am humanistischen König-Wilhelm-Gymnasium in Breslau trat Gehlen am 20. April 1920 als Offizieranwärter in das 6. leichte Artillerieregiment der Reichswehr in Schweidnitz ein. Im Oktober des gleichen Jahres wurde er in das Artillerie-Regiment 3 versetzt. Von September 1926 bis Oktober 1928 wurde er aufgrund seiner Fähigkeiten als Bereiter an die Kavallerieschule Hannover versetzt und schloss diese mit dem Dienstgrad eines Oberleutnants ab. Von November 1928 bis März 1929 wurde er in den Stab V. (reit.)/Artillerieregiment 3 versetzt. Von April 1929 bis September 1933 war er Bataillonsadjutant des 1./Artillerieregiment 3; im Oktober wurde er in das 14./Artillerieregiment 3 versetzt.

Wehrmacht

Allgemein
Reinhard Gehlen

Von Oktober 1933 bis Juli 1935 war er zur Verwendung beim Chef der Heeresleitung, General der Infanterie Kurt von Hammerstein-Equord, und kommandiert zu den geheimen Generalstabslehrgängen. Im Mai 1935 wurde er zur Kriegsakademie kommandiert. Von Juli 1935 bis Juli 1936 war er Adjutant beim Oberquartiermeister I im Generalstab des Heeres im Reichskriegsministerium in Berlin. Im Juli 1936 erfolgte die Versetzung in die I. Abteilung und im Juli 1937 in die 10. Abteilung des Generalstabs des Heeres. Er unterstand zu dieser Zeit Generalmajor Erich von Manstein. Gehlen wurde 1937 Sturmbannführer der SS.[2]

Von November 1938 bis August 1939 war er Batteriechef (Feldhaubitzen) der 8./Artillerieregiment 18 in Liegnitz. Im August 1939 wurde er Erster Generalstabsoffizier (Ia) der 213. Infanterie-Division und nahm am Polenfeldzug teil. Von Oktober 1939 bis Mai 1940 war er als Gruppenleiter für die Landesbefestigungen im Generalstab des Heeres zuständig. Von Mai bis Juni 1940 war er Verbindungsoffizier des Oberkommandos des Heeres zur 16. Armee sowie zu den Panzergruppen Hoth und Guderian. Im Juni 1940 wurde er I. Adjutant von Generalstabschef Franz Halder. Von Oktober 1940 bis April 1942 war er Leiter der Gruppe Ost der Operationsabteilung des Generalstabes des Heeres, die von Oberst i. G. Adolf Heusinger (nachmaliger Generalinspekteur der Bundeswehr) geleitet wurde.

Gehlen war an den Vorbereitungen für das Unternehmen Barbarossa, dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941, beteiligt; er war insbesondere für die Planungen Transport und Reserve-Nachführung zuständig. Nach den Rückschlägen an der Ostfront im Winter 1941/42 (Schlacht um Moskau) suchte der Generalstab nach einer neuen Führung für seinen Heeresnachrichtendienst, der in Konkurrenz zum Reichssicherheitshauptamt stand. Obwohl Gehlen sich nie mit Geheimdienstarbeit beschäftigt hatte, keine Fremdsprache sprach und keine Kenntnisse über die Sowjetunion vorweisen konnte, wurde er im Mai 1942 zum Chef der „Abteilung Fremde Heere Ost“ ernannt und war somit auch Chef der Aufklärung Ost und vor allem deren Auswertung. Anfangs war er auch noch für Skandinavien, Südeuropa sowie die Luftrüstung der USA zuständig.

Abteilung Fremde Heere Ost

Beförderungen

Zügig baute er seine Dienststelle um, die ursprünglich Informationen des Leiters der Abwehr Admiral Wilhelm Canaris bewertete. Sie konnte, ohne andere Dienststellen einbeziehen zu müssen, Nachrichten integriert auswerten. Gehlen bekam Informationen auch durch drastische Massenbefragungen von Kriegsgefangenen nach der Devise des Oberkommandos des Heeres: „Jede Nachsicht und Menschlichkeit gegenüber den Kriegsgefangenen ist streng zu tadeln.“ Gehlen setzte Heinz Herre für die Auswertung, Gerhard Wessel für die Aufklärung der Roten Armee und Hermann Baun für das Agentennetz im Feindgebiet vor der Front ein. Diese drei übernahm er 1946 nach dem Krieg in die Organisation Gehlen.

Nach der Niederlage von Stalingrad im Winter 1942/43 arbeitete Gehlen mit dem Auslandsnachrichtendienst der SS unter der Leitung von Walter Schellenberg zusammen. Beide wollten mit sowjetischen Kriegsgefangenen, Überläufern und Antikommunisten 1943 in der Sowjetunion eine Truppe unter General Wlassow als Komitee zur Befreiung der Völker Russlands neben den Kampfverbänden auch zur Aufklärung aufbauen. Otto Skorzeny sollte ebenfalls hinter der Front eine Widerstandsorganisation aufbauen.

Bei der Aufklärung der sowjetischen Kräfte im Bereich der Heeresgruppe Mitte blieben seit Beginn 1944 die 6. Garde-Armee und die 5. Garde-Panzer-Armee bis zum Beginn der sowjetischen Operation Bagration unerkannt, für deren Auswertung und Lagefeststellung und -beurteilung die Abteilung Fremde Heere Ost zuständig war.

Gehlen schlug noch die „Aktion Werwolf“, einen Widerstand aus Erddepots, vor. Bis heute liegen nur einige wissenschaftlich fundierte Analysen über die Arbeit von Fremde Heere Ost vor.[3]

Ab Oktober 1944 plante Gehlen für die Zeit nach dem Krieg. Dafür entwickelte er eine Hypothese, die sich später als richtig erwies: „Die Westmächte werden sich gegen den Verbündeten Russland wenden. Dabei werden sie mich, meine Mitarbeiter und meine kopierten Dokumente im Kampf gegen eine kommunistische Expansion benötigen, weil sie selbst keine Agenten dort besitzen.“

Kriegsende und -gefangenschaft
Reinhard Gehlen 1945 (vom United States Army Signal Corps angefertigte Fotos aus Gehlens Kriegsgefangenenakte)

Anfang März 1945, rechtzeitig vor Kriegsende, ließ Gehlen die gesamten nachrichtendienstlichen Materialien von wenigen handverlesenen Mitarbeitern auf Mikrofilm vervielfältigen und, in wasserdichten Fässern verpackt, verteilt auf mehrere Bergwiesen, in den österreichischen Alpen vergraben.[4]

Vorher hatte Gehlen seine Familie von Liegnitz über Naumburg in den Bayerischen Wald geschickt, damit sie nicht der Roten Armee in die Hände fiel. Mit seinen Mitarbeitern Wessel und Baun schloss er den „Pakt von Bad Elster“. Sie verabredeten eine geordnete Übergabe an die Amerikaner.

Am 9. April 1945 hatte Hitler Gehlen entlassen; Gerhard Wessel wurde, wie später 1968 beim BND, sein Nachfolger. Schließlich verließ Gehlen am 28. April das Hauptquartier der Wehrmacht in Bad Reichenhall, versteckte sich auf der Elendsalm bei Miesbach und stellte sich zusammen mit sechs Offizieren in Fischhausen am Schliersee am 22. Mai 1945 Soldaten der 7. US-Armee.

Gehlen musste erreichen, dass er für seine Handlungen an der Ostfront nicht, wie zwischen den Alliierten verabredet, an die Sowjetunion ausgeliefert wurde. Deshalb versuchte Gehlen, den ihn vernehmenden Amerikanern die Bedeutung seiner Person für die Nachkriegszeit zu verdeutlichen. Doch er stieß bei ihnen zunächst nur auf wenig Interesse. Über Wörgl und Salzburg gelangte er zur Vernehmung in die Villa Pagenstecher in Wiesbaden. Dort wurde er von General Sibert vernommen. Im Gespräch stellte sich heraus, dass beide sehr ähnliche Visionen über die Rolle der Amerikaner in der Zukunft hatten. Die von Gehlen versteckten Dokumentenkisten wurden ausgegraben und ins document center nach Höchst gebracht. Captain Boker sammelte wichtige Mitstreiter Gehlens ein und entzog sie einer Inhaftierung.[4]

Gehlen, der in Kriegsgefangenschaft der US Army Air Force war, wurde schließlich 1945 mit sechs ehemaligen Mitarbeitern und den Dokumenten durch das Kriegsministerium der Vereinigten Staaten in die USA nach Fort Hunt, Virginia bei Washington, D.C. geflogen. Die Alliierten nahmen wie im Fall Gehlen zunächst auch andere Experten in Gewahrsam, unter anderen den Raketenforscher Wernher von Braun und die Atomphysiker um Otto Hahn.

Aufbau eines Geheimdienstes

Organisation Gehlen

Über den Ablauf und das Ergebnis der Vernehmung in den USA ist nichts Genaues bekannt. Etwa 3000 Dokumente des National Archives über Gehlen für die Zeit 1945 bis 1955 wurden 2000–2002 zugänglich. Eine historisch fundierte Auswertung fehlt bislang jedoch. Gehlen wurde im Juni 1946 von Fort Hunt nach Camp King bei Oberursel zurückgebracht. Im Juli 1946 wurde vom US-amerikanischen Heeresnachrichtendienst G-2 Section[5] dann die zunächst von den USA finanzierte spätere Organisation Gehlen gegründet, deren Chef er zum Jahresende 1946 wurde. Arbeitsgrundlage war folgende mündliche Übereinkunft:[6]

  1. Es wird eine deutsche nachrichtendienstliche Organisation unter Benutzung des vorhandenen Potenzials geschaffen, die nach Osten aufklärt bzw. die alte Arbeit im gleichen Sinn fortsetzt. Die Grundlage ist das gemeinsame Interesse an der Verteidigung gegen den Kommunismus.
  2. Die deutsche Organisation arbeitet nicht für oder unter den Amerikanern, sondern mit den Amerikanern zusammen.
  3. Die Organisation arbeitet unter ausschließlicher deutscher Führung, die ihre Aufgaben von amerikanischer Seite gestellt bekommt, solange in Deutschland noch keine deutsche Regierung besteht.
  4. Die Organisation wird von amerikanischer Seite finanziert … Dafür liefert sie alle Aufklärungsergebnisse an die Amerikaner.
  5. Sobald wieder eine souveräne deutsche Regierung besteht, obliegt dieser Regierung die Entscheidung darüber, ob die Arbeit fortgesetzt werden soll oder nicht …
  6. Sollte die Organisation einmal vor der Lage stehen, in der das amerikanische und deutsche Interesse voneinander abweichen, so steht es der Organisation frei, der Linie des deutschen Interesses zu folgen.

Dieser Text erinnert in seiner Tendenz an die Himmeroder Denkschrift. An ihrer Erstellung 1950 waren auch Adolf Heusinger, Hans Speidel und Hermann Foertsch beteiligt.[7]

Ab dem 6. Dezember 1947 (Codename Nikolaus) wurde die Organisation in der ehemaligen „Reichssiedlung Rudolf Heß“ in der Heilmannstraße in Pullach untergebracht, weil das Camp zu klein wurde und der Geheimhaltungszwang dort in dem von 1936 bis 1938 für die NS-Elite gebauten Dorf mit anfangs 20 Häusern hinter hohen Mauern besser zu gewährleisten war. Ab dem 1. Juli 1949 übernahm die antikommunistische CIA die Organisation Gehlen. Die Organisation Gehlen nahm eine Doppelfunktion für die CIA und die noch junge Bundesrepublik Deutschland wahr. Sie war ähnlich aufgebaut wie ihr Vorläufer Fremde Heere Ost: Leitung durch Gehlen, Gerhard Wessel für die Auswertung und Hermann Baun für ein Agentennetz verantwortlich. Sie setzten auch ihre bewährten Methoden ein: Kriegsgefangene, ehemalige Zwangsarbeiter und Flüchtlinge wurden in Auffanglagern systematisch ausgefragt.

Reinhard Gehlen selbst verstand seine Organisation von Anfang an als eine Vorform eines irgendwann eigenständigen deutschen Nachrichtendienstes. Konrad Adenauer wurde von den Alliierten keine große Wahl bei der Berufung des eigenen Sicherheitsapparats gelassen. Daher war ihm klar, dass ein völlig unabhängiger westdeutscher Auslandsnachrichtendienst genauso undenkbar war wie eine unabhängige westdeutsche Armee. So akzeptierte er die Umwandlung der Organisation Gehlen, in der eine Reihe ehemaliger Offiziere der Wehrmacht, RSHA- und SS-Mitglieder als Personalreserve „geparkt“ waren. Gehlen verheimlichte ihre Identität, um sie vor dem Zugriff der Alliierten zu schützen und eine Entnazifizierung zu erschweren. Auf „Empfehlung“ der Briten berief Adenauer den ehemaligen General der Panzertruppe Gerhard Graf von Schwerin zu seinem „Berater in Sicherheitsfragen“. Dieser gründete eine Art Nachrichtendienst mit dem Tarnnamen „Zentrale für Heimatdienst“, die mit Joachim Oster und Friedrich Wilhelm Heinz als Prominente aus der ehemaligen Abwehr besetzt war. Im Gegensatz zu Gehlen unterhielt Heinz gute Kontakte zur französischen Besatzungsmacht. Gehlen konnte schließlich über Adenauers Staatssekretär Hans Globke erreichen, dass Heinz am 1. Oktober 1953 beurlaubt und kurz darauf entlassen wurde.

Nach Beginn des Koreakrieges am 20. Juni 1950 nahm Gehlen verstärkt Kontakt zur Adenauer-Regierung und zur SPD-Opposition auf. Er schaltete sich über seine Mitarbeiter Heusinger, Speidel und Foertsch in die Planungen zur Wiederbewaffnung ein.[8] Gehlen verstand es, in den ersten zehn Jahren nach Ende des Krieges durch die Anwerbung auch vieler Geheimdienstler mit zweifelhafter NS-Vergangenheit, wie Heinz Felfe, schnell einen professionellen Nachrichtendienst aufzubauen. Dieser war aber auch eben wegen dieser Belastung von potentiellen Verrätern durchsetzt. Hunderte von Agenten, Funkcodes und Kommunikationswegen wurden verraten. Doch angesichts der zahlreichen „Maulwürfe“ im britischen Geheimdienst war dies keine Gehlen-spezifische Erscheinung. So verstand Gehlen es ebenso, seine Rivalen um Gerhard Graf von Schwerin in Bonn als Auslandsgeheimdienst auszumanövrieren, wie ihm die Beschränkung des Militärischen Abschirmdienstes auf die Spionageabwehr innerhalb der Bundeswehr und die Sicherheitsüberprüfung ihres Personals gelang. Auch mit Otto John, dem ersten Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, kam es zu Auseinandersetzungen. Johns Übertritt nach Ost-Berlin 1954, dessen Umstände bis heute nicht vollständig geklärt sind, kommentierte Gehlen, der eine „Abneigung gegen Anti-Hitler-Emigranten“ (Der Spiegel) hegte, mit „Einmal Verräter, immer Verräter!“, indem er einen Zusammenhang mit Johns Beteiligung am Widerstand gegen den Nationalsozialismus herstellte.[9]

Gehlen war nicht ungeschickt darin, sich aus allen politischen Lagern Zustimmung für seinen Nachrichtendienst zu beschaffen. Dabei spielte seine Neigung, sich mit der Aura des Undurchschaubaren, Rätselhaften und Geheimnisvollen zu umgeben, ebenso eine Rolle wie sein Zusammenspiel mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel, zu dem er enge Kontakte unterhielt. Auch dies war nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, dass dort in den frühen 1950er Jahren ehemalige Offiziere der Wehrmacht arbeiteten.

Gründung des Bundesnachrichtendienstes

CIA-Bericht von 1952 über die Gründungsgespräche des BND

Bereits 1951 begann die Diskussion über die Einrichtung eines oder mehrerer Nachrichtendienste auf Bundesebene.[10] Laut einem Bericht der Central Intelligence Agency wurde der Name Bundesnachrichtendienst (BND) erstmals im August und September 1952 bei Gesprächen im Kanzleramt verwendet. An den geheimen Gründungsgesprächen, die im Büro des damaligen Ministerialrates Karl Gumbel stattfanden, nahmen neben Hans Globke und Reinhard Gehlen auch die Mitarbeiter Gehlens Hans von Lossow, Horst Wendland und Werner Repenning teil.[11] Ein Ergebnis der Verhandlungen war, dass die Organisation ab dem 1. April 1953 ganz aus Bundesmitteln finanziert werden sollte.[12]

Am 1. April 1956 ging aus der mehrere tausend Mitarbeiter[13] zählenden „Organisation Gehlen“ der BND hervor, dessen Präsident er bis 1968 war. Sein Deckname war „Dr. Schneider“.[11] Dienstintern wurde er auch mit der Nummer 106 bezeichnet.[14] Mit dem technischen Wandel der Geheimdienstarbeit und unter dem Vorbild der Besatzungsmacht USA verlagerte sich die Informationsbeschaffung zusehends von menschlichen Zuträgern zu leistungsstarken technischen Mitteln. Mit der Gründung der Bundeswehr wechselten nicht wenige ehemalige Offiziere der Wehrmacht aus der „Personalreserve“ in die neue reguläre Armee. Damit schrumpfte die Bedeutung der alten Seilschaften aus den Tagen der „Fremde Heere Ost“, und zivile, besser ausgebildete Leute stießen zum BND. Schließlich wurde Gehlen selbst zu einem Relikt aus einer vergangenen Epoche. Mit seinem Buch Verschlußsache kanzelte er seinen Nachfolger Gerhard Wessel ab und vergiftete für längere Zeit die Geheimdienstdebatte.

Reinhard Gehlen verhalf dem engsten Mitarbeiter von Adolf Eichmann, dem in Israel und Österreich steckbrieflich gesuchten Alois Brunner, zur Flucht nach Syrien und galt laut Informationen aus Otto Köhlers Buch Unheimliche Publizisten als enger Freund von Gerhard Frey, dem Gründer und Vorsitzenden der Deutschen Volksunion und Herausgeber der National-Zeitung.[15]

Flankiert von einer achtteiligen Serie in der auflagenstarken Zeitschrift Quick publizierte Gehlen 1971 unter dem Titel Der Dienst seine Erinnerungen. In der Tageszeitung Die Welt erschien in Auszügen ein 16teiliger Vorabdruck. Das Buch selbst erreichte Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste. Kritiker bemängelten eine technokratische Darstellung, die nichts wirklich Neues enthalten würde und in erster Linie Gehlen selbst in strahlendem Licht erscheinen lassen sollte. Der amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA hielt den Text für materialschwach, wenig aufregend und in den angloamerikanischen Ländern nur mäßig zu vermarkten. Um Gehlens Memoiren in der englischsprachigen Fassung dramatischer erscheinen zu lassen, wurde David Irving engagiert, der den Text zusammen mit seiner damaligen Mitarbeiterin Elke Fröhlich entsprechend bearbeitete.[16]

Bundeswehr

In der Bundeswehr bekleidete Gehlen zuletzt den Dienstgrad eines Generalleutnants der Reserve.[17]

Familie

Gehlen war evangelischer Konfession. Er war ab 1931 mit der schlesischen Offizierstochter Herta von Seydlitz-Kurzbach verheiratet und Vater von vier Kindern. Von seinem Bruder Johannes Gehlen (1901–1986), später auch für die Organisation Gehlen aktiv, sollte er erst später erfahren. Dieser wuchs in Rom bei Pflegeeltern auf. Ein weiterer Bruder verstarb 1944 bei einem Bombenangriff, und die Schwester heiratete in eine Diplomatenfamilie ein. Gehlen war u. a. Ritter des katholischen Malteserordens.

Auszeichnungen

Veröffentlichungen

Widmung Gehlens in einem Exemplar von „Der Dienst“

Filme und Dokumentationen

  • Gegen Freund und Feind – Eine Geschichte des Bundesnachrichtendienstes. Dokumentarfilm von Michael Müller und Peter F. Müller, WDR, Deutschland 2002.
  • Nazis im BND – Neuer Dienst und alte Kameraden. Dokumentarfilm von Christine Rütten, ARTE/HR, Deutschland 2013.

Literatur

  • Dermot Bradley, Karl Friedrich Hildebrand, Markus Brockmann: Die Generale des Heeres 1921–1945. Die militärischen Werdegänge der Generale, sowie der Ärzte, Veterinäre, Intendanten, Richter und Ministerialbeamten im Generalsrang (= Deutschlands Generale und Admirale. Teil IV). Band 4: Fleck – Gyldenfeldt. Biblio, Bissendorf 1996, ISBN 3-7648-2488-3, S. 202–203.
  • Dermot Bradley, Heinz-Peter Würzenthal, Hansgeorg Model: Die Generale und Admirale der Bundeswehr, 1955–1999. Die militärischen Werdegänge (= Deutschlands Generale und Admirale. Teil 6b). Band 2, 1: Gaedcke – Hoff. Biblio, Osnabrück 2000, ISBN 3-7648-2562-6, S. 30–31.
  • Heiner Bröckermann: Gehlen, Reinhard (1902–1979). In: David T. Zabecki (Hrsg.): Germany at war. 400 years of military history. Mit einem Vorwort von Dennis Showalter, ABC-CLIO, Santa Barbara 2014, ISBN 978-1-59884-980-6, S. 472.
  • James H. Critchfield: Auftrag Pullach. Die Organisation Gehlen 1948–1956. Mittler, Hamburg u. a. 2005, ISBN 3-8132-0848-6.
  • Jost Dülffer: Geheimdienst in der Krise. Der BND in den 1960er-Jahren. Ch. Links, Berlin 2018, ISBN 978-3-96289-005-6.
  • Dieter Krüger: Reinhard Gehlen (1902–1979). Der BND-Chef als Schattenmann der Ära Adenauer. In: Dieter Krüger, Armin Wagner (Hrsg.): Konspiration als Beruf. Deutsche Geheimdienstchefs im Kalten Krieg. Ch. Links, Berlin 2003, ISBN 3-86153-287-5, S. 207 ff.
  • Wolfgang Krieger: „Dr. Schneider“ [Gehlen] und der BND. In: Wolfgang Krieger (Hrsg.): Geheimdienst in der Weltgeschichte. Spionage und verdeckte Aktionen von der Antike bis zur Gegenwart. C. H. Beck, München 2003, ISBN 3-406-50248-2, S. 230–247 (auch: Anaconda, Köln 2007, ISBN 978-3-86647-133-7).
  • Rolf-Dieter Müller: Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik. 2 Bände, Ch. Links, Berlin 2017, ISBN 978-3-86153-966-7.
  • Timothy Naftali: Reinhard Gehlen and the United States. In: Richard Breitman (Hrsg.): U.S. Intelligence and the Nazis. Cambridge University Press, New York 2005, ISBN 978-0-521-85268-5, S. 375 ff.
  • Magnus Pahl: Fremde Heere Ost. Hitlers militärische Feindaufklärung. Ch. Links, Berlin 2012, ISBN 978-3-86153-694-9.
  • Mary Ellen Reese: Organisation Gehlen. Der kalte Krieg und der Aufbau des Deutschen Geheimdienstes. Rowohlt Verlag, Berlin 1992, ISBN 3-87134-033-2.
  • Jens Wegener: Die Organisation Gehlen und die USA. Deutsch-amerikanische Geheimdienstbeziehungen 1945–1949 (= Studies in Intelligence History. Hrsg. von Wolfgang Krieger, Shlomo Shpiro und Michael Wala, Band 2). LIT, Berlin 2008.
  • Charles Whiting: Gehlen. Germany’s Master Spy. Ballantine, New York 1972, ISBN 0-345-25884-3.
  • Thomas Wolf: Die Entstehung des BND. Aufbau, Finanzierung, Kontrolle (= Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945–1968. Band 9). Ch. Links, Berlin 2018, ISBN 978-3962890223 (Vorschau bei Google Bücher).
  • Hermann Zolling, Heinz Höhne: Pullach intern. General Gehlen und die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes. Hoffmann und Campe, Hamburg 1971, ISBN 3-455-08760-4.
  • Reinhard Gehlen, in Internationales Biographisches Archiv 35/2014 vom 26. August 2014, im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)

Weblinks

 Commons: Reinhard Gehlen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Walter Habel (Hrsg.): Wer ist wer? Das deutsche who's who. XV. Ausgabe von Degeners wer ist's?, Berlin 1967, S. 528.
  2. Reinhard Gehlen: Der Dienst: Erinnerungen 1942-1971. 1971
  3. Als Beispiel aus jetziger Zeit sei genannt: Magnus Pahl: Fremde Heere Ost. Hitlers militärische Feindaufklärung. Ch. Links Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-86153-694-9 (zugleich Dissertation der Universität der Bundeswehr Hamburg in 2011)
  4. 4,0 4,1 Christopher Simpson: Blowback. America's recruitment of nazis and its effect on Cold War. Collier Books, New York NY 1989, ISBN 0-02-044995-X, S. 41.
  5. Central Intelligence Agency|CIA­-Akte Gehlen, freigegeben ab 2001 (PDF; 1,7 MB). Auf Seite 2 oben: He operated under G-2 sponsorship from 1946 until 1949
  6. Gehlen: Der Dienst. S. 149 ff. Critchfield kennt allerdings nur eine erheblich kürzere und für die Deutschen weit weniger positive Version dieses agreements, verg. Critchfield: Partners at the Creation, S. 39, vergl. auch Wegener: Die Organisation Gehlen und die USA S. 72
  7. Erich Schmidt-Eenboom: Ein Sonderling an der Wiege der Wiederbewaffnung – Gehlens Paranoia und die Geburtswehen des BND. Forschungsinstitut für Friedenspolitik e.V.
  8. vgl. Himmeroder Denkschrift und Amt Blank
  9. Hermann Zolling und Heinz Höhne: Pullach intern. Die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes. Der Spiegel 13/1971, 22. März 1971
  10. "Future Federal Military Security and Intelligence Agencies". Central Intelligence Agency, 12. November 1951, archiviert vom Original am 13. Juli 2012; abgerufen am 18. April 2010.
  11. 11,0 11,1 "BUNDESNACHRICHTENDIENST". Central Intelligence Agency, 12. September 1952, archiviert vom Original am 13. Juli 2012; abgerufen am 18. April 2010.
  12. "The Federal Chancellery". Central Intelligence Agency, 14. November 1952, archiviert vom Original am 13. Juli 2012; abgerufen am 18. April 2010.
  13. Jerry Richardson: "James H. Critchfield played key roles both in hot and cold war". NDSUmagazine, 2003, abgerufen am 29. Oktober 2011.
  14. Konkret-Extra – Operation Eva. In: https://konkret-magazin.de/. 4. August 2015, abgerufen am 26. Januar 2019.
  15. Otto Köhler: Unheimliche Publizisten. Die verdrängte Vergangenheit der Medienmacher (= Knaur 80071 Politik und Zeitgeschichte). Vom Autor für diese Ausgabe vollständig überarbeitet, ergänzt und aktualisiert. Droemer Knaur, München 1995, ISBN 3-426-80071-3.
    Lutz Hachmeister: Weiße Flecken in der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. (FAZ), Artikel in der Printausgabe vom 13. Mai 2008.
  16. Rolf-Dieter Müller: Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik. Die Biografie. Teil 2: 1950–1979. Ch. Links, Berlin 2017, ISBN 978-3-86153-966-7, S. 1227–1239; die englischsprachige Ausgabe erschien 1972 unter dem Titel The Service. The Memoirs of General Reinhard Gehlen bei World Publishing, New York, mit David Irving als „Translator“.
  17. Molt, Matthias: Von der Wehrmacht zur Bundeswehr. Personelle Kontinuitäten und Diskontinuitäten beim Aufbau der deutschen Streitkräfte 1955-1966. Diss. Heidelberg 2009. S. 198. [1]

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