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Tina Haim-Wentscher
Tina Haim-Wentscher (auch: Tina Haim, Tina Wentcher; 17. Dezember 1887 in Konstantinopel, Osmanisches Reich – 21. April 1974 in St Kilda, Melbourne, Australien) war eine deutsch-australische Bildhauerin.
Leben
Tina Haim wurde 1887 in Konstantinopel geboren als Tochter des aus Serbien stammenden Kaufmanns David Leon Haim und seiner italienischen Ehefrau Rebecca Mondolfo. Die Familie gehörte zu den türkisch-sephardischen Juden. Die Familie kam über Wien[1] 1893 nach Berlin,[2] wo Tina Haim 1907/08 an der Lewin-Funcke-Schule in Charlottenburg Bildhauerei studierte und ab 1929 ein eigenes Atelier in Dahlem betrieb.[3] Von 1912 bis 1914 weilte sie mehrmals zu Studienaufenthalten in Paris, wo es auch zu Begegnungen mit dem Bildhauer Auguste Rodin kam. Mit einer Büste ihrer Schwester, ihrem Erstlingswerk, nahm sie an einer Ausstellung der Berliner Secession teil. Eine langjährige Freundschaft verband sie mit der Bildhauerin Käthe Kollwitz.
Im Jahr 1914 heiratete sie den Berliner Maler Julius Wentscher (1881–1961). Ab 1921 unternahmen sie gemeinsame Studienreisen nach Griechenland, Italien, Ägypten und 1931/32 eine längere Reise nach Bali und Java. Von 1927 bis 1931 war sie Mitglied im Verein der Berliner Künstlerinnen. 1933 entschieden sie sich auf Anraten von Käthe Kollwitz, wegen der sich verschlechternden Situation für Juden nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren. Es folgten Aufenthalte in China (1932/33) und erneut Indonesien (1933/34) sowie in den Ländern Indochinas, etwa 1935/36 in Siam und Kambodscha, 1936/37 in Singapur[4][5] und 1936/40 in Malaysia.
Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde das Paar 1940 als Enemy Aliens nach Australien deportiert, wo sie zunächst bis 1942 interniert waren in Tatura, Victoria. Nach ihrer Entlassung ließen sie sich in Melbourne nieder, erhielten 1946 die australische Staatsbürgerschaft und anglisierten ihren Namen zu „Wentcher“. Tina Haim-Wentcher wurde Mitglied der Melbourne Society of Women Painters and Sculptors, 1958 erhielt sie den Interstate Sculptors Prize von Newcastle, New South Wales. Ihre karitative Arbeit für das Royal Children's Hospital in Melbourne führte zu einer engen Freundschaft mit der Philanthropin Dame Elisabeth Murdoch (1909–2012), der Mutter des Medienunternehmers Rupert Murdoch. Tina Haim-Wentcher verstarb 1974 in ihrem 87. Lebensjahr in Melbourne.
Werk
Der Kunstmäzen James Simon schenkte dem Ägyptischen Museum Berlin 1920 neben anderen Stücken die Büste der ägyptischen Königin Nofretete, das bekannteste Exponat seiner Sammlung. Simon hatte die Grabungen Ludwig Borchardts im ägyptischen Tell el-Amarna finanziert und die Fundstücke nach Deutschland gebracht. Heinrich Schäfer, Direktor des Ägyptischen Museums, schätzte die Arbeiten Tina Haims sehr. Er beauftragte 1913 die Künstlerin, handvermessene Kopien der Büste anzufertigen.[6][7] Sie fertigte zwei Exemplare in Kunststein für Kaiser Wilhelm II. und James Simon, bei denen die Fehlstellen an der Krone, Ohr, Uräus ausgemerzt und das fehlende Auge ersetzt wurde. Anfang der 1920er Jahre fertigte Haim-Wentscher ein weiteres Mal eine Modellbüste, ein exaktaktes, manuell vermessenes Modell. Dieses Modell diente über viele Jahre zum Abformen aller nachfolgenden Kunstrepliken.[8]
Tina Haim-Wentscher gestaltete gemeinsam mit ihrem Mann für die Empire-Exhibition 1938 in Glasgow die künstlerische Ausstattung des malaysischen Pavillons in Form von zehn Dioramen mit lebensgroßen Kunststeinfiguren vor Landschaftsbildern.
Skulpturen von ihr befinden sich in der National Gallery of Victoria, Melbourne, in der Australian National Gallery, Canberra, in der Art Gallery of New South Wales in Sydney und im McClelland Gallery and Sculpture Park, Langwarrin, Victoria.
Werke (Auswahl)
- Büste der Nofretete (Nachbildung)[9][10]
- Büste von Adolf Erman, Bronze, 1915, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nationalgalerie
- Der Geiger Bronisław Huberman, Bronze, 1916, Staatliche Museen zu Berlin
- Skulptur Grab Levison, 1923, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg
- Büste von Käthe Kollwitz, Tonmergel, 1926, Staatliche Museen zu Berlin
- Büste von James Simon, Leo Baeck Institut, LBI Art Collection, New York City[11] (Nachguss)
- Büste von Hephzibah Menuhin, Haileybury College, Brighton East, Victoria
- Büste von Gao Qifeng, Heritage Museum, Hongkong[12]
- Head of a Besharin boy (Bessarabian Boy), National Gallery of Victoria, Melbourne[13]
- Balinese Woman Wearing Red Head Cloth[14]
Ausstellungen
- 1987: Tina Wentcher 1887–1974: A Centennial Exhibition, Melbourne[15]
- 2017: Tina Haim – Tina Haim-Wentscher – Tina Wentcher Sculptor: 1887–1974, McClelland Sculpture Park & Gallery. Kurator: Ken Scarlett OAM[16]
Literatur
- Haim-Wentscher, Tina. In: Hans Vollmer: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler des XX. Jahrhunderts. Bd. 2. E. A. Seemann, Leipzig 1955, S. 355
- Juliet Peers: Wentcher, Tina (1887–1974). In: Australian Dictionary of Biography, National Centre of Biography, Australian National University, Volume 16, 2002
- Martina Dlugaiczyk: Thutmosis vs Tina Haim-Wentscher – das Modell der Nofretete als Modell. In: David Ludwig, Cornelia Weber und Oliver Zausig (Hrsg.): Das materielle Modell. Objektgeschichten aus der wissenschaftlichen Praxis. Reihe Kulturtechniken. Wilhelm Fink, Paderborn 2014, ISBN 978-3-7705-5696-0, S. 201–207.
- Martina Dlugaiczyk: Serien-Star Nofretete. Neue Quellen zur 3D-Rezeption der Büste vor der Amarna-Ausstellung von 1924. In: Christina Haak und Miguel Helfrich (Hrsg.): Casting. Ein analoger Weg ins Zeitalter der Digitalisierung? Ein Symposium zur Gipsformerei der Staatlichen Museen Berlin. Merzhausen: ad picturam 2016, ISBN 978-3-946653-19-6, S. 162–173; online unter Heidelberg: arthistoricum.net, 2016, doi:10.11588/arthistoricum.95.114.
- Martina Dlugaiczyk: Von non-finito Skulpturen bis Dioramen. Der Mensch und seine Existenz im Werk von Tina Haim-Wentscher. In: Kristin Eichhorn und Johannes S. Lorenzen (Hrsg.): Expressionistinnen, 04/2016, S. 92–105, mit s/w Abbildungen.
- Simon Lawrie (Hrsg.): Tina Haim. Tina Haim-Wentscher. Tina Wentcher. Sculptor 1887–1974. (Authors: Ken Scarlett / Martina Dlugaiczyk). McClelland Sculpture Park & Gallery, Langwarrin, Victoria, Australien 2017, Mercedes Waratah Press 2017, ISBN 978-0-9946191-2-9, (Supplement mit Werk- und Literaturverzeichnis ist zusätzlich erschienen).
- Martina Dlugaiczyk: Tina Haim – Tina Haim-Wentscher – Tina Wentscher. Das Bild der neuen Frau aus drei Perspektiven. In: Sonja Häder und Ulrich Wiegmann (Hrsg.): An der Seite gelehrter Männer. Frauen zwischen Emanzipation und Tradition. (Bildungsgeschichte. Forschung – Akzente – Perspektiven), Klinkhardt, Bad Heilbrunn 2017, ISBN 978-3-7815-2205-3, S. 150–184.
- Martina Dlugaiczyk: Ohne Gewaltmässigkeit modern – die Wieder/Entdeckung einer Berliner Bildhauerin: Tina Haim Wentscher 1887–1974. In: Julia Wallner und Günter Ladwig (Hrsg.): Die Erste Generation. Bildhauerinnen der Berliner Moderne. Georg Kolbe Museum, Berlin 2018, ISBN 978-3-9819776-0-8, S. 84–89.
Weblinks
- Haim-Wentscher, Tina. Biographie Deutsche Fotothek
- Tina Wentcher b. 1887. Biographie Design & Art Australia Online
- Ernst Feder Collection 1851–1972. Leo Baeck Institute, Center for Jewish History, New York (Korrespondenz des Journalisten Ernst Feder: Fotos von Werken Tina Haim-Wentschers und Artikel, rd. 30 Seiten)
Einzelnachweise
- ↑ Haim D. L. In: Wiener Adreßbuch, 1891, Teil 3, S. 501. „Haim, D. L., II. Unt. Donaustr. 33, Ges. d. F(irma) D. & R. Haim & D. Leon, Einkaufsmagazin, II. Ulrichg. 1.“ (Wienbibliothek digital).
- ↑ D. L. Haim. In: Berliner Adreßbuch, 1893, 2, S. 451. „D. L. Haim, aus Konstantinopel, Türkische u. persische Teppiche u. Stickereien Engr. Direkter Import. Lager: NW Neuer Packhof, Kabine 5, 20 u. 11. Kontor u. Wohn.: NW Alt Moabit 135. Inh. D. L. Haim“.
- ↑ Haim-Wentscher, Tina. In: Berliner Adreßbuch, 1930, 2, S. 1072. „Bildhauerin, Dahlem, Bastianstr. 6 E.“ (bis 1933).
- ↑ Distinguished Artists In Singapore - Husband And Wife As Painter And Sculptress. In: The Straits Times, Singapore, 12. Februar 1936, S. 14 (mit einem Foto des Paares)
- ↑ Sculptor In The East: Mrs. Wentscher Comes To Malaya. In: The Straits Times, Singapore, 20. Februar 1936, S. 1 (mit einem Foto der Künstlerin)
- ↑ Martina Dlugaiczyk: Serien-Star Nofretete. Neue Quellen zur 3D-Rezeption der Büste vor der Amarna-Ausstellung von 1924. In: Casting. Ein analoger Weg ins Zeitalter der Digitalisierung. Ein Symposium zur Gipsformerei der Staatlichen Museen Berlin. Christine Haak, Miguel Helfrich, 2016, abgerufen am 3. Oktober 2016 (dt, english).
- ↑ Martina Dlugaiczyk: Thutmosis vs Tina Haim-Wentscher – das Modell der Nofretete als Modell. In: Das materielle Modell. Objektgeschichten aus der wissenschaftlichen Praxis. Reihe Kulturtechniken.. Wilhelm Fink, Paderborn 2014, S. 201–207.
- ↑ Martina Dlugaiczyk (Text), Andreas Paasch (Foto): Historische Replik der Nofretete. Nach einer Vorlage von Tina Haim. In: Pressemitteilung der Gipsformerei – Staatliche Museen zu Berlin, Dezember 2013 (Digitalisat PDF)
- ↑ Icon of Berlin and Egypt. 100 years of Nefertiti. Egypt Centre, Swansea (Direktlink zum Objekt)
- ↑ Neue Edition der Nofretete. In: Pressemitteilung der Gipsformerei. Staatliche Museen zu Berlin, 1. Oktober 2015, abgerufen am 3. Januar 2019.
- ↑ Abbildung und Biographie Center for Jewish History, Digital Collections
- ↑ Abbildung Heritage Museum, Hongkong (Direktlink zum Objekt)
- ↑ Abbildung in der Sammlung der NGV
- ↑ Abbildung im Portal Australian Art Auction Records
- ↑ Juliet Peers: Wentcher, Tina (1887–1974). (siehe Literatur)
- ↑ McClelland Sculpture Park & Gallery
Personendaten | |
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NAME | Haim-Wentscher, Tina |
ALTERNATIVNAMEN | Haim, Ernestine (Geburtsname); Haim, Esther Tina; Haim-Wentcher, Tina (ab 1946 in Australien) |
KURZBESCHREIBUNG | deutsch-australische Bildhauerin |
GEBURTSDATUM | 17. Dezember 1887 |
GEBURTSORT | Konstantinopel, Osmanisches Reich |
STERBEDATUM | 21. April 1974 |
STERBEORT | St Kilda, Melbourne, Australien |
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Tina Haim-Wentscher aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |