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Anschluss Österreichs

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Uniformierte und Zivilisten sahen zu, als jüdische Wiener von Nationalsozialisten im März 1938 dazu gezwungen wurden, proösterreichische Parolen für die abgesagte Volksabstimmung Schuschniggs von den Gehsteigen zu waschen (so genannte Reibpartien).

Als Anschluss Österreichs oder kurz „Anschluss“ wird der Einmarsch deutscher Wehrmachts-, SS- und Polizeieinheiten in Österreich am 12. März 1938 und die darauffolgende De-facto-Annexion Österreichs durch das nationalsozialistische Deutsche Reich bezeichnet. Mit dem „Anschluss“, offiziell durch das am 13. März 1938 (ohne Parlament) verabschiedete Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich vollzogen, wurde die Diktatur des Ständestaates bzw. des Austrofaschismus (seit 1934) vom nationalsozialistischen Regime unter Adolf Hitler abgelöst.

Vorgeschichte

Nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahr 1806, das die deutschen (heute oft: deutschsprachigen) Erbländer Österreichs (sowie die Länder der Böhmischen Krone) mit den anderen deutschen Staaten verbunden hatte, entstand 1815 auf dem Wiener Kongress als neue politische Verbindung der Deutsche Bund. Dieser lose Zusammenschluss von 41 deutschen Einzelstaaten wurde jedoch den Bestrebungen bürgerlicher Nationalisten nach einem einheitlichen Staat, der von den meisten deutschen Fürsten (die ihren Bedeutungsschwund vermeiden wollten) verzögert wurde, nur unzureichend gerecht.

In Folge dessen entstanden zur Erreichung dieses Zieles unterschiedliche Lösungsansätze: einerseits die Großdeutsche Lösung, ein neuer, stark föderalistischer deutscher Gesamtstaat unter Führung des Hauses Habsburg, des historischen römisch-deutschen Kaiserhauses, einschließlich der deutschen Länder des Kaisertums Österreich (was bedeutet hätte, dass die Donaumonarchie der Habsburger durch die deutsche Außengrenze geteilt worden wäre) – und andererseits die Kleindeutsche Lösung unter der Hegemonie des Königreichs Preußen.

Von einem Einbezug des deutschen Teils von Österreich in einen deutschen Nationalstaat war bereits in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 die Rede. Erzherzog Johann von Österreich wurde von ihr im Sinn der großdeutschen Lösung zum Reichsverweser gewählt. Der Verfassungshistoriker Georg Waitz aus Kiel wandte sich in seiner Rede vom 13. März 1849 gegen die Verbindung der deutschen mit den nichtdeutschen „Nationen“ in der Habsburgischen „Gesamtmonarchie“ und meinte, dass deutschösterreichische Deputierte es als ihre Aufgabe betrachten sollten, das Erbkaisertum zu hindern, damit wenigstens für die Zukunft ein Eintritt Österreichs möglich sei.

Die Kleindeutsche Lösung wurde nach den Siegen Preußens und seiner Verbündeten über Österreich (Deutscher Krieg 1866) und über das das Kaiserreich Frankreich verwirklicht. 1871 wurde das Deutsche Reich als Kaiserreich im Schloss von Versailles (nahe Paris) ausgerufen, der Zusammenschluss von deutschen Fürstentümern und Königreichen unter Führung Preußens, aber ohne Österreich (auch ohne Liechtenstein, Luxemburg und anderer Gebiete mit deutscher Bevölkerung).

Deutung

Friedrich Heer führt Anschlusswünsche der deutschsprachigen Bevölkerung der ehemaligen Habsburgischen Erblande bereits auf die Zeit der Gegenreformation zurück und sieht sie eng verknüpft mit der jahrhundertelangen politischen und kulturellen Konfrontation zwischen protestantischem Norddeutschland und katholisch geprägtem, vielsprachigem Österreich, die in Folge durch die europäischen Großmächte Preußen und die Habsburgermonarchie getragen wurde. Die Protestanten sahen im evangelischen Norden des „deutschen Reiches“ die Erlösung von der so empfundenen „Einkerkerung“ durch Papst und Kaiser. Erstes Zentrum eines eigenständigen österreichischen Nationalbewusstseins war laut Heer Wien, das von aufständischen Ländern, von Oberösterreich, Kärnten, der Steiermark, als die multikulturelle Residenz der übernationalen Habsburger bekämpft wurde.[1] Diese These wird empirisch gestützt, indem nachgewiesen werden konnte, dass in Oberösterreich in den Hauptwiderstandsgebieten zur Zeit der Bauernkriege Jahrhunderte später zur Zeit des Juliputsches, dem ersten Versuch Hitlers, Österreich an das Deutsche Reich anzuschließen, besonders viele illegale Nationalsozialisten aktiv waren.[2]

Anschlussbestrebungen nach dem Ersten Weltkrieg

Politik im Staat Deutschösterreich

Das Ende des Ersten Weltkrieges brachte den Untergang der k.u.k. Monarchie und zugleich das Auseinanderbrechen des Vielvölkerstaats Österreich-Ungarn. In dieser Situation war der Zusammenschluss des am 30. Oktober 1918 gegründeten neuen Staates Deutschösterreich mit dem nun ebenfalls republikanischen Deutschen Reich für die meisten österreichischen Politiker eine Selbstverständlichkeit; insbesondere, als sich herausstellte, dass die anderen Nachfolgestaaten der Monarchie auch an einer losen Konföderation nicht interessiert waren.

Am 12. November 1918 beschloss die Provisorische Nationalversammlung für Deutschösterreich die Republik als Staatsform – und dass Deutschösterreich Teil der deutschen Republik sei.[3] Die meisten damals aktiven Politiker hatten bis dahin in größeren Dimensionen (Cisleithanien) als denen eines Kleinstaates gedacht. Ihnen erschien „Restösterreich“ angesichts des Umstandes, dass wirtschaftlich bedeutende Regionen fortan nicht mehr zum Staatsgebiet gehörten, als nicht lebensfähig. Die Hungerwinter 1918/19 und 1919/20 dramatisierten diese Lebensfähigkeitsdebatte.

Es spielten dabei durchaus nicht nur deutschnationale Gesinnungen eine Rolle. So fürchteten die Sozialdemokraten – wie sich später zeigte zu Recht –, im vorwiegend ländlich-konservativ geprägten Deutschösterreich politisch in die Defensive gedrängt zu werden, und erhofften eine Umsetzung des Sozialismus im Rahmen der deutschen Republik. Bei den Christlichsozialen spielte hingegen die Abneigung gegen den so empfundenen Wiener Zentralismus eine nicht unmaßgebliche Rolle. Befürwortet wurde vielfach kein einseitiger Anschluss, wie er schließlich 1938 vollzogen wurde, sondern ein Zusammenschluss gleichberechtigter Bundesstaaten.[4]

Die Österreicher waren es jahrhundertelang gewohnt, in einem imperialen Reich zu leben und konnten sich mit dem neuen Kleinstaat nicht identifizieren. In dieser Situation wurde psychologisch geschickt die Behauptung lanciert und ständig genährt, dass das verhältnismäßig kleine Restösterreich wirtschaftlich nicht lebensfähig sei. Tatsächlich jedoch verblieben bedeutende Wirtschaftsbetriebe und -zweige im Land. Die Eindämmung der Nachkriegsinflation und die Stabilisierung der Wirtschaft wurden aber gerade deshalb nicht in Angriff genommen, weil man die Lösung der wirtschaftlichen Probleme im Anschluss sah und auf diesen verschob.[5]

Mit der auf Grund der Umstände alternativlosen Unterzeichnung der Verträge von Saint-Germain für Österreich und Versailles für das Deutsche Reich (mit dem darin statuierten Anschlussverbot) wurde das Ziel der Vereinigung von beiden Seiten politisch vorerst nicht mehr aktiv weiter verfolgt. Mit der Ratifizierung des Vertrags im Oktober 1919 änderte der Staat Deutschösterreich seinen Namen auf Republik Österreich.

Der Anschluss blieb aber, aus verschiedenen Gründen, weiterhin erklärtes Fernziel, vor allem für die Großdeutsche Volkspartei, die Deutschnationale Bewegung wie auch für die Sozialdemokraten (Anschluß an Deutschland ist Anschluß an den Sozialismus, Parole der „Arbeiterzeitung“, Zentralorgan der Partei). Auch die Christlichsoziale Partei trat politisch dafür ein.

Politik in den österreichischen Ländern

Auf Landesebene stimmten im Mai 1919 die alemannischen Vorarlberger mehrheitlich für Verhandlungen über den Anschluss ihres Bundeslandes an die alemannische Schweiz, was sowohl von der Schweizer Regierung als auch von der Bundesregierung in Wien abgelehnt wurde.

Nach dem gescheiterten Restaurationsversuch des früheren Kaisers Karl I., der am 26. März 1921 als König von Ungarn vom Exil in der Schweiz nach Ungarn gereist war und versucht hatte, die Regierung wieder zu übernehmen, erstarkte vor allem in den noch monarchistisch-konservativ geprägten Bundesländern Widerstand gegen die republikanische Regierung in Wien. Mit Unterstützung aus dem benachbarten Bayern, wo die sozialistische Münchner Räterepublik zwei Jahre zuvor niedergekämpft worden war, bildeten sich in Salzburg und Tirol die ersten österreichischen Heimwehren. Diese setzten sich vehement für einen Zusammenschluss mit dem nun betont konservativ regierten Deutschland der Weimarer Zeit ein. Selbst Monarchisten, die den Zusammenschluss früher als „jüdische Erfindung“ abgelehnt hatten, strebten diesen gemeinsam mit den Deutschnationalen offen an.

Der Tiroler Landtag ließ im April 1921 eine Abstimmung durchführen, bei der sich eine Mehrheit von 98,8 % für den Zusammenschluss aussprach. Eine am 29. Mai 1921 in Salzburg durchgeführte Abstimmung ergab eine Zustimmung von 99,3 % der abgegebenen Stimmen.

Weitere Abstimmungen wurden durch Proteste der alliierten Garantiemächte des Friedensvertrages, insbesondere der französischen Regierung, unterbunden. Für den Fall, dass weitere Bundesländer folgen sollten, wurde mit der Verhinderung von Auslandskrediten an das wirtschaftlich geschwächte Österreich gedroht. Bundeskanzler Michael Mayr (CS), der die Einstellung aller noch geplanten diesbezüglichen Abstimmungen gefordert hatte, trat am 1. Juni zurück, als der steirische Landtag ankündigte, dennoch abstimmen zu lassen. Sein Nachfolger wurde der deutschnational eingestellte parteilose Johann Schober (zugleich Polizeipräsident von Wien), der weitere Abstimmungen verhinderte und jene, die den Zusammenschluss anstrebten, auf einen späteren, dafür günstigeren Zeitpunkt verwies.

Genfer Protokolle

Erneut bekräftigt wurde das Anschlussverbot in den Genfer Protokollen vom 4. Oktober 1922 zwischen den Regierungen von Frankreich, Großbritannien, Italien, der Tschechoslowakei und Österreich, – Voraussetzung für die Gewährung von Anleihen des Völkerbundes an Österreich in Höhe von 650 Millionen Goldkronen. Gegen den Widerstand der Sozialdemokraten nahm der Nationalrat die Genfer Protokolle an.

Positionen der Parteien

Alle österreichischen Parteien – einschließlich der KPÖ, welche nach einer erfolgreichen Revolution einen Anschluss „Sowjetösterreichs“ an „Sowjetdeutschland“ forderte[6] – waren vor 1933 grundsätzlich für eine Vereinigung mit dem Deutschen Reich. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAPÖ) zum Beispiel proklamierte noch 1926 im überwiegend marxistisch ausgerichteten Linzer Programm einen Anschluss „mit friedlichen Mitteln“ an die Deutsche Republik.[7] Sie strich den entsprechende Passus jedoch „angesichts der durch den Nationalsozialismus im Deutschen Reich veränderten Lage“ auf ihrem Parteitag 1933. Die Christlichsoziale Partei (CS) wie auch die nach dem Verbot aller anderen Parteien aus jener hervorgegangene Vaterländische Front traten ebenfalls gegen einen Anschluss an das „Dritte Reich“ auf.

Zur Frage des aktiven Eintretens der verbotenen österreichischen Sozialdemokratie gegen die Bedrohung Österreichs durch den Nationalsozialismus gab es im so genannten Sozialistenprozess 1936 klare Äußerungen: Der Angeklagte Roman Felleis erklärte, die Arbeiter würden in Zukunft nur dann für diesen Staat einstehen, wenn er wieder zur Heimstätte für ihre Rechte, für ihre Freiheit geworden ist. […] Gebt uns Freiheit, dann könnt ihr unsere Fäuste haben![8] Der Angeklagte Bruno Kreisky sagte im Prozess: Nur freie Bürger werden gegen Knechtung kämpfen.[9]

Österreichische Nationalsozialisten

Mit der Machtübernahme der NSDAP in Deutschland 1933 änderten sich die Rahmenbedingungen grundlegend. Adolf Hitler, der als gebürtiger Oberösterreicher 1925 seine österreichische Staatsbürgerschaft abgelegt hatte und 1932 im Alter von 43 Jahren deutscher Reichsbürger wurde, hielt sich trotz der schon 1924/25 in seinem Buch Mein Kampf niedergeschriebenen Forderung „Deutschösterreich muß wieder zurück zum großen deutschen Mutterlande“ dahingehend außenpolitisch zunächst zurück. Er wollte Benito Mussolini nicht verärgern, da er ein Bündnis mit ihm anstrebte.

Am 25. Juli 1934 versuchten österreichische Nationalsozialisten unter Führung der SS-Standarte 89 einen Putsch gegen den diktatorischen Ständestaat, der jedoch scheiterte. Einigen Putschisten gelang es, bis in das Bundeskanzleramt in Wien vorzudringen, wo Engelbert Dollfuß durch Schüsse so schwer verletzt wurde, dass er den Verletzungen wenig später erlag. Hitler bestritt eine Beteiligung an dem Putschversuch von deutscher Seite. Die seit 1933 verbotene österreichische Landesorganisation der NSDAP wurde zwar weiterhin aus dem Deutschen Reich unterstützt, aber das deutsche Regime ging nun verstärkt dazu über, das politische System in Österreich mit Vertrauensleuten zu unterwandern. Dazu zählten, neben anderen, Edmund Glaise-Horstenau, Taras Borodajkewycz und Arthur Seyß-Inquart.

Italien begann am 3. Oktober 1935 die Eroberung des damaligen Abessinien (Italienisch-Äthiopischer Krieg (1935–1936)), woraufhin Großbritannien vor dem Völkerbund Sanktionen gegen Italien forderte und in der Folge die Auflösung der Stresa-Front und der Verträge von Locarno betrieb. Mussolini wurde damit international isoliert und an die Seite Hitlers gedrängt. Für die in Österreich regierende Vaterländische Front bedeutete das den Verlust eines wichtigen Schutzherrn, da Italien der Garant für Österreichs damalige Unabhängigkeit war.

Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, Nachfolger des ermordeten Dollfuß, musste nun nach Wegen suchen, das Verhältnis zum Deutschen Reich zu verbessern. Am 11. Juli 1936 schloss er mit Hitler das Juliabkommen. Das Deutsche Reich hob die in Folge des Verbots der NSDAP in Österreich 1933 verhängte Tausend-Mark-Sperre auf, in Österreich wurden inhaftierte Nationalsozialisten amnestiert und NS-Zeitungen wieder zugelassen.

Darüber hinaus nahm Schuschnigg Vertrauensleute der Nationalsozialisten in die Regierung auf. Edmund Glaise-Horstenau wurde Bundesminister für nationale Angelegenheiten, Guido Schmidt Staatssekretär im Außenministerium und Seyß-Inquart in den Staatsrat aufgenommen. 1937 folgte die Öffnung der Vaterländischen Front für Nationalsozialisten. In neu eingerichteten „Volkspolitischen Referaten“, die meist unter der Leitung von Nationalsozialisten standen, konnte die NSDAP sich neu organisieren.

Das Treffen auf dem Berghof

Nach Festigung seines Bündnisses mit Mussolini, der Achse Berlin-Rom, gelangte Hitler zu der Ansicht, dass Mussolini es müde werde, den Wächter der österreichischen Unabhängigkeit zu spielen. Als er am 5. November 1937 der Wehrmachtführung seine militärischen Pläne erläuterte (Hoßbach-Niederschrift), nannte er als spätesten Zeitpunkt für die Annexion der Tschechoslowakei (→ Zerschlagung der Rest-Tschechei) und Österreichs das Jahr 1943, unter günstigen Umständen könne dies schon 1938 erfolgen.

Seit dem Juliabkommen wuchs in Österreich der Einfluss der vom Deutschen Reich ermutigten nationalsozialistischen Untergrundbewegung. Die Bemühungen von Bundeskanzler Schuschnigg um eine britische Garantieerklärung scheiterten im Frühsommer 1937. Der deutsche Botschafter in Wien, Franz von Papen, riet ihm Anfang Februar 1938 zu einem Treffen mit Hitler, dem Schuschnigg nach einigem Zögern zustimmte. Mit Seyß-Inquart arbeitete er eine Reihe von Zugeständnissen aus, die er Hitler vorlegen wollte. Ohne Schuschniggs Wissen spielte Seyß-Inquart die geplanten Zugeständnisse Hitler zu.

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Der Berghof 1936

Am Morgen des 12. Februar 1938 traf Schuschnigg auf dem Berghof in Bayern ein. Hitler empfing ihn auf den Treppenstufen des Berghofs und führte ihn in sein Arbeitszimmer. Nachdem er kurz auf Schuschniggs Hinweis auf die schöne Aussicht eingegangen war, kam er unvermittelt auf die österreichische Politik zu sprechen.

Österreichs Geschichte sei ein ununterbrochener Volksverrat. Dieser geschichtliche Widersinn müsse endlich sein Ende finden. Er, Hitler, sei fest entschlossen, mit dem allen ein Ende zu machen, seine Geduld sei erschöpft. Österreich stehe allein, weder Frankreich noch Großbritannien noch Italien würden zu seiner Rettung auch nur einen Finger rühren. Schuschnigg habe nur noch bis zum Nachmittag Zeit.

Beim Mittagessen zeigte sich Hitler als aufmerksamer Gastgeber, doch auch die drei Generäle, die eine mögliche Operation gegen Österreich kommandieren sollten, saßen an der Tafel. Ribbentrop und Papen legten Schuschnigg am Nachmittag ein Dokument mit Forderungen vor, die deutlich über die von Schuschnigg mit Seyß-Inquart ausgearbeiteten Zugeständnisse hinausgingen.

Hitler drohte mit dem Einmarsch der Wehrmacht, sollte das Parteiverbot für die österreichischen Nationalsozialisten nicht wieder aufgehoben und ihnen die volle Agitationsfreiheit gewährt werden. Auch forderte er ihre verstärkte Einbindung in die Regierung. Seyß-Inquart sollte Innenminister werden, Glaise-Horstenau Kriegsminister und ein dritter von deutscher Seite gewünschter Kandidat Finanzminister.

Hitler lehnte es ab, über eine Änderung des Textes zu verhandeln. Als Schuschnigg erklärte, er sei zwar zur Unterzeichnung bereit, könne aber die Ratifizierung nicht garantieren, rief Hitler General Keitel herbei. Hitler erklärte sich jetzt bereit, den Österreichern drei Tage Frist bis zur Unterzeichnung des Dokumentes zu geben. Schuschnigg unterschrieb und lehnte eine Einladung Hitlers zum Souper ab. In Begleitung Papens fuhr er zur Grenze und erreichte in Salzburg wieder Österreich.

Schuschnigg beugte sich den Drohungen und glaubte, mit dem Berchtesgadener Abkommen die Selbständigkeit Österreichs sichern zu können. Wie von Hitler gefordert, wurde Seyß-Inquart am 16. Februar zum Innenminister ernannt und erlangte damit die Kontrolle über die österreichische Polizei.

Das Berchtesgadener Abkommen führte am 14. Februar 1938 zu Proteststreiks in Wiener Betrieben. Am 16. Februar ersuchten Vertrauensmänner dieser Betriebe um ein persönliches Gespräch mit Schuschnigg, um die Bereitschaft der Arbeiter zum Kampf um ein freies Österreich zu erklären. Schuschnigg ging erst am 4. März darauf ein. Am 7. März kam es in der Folge zu einer Vertrauensleutekonferenz im Floridsdorfer Arbeiterheim; das einzige solche Treffen, das nicht konspirativ abgehalten werden musste. Die Regierung ging aber auf die Forderung nach Wahlen im von der Diktatur errichteten Gewerkschaftsbund nicht ein. Für die von Schuschnigg angekündigte Volksabstimmung wurden von den Revolutionären Sozialisten 200.000 Flugblätter gedruckt, die nach der Absage der Abstimmung verbrannt wurden.[10]

Hitlers Ultimatum

Durch militärische Vorbereitungen gegen Österreich wurde der Druck beibehalten. Der britische Botschafter Nevile Henderson erklärte auf Bitten Görings um eine Stellungnahme am 3. März 1938 gegenüber Hitler im Sinn der damaligen Appeasement-Politik, dass Großbritannien die Ansprüche Deutschlands gegenüber Österreich prinzipiell für berechtigt halte. Die österreichischen Nationalsozialisten erhielten durch die Berchtesgadener Geschehnisse großen Auftrieb. Als Schuschnigg erkannte, dass seine neuen Regierungspartner ihm innerhalb weniger Wochen den Boden unter den Füßen wegzogen und dabei waren, die Macht zu übernehmen, gab er am 9. März bekannt, bereits am folgenden Sonntag, dem 13. März, eine Volksabstimmung zur Unabhängigkeit Österreichs abhalten zu wollen.

Die Frage sollte lauten, ob das Volk ein „freies und deutsches, unabhängiges und soziales, ein christliches und einiges Österreich“ wolle oder nicht. Schuschnigg unterließ es, dazu das Kabinett zu befragen, wie es in der Verfassung anlässlich einer Volksabstimmung vorgeschrieben war. Die Stimmauszählung sollte allein von der Vaterländischen Front vorgenommen werden. Die Angehörigen des Öffentlichen Dienstes sollten am Tage vor der Wahl in ihren Abteilungen geschlossen unter Aufsicht zur Wahl gehen und ihre ausgefüllten Wahlzettel ihren Vorgesetzten offen übergeben. Außerdem sollten in den Wahllokalen nur Stimmzettel mit dem Aufdruck „JA“ ausgegeben werden, was ein Ja zur Unabhängigkeit bedeutet hätte. Innenminister Seyß-Inquart und Minister Glaise-Horstenau erklärten ihrem Kanzler unverzüglich, dass die Abstimmung in dieser Form verfassungswidrig sei.

Hitler, der offenbar die Ablehnung des Anschlusses an das Deutsche Reich befürchtete, quittierte Schuschniggs Ankündigung mit der Mobilmachung der für den Einmarsch vorgesehenen 8. Armee. Er wies Seyß-Inquart am 10. März an, ein Ultimatum zu stellen und die österreichischen Parteianhänger zu mobilisieren. Die Reichsregierung forderte die Verschiebung beziehungsweise die Absage der Volksbefragung.

Am folgenden Tag, dem 11. März 1938, verlangte Hermann Göring ultimativ den Rücktritt Schuschniggs und die Ernennung Seyß-Inquarts zum Bundeskanzler. Glaise-Horstenau, der in Berlin gewesen war, überbrachte von dort das Ultimatum Hitlers, das von Göring zusätzlich in Telefonaten mit Schuschnigg bekräftigt wurde. Einer Weisung aus Berlin folgend, strömten die österreichischen Nationalsozialisten in das Bundeskanzleramt und besetzten die Stiegen, Gänge und Ämter. Am Nachmittag des 11. März willigte Schuschnigg in die Absage der Volksabstimmung ein. Am Abend des 11. März erzwang Hitler den Rücktritt Schuschniggs zugunsten Arthur Seyß-Inquarts. (Bundespräsident Miklas hatte zuvor mehrere Nicht-Nationalsozialisten vergeblich dazu zu bewegen versucht, die Kanzlerschaft zu übernehmen.) Schuschnigg erklärte seinen Rücktritt im Rundfunk („Gott schütze Österreich!“) und wies das österreichische Bundesheer an, sich beim Einmarsch deutscher Truppen ohne Gegenwehr zurückzuziehen.

Gleichzeitig begann in Wien und allen Landeshauptstädten die Machtergreifung durch österreichische Nationalsozialisten, die noch am Abend des 11. März an zahlreichen öffentlichen Gebäuden Hakenkreuzfahnen hissten, lang bevor der Einmarsch der deutschen Wehrmacht begann.[10] Das Bundeskanzleramt in Wien, wo Bundespräsident Wilhelm Miklas amtierte, wurde, angeblich zu seinem Schutz, von Bewaffneten umstellt. Am 12. März 1938 amtierten vielerorts in der Nacht vom 11. auf den 12. März bestellte NS-Amtsträger.

Göring ließ nun mit Einverständnis Hitlers ein Telegramm mit der Bitte um die Entsendung von Truppen des Reiches aufsetzen, das sich die Reichsregierung daraufhin im Namen des neuen Bundeskanzlers Seyß-Inquart selbst zusandte. Seyß-Inquart wurde über die „dringende Bitte“ der „provisorischen österreichischen Regierung“ erst nachträglich informiert.

Vollzug des Anschlusses

Demontage von Schlagbäumen durch österreichische und deutsche Grenzbeamte, März 1938
Wagenkolonne Hitlers in Wien (Praterstern)

Nachdem Hitler am 11. März 1938 die Militärische Weisung für den Einmarsch in Österreich unter dem Decknamen „Unternehmen Otto“ ausgestellt hatte, ließ er am 12. März 1938 Soldaten der Wehrmacht und Polizisten – insgesamt rund 65.000 Mann mit teils schwerer Bewaffnung – in Österreich einmarschieren, die von Teilen der Bevölkerung vielfach mit Jubel empfangen wurden. (Juden, bekannte Sozialdemokraten und prononcierte Ständestaatsanhänger hatten selbstverständlich keinen Anlass zum Jubeln.) In einer deutschen Proklamation wurde verkündet, Hitler habe sich entschlossen, sein Heimatland zu befreien und den notleidenden Brüdern zu Hilfe zu kommen.

In Wien traf am 12. März um 4:30 Uhr auf dem Flughafen Aspern der Reichsführer-SS Heinrich Himmler in Begleitung von SS- und Polizeibeamten ein, um die Übernahme der österreichischen Polizei durchzuführen; er wurde von Ernst Kaltenbrunner und Michael Skubl erwartet. Unter Glockengeläut überschritt Hitler am Nachmittag des 12. März bei Braunau die Grenze und erreichte vier Stunden später Linz, wo er vom Balkon des Rathauses aus eine kurze Ansprache hielt und erklärte, er habe den Auftrag, seine teure Heimat dem Reich wiederzugeben. Seyß-Inquart bildete für zwei Tage eine von Miklas angelobte nationalsozialistische Bundesregierung. Noch am selben Abend trafen in Linz Hitler und Seyß-Inquart zusammen und vereinbarten die sofortige Durchführung der „Wiedervereinigung“ ohne die früher geplanten Übergangsfristen.

Das Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich wurde am folgenden Tag, dem 13. März, im Hotel Weinzinger in Linz von Hitler für das Reich und von Seyß-Inquart für Österreich vereinbart und noch am gleichen Tag in der zweiten Kabinettssitzung der Regierung Seyß-Inquart in Wien beschlossen. Bundespräsident Miklas trat zurück, da er das Gesetz nicht beurkunden wollte; als Staatsoberhaupt für wenige Minuten nahm Seyß-Inquart die Beurkundung vor. Im Reich kam das Gesetz am gleichen Tag durch Beschluss der Reichsregierung zu Stande. Der 13. März 1938 gilt daher juristisch als Datum des Anschlusses. Österreich war nun diktaturrechtlich Teil des Deutschen Reiches, die Bundesregierung Seyß-Inquart amtierte als Österreichische Landesregierung unter der Aufsicht der Reichsregierung weiter.

Rede Hitlers in Wien am 15. März 1938 an die jubelnden Massen auf dem Heldenplatz vom Balkon der Hofburg aus

Am 15. März verkündete Hitler auf dem Heldenplatz in Wien unter dem Jubel zehntausender Menschen „den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich”. Er bezeichnete Österreich als „älteste Ostmark des Deutschen Volkes“ und „jüngstes Bollwerk der Deutschen Nation und damit des Deutschen Reiches“, vermied aber, den Namen Österreich zu nennen. In zahlreichen Wiener Betrieben war die Belegschaft dazu verpflichtet worden, an dieser Kundgebung geschlossen teilzunehmen.

Bereits in den ersten Tagen nach der Machtübernahme inhaftierten die neuen Machthaber unter Mithilfe österreichischer Anhänger rund 72.000 Menschen, insbesondere in Wien. Darunter waren viele Politiker und Intellektuelle der Ersten Republik und des Ständestaates sowie vor allem Juden.

Der am 11. März zurückgetretene Bundeskanzler Schuschnigg wurde zunächst in seiner Dienstwohnung im Belvedere unter Hausarrest gestellt, dann Monate lang im Wiener Gestapo-Hauptquartier, dem ehemaligen Hotel Metropol, inhaftiert und später wie die meisten anderen Häftlinge in das KZ Dachau deportiert, wo er allerdings wesentlich besser behandelt wurde als die anderen Häftlinge (Hitler überlegte, ihn für einen später geplanten Schauprozess bereitzuhalten).

Die Polizei, die jetzt Himmler unterstellt war, unterband jeden nachhaltigen Widerstand. Die Grenzen wurden abgeriegelt, um Regimegegnern die Flucht unmöglich zu machen. Am Brenner trafen schließlich deutsche und italienische Truppeneinheiten zu freundschaftlichen Zeremonien zusammen.

Carl Zuckmayer beschrieb den Vorgang 1966 in seiner Autobiografie Als wär’s ein Stück von mir.

Volksabstimmung

„Ein Volk, ein Reich, ein Führer“: Briefmarke des Deutschen Reichs zur Volksabstimmung

Hitler ließ sich die Vereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich nachträglich durch eine Volksabstimmung am 10. April 1938 absegnen. Im Vorfeld waren prominente Persönlichkeiten wie der Wiener Kardinal Theodor Innitzer, der bereits am 18. März eine affirmative „Feierliche Erklärung“ der Bischöfe freiwillig mit „und Heil Hitler“ unterzeichnete,[11] der Präsident des evangelischen Oberkirchenrates Robert Kauer, Politiker wie der Sozialdemokrat und ehemalige österreichische Staatskanzler Karl Renner und der frühere Bundespräsident Michael Hainisch sowie Künstler wie Paula Wessely, Paul Hörbiger, Hilde Wagener, Friedl Czepa, Ferdinand Exl, Erwin Kerber, Rolf Jahn, Josef Weinheber und Karl Böhm („Wer dieser Tat unseres Führers nicht mit einem hundertprozentigen Ja zustimmt, verdient nicht, den Ehrennamen Deutscher zu tragen“)[12] öffentlich für ein Ja eingetreten.

In mehreren Städten Österreichs fanden vor der Abstimmung penibel inszenierte Auftritte hoher Funktionäre der NSDAP statt, so von Goebbels, Göring, Heß und anderen. Hitler selbst hielt am 9. April in der Nordwestbahnhalle eine Ansprache.

Stimmzettel zum Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich

Die Propaganda durchdrang alle Lebensbereiche: Fahnen, Banner und Plakate mit Parolen und dem Hakenkreuzsymbol wurden in allen Städten, an Straßenbahnen, an Wänden und eigens errichteten Plakatständern und Säulen angebracht; allein in Wien fanden sich rund 200.000 Hitler-Portraits an öffentlichen Orten. Selbst in Poststempeln war zu lesen: „Am 10. April dem Führer Dein Ja“.

Presse und Rundfunk waren fest in der Hand der neuen Machthaber, hatten kein anderes Thema als das Ja, so dass es keine öffentlichen Gegenstimmen gab. Rund acht Prozent der eigentlich Wahl- und Stimmberechtigten waren von der Abstimmung ausgeschlossen worden: etwa 200.000 Juden, rund 177.000 „Mischlinge“ und die bereits zuvor aus politischen oder rassischen Gründen Verhafteten.

Bei der Abstimmung selbst zogen viele es vor, nicht anonym in der Wahlzelle ihre Wahl zu treffen, sondern öffentlich vor den Wahlhelfern ihr Kreuz bei Ja zu machen, um nicht in den Verdacht zu geraten, gegen den Anschluss gestimmt zu haben und folglich als „Systemgegner“ möglichen Repressalien ausgesetzt zu sein.[13]

Schon am 2. April wurde die „Wilhelm Gustloff“ genutzt, um 2000 in England lebenden Deutschen und Österreichern drei Meilen vor der englischen Küste die Möglichkeit zur Abstimmung im „schwimmenden Wahllokal“ zu geben.[14]

Auswirkungen

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Am Abend des 10. April berichtete Gauleiter Josef Bürckel aus dem Wiener Konzerthaus das Ergebnis der Abstimmung nach Berlin. Nach amtlichen Angaben hatte es eine Zustimmung von 99,73 % gegeben. Im Deutschen Reich, dem so genannten Altreich, stimmten 99,08 % für den Anschluss. Die Wahlbeteiligung in Österreich lag bei 99,71 %, im Altreich bei 99,60 %.

Zugleich bediente sich Deutschland bei den Gold- und Devisenreserven Österreichs, die auf Grund der deflationistischen Wirtschaftspolitik der Regierungen in den 1930er Jahren beachtliche Bestände erreicht hatten, die nun in das devisenarme Altreich transferiert wurden. So gerieten mehr als 2,7 Milliarden Schilling an Gold und Devisen unter NS-Kontrolle.[15]

Im bald in Ostmark umbenannten Österreich hatte die NSDAP großen Zulauf. 1943 erreichte die Mitgliederzahl ihren Höhepunkt, fast 700.000 Österreicher und somit rund acht Prozent der Bevölkerung gehörten ihr an. Die Verteilung war regional höchst unterschiedlich: im katholischen Tirol wurde ein Spitzenwert von 15 Prozent erreicht, im wirtschaftlich armen Burgenland waren es nur 6 Prozent.[16]

Nach dem Krieg wurden 536.000 Personen von der Registrierungspflicht der Entnazifizierung erfasst. Zum Vergleich: in Westdeutschland wurden rund 13 Millionen Nationalsozialisten von einer Gesamtbevölkerung von 58 Millionen Menschen zur Entnazifizierung registriert. Die Gestapo schätzte im Juni 1938, dass 30 Prozent der Österreicher Anhänger des Nationalsozialismus waren, wenn auch nicht nur aus ideellen Motiven. 30 bis 40 Prozent der Österreicher waren nach Einschätzung der Gestapo hingegen offene oder versteckte Gegner.[17]

Die Westmächte Großbritannien und Frankreich, die 1919 den Beitritt Deutschösterreichs zu einem demokratischen, föderalen Deutschen Reich und 1931 auch eine Zollunion Deutschland-Österreich verboten hatten, übersandten jetzt lediglich diplomatische Protestnoten. Die London Times schrieb dazu, schließlich habe sich auch Schottland vor 200 Jahren an England angeschlossen. Lediglich Mexiko und die Sowjetunion legten Protest ein; erstere durch Übermittlung einer Protestnote „gegen die ausländische Aggression gegen Österreich“ beim Völkerbund sowie die – erfolglose – Forderung der Einberufung einer Ratstagung durch den damaligen Außenminister Eduardo Hay,[18] letztere durch Protestschreiben an die Westmächte.

In Würdigung der mexikanischen Protestnote wurde am 27. Juni 1956 der Erzherzog-Karl-Platz in Wien in Mexikoplatz umbenannt. Seit 1985 steht dort ein Gedenkstein mit folgender Inschrift: Mexiko war im März 1938 das einzige Land, das vor dem Völkerbund offiziellen Protest gegen den gewaltsamen Anschluß Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich einlegte. Zum Gedenken an diesen Akt hat die Stadt Wien diesem Platz den Namen Mexikoplatz verliehen. Ein 1988 gestiftetes weiteres Denkmal steht in Mexiko-Stadt.

Eingliederung in das Deutsche Reich

Josef Bürckel wurde im April 1938 als „Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ eingesetzt. Ihm folgte ab 1940 Baldur von Schirach.

Die Österreicher wurden mit Verordnung vom 3. Juli 1938 zu Staatsbürgern des Deutschen Reiches und teilten nun, soweit sie dies erlebten, die nationalsozialistische Geschichte des Reiches bis zu dessen historischem Untergang 1945, wobei sich nicht wenige Österreicher an der nationalsozialistischen Aggressions- und Vernichtungspolitik aktiv beteiligten. In der NS-Propaganda wurde der Staat nun als Großdeutsches Reich bezeichnet; offiziell fand sich diese Bezeichnung 1943 zum ersten Mal auf Briefmarken.

Am 1. Mai 1939 wurde das so genannte Ostmarkgesetz verabschiedet, mit dem die Befugnisse vom Reichsstatthalter an den Reichskommissar übergeben werden sollten. Die Umsetzung dieses Gesetzes war am 31. März 1940 beendet. Gleichzeitig mit der Machtübernahme wurde Wien als Hauptstadt entmachtet: Es verlor seine metropolitane Stellung und die Beziehungen der Länder beziehungsweise Gaue zu Wien wurden abgeschnitten; Hauptstadt war ausschließlich Berlin. Die Länderstrukturen blieben (abgesehen von der Aufteilung des Burgenlandes und der Vereinigung von Vorarlberg mit Tirol) im Wesentlichen erhalten.[19]

Das Gebiet des ehemaligen Bundesstaates Österreich wurde in Reichsgaue (Kärnten, Niederdonau, Oberdonau, Salzburg, Steiermark, Tirol und Wien) gegliedert. Hitler ließ den von ihm ungeliebten Namen Österreich (nach seinen Worten eine „Mißgeburt der Geschichte“) anfangs durch Ostmark ersetzen, eine ab dem 19. Jahrhundert verbreitete Übersetzung für marcha orientalis, die damals auch für Gebiete im Osten Preußens verwendet wurde (siehe Deutscher Ostmarkenverein). In der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft gab es daneben einen Gau Bayerische Ostmark.[20]

Ab 1942 wurde die Benennung Ostmark durch Donau- und Alpenreichsgaue abgelöst. Der Historiker Karl Vocelka, Professor für österreichische Geschichte an der Universität Wien, sieht darin einen weiteren Schritt im Bestreben der nationalsozialistischen Machthaber, jeden Hinweis auf eine (historische) Eigenständigkeit Österreichs auszulöschen.[21] Möglicher Grund für die Umbenennung ist auch, dass im Zuge der Eroberungen des Deutschen Reiches in Osteuropa das frühere Österreich keine „östliche Grenzmark“ mehr darstellte.[22]

Opferthese

Der „Anschluss“ war ein „Grenzfall zwischen Annexion, Fusion und Okkupation“.[23] Die anfänglich euphorische Stimmung in der Bevölkerung wich im Laufe des Krieges einer weiten Ernüchterung. Nach Ende des Krieges wurde ein unabhängiges Österreich wiederhergestellt. Dennoch waren die Geschehnisse im Jahre 1938 für weite Teile der Bevölkerung ein Gesprächstabu. Der Mythos von Österreich als „erstes Opfer“ des nationalsozialistischen Deutschlands war weit akzeptierte Meinung und offizielle Position der Republik Österreich und basierte unter anderem auf der von den Alliierten beschlossenen Moskauer Deklaration von 1943. Mit diesem Mythos verweigerte die Republik Österreich jahrzehntelang, sich um eine ernsthafte Entschädigung aller Opfer des Nationalsozialismus, insbesondere der jüdischen Mitbürger, zu bemühen sowie eine offizielle Entschuldigung abzugeben, da Österreich nicht nur laut Eigenauffassung als Völkerrechtssubjekt mit Vollzug des Anschlusses nicht mehr existierte[24] und deshalb auch nicht zur Rechenschaft gezogen werden konnte.

Erst mit der kontroversen Waldheim-Affäre 1986 fing die kritische Vergangenheitsbeleuchtung der Rolle der Österreicher während des Anschlusses und des Zweiten Weltkriegs ernsthaft an. Die Wahl Waldheims trat eine große Debatte in Österreich los, 1993 entschuldigte sich Bundeskanzler Franz Vranitzky für die Rolle der Österreicher bei einer Rede vor der Knesset und bat um Vergebung. Auch auf massivem Druck der US-amerikanischen Regierung wurden unter anderem der Nationalfonds eingerichtet, um die Verfolgten symbolisch zu entschädigen und die Restitution anzugehen. Schulbücher und Unterricht wurden so geändert, um den Anschluss in einem objektiveren Licht darzustellen und den Opfermythos zu beseitigen. Der 1992 eingerichtete Gedenkdienst für junge Bürger ist ein weltweit einzigartiges Netzwerk für Holocaustgedenkstätten und Museen, die Mithilfe in ihren Archiven und Bibliotheken in Anspruch nehmen wollen.

Rezeption

Der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich ist im Wiener Heeresgeschichtlichen Museum (Saal VII – „Republik und Diktatur“) dokumentiert. Ausgestellt sind u. a. NS-Werbeflugblätter, Stimmzettel sowie Objekte, welche die Übernahme des Bundesheeres in die Wehrmacht veranschaulichen.[25]

Der Schriftsteller Erich Kästner thematisierte den Anschluss und den folgenden österreichischen Opfermythos in einem Spottlied, in dem er die Nationalallegorie Austria folgendes singen ließ:

„Ich habe mich zwar hingegeben, doch nur weil ich gemußt.
Geschrien habe ich nur aus Angst und nicht aus Liebe und Lust.
Und daß der Hitler ein Nazi war – das habe ich nicht gewußt!“[26]

Siehe auch

Literatur

  • Heinz Arnberger (Hrsg): „Anschluss“ 1938: Eine Dokumentation. Österreichischer Bundesverlag, Wien 1988, ISBN 3-215-06824-9.
  • Gerhard Botz: Wien vom Anschluss zum Krieg. Wien/München 1978.
  • Georg Christoph Berger Waldenegg: Hitler, Göring, Mussolini und der „Anschluß“ Österreichs an das Deutsche Reich, VfZ 51 (2003), S. 147–182.
  • George Eric Rowe Gedye: Als die Bastionen fielen. Die Errichtung der Dollfuss-Diktatur und Hitlers Einmarsch in Wien und den Sudeten. Eine Reportage über die Jahre 1927–1938. Nachdruck der deutschen Ausgabe von 1947. Junius, Wien 1981, ISBN 3-900370-01-X.
  • Jobst Knigge: Prinz Philipp von Hessen. Hitlers Sonderbotschafter für Italien. Humboldt Universität Berlin 2009.
  • Alkuin Volker Schachenmayr: Der Anschluss im März 1938 und die Folgen für Kirche und Klöster in Österreich. Forschungsbericht der Arbeitstagung des EUCist in Heiligenkreuz vom 7./8. März 2008. Heiligenkreuz 2009, ISBN 978-3-9519898-5-3.
  • Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. de Gruyter, Berlin 1998, ISBN 3-11-013379-2, S. 32–34.
  • Ulrich Weinzierl (Hrsg.): Österreichs Fall – Schriftsteller berichten vom „Anschluss“. 2. Aufl., Wien und München 1988, ISBN 3-224-11429-0.
  • Joachim C. Fest: Hitler. Zweiter Band: Der Führer, Ullstein Buch, 1976, ISBN 3-548-03274-5.

Literarische Verarbeitungen

Weblinks

 Commons: Anschluss Österreichs – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Friedrich Heer: Der Kampf um die österreichische Identität, Wien 2001, ISBN 3-205-99333-0, u. a. S. 21, 29, Kap. 3.
  2. Margarethe Haydter, Johann Mayr: Regionale Zusammenhänge zwischen Hauptwiderstandsgebieten zur Zeit der Gegenreformation und den Julikämpfen 1934 in Oberösterreich. In: Zeitgeschichte, 9. Jg., Heft 11/12, 1982, S. 392–407.
  3. Staatsgesetzblatt Nr. 5 / 1918 (S. 4)
  4. Hellwig Valentin: Vom Länderpartikularismus zum föderalen Bundesstaat. In: Stefan Karner, Lorenz Mikoletzky (Hrsg.): Österreich. 90 Jahre Republik, Innsbruck 2008, ISBN 978-3-7065-4664-5, S. 35 ff.
  5. Stefan Karner: Problemfelder des wirtschaftlichen Aufbaus in Österreich 1918/19, in Stefan Karner, Lorenz Mikoletzky (Hrsg.): Österreich. 90 Jahre Republik. Innsbruck 2008, ISBN 978-3-7065-4664-5, S. 205 ff.
  6. http://www.oeaw.ac.at/cmc/kds/b_images/580_008.jpg
  7. Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs: Das Linzer Programm, 3. November 1926.
  8. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hrsg.): Widerstand und Verfolgung in Wien 1934–1945. Eine Dokumentation, Wien 1984, Bd. 1, S. 105, zitiert nach: Rudolf G. Ardelt: Die Sozialdemokratie und der „Anschluß“, in: Dokumentationsarchiv […]: „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation, Österreichischer Bundesverlag, Wien 1988, ISBN 3-215-06824-9, S. 65
  9. Widerstand, S. 186, zitiert nach: ebenda.
  10. 10,0 10,1 Ardelt in: „Anschluß“ 1938, S. 67.
  11. Auch die Kirche bekennt sich zu Großdeutschland! In: Wiener Bilder vom 3. April 1938, S. 17
  12. Wiener Künstler zum 10. April. In: Neues Wiener Journal, 7. April 1938, S. 13 (Online bei ANNO)Vorlage:ANNO/Wartung/nwj
  13. Wilhelm J. Wagner: Der große Bildatlas zur Geschichte Österreichs. Kremayr & Scheriau, 1995, ISBN 3-218-00590-6 (Kapitel „Heim ins Reich“).
  14. Angela Tesch: 24.03.1938: Jungfernfahrt der „Wilhelm Gustloff“, mdr.de vom 24. März 2008.
  15. Manfred Jochum: Die Erste Republik in Dokumenten und Bildern. Wilhelm Braumüller Universitäts-Verlagsbuchhandlung, Wien 1983, S. 247.
  16. Ernst Hanisch: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. Wien 1994, S. 370.
  17. Gabriele Holzer: Verfreundete Nachbarn. Österreich – Deutschland. Ein Verhältnis. Wien 1995, ISBN 3-218-00606-6, S. 86.
  18. Die Protestnote Mexikos an den Völkerbund im Wortlaut.
  19. Ernst Hanisch: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. Wien 1994, S. 363.
  20. Helmut W. Schaller/Historisches Lexikon Bayerns: „Bayerische Ostmark, 1933–1945“; 1942 wurde der Gau Bayerische Ostmark, der infolge der NS-Eroberungspolitik nicht mehr im Grenzgebiet lag, in Gau Bayreuth umbenannt.
  21. Karl Vocelka: Geschichte Österreichs (S. 300), Heyne 2002, ISBN 3-453-21622-9.
  22. Andreas Hillgruber: „Die versuchte Auslöschung des Namens „Österreich“ und seine Ersetzung zunächst durch „Ostmark“, dann (als die Ostgrenze des Großdeutschen Reiches durch die vorrückende Front immer weiter nach Osten verschoben wurde) durch die Verlegenheitsbezeichnung „Donau- und Alpengaue“, kennzeichnete oberflächlich den Weg vermeintlich vollständiger Eingliederung.“ Aus: Das Anschlussproblem (1918–1945) – Aus deutscher Sicht. In: Robert A. Kann, Friedrich E. Prinz: Deutschland und Österreich. Ein bilaterales Geschichtsbuch. Wien/München 1980, S. 175.
  23. Clemens Jabloner (Hrsg.): Schlussbericht der Historikerkommission der Republik Österreich. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Zusammenfassungen und Einschätzungen. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, Wien/München 2003, ISBN 3-7029-0474-3, S. 245.
  24. Vgl. Andreas Zimmermann, Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge, Springer, 2000, S. 48.
  25. Manfried Rauchensteiner, Manfred Litscher (Hg.): Das Heeresgeschichtliche Museum in Wien. Graz/Wien 2000, S. 79.
  26. Vgl. Walter Simon: Mehr Hitze als Licht. S. 32. In: Academia, S. 32–34.
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