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Arzneimittel

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Arzneimittel, veraltet Arzenei[1] kurz Arzneien oder gleichbedeutend Medikamente (lateinisch medicamentum - das Heilmittel) sind „Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten bestimmt sind oder aber im oder am menschlichen oder tierischen Körper verwendet oder einem Menschen bzw. Tier verabreicht werden können, um entweder die menschlichen bzw. tierischen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen.“ Diese etwas sperrige Beschreibung basiert auf den Definitionen in den zwei grundlegenden gesetzlichen Regelwerken über die Human- und Tierarzneimittel in der Europäischen Union, den Richtlinien 2001/83/EG [2] (Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel) und 2001/82/EG [3] (Gemeinschaftskodex für Tierarzneimittel) in der jeweils gültigen Fassung. Sie ist mittlerweile in etliche nationale Arzneimittelgesetze eingeflossen, darunter auch in das deutsche Arzneimittelgesetz. Die Behandlung mit Arzneimitteln wird als Medikation bezeichnet.

Das Arzneimittelrecht enthält auch Vorschriften zur Bezeichnung von Arzneimitteln sowie zu Pflichtinformationen, die der Hersteller für Anwender und Verbraucher bereitstellen muss. Die große Vielfalt der heute verfügbaren Arzneimittel lässt sich nur mit Hilfe von speziellen Klassifikationssystemen und Arzneimittelverzeichnissen überblicken.

Neue Arzneimittel werden in der Pharmaforschung entwickelt, wo neue Arzneistoffe identifiziert und experimentelle Arzneimittel in Laborversuchen und klinischen Studien geprüft werden. Arzneimittel sind meist keine Reinstoffe, sondern Zubereitungen von Arzneistoffen mit Hilfsstoffen. Die gängigste Arzneiform ist die Tablette, die durch den Mund, also peroral, eingenommen werden kann. Arzneimittel werden heute zum weit überwiegenden Teil von Pharmaunternehmen als so genannte Fertigarzneimittel hergestellt. Diese Fertigarzneimittel dürfen in vielen Ländern nur mit einer Genehmigung der zuständigen Behörde, einer Arzneimittelzulassung, angeboten oder verkauft werden. Auch die Abgabe ist streng reglementiert. Die meisten Arzneimittel dürfen nur in Apotheken an Endverbraucher abgegeben werden, viele davon nur auf ärztliches Rezept. Die mit der Beschaffenheit, Wirkung, Prüfung, Herstellung und Abgabe von Arzneimitteln befasste Wissenschaft ist die Pharmazie.

Die Pharmakologie studiert dagegen die Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln und dem Körper. Verschiedene Körperprozesse sind an der Aufnahme, Verteilung, Veränderung und Ausscheidung von Arzneimitteln beteiligt. Arzneimittel wirken, indem sie spezifisch mit bestimmten Zielstrukturen im Körper interagieren und dadurch Körperfunktionen beeinflussen. Die Summe der erwünschten Wirkungen eines Arzneimittels, die so genannte Wirksamkeit, führt zur Linderung oder Heilung einer Krankheit. Diese Wirksamkeit wird fast immer auch von unerwünschten Wirkungen, den Nebenwirkungen, begleitet. Arzneimittel haben damit einen zweischneidigen Charakter. Die Abwägung von Nutzen und Risiken ist deshalb ein zentrales Problem in der Entwicklung, Zulassung und Anwendung von Arzneimitteln. Auch deshalb werden Fertigarzneimittel nach der Zulassung laufend auf das Auftreten unerwünschter Wirkungen hin überwacht. Arzneimittel zählen zu den wichtigsten Werkzeugen der Medizin, gleichzeitig sind aber die Arzneimittelausgaben der drittgrößte Kostenfaktor in den Gesundheitssystemen der industrialisierten Länder. Deshalb wurden vielfältige, von Land zu Land verschiedene Regelungen zur Preisfestsetzung und zur Kostenübernahme eingeführt.

Arzneimittel wirken nicht nur im behandelten Organismus. Von manchen Arzneimitteln stellen Rückstände in Lebensmitteln oder der Umwelt ein Problem dar, das vermehrt Beachtung findet.

Arzneimittel werden seit Jahrtausenden genutzt. Pflanzliche Arzneidrogen und manche andere Stoffe waren schon in der Antike gebräuchlich. Die Entwicklung von Arzneimitteln auf naturwissenschaftlicher Grundlage begann im 19. Jahrhundert und fand im 20. Jahrhundert einen großen Aufschwung. Gleichzeitig wurde die Einzelherstellung in der Apotheke weitgehend durch industrielle Fertigung ersetzt. Die Anwendung von modernen Arzneimitteln ist eine große Erfolgsgeschichte. So ist durch die Verwendung von Impfstoffen und Antibiotika die Sterblichkeit durch Infektionskrankheiten deutlich gesunken. Andererseits war das 20. Jahrhundert auch von verschiedenen Arzneimittelskandalen überschattet, in deren Folge die Entwicklung, Herstellung und Überwachung von Arzneimitteln verbessert und immer mehr reguliert wurde.

Arzneimittelbegriff

Bei der in der Einleitung genannten Definition des Arzneimittelbegriffes gemäß europäischer Regelungen ist als wesentlich die zweifache Bedeutung hervorzuheben, nämlich hinsichtlich der

  • Zweckbestimmung des Mittels, losgelöst von einer tatsächlichen Wirksamkeit (Arzneimittel nach der Bezeichnung, Präsentationsarzneimittel)
  • Existenz einer pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Wirkung im behandelten menschlichen oder tierischen Organismus (Arzneimittel nach der Funktion, Funktionsarzneimittel).

Das bedeutet, es sind sowohl Produkte, die zum Zweck der Heilung oder Krankheitsverhütung angewendet werden bzw. angewendet werden sollen, losgelöst von einer tatsächlichen Wirkung, als Arzneimittel einzustufen wie auch Produkte, die keinen Heilanspruch erheben, aber aufgrund ihrer speziellen Zusammensetzung eine Wirkung entfalten. Diese Einstufung ist wichtig, da Arzneimittel unter ein anderes Recht fallen als Lebensmittel, Kosmetika oder Medizinprodukte (Problematik der Produktabgrenzung).

Heilmittel hingegen umfassen andere medizinisch unterstützende Maßnahmen wie Badekuren, Massagen, Ergotherapie oder Krankengymnastik.

Deutschland

Das deutsche Arzneimittelgesetz hat die europäischen Arzneimitteldefinitionen für Human- und Tierarzneimittel übernommen und unter nur leichter Abwandlung des Wortlauts in § 2 Absatz 1 vereint.

Auch die sogenannte „Zweifelsfall-Regelung“ aus Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinien 2001/83/EG und 2001/82/EG wurde in das AMG übernommen. Sie besagt, dass die Regelungen des Arzneimittelgesetzes auch dann anzuwenden sind, wenn ein Produkt sowohl unter die Arzneimitteldefinition als auch unter die Definition anderer Produktgruppen (beispielsweise Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel, Medizinprodukte, Biozide oder Kosmetika) fällt.

Das Arzneimittelgesetz definiert darüber hinaus in § 4 als spezielle Erscheinungsform eines Arzneimittels die Fertigarzneimittel: dies sind „Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden oder andere zur Abgabe an Verbraucher bestimmte Arzneimittel, bei deren Zubereitung in sonstiger Weise ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt oder die, ausgenommen in Apotheken, gewerblich hergestellt werden. Fertigarzneimittel sind nicht Zwischenprodukte, die für eine weitere Verarbeitung durch einen Hersteller bestimmt sind.“ Im Gegensatz zu Fertigarzneimitteln werden sogenannte Rezeptur- und Defekturarzneimittel in Apotheken hergestellt.

Weiterhin differenziert das AMG die Arzneimittel je nach Beschaffenheit oder Anwendungsbereich in Blutzubereitungen, Sera, Impfstoffe, Allergene, Fütterungsarzneimittel, Arzneimittel für neuartige Therapien (auch ATMPs genannt; Advanced Therapy Medicinal Products), sowie in radioaktive, xenogene, homöopathische, anthroposophische und pflanzliche Arzneimittel.

Österreich

In Österreich ist die europäische Arzneimitteldefinition noch nicht vollständig umgesetzt. Arzneimittel sind laut § 1 Absatz 1 definiert als „Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung dazu dienen oder nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt sind, bei Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper

  • Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen,
  • die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände erkennen zu lassen,
  • vom menschlichen oder tierischen Körper erzeugte Wirkstoffe oder Körperflüssigkeiten zu ersetzen,
  • Krankheitserreger, Parasiten oder körperfremde Stoffe abzuwehren, zu beseitigen oder unschädlich zu machen oder
  • die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen.“

Die Definition ist nahezu wortidentisch zu der im deutschen Arzneimittelgesetz vor Inkrafttreten der 15. AMG-Novelle im Juli 2009.

Außerdem gelten als Arzneimittel solche Gegenstände, die ein Arzneimittel enthalten oder auf die ein Arzneimittel aufgebracht ist, und die zur Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind sowie Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die die Merkmale des Absatz 1 nicht aufweisen, sofern sie dazu bestimmt sind, für die Herstellung von Arzneimitteln verwendet zu werden.

Schweiz

In der Schweiz definiert Artikel 4 des Heilmittelgesetzes (HMG) Arzneimittel im Sinne des Gesetzes so: „Produkte chemischen oder biologischen Ursprungs, die zur medizinischen Einwirkung auf den menschlichen oder tierischen Organismus bestimmt sind oder angepriesen werden, insbesondere zur Erkennung, Verhütung oder Behandlung von Krankheiten, Verletzungen und Behinderungen; zu den Arzneimitteln gehören auch Blut und Blutprodukte.“

Das Heilmittelgesetz kennt unter anderem auch den Begriff „Arzneimittel der Komplementärmedizin“. Unter diesen Begriff fallen nach der Komplementär- und Phytoarzneimittelverordnung namentlich „asiatische, homöopathische (einschließlich homöopathisch-spagyrische/spagyrische) sowie anthroposophische Arzneimittel“; unter asiatischen Arzneimitteln werden chinesische, tibetische oder ayurvedische Arzneimittel verstanden.[4]

Arzneimittelbezeichnung und Klassifizierung

Angesichts der großen Vielfalt an Arzneimitteln ist es wichtig, dass diese eindeutige Bezeichnungen tragen, um potentiell gefährliche Verwechslungen zu vermeiden. Für Fertigarzneimittel wurden deshalb feste Regeln für die Bezeichnung eingeführt. Als Name des Arzneimittels wird oft ein vom Hersteller vorgeschlagener, von den Behörden genehmigter Phantasiename verwendet,[5] der zugleich oft als Handelsname geschützt ist. Alternativ wird der von der Weltgesundheitsorganisation vergebene, auf den Arzneistoff bezogene Internationale Freiname, teils in Verbindung mit dem Herstellernamen oder anderen Zusätzen, als Arzneimittelname verwendet. Dies ist bei Generika häufig der Fall. Der Freiname muss bei Arzneimitteln mit bis zu drei Wirkstoffen in jedem Fall angegeben werden.[6] Der Freiname ist nicht nur eine frei verwendbare eindeutige Bezeichnung für den Arzneistoff, aus bestimmten Kennsilben im Namen kann auch die Wirkstoffklasse abgeleitet werden.[7]

Zur systematischen Ordnung der Arzneimittelvielfalt wurden Klassifikationssysteme entwickelt, die Arzneimittel nach Stoffgruppen oder Diagnosegruppen einteilen. Ein viel gebräuchliches System ist das von der Weltgesundheitsorganisation koordinierte Anatomisch-Therapeutisch-Chemische Klassifikationssystem. Dieses nutzt die Organe für den Hauptwirkort, Therapiegruppen sowie die chemische Struktur, um Substanzen, also Arzneistoffe und teilweise auch Kombinationen, zu kategorisieren. Für den deutschen Arzneimittelmarkt gibt es eine angepasste amtliche deutsche Version.[8]

Arzneimittelinformation

Zuverlässige Information zur Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit ist unerlässlich für die sichere Anwendung von Arzneimitteln. Bei Fertigarzneimitteln ist die amtliche Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels ein zentrales Dokument, von dem sich ein großer Teil der Arzneimittelinformation ableitet.[9] Dort werden beispielsweise Zusammensetzung, Anwendungsgebiete, Dosierung, Gegenanzeigen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen angegeben. Als Fachinformation wird die Information von den Herstellern vor allem für Fachkreise bereitgestellt; auch die Packungsbeilage für den Verbraucher leitet sich inhaltlich von diesem Dokument ab.

Arzneimittelverzeichnisse erleichtern das Finden von Informationen über Arzneimittel. Weite Verbreitung haben kommerzielle Verzeichnisse wie die Rote Liste, die die Zusammensetzung von Fertigarzneimitteln, deren Anwendungsgebiet, die Dosierung, den Hersteller, den Preis und andere Details angeben. Zur Information der Öffentlichkeit wurden amtliche, frei zugängliche Arzneimittelinformationssysteme aufgebaut, darunter EudraPharm für die EU und PharmNet.Bund für Deutschland. Für die Schweiz gibt es das Arzneimittel-Kompendium der Schweiz. Weitere international bedeutende Listen sind die British National Formulary und die Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation.

Das Arzneibuch deckt einen anderen Bereich der Information ab als die Arzneimittelverzeichnisse. Es verzeichnet die gebräuchlichen Arzneistoffe (Synonym: Pharmawirkstoffe), Hilfsstoffe und Arzneiformen. Dort werden alle für die Arzneimittelprüfung wichtigen Spezifikationen (qualitative und quantitative Grenzwerte) und Prüfmethoden in detaillierten Monographien beschrieben. Fertigarzneimittel sind im Arzneibuch aus systematischen Erwägungen heraus grundsätzlich nicht erfasst.

Entwicklung

Hauptartikel: Pharmaforschung

Die Entwicklung neuer Arzneimittel umfasst die Identifizierung und nichtklinische Entwicklung neuer Wirkstoffe, die galenische Entwicklung von Arzneiformen sowie die klinische Prüfung. Wegen der umfangreichen und langwierigen vorgeschriebenen Wirksamkeits- und Verträglichkeitsprüfungen ist die Entwicklung eines innovativen Arzneimittels sehr teuer. Neue Wirkstoffe werden deshalb von den Entwicklern patentiert, sie können somit nur vom Patentinhaber kommerziell verwendet werden. Erst nach Ablauf des Patentschutzes können andere Firmen billigere Generika-Präparate mit dem gleichen Wirkstoff auf den Markt bringen. Jährlich kommen nur wenige innovative neue Arzneimittel auf den Markt. Die Entwicklung eines Arzneimittels ohne neuen Wirkstoff, beispielsweise eine neue Arzneiform eines bekannten Arzneistoffs oder ein Generikum, ist weit weniger aufwändig.

Nichtklinische Entwicklung

In der nichtklinischen Entwicklung werden neue Wirkstoffe identifiziert, verbessert und in geeigneten experimentell-pharmakologischen Testsystemen auf ihre Eignung als Arzneistoff untersucht.[10] Die Entwicklung schließt eine umfangreiche Toxizitätsbestimmung einschließlich vorgeschriebener Tierversuche ein.

Die neuen Stoffe können synthetische Stoffe oder Naturstoffe aus Pflanzen, Tieren oder Mikroorganismen sein. Oft werden große Molekülbibliotheken durchsucht, aus denen am Ende nur einige wenige neue Stoffe zur weiteren Entwicklung geeignet sind. Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts werden auch vermehrt gentechnisch hergestellte Stoffe eingesetzt.

Die Pharmazeutische Technologie oder Galenik entwickelt die Arzneiform eines fertigen Arzneimittels aus einem (oder mehreren) Arzneistoffen und einem (oder mehreren) Hilfsstoffen. Durch die Galenik kann die Freisetzungsgeschwindigkeit, der Ort der Freisetzung und der Ort der Wirkung beeinflusst werden.

Klinische Prüfung

Für die Zulassung eines Humanarzneimittels ist dessen Prüfung in klinischen Studien am Menschen vorgeschrieben. Diese umfassen:[10]

  • Phase I: Überprüfung der Aufnahme des Arzneistoffs und erste qualitative Überprüfungen der (Neben-)Wirkungen an einem kleinen Kreis i. d. R. gesunder Probanden (ca. 10–50 Probanden).
  • Phase II: Qualitative und quantitative Überprüfungen der Wirkungen und Nebenwirkungen eines Arzneistoffs und Dosisfindung für Phase III der klinischen Prüfung (ca. 100–500 Patienten).
  • Phase III: Quantitativer Nachweis der Wirksamkeit eines Arzneimittels gegenüber einem Placebo oder einer anderen Kontrolle unter definierten Bedingungen (meist über 1.000 Patienten).
  • (Phase IV): Nach erteilter Zulassung werden Arzneimittel weiter in Langzeitstudien untersucht.

Die meisten experimentellen Arzneimittel scheitern im Verlauf der klinischen Prüfung. Nur ca. 8 % der in Phase I untersuchten Mittel erreichen am Ende die Zulassung.[10]

Herstellung

Die Arzneimittelherstellung umfasst die Produktion des Arzneimittels in seiner gewünschten Arzneiform, aber auch die Beschaffung der Ausgangsmaterialien und die Verpackung sowie die Qualitätssicherung. Die Herstellung findet heute zum größten Teil industriell in Pharmaunternehmen statt, die Eigenherstellung von Arzneimitteln in Apotheken spielt nur noch eine geringe Rolle.

Arzneiformen

Verschiedene feste Arzneiformen: Tabletten, Kapseln

Arzneistoffe werden meist nicht als reiner Stoff verwendet sondern in einer besonderen Arzneiform zubereitet. Die Zubereitung soll in der Anwendung eine sichere Dosierbarkeit erlauben und die Wirkung des Arzneistoffs optimieren. Dazu werden die Arzneistoffe mit Hilfsstoffen in verschiedenen Herstellungsverfahren verarbeitet. Die am häufigsten hergestellten Formen sind Tabletten und Kapseln; zusammen stellen diese ca. 80 % der verwendeten Arzneimittel.[11] Neben festen Arzneiformen sind noch flüssige Formen zur Injektion oder Infusion, sowie zur oralen Anwendung (z. B. Sirup), Salben zur äußerlichen Anwendung sowie Aerosole und Lösungen zur Inhalation gebräuchlich; weitere Sonderformen kommen nur recht selten zum Einsatz.

Produktion

Tablettierung

Die Herstellungsverfahren der pharmazeutischen Technologie sind je nach Arzneiform sehr verschieden. Bei der häufigsten Form, der Tablette, werden beispielsweise die Ausgangsstoffe eingewogen und gemischt, meist zur besseren Verarbeitbarkeit granuliert und dann erst trocken zu Tabletten gepresst.[11] Diese werden anschließend oft noch mit einem Überzug versehen, der ihnen besondere Eigenschaften wie beispielsweise Gleitvermögen, Säurefestigkeit oder Aussehen verleiht.

Die Produktion muss unter kontrollierten, keimarmen Bedingungen erfolgen. Arzneimittel zur Injektion müssen steril hergestellt werden. Besonders aufwändig ist die Herstellung biologischer Arzneimittel, bei denen geringe Abweichungen im Verfahren zu großen Unterschieden in der Wirkstärke führen können. Die gesamte Herstellung wird von einer laufenden Qualitätssicherung überwacht. Dabei ist die Beschaffenheit des Arzneimittels, insbesondere Identität, Gehalt und Reinheit, zu kontrollieren. Alle Herstellungsschritte müssen ausführlich dokumentiert werden.[12]

Verpackung und Kennzeichnung

Blister mit Tabletten

Die Verpackung samt ihrer Kennzeichnung ist ein fester Bestandteil eines Fertigarzneimittels. Sie muss im Rahmen der Zulassung genehmigt werden. Feste Arzneiformen werden oft in Sichtverpackungen (Blistern), die in Faltschachteln verpackt werden, abgegeben.

Fertigarzneimittel müssen in der Europäischen Union unter anderem mit dem Namen des Arzneimittels, der Stärke und der Darreichungsform, dem internationalen Freinamen, dem Namen des Pharmaunternehmens, der Packungsgröße, dem Verfalldatum und der Chargennummer gekennzeichnet sein.[6] Darüber hinaus können von Land zu Land weitere Kennzeichen gesetzlich vorgeschrieben oder handelsüblich erforderlich sein.

In Deutschland wird beispielsweise die für die Logistik und die Abrechnung wichtige Pharmazentralnummer mit Code 39 verwendet. Dazu haben die betroffenen Spitzenverbände der Apotheken und Krankenkassen sich gemäß § 300 SGB V (Fünftes Buch) vertraglich geeinigt, bei der Arzneimittelabrechnung die PZN als Identifikationsschlüssel zu verwenden. Zu diesem Zweck übertragen die Apotheken die PZN der zu Lasten der GKV abgegebenen Arzneimittel maschinenlesbar auf die Verordnungsblätter. Der Pharmahandel nutzt PZN für Bestellung, Fakturierung, Logistik und für das Lagerwesen. Hierbei dienen PZN als Artikel-/ Bestellnummern in (elektronischen) Bestellaufträgen zwischen Industrie, Pharmazeutischen Großhandlungen und Apotheken, auf Lieferscheinen und Rechnungen. Sie unterstützen die Tourenplanung und -verfolgung, die Identifikation der gelieferten Waren beim Wareneingang und im Warenlager. In diesem Zusammenhang spielt das Thema Strichcodierung eine zentrale Rolle.

Verfahrensänderungen

Aktuell (2010) wird von GS1 Deutschland (GS1 Germany GmbH) propagiert, die PZN durch zusätzliche EAN zu ergänzen, wobei für das deutsche Gesundheitswesen kein Mehrwert definiert ist, nachzulesen unter "Die EAN Artikelnummer für Apotheken-pflichtige Produkte".[13] Profiteur sind in Deutschland die parallelen Distributionen und der Vertrieb für frei handelbare Arzneimittel durch andere Organisationen als durch die für den Arzneimittelvertrieb vom Gesetzgeber privilegierten Apotheken und deren Großhändler. Zu einer Verbesserung der Arzneimittelsicherheit tragen solche Verfahrensänderungen nichts bei: Die Verteilung einer einzelnen Dosis an den Patienten nutzt beide Kennzeichen nicht, weder für eine Blisterpackung noch für die Dosis selbst.

Rechtsvorschriften

Die Arzneimittelherstellung ist durch nationale, europäische und internationale Regelwerke geregelt. Damit soll die Versorgung der Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen Arzneimitteln sichergestellt werden. Arzneimittelhersteller benötigen eine behördliche Herstellungserlaubnis, für deren Erteilung geeignete und ausreichende Räume, technische Einrichtungen und Kontrollmöglichkeiten vorhanden sein müssen.[14] In der Europäischen Union muss für den Hersteller eine sachkundige Person bescheinigen, dass jede Charge eines Arzneimittels entsprechend den Spezifikationen und Vorschriften hergestellt und geprüft worden ist. Die Einhaltung der Good Manufacturing Practice, die eine ordnungsgemäße, hygienische, gut dokumentierte und kontrollierte Herstellung vorschreibt, wird durch behördliche Inspektionen überprüft.[12]

Verkehr

Das so genannte Inverkehrbringen beinhaltet nach dem deutschen AMG (§ 4, Abs. 17) „das Vorrätighalten zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe, das Feilhalten, das Feilbieten und die Abgabe an andere.“ In vielen Ländern ist der Verkehr mit Arzneimitteln durch das Arzneimittelrecht streng reguliert. Arzneimittel dürfen nur nach behördlicher Zulassung in den Verkehr gebracht werden. Die Abgabe von Arzneimitteln an Endverbraucher ist für verschiedene Kategorien von Arzneimitteln unterschiedlich streng reglementiert. Die Arzneimittelwerbung unterliegt in vielen Ländern einer gesonderten Rechtsprechung.

Zulassung

Hauptartikel: Arzneimittelzulassung

Fertigarzneimittel bedürfen in vielen Ländern einer behördlichen Genehmigung, bevor sie in den Verkehr gebracht werden dürfen. Zweck dieser Regelung ist es, die Bevölkerung vor schädlichen oder unwirksamen Arzneimitteln zu schützen. Das Pharmaunternehmen muss in einem Zulassungsantrag die Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität des Arzneimittels belegen. Entscheidend für die Zulassung durch die zuständige Arzneimittelbehörde ist, dass die Beurteilung der Unterlagen für das Arzneimittel ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis ergibt. Die mit dem Antrag bei der Behörde vorzulegende Dokumentation ist detailliert geregelt.[15]

In der Europäischen Union wurden einheitliche Verfahren eingeführt, die eine Zulassung in mehreren Mitgliedstaaten ermöglichen. Für bestimmte Arzneimittel, darunter gentechnisch hergestellte Arzneimittel und Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen gegen HIV, Krebs, Diabetes und einige weitere Krankheiten ist die Antragstellung bei der Europäischen Arzneimittelagentur für eine EU-weite Zulassung zwingend vorgeschrieben.[15] Für andere Arzneimittel kann der Zulassungsantrag bei der jeweils zuständigen nationalen Behörde gestellt werden, in Deutschland bei dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte oder dem Paul-Ehrlich-Institut, in Österreich bei der in der Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) angesiedelten Medizinmarktaufsicht.

Die Schweiz führt Zulassungen unabhängig von der EU durch, zuständig ist hier die Swissmedic. In den USA erfolgt die Zulassung durch die FDA.

In den letzten Jahren wurden in der EU und in den USA spezielle Vorschriften und Verfahren für die Zulassung von Orphan-Arzneimitteln und Kinderarzneimitteln eingeführt, um in diesen vernachlässigten Gebieten die Entwicklung zu fördern.

Die Verordnung eines zugelassenen Arzneimittels in einer Indikation oder Patientengruppe außerhalb der erteilten Zulassung wird als Off-Label-Use bezeichnet.[16] Die in Einzelfällen vorzeitig geduldete Anwendung eines noch nicht zugelassenen Arzneimittels aus humanitären Erwägungen nennt man auch Compassionate Use.

Abgabe

Die Abgabe von Arzneimittel an den Endverbraucher ist streng geregelt.[16] Pharmaunternehmen und Pharmagroßhandel beliefern in der Regel nur Apotheken und Krankenhausapotheken; die weitaus meisten Arzneimittel dürfen nur von Apotheken an den Endverbraucher abgegeben werden. Damit soll eine fachkundige Beratung der Verbraucher sichergestellt werden.

In Deutschland können Arzneimittel nach Abgabeerlaubnis in vier Gruppen eingeteilt werden:

  1. freiverkäufliche, d. h. nicht apothekenpflichtige (Verkauf auch außerhalb von Apotheken)
  2. apothekenpflichtige (Abgabe nur in Apotheken)
  3. verschreibungspflichtige (Abgabe nur in Apotheken gegen Vorlage einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Verschreibung)
  4. Betäubungsmittel (Abgabe in Apotheken nur gegen Vorlage eines Betäubungsmittelrezeptes)

Die ersten beiden Gruppen von Arzneimitteln werden zusammen auch als OTC-Arzneimittel (von engl. „over the counter“ = über die Ladentheke) bezeichnet. Im Jahr 2007 waren von allen in Deutschland zugelassenen Arzneimitteln 60 % verschreibungspflichtig, 34 % apothekenpflichtig und 5 % frei verkäuflich. Betäubungsmittel machten ein Prozent aus.[17]

In der Schweiz existieren entsprechend fünf Abgabekategorien:

  1. Kategorie A: Einmalige Abgabe auf ärztliche Verschreibung
  2. Kategorie B: Abgabe auf ärztliche Verschreibung
  3. Kategorie C: Abgabe in Apotheken
  4. Kategorie D: Abgabe in Apotheken und Drogerien
  5. Kategorie E: Abgabe ohne Fachberatung

Im Jahr 2005 fielen 59 % aller in der Schweiz zugelassenen Arzneimittel in die Kategorien A und B, 10 % in die Kategorie C und 31 % in die Kategorien D und E.[18]

Die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um Arzneimittel abgeben zu dürfen, sind von Land zu Land verschieden. In Deutschland dürfen nur Apotheker Apotheken besitzen und apothekenpflichtige Humanarzneimittel abgeben. In manchen anderen europäischen Ländern, darunter auch Österreich und einige Kantone der Schweiz, haben auch bestimmte Ärzte ein solches Dispensierrecht. Tierärzte dürfen auch in Deutschland Tierarzneimittel aus einer Tierärztlichen Hausapotheke abgeben.[16]

Anwendung

Arzneimittel werden unter vielfältigen Umständen angewendet, von der eigenverantwortlichen Selbstmedikation bis hin zur Gabe durch Fachärzte unter intensiver stationärer Überwachung. In jedem Fall ist die Wahl eines für das Anwendungsgebiet geeigneten Mittels entscheidend. Dabei können Arzneimittel in verschiedenen Arzneiformen über verschiedene Anwendungsarten gegeben werden.

Anwendungsgebiet

Unter medizinischen Gesichtspunkten ist entscheidend, ein für das Anwendungsgebiet, die so genannte Indikation, geeignetes Arzneimittel anzuwenden. Dabei sind Gegenanzeigen oder Kontraindikationen und Arzneimittelwechselwirkungen zu beachten. Eine Verordnung eines Arzneimittels außerhalb der in der Zulassung genannten Anwendungsgebiete erfordert eine besondere Aufklärung des Patienten durch den Arzt.[16]

Die im Jahr 2007 in Deutschland am häufigsten verordneten Arzneimittelgruppen waren ACE-Hemmer und Sartane zur Behandlung des Bluthochdrucks, Antibiotika gegen bakterielle Infektionen, Entzündungshemmer und Antirheumatika, Schmerzmittel, Betablocker bei Herz-Kreislauferkrankungen und Antidiabetika bei Diabetes mellitus.[19]

Verordnung

Die Anwendung der weitaus meisten Arzneimittel erfolgt auf ärztliche Verordnung. Ärzte sind angehalten, beim Ausstellen eines Rezeptes neben der medizinischen Notwendigkeit auch die Möglichkeit einer nichtmedikamentösen Behandlung, die Wirtschaftlichkeit sowie weitere rechtliche Vorgaben zu berücksichtigen.[20] Unterlassen Ärzte beim Einsatz von Medikamenten, die sich lebensgefährlich auswirken können, die gebotene lückenlose ärztliche Kontrolle, kann dies zu berufsrechtlichen Sanktionen führen.[21] Der Arzneimittelverordnung sollte eine für den Patienten individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung vorausgehen.

Anwendungsart

Für Arzneimittel gibt es eine Reihe verschiedener Anwendungsarten oder Applikationsformen. Man kann beispielsweise innerliche und äußerliche, örtliche und körperweite Applikationen unterscheiden. Am häufigsten ist die perorale Gabe durch den Mund, da diese vom Patienten einfach selbstständig durchzuführen ist und entsprechende Arzneiformen günstig herzustellen sind. Arzneimittelgaben durch Injektion sind aufwändiger und müssen in der Regel durch medizinisches Fachpersonal durchgeführt werden. Bei bestimmten chronischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus können Patienten geschult werden, sich selbst Injektionen zum Beispiel von Insulinpräparaten zu verabreichen.

Qualitätssicherung

Um Schädigungen durch unsachgemäße Anwendung von Arzneimitteln zu vermeiden, sind Qualitätssicherungsmaßnahmen erforderlich. Ärzte können bei der Verordnung neben der jeweiligen Fachinformation herstellerunabhängige Therapieleitlinien heranziehen, die für viele Erkrankungen den Stand der Wissenschaft darlegen.[22] EDV-Lösungen können bei Unstimmigkeiten zwischen Diagnosen und Verordnungen oder bei zu erwartenden Wechselwirkungen entsprechende Hinweise geben. Apotheker sind bei der Abgabe von Arzneimitteln verpflichtet, die ärztliche Verordnung auf Irrtümer zu überprüfen und die Qualität des abzugebenden Arzneimittels zu kontrollieren. Pflegekräfte sollen beim Richten und Verabreichen von Arzneimitteln Prinzipien wie die so genannte 5-R-Regel anwenden: richtiger Patient, richtiges Arzneimittel, richtige Dosierung und/oder Konzentration, richtige Applikationsart, richtiger Zeitpunkt.[23]

Viele Patienten müssen im Laufe eines Tages mehrere Arzneimittel einnehmen. Um die Einnahme zu erleichtern, werden oft Medikamentendispenser eingesetzt. Eine andere Möglichkeit ist die individuelle Verblisterung von Arzneimitteln durch eine Apotheke. Hierbei werden die verschiedenen verschriebenen Fertigarzneimittel für den Patienten in eine Sichtverpackung umverpackt. Nach dem deutschen Arzneimittelgesetz ist für eine solche Verblisterung keine Zulassung erforderlich.(§ 21, Abs. 2, 1b. (b))

Wirkungen

Arzneimittel und die in ihnen enthaltenen Arzneistoffe interagieren auf vielfältige Weise mit dem menschlichen oder tierischen Körper.[24] Diese Wechselwirkungen untersucht die Pharmakologie. Sie studiert den zeitlichen Verlauf der Arzneistoffmenge im Körper nach Gabe ebenso wie die Wirkstärke und die Wirkmechanismen am Wirkort und letztlich die Auswirkungen auf den Körper insgesamt. Arzneimittel werden angewendet, um medizinisch relevante Ergebnisse zu erzielen. Diese erwünschten Wirkungen von Arzneimitteln, die Wirksamkeit, werden meist von Nebenwirkungen begleitet, die den Nutzen einschränken können. Die Abwägung des Nutzens gegenüber dem Risiko ist stets individuell abzuwägen.

Pharmakokinetik

Hauptartikel: Pharmakokinetik

Die Pharmakokinetik betrachtet den zeitlichen Verlauf der Konzentration eines Arzneistoffs im Körper nach Gabe des Arzneimittels.[24] Um ihre Wirkung im Körper ausüben zu können, müssen Arzneimittel beziehungsweise die in ihnen enthaltenen Arzneistoffe Gelegenheit erhalten, den Wirkort zu erreichen. Tabletten beispielsweise, die durch schlucken gegeben werden, müssen zuerst zerfallen, bei ganz genommenen Tabletten geschieht dies im Magen oder im Darm. Von dort muss der freigesetzte Arzneistoff ins Blut aufgenommen oder resorbiert werden. Die Verteilung im Körper erfolgt durch den Blutkreislauf, der den Arzneistoff auch zum Wirkort, beispielsweise einem Organ, transportiert. Gleichzeitig wirken aber noch weitere Körperfunktionen auf den Arzneistoff ein. Durch den Stoffwechsel kann er verändert oder abgebaut werden. Diese Biotransformation kann den Arzneistoff unwirksam machen, aber auch schädliche Abbauprodukte erzeugen. Schließlich werden Arzneistoffe oder ihre Abbauprodukte auch wieder ausgeschieden, meist über die Niere oder die Galle.

Pharmakodynamik

Hauptartikel: Pharmakodynamik

Die Pharmakodynamik untersucht die Wirkung des Arzneistoffs am Wirkort.[24] Definitionsgemäß üben Arzneimittel eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung auf die Körperfunktionen aus.[25] Dies erfolgt in der Regel durch hochselektive Wechselwirkungen mit bestimmten Körperbestandteilen. Der Wirkmechanismus der meisten Arzneistoffe beruht darauf, an bestimmte Zielstrukturen im Körper zu binden. Derartige Zielstrukturen sind oft Membranrezeptoren oder Enzyme, deren Funktion durch den Arzneistoff aktiviert oder gehemmt wird. Dadurch wird die Körperfunktion und der Krankheitsverlauf beeinflusst. Die vielen verschiedenen gebräuchlichen Arzneistoffe wirken über nur wenige Hundert verschiedene Zielstrukturen im menschlichen Körper.

Die Stärke der pharmakologischen Wirkung hängt in der Regel von der Dosis des Arzneimittels ab. Dies lässt sich in einer Dosis-Wirkungs-Beziehung darstellen. Nicht alle Wirkungen eines Arzneimittels sind erwünscht. Aus den Dosis-Wirkungs-Beziehungen für die erwünschten und die unerwünschten Wirkungen lässt sich die so genannte therapeutische Breite eines Arzneimittels ableiten. Diese ist ein Maß für die Sicherheit: je größer die therapeutische Breite, desto sicherer ist das Arzneimittel in der Anwendung.

Wirksamkeit

Hauptartikel: Therapeutische Wirksamkeit

Die Wirksamkeit eines Arzneimittels ist die Summe seiner erwünschten Wirkungen für das jeweilige Anwendungsgebiet.[26] Arzneimittel werden insbesondere angewendet, um Krankheiten zu erkennen, zu verhüten, zu lindern oder zu heilen. Dieses Ziel geht weit über eine rein pharmakologische Wirkung hinaus. Arzneimittel sollen je nach Bestimmung eine therapeutische Wirksamkeit, eine diagnostische Eignung oder eine präventive Wirkung haben, die in klinischen Studien belegt wurde. Dies ist eine Voraussetzung für die Arzneimittelzulassung.

Nicht alle Arzneimittel vermögen Krankheiten zu heilen oder die Krankheitsursachen zu behandeln. Oft beschränkt sich die Wirksamkeit auf eine Besserung von Symptomen.

Nebenwirkungen

Hauptartikel: Nebenwirkung

Eine Nebenwirkung eines Arzneimittels ist eine bei normalem Gebrauch auftretende Wirkung, die schädlich und unbeabsichtigt ist.[27] In der medizinischen Fachsprache ist auch der gleichbedeutende Begriff Unerwünschte Arzneimittelwirkung üblich. In schweren Fällen können Nebenwirkungen zu Arzneimittelschäden führen, bei denen der Körper oft dauerhafte Schäden erleidet. Treten solche Schäden nach bestimmungsgemäßem Gebrauch des Arzneimittels auf, dann kann das Pharmaunternehmen dafür haften. Praktisch alle Arzneimittel zeigen Nebenwirkungen; bekannte Nebenwirkungen sind in der Packungsbeilage zusammen mit ihrer Häufigkeit dokumentiert. Dabei werden Nebenwirkungen, die bei über 10 % der Behandelten auftreten, als sehr häufig gekennzeichnet, solche, die bei 1 bis 10 % auftreten, als häufig, solche, die bei 0,1 bis 1 % auftreten, als gelegentlich, solche, die bei 0,01 bis 0,1 % auftreten, als selten.[28]

Wechselwirkungen

Hauptartikel: Arzneimittelwechselwirkung

Die Wirkung von Arzneimitteln wird noch dadurch verkompliziert, dass sich verschiedene Arzneimittel gegenseitig beeinflussen können.[24] Diese Arzneimittelwechselwirkungen können bis zum vollständigen Wirkungsverlust eines Mittels oder auch zu schweren Nebenwirkungen führen. Arzneimittelwechselwirkungen können auf Interaktionen der Arzneistoffe am selben Wirkort oder an derselben Körperfunktion beruhen (pharmakodynamische Interaktion) oder auf Wechselwirkungen in der Arzneimittelaufnahme, Verteilung, dem Arzneimittelstoffwechsel oder der Ausscheidung (pharmakokinetische Interaktion). Auch Unverträglichkeiten der Stoffe kommen vor (pharmazeutische Interaktion). Insbesondere bei einer Multimedikation sind Arzneimittelwechselwirkungen ein großes Problem, da die Wahrscheinlichkeit von Wechselwirkungen mit der Zahl der Arzneimittel rasch zunimmt.

Ähnlich wie bei Arzneimittelwechselwirkungen können auch manche Lebensmittel die Wirkung bestimmter Arzneimittel beeinflussen.

Missbrauch

Wegen ihrer Wirkungen werden manche Arzneimittel auch immer wieder missbraucht. Besonders problematisch ist der oft mit einer Abhängigkeit verbundene Medikamentenmissbrauch beispielsweise von Benzodiazepinen und Opiaten. In Deutschland wird die Zahl der medikamentenabhängigen Menschen auf 1,4 bis 1,9 Millionen geschätzt.[29]

Ein anderer Bereich, in dem Arzneimittel missbräuchlich eingesetzt werden, ist das Doping. Hier kommt es durch Einsatz von illegal beschafften bedenklichen Mitteln und durch Fehlgebrauch immer wieder zu schweren Arzneimittelschäden.

Überwachung

Hauptartikel: Pharmakovigilanz

Fertigarzneimittel werden nach der Zulassung laufend auf das Auftreten unerwünschter Wirkungen hin überwacht, um unerwartete, bisher unbekannte und seltene Nebenwirkungen zu erfassen.[28] Der Grund hierfür ist, dass bei der Zulassung nur wenige tausend Patienten behandelt wurden, wodurch seltene Nebenwirkungen nicht erfasst werden können. Auch Langzeitschäden sind zum Zeitpunkt der Zulassung meist nicht absehbar.

Deshalb müssen Ärzte und Apotheker Verdachtsfälle solcher Nebenwirkungen melden. Die pharmazeutischen Unternehmer sind gesetzlich verpflichtet, unerwünschte Wirkungen – selbst wenn es nur Verdachtsfälle sind – je nach Schwere entweder kurzfristig oder zu vorgeschriebenen Berichtszeitpunkten der Zulassungsbehörde anzuzeigen. Sie müssen regelmäßig Datenbanken und die Literatur analysieren und auswerten und die Ergebnisse an die zuständigen Behörden berichten, die wiederum die Meldungen bewerten. In Deutschland ergreifen dann das BfArM oder das PEI bei Bedarf nach einem Stufenplanverfahren entsprechende Maßnahmen, um gesundheitliche Risiken abzuwenden. Das können Auflagen zur Arzneimittelinformation oder Einschränkungen der Zulassung sein; in seltenen Fällen werden Arzneimittel sogar ganz vom Markt genommen.

Ökonomie und Gesundheitssysteme

Top 10 Arzneimittelmärkte der Welt[30]:34
nach Umsatz (real)
Rang
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Land 1976 1985 2000
Wert
(Mill. US-$)
Anteil Welt
(%)
Wert
(Mill. US-$)
Anteil Welt
(%)
Wert
(Mill. US-$)
Anteil Welt
(%)
USA 7,90 18,4 26,45 28,1 149,5 52,9
Japan 4,02 9,3 14,04 14,9 51,5 18,2
Frankreich 2,70 6,3 4,47 4,8 16,7 5,9
Deutschland 3,41 7,9 6,00 6,4 16,2 5,7
Großbritannien 1,03 2,4 2,35 2,5 11,1 3,9
Italien 1,90 4,4 3,67 3,9 10,9 3,9
Spanien 1,32 3,1 7,1 2,5
Kanada 1,69 1,8 6,2 2,2
Brasilien 1,21 2,8 1,41 1,5 5,2 1,8
Mexiko 0,77 1,8 4,9 1,7
China 2,60 6,0 4,70 5,0
Indien 1,78 1,9
Top 10 26,86 62,4 66,56 70,8 279,3 98,7
Welt 43,05 100,0 94,10 100,0 282,5 100,0

Arzneimittel sind einerseits ein bedeutendes Wirtschaftsgut, das in manchen Industrieländern erheblich zur Handelsbilanz beiträgt, andererseits ein großer Kostenfaktoren für die Gesundheitssysteme. Deshalb ist in vielen Ländern ein dichtes Geflecht an jeweils spezifischen Regulierungen zur Preisbildung und zur Kostenübernahme entstanden. Diese sind auch in der EU nicht harmonisiert.

Die Arzneimittelausgaben aller OECD-Länder lagen 2007 bei über 650 Mrd. US $.[31] Damit entfielen im Schnitt 15 % aller Gesundheitsausgaben auf diesen Bereich, der nach der Krankenhausbehandlung und der ambulanten Versorgung der drittgrößte Kostenfaktor ist. Zugleich sind die Arzneimittelausgaben in den letzten zehn Jahren international auch inflationsbereinigt um fast 50 % gestiegen und somit ein wichtiger Kostentreiber.

2007 gaben die USA mit weitem Abstand am meisten pro Kopf für Arzneimittel aus, gefolgt von Kanada und Griechenland. Deutschland und die Schweiz liegen im Mittelfeld, etwas über dem OECD-Durchschnitt.[31]

Deutschland

Im Jahr 2004 wurden Arzneimittel im Wert von 36,1 Mrd. € abgegeben.[17] Zwei Drittel der Kosten trugen die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV), weitere 22 % private Haushalte. Von den Ausgaben der Haushalte waren wiederum ein Drittel Selbstbeteiligungen, der Rest ging in die Selbstmedikation. Die Arzneimittelkosten zu Lasten der GKV waren 2004 mit 308 € je Versichertem im internationalen Vergleich moderat.[17] Dazu trägt ein Generikaanteil von über 50 % der Verordnungen bei.

Im Jahr 2011 haben die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland 27,1 Milliarden Euro für Arzneimittel ausgegeben. Damit waren die Ausgaben um rund 2,8 % niedriger als 2010.[32]

Bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln werden die Abgabepreise durch die Arzneimittelpreisverordnung geregelt. Das hohe Preisniveau von Arzneimitteln wird kritisiert.[17]

Versicherte in der deutschen GKV haben nach dem SGB V im Wesentlichen Anspruch auf Versorgung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Dieser Anspruch wird durch die Arzneimittel-Richtlinie des G-BA konkretisiert. Um das Wachstum der Arzneimittelausgaben zu bremsen, wurden für viele Arzneimittelgruppen Festbeträge eingeführt, die den maximalen Preis festlegen, der von der GKV übernommen wird. Über Arzneimittel-Rabattverträge können Krankenversicherungen mit Herstellern Vergünstigungen aushandeln. Schließlich wurde eine Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln durch das IQWiG eingeführt, auf deren Grundlage der G-BA die Versorgung mit einzelnen Arzneimitteln beschränken kann.

Schweiz

Im Jahr 2005 wurden Arzneimittel im Wert von 6229 Mio. Franken abgegeben.[18]. Die Arzneimittel machen 25 % der Kosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung aus. Die Ausgaben pro Kopf lagen 2005 bei 569 Franken.[18] Die Grundversicherung zahlt nur Arzneimittel in der Spezialitätenliste, einer Positivliste für Arzneimittel, die gleichzeitig Höchstpreise enthält, bis zu denen Kosten übernommen werden. In der Schweiz wird 80 % des Umsatzes mit Originalpräparaten gemacht. Selbstbehalteregelungen, die Generika gegenüber Originalpräparaten begünstigen, sollen deren Verwendung fördern.[18]

Arzneimittelpreise werden in der Schweiz durch die Krankenpflege-Leistungsverordnung geregelt. Preisvergleiche zwischen europäischen Ländern zeigen, dass Arzneimittel in der Schweiz besonders teuer sind.[18]

Österreich

Österreich gilt bei Arzneimitteln als „Billigpreisland“.[33] Im Jahr 2007 wurden Arzneimittel im Wert von 2,822 Mrd. € auf Kosten der GKV abgegeben.[33] Damit haben Arzneimittel (mit Mehrwertsteuer) 21,4 % der Ausgaben der Krankenversicherungsträger ausgemacht. Die Arzneimittelausgaben pro Einwohner lagen 2008 bei 326 € ohne Mehrwertsteuer.[33] Arzneimittel müssen im Erstattungskodex verzeichnet sein, wenn sie von der Sozialversicherung bezahlt werden sollen; die Aufnahme in den Kodex ist oft mit Preisvereinbarungen verbunden. Patienten werden in den meisten Fällen über eine Rezeptgebühr an den Arzneimittelkosten beteiligt.

Arzneimittelrückstände

Arzneimittel enthalten aufgrund ihrer Bestimmung in der Regel biologisch hochaktive Stoffe, die oft auch relativ stabil sind und im Körper oder in der Umwelt nur langsam abgebaut werden. Da eine unbeabsichtigte Aufnahme von Arzneimitteln zu Gesundheitsschäden führen kann, müssen auch deren Rückstände beachtet werden.

Rückstände in Lebensmitteln

Tierarzneimittel, die bei Lebensmittel liefernden Tieren eingesetzt werden, können eine Gefährdung für den Menschen darstellen. Deshalb ist die Verwendung von Arzneimitteln in der Tierproduktion gesetzlich geregelt. Schon bei der Zulassung von Tierarzneimitteln werden gesundheitliche Risiken durch Rückstände bewertet und die Lebensmittelsicherheit beurteilt.[34] So legt in der EU die Verordnung (EG) Nr. 470/2009 über Rückstandshöchstmengen pharmakologisch wirksamer Stoffe in Lebensmitteln tierischen Ursprungs Höchstmengen von Rückständen fest, die für den Menschen als unbedenklich gelten. Nach der Anwendung von Tierarzneimitteln müssen oft vorgeschriebene Wartezeiten eingehalten werden, bevor das behandelte Tier in die Lebensmittelherstellung gelangen darf. Lebensmittel werden von Behörden laufend stichprobenartig auf Arzneimittelrückstände geprüft.

Rückstände in der Umwelt

Arzneimittel, ihre Inhaltsstoffe und deren Abbauprodukte gelangen auf vielfältige Weise in die Umwelt, wo sie unter Umständen Menschen, Tiere und Ökosysteme gefährden können.

Eintragsquellen von Arzneimitteln und Arzneimittelrückständen in die Umwelt

Eintragsquellen sind neben den Ausscheidungen (Urin, Kot) von Mensch und Tier auch das unsachgemäße Entsorgen ungebrauchter Arzneimittel über den Hausmüll oder die Kanalisation.

Durch verbesserte Analysetechniken werden seit etwa Mitte der 1990er Jahre vermehrt Arzneimittelrückstände in Oberflächen-, Grund- und Trinkwässern nachgewiesen. Allerdings sind die Konzentrationen so niedrig, dass eine akute pharmakologische Wirkung nicht zu erwarten ist.[35] Andererseits sind die Stoffmengen in Gewässern durchaus mit denen von Pflanzenschutzmitteln vergleichbar. Eine mögliche Ökotoxizität wird daher vermehrt beachtet. Mit dem Antrag auf Zulassung eines Arzneimittels muss der Antragsteller deshalb seit einigen Jahren auch eine Umweltrisikobewertung vorlegen.

Besonders kritisch werden beispielsweise Rückstände von Antibiotika in der Umwelt angesehen, da befürchtet wird, dass sich bei Bakterien Antibiotikum-Resistenzen ausbilden können, die die Wirksamkeit von Antibiotika gegen Krankheitserreger einschränken.[36]

Geschichte

Für eine Reihe von Heilpflanzen finden sich Hinweise auf ihre Anwendung schon aus vor- und frühgeschichtlicher Zeit. Bereits in einem Grab eines Neandertalers (Shanidar IV., im heutigen Irak) das vor etwa 70.000–40.000 Jahren angelegt wurde, finden sich Beigaben, die nach Pollenuntersuchungen sieben Heilpflanzen zuzuordnen sind, weswegen hier das Grab eines Heilkundigen, eines Schamanen mit Attributen seiner Tätigkeit vermutet wird. Steht dieser Fund aus frühester Zeit noch isoliert, so sind aus dem Neolithikum, der jüngeren Steinzeit, eine Reihe von Funden bekannt, die auf die Anwendung von Heilpflanzen schließen lassen.

Aus den frühen Hochkulturen gibt es zahlreiche schriftliche Zeugnisse für deren umfangreichen Arzneischatz, in Assyrien und Ägypten waren einige hundert pflanzliche, tierische und mineralische Arzneimittel in Gebrauch.

Griechisch-römische Überlieferung

Für die Arzneien der westlichen Medizin sind folgende Autoren besonders wichtig:

  • Theophrastos von Eresos (371–287 v. Chr.) beschrieb 550 Pflanzen, darunter zahlreiche Arznei- und Giftpflanzen.
  • Plinius der Ältere (23/24–79 n. Chr.) schrieb eine höchst umfangreiche enzyklopädische Naturkunde, die Naturalis historia. Die Heilmittel nehmen einen breiten Raum ein, es werden beinahe 1000 aus dem Pflanzenreich beschrieben.
  • Die in fünf Büchern abgefasste Arzneimittellehre De materia medica des römischen Militärarztes Dioskurides (1. Jahrhundert) ist die umfangreichste des Altertums. Sie behandelt Arzneimittel aus allen drei Naturreichen, es werden 102 mineralische, 101 tierische und 813 pflanzliche Arzneimittel beschrieben. Das Werk erschien um 78 n. Chr. und wirkte über Jahrhunderte. Besonders im Mittelalter diente es als Vorbild und Fundgrube für andere einschlägige Kompendien.

Mittelalter

Die mittelalterlichen Quellen zum Arzneischatz sind zahlreich. Dazu gehört unter anderem das Lehrgedicht Liber de Cultura Hortorum oder Hortulus des Walahfrid Strabo (9. Jahrhundert), der Abt des Klosters Reichenau war. Das Wissen über die Heilkräfte der Pflanzen wird in Gedichtform (Hexameter) vermittelt. Ebenfalls ein Lehrgedicht über Heilpflanzen und durch den Hortulus beeinflusst ist der Macer floridus. Der Verfasser, Odo von Meung, lebte im 11. Jahrhundert. Eine vom 13. Jahrhundert an überlieferte thüringisch-schlesische Prosaübersetzung und -bearbeitung, der „Ältere deutsche Macer“, war weit verbreitet und diente neben anderen Quellen als Textgrundlage für den „Gart der Gesundheit“ von 1485, eines der einflussreichsten gedruckten Kräuterbücher. Zudem wird das europäische Mittelalter etwa vom Jahr 1000 an mit verloren geglaubten oder in Vergessenheit geratenen Schriften der Antike durch Übersetzungen aus dem Arabischen ins Lateinische bekannt. Die Zentren der Übersetzertätigkeit liegen in Süditalien (Salerno) und Spanien (Toledo). Dazu kommen eigenständige Erkenntnisse arabischer Gelehrter. Abu Bakr Mohammad Ibn Zakariya al-Razi (865 bis etwa 930), Avicenna (980–1037) und andere arabische Autoren zählen zu den hochgeachteten Autoritäten der europäischen Heilkunde. In ihren Schriften werden bislang unbekannte Arzneidrogen beschrieben, zum Beispiel Ambra, Benzoeharz, Cubeben, Galgant, Kampfer, Moschus, Muskat, Mumie (siehe Mumia), Sandelholz, Sennesblätter und andere.

Auch unabhängig vom antiken oder arabischen Einfluss werden hier und da neue, eigenständige Beobachtungen gemacht, die das Wissen über den Arzneischatz bereichern. Herausragend sind die Physica der Hildegard von Bingen und eine Schrift des Albertus Magnus mit dem Titel De vegetabilibus.

Neuzeit

Seit der frühen Neuzeit wurde der europäische Arzneischatz erheblich erweitert:

  • durch eine neue Dimension im Handel mit Heilpflanzen und Drogen, die sich nach der Entdeckung des Seeweges nach Ostindien durch Vasco da Gama und die Landung in Amerika durch Columbus eröffnete. So kamen beispielsweise Brechwurzel, Chinarinde, Curare, Guajak und Perubalsam nach Europa.
  • durch Produkte alchemistischer Tätigkeit. Besonders wichtig war die Alchemie der Araber, da hier eine medizinische Zielrichtung in den Vordergrund trat: die Suche nach der Panazee, der Universalmedizin. Der wichtigste Wegbereiter für den Einsatz (al)chemischer Präparate in der Medizin wurde Philippus Theophrastus Bombastus von Hohenheim genannt Paracelsus (1493–1541). Er vertritt die innerliche Anwendung von Chemikalien, gerade von giftigen Antimon- und Quecksilberpräparaten als erster. Zwar fanden seine Lehren zu seinen Lebzeiten nur einen beschränkten Anhängerkreis, doch seine Nachfolger, die Paracelsisten, vermittelten seine Ideen einem immer größer werdenden Kreis von Medizinern und anderen Gelehrten. Paracelsus entwickelte Heilmittel auf Basis von Alkohol, die - später verbessert durch Valerius Cordus - als Hoffmannsche Tropfen (Ether und Alkohol) seit 1560 sehr beliebt waren. Johann Rudolph Glauber hat das Natriumsulfat (Glaubersalz) dargestellt und als Heilmittel erprobt. Er fand antiseptische Eigenschaften von Phenol und isolierte Alkaloide mit Schwefelsäure und Salpetersäure.

Von hier führt der Weg zur pharmazeutischen Chemie.

19.–21. Jahrhundert

Analytisches Labor im VEB Arzneimittelwerk Dresden, 1976

Die Neuzeit brachte mit ihren naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ganz erhebliche Veränderungen des Arzneischatzes. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es zunächst eine deutliche Reduktion: Übrig blieb, was nach damaligem Stand der Wissenschaft in der Wirksamkeit als gesichert galt.

Der Erkenntniszuwachs in der Chemie führte dazu, dass eine Fülle von wirksamen Inhaltsstoffen aus Arzneipflanzen isoliert wurden, etwa die Alkaloide Chinin, Morphin, Strychnin. Nicht nur Alkaloide, auch viele weitere Pflanzeninhaltsstoffe wurden isoliert und davon eine große Zahl arzneilich verwendet.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann der Siegeszug der organisch-synthetischen Arzneimittel, die von der Teerfarben-Industrie entwickelt wurden, wobei das Herstellungsverfahren dem Patentschutz unterlag. Dies förderte ganz erheblich die industrielle Produktion von Arzneispezialitäten, den in abgabefertiger Verpackung hergestellten Arzneimitteln, wie sie heute das Bild beherrschen. Die Acetylsalicylsäure, bekannt unter dem Namen Aspirin®, viele andere Schmerzmittel und weitere auf das Nervensystem wirkende Arzneistoffe gehören hierher (Narkosemittel, Antiepileptika, Parkinsonmittel, Psychopharmaka und andere). Weitere Beispiele sind Arzneimittel, die das vegetative Nervensystem beeinflussen, etwa die Sympatholytika (zu denen die Betablocker zählen), die zur Behandlung von Herz-Kreislauferkrankung eingesetzt werden. Die Zahl der synthetisierten Wirkstoffe wurde rasch unüberschaubar.

Bei den Hormonen und Vitaminen gab es in der Folge biochemischer, physiologisch- und klinisch-chemischer Untersuchungen des 19. und 20. Jahrhunderts zahlreiche Fortschritte. Dabei wurden unter anderem die Grundlagen für den therapeutischen Einsatz von Vitaminen, Insulin, den Sexualhormonen (Estrogene, Gestagene, die „Pille“, Androgene), den Hormonen der Nebennierenrinde (Glukokortikoide wie Cortison), Schilddrüsenhormonen, den Gewebshormonen und ihren Antagonisten (beispielsweise Antihistaminika als Antiallergika) gelegt.

Besondere Bedeutung erlangten Arzneimittel zur Vorbeugung und Therapie der Infektionskrankheiten. Dazu gehören vor allem Antibiotika, Impfstoffe sowie Mittel zur Desinfektion und Sterilisation. Mit ihrer Hilfe, aber auch durch bessere Ernährung und Wohnung sowie infolge verbesserter Hygiene, sind einst lebensbedrohliche Erkrankungen („Geißeln der Menschheit“), die auf Mikroorganismen zurückgehen, stark zurückgegangen. Zu nennen sind hier die Forschungen von Paul Ehrlich (1854–1915) (Arsphenamin) und Gerhard Domagk (1895–1964) (Sulfonamide). Dazu kam die Entdeckung, dass Naturstoffe, so das von Schimmelpilzen gebildete Penicillin, als Antibiotika erfolgreich gegen diese Krankheiten eingesetzt werden können.

Anhang

Literatur

Geschichte

  • Nicholas Eschenbruch, Viola Balz, Ulrike Klöppel, Marion Hulverscheidt: "Arzneimittel des 20. Jahrhunderts. Historische Skizzen von Lebertran bis Contergan", Bielefeld 2009, 344 S., ISBN 978-3-8376-1125-0
  • Wolf-Dieter Müller-Jahncke, Christoph Friedrich, Ulrich Meyer: Arzneimittelgeschichte. 2., überarb. und erw. Aufl., Stuttgart 2005, 282 S., ISBN 3-8047-2113-3
  • Wolf-Dieter Müller-Jahncke, Christoph Friedrich: Geschichte der Arzneimitteltherapie. Stuttgart: Deutscher Apothekerverlag 1996 ISBN 3-7692-2038-2
  • Rudolf Schmitz: Geschichte der Pharmazie. Band I: Von den Anfängen bis zum Ausgang des Mittelalters. Eschborn: Govi-Verlag 1998 ISBN 3-7741-0706-8
  • Rudolf Schmitz, Wolf-Dieter Müller-Jahncke, Christoph Friedrich: Geschichte der Pharmazie. Band II: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Eschborn: Govi-Verlag 2005 ISBN 978-3-7741-1027-4

Kritische Literatur über Arzneimittel

  • Marcia Angell: Der Pharma-Bluff. Wie innovativ die Pharmaindustrie wirklich ist. Kompart, Bonn und Bad Homburg 2005, ISBN 978-3-9806621-9-2
  • Markus Grill: Kranke Geschäfte – Wie die Pharmaindustrie uns manipuliert. Rowohlt, Reinbek 2007, ISBN 978-3-498-02509-0
  • Sonia Shah: Am Menschen getestet!. Redline Wirtschaft, München 2008 ISBN 978-3-636-01561-7

Arzneimittelmetabolismus

Einzelnachweise

  1. http://www.zeno.org/Zeno/0/Suche?q=Arzenei&k=Bibliothek
  2. Richtlinie 2001/83/EG in der konsolidierten Fassung vom 20. Juli 2009 (PDF) (495 kB).
  3. Richtlinie 2001/82/EG in der konsolidierten Fassung vom 7. August 2009 (PDF) (429 kB).
  4. Verordnung des Schweizerischen Heilmittelinstituts über die vereinfachte Zulassung von Komplementär- und Phytoarzneimitteln (Komplementär- und Phytoarzneimittelverordnung) HTML.
  5. Richtlinie 2001/83/EG Artikel 1 (20).
  6. 6,0 6,1 Richtlinie 2001/83/EG Artikel 54.
  7. Franz Bracher, Frank Dombeck: Was internationale Freinamen aussagen. In: Pharmazeutische Zeitung 45 (2002) online.
  8. Wissenschaftliches Institut der AOK: Anatomisch-therapeutisch-chemische Klassifikation (ATC).
  9. Richtlinie 2001/83/EG Artikel 11.
  10. 10,0 10,1 10,2 Achim Aigner, Frank Czubayko, Gerhard Klebe, Milton Stubbs: Das Nadelöhr – von der Forschung zur Entwicklung. In: Dagmar Fischer, Jörg Breitenbach (Hrsg.): Die Pharmaindustrie. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. 3. Auflage 2010 ISBN 978-3-8274-2129-6.
  11. 11,0 11,1 Robert Becker: Dem Arzneistoff eine Chance – die Arzneiform. In: Dagmar Fischer, Jörg Breitenbach (Hrsg.): Die Pharmaindustrie. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. 3. Auflage 2010 ISBN 978-3-8274-2129-6.
  12. 12,0 12,1 Tobias Jung: Menschen, Prozesse, Material – die Produktion. In: Dagmar Fischer, Jörg Breitenbach (Hrsg.): Die Pharmaindustrie. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. 3. Auflage 2010 ISBN 978-3-8274-2129-6.
  13. CCG-Nachrichten: Neue Kennzeichnung statt allein mit PZN nun mit PZN und EAN vorgeschlagen.
  14. Richtlinie 2001/83/EG Artikel 40. abgerufen am 4. Dezember 2011
  15. 15,0 15,1 Manfred Schlemminger: The proof of the pudding – die Zulassung. In: Dagmar Fischer, Jörg Breitenbach (Hrsg.): Die Pharmaindustrie. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. 3. Auflage 2010 ISBN 978-3-8274-2129-6.
  16. 16,0 16,1 16,2 16,3 Erwin Deutsch, Andreas Spickhoff: Medizinrecht. Kapitel XXVIII: Arzneimittelverkehr. Berlin: Springer, 6. Auflage 2008 ISBN 978-3-540-72467-4.
  17. 17,0 17,1 17,2 17,3 Michael Simon: Das Gesundheitssystem in Deutschland. Eine Einführung in Struktur und Funktionsweise. Kapitel 7: Die Arzneimittelversorgung. Bern: Huber, 2. Auflage 2008 ISBN 978-3-456-84135-9.
  18. 18,0 18,1 18,2 18,3 18,4 Fridolin Marty: Medikamente In: Gerhard Kocher, Willy Oggier (Hrsg.): Gesundheitswesen Schweiz 2007 – 2009 Bern: Huber, 2007 ISBN 978-3-456-84422-0.
  19. Ulrich Schwabe, Dieter Paffrath (Hrsg.): Arzneiverordnungsreport 2008 Kapitel 1: Arzneiverordnungen 2007 im Überblick. Heidelberg: Springer, 2008 ISBN 978-3-540-69218-8.
  20. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Arzneiverordnungen. Kapitel A: Vorschriften und Ratschläge für die Verordnung. Köln: Deutscher Ärzteverlag, 20. Auflage 2003 ISBN 3-7691-1140-0.
  21. VG Berlin, Urteil vom 2. November 2011, Az. 90 A 3.08, Volltext.
  22. Rainer Lasek und Bruno Müller-Oerlinghausen: Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. In: Z Arztl Fortbild Qualitatssich. Bd. 91:375–383 (1997); PMID 9340209.
  23. Antje Jelinek, Rainer Danz (Hrsg.): Arzneimittel. Lehrbuch für Pflegeberufe.Kapitel 3: Umgang mit Arzneimitteln München: Fischer & Urban, 2005 ISBN 3-437-26290-4.
  24. 24,0 24,1 24,2 24,3 Ernst Mutschler, Gerd Geisslinger, Heyo Kroemer, Peter Ruth, Monika Schäfer-Korting: Arzneimittelwirkungen. Stuttgart: Wiss. Verlagsges. 9. Auflage 2008 ISBN 978-3-8047-1952-1.
  25. Richtlinie 2001/83/EG Artikel 1 (2) abgerufen am 4. Dezember 2011.
  26. Karl Feiden, Hermann Pabel: Wörterbuch der Pharmazie Band 3: Arzneimittel- und Apothekenrecht Stuttgart: Wiss. Verlagsges. 1985, ISBN 3-8047-0670-3.
  27. Richtlinie 2001/83/EG Artikel 1 (11) abgerufen am 4. Dezember 2011
  28. 28,0 28,1 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Pharmakovigilanz. In: Arzneiverordnung in der Praxis Bd. 32 Sonderheft April 2005 PDF
  29. Drogenbeauftragte der Bundesregierung: Drogen- und Suchtbericht 2009 PDF.
  30. World Health Organisation: The World Medicines Situation. (1.052KB PDF) 8. September 2004, abgerufen am 31. Dezember 2012 (englisch).
  31. 31,0 31,1 OECD: Health at a Glance 2009 Kapitel 7.4.: Pharmaceutical Expenditure Paris: OECD 2009 ISBN 978-92-64-07555-9.
  32. http://de.reuters.com/article/domesticNews/idDEBEE80U03O20120131
  33. 33,0 33,1 33,2 Österreichische Apothekerkammer: Die Österreichische Apotheke in Zahlen 2009 PDF.
  34. Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zu Rückständen von Tierarzneimitteln in Lebensmitteln abgerufen am 4. Dezember 2011
  35. Bayerisches Landesamt für Umwelt: Arzneistoffe in der Umwelt. 2008 PDF.
  36. Radka Alexy, Klaus Kümmerer: Antibiotika in der Umwelt. In: KA – Abwasser, Abfall Bd. 52(5), S. 563 – 571, 2005 ISSN 1616-430x.

Weblinks

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