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Liste der Stolpersteine in Tirol

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Die Liste der Stolpersteine in Tirol enthält die Stolpersteine im österreichischen Bundesland Tirol, die an das Schicksal der Menschen erinnern, die von den Nationalsozialisten in Tirol ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Die Stolpersteine wurden von Gunter Demnig verlegt. Sie liegen im Regelfall vor dem letzten selbstgewählten Wohnsitz des Opfers.

Die erste und bislang einzige Verlegung in Tirol fand am 20. September 2019 in Zell am Ziller statt.

Tirol während der NS-Herrschaft

Innsbruck im März 1938

Tirol ist traditionell ein konservativ dominiertes Bundesland mit hohem Anteil an Katholiken, einem starken Bauernbund und wenig Industrie. Bereits in der Zwischenkriegszeit dominierte die Tiroler Volkspartei das politische Geschehen.[1][2] Sie erreichte in der Ersten Republik bei den Landtagswahlen stets absolute Mehrheiten – mit Ergebnissen zwischen knapp 60 % und mehr als 65 % – und stellte durchgehend den Landeshauptmann. Die Sozialdemokratie hatte in Tirol stets einen schweren Stand, konnte sich aber als zweitstärkste Kraft etablieren. Auch die deutschnationalen Kräfte waren in den Zwischenkriegsjahren in bescheidener Stärke im Tiroler Landtag vertreten, nicht jedoch die Kommunisten und die Nationalsozialisten. Ihr bestes Ergebnis erzielte die NSDAP 1925 mit 3.260 Stimmen, das waren 2,07 % der Wählerschaft. Damit scheiterte sie erneut beim Versuch, in den Landtag einzuziehen.[3] Trotzdem war der Jubel anlässlich des Einmarsches der deutschen Truppen im März 1938 und des sogenannten Anschlusses Österreichs an das Dritte Reich groß, Innsbruck war im Handumdrehen mit NS-Fahnen beflaggt und die noch junge Schriftstellerin Gertrud Fussenegger, frühere Studentin der Universität Innsbruck, huldigte dem Führer in Versform im Völkischen Beobachter:

„Betend wallt ihm entgegen
freudeweinendes Volk,
sich selbst als Gabe zu bringen,
gewillt zu größtem Bekenntnis“

Gertrud Fussenegger: Stimme der Ostmark; Völkischer Beobachter, 15. März 1938

Seherisch beschrieb die Dichterin damit eine Szene, die sich erst am 5. April 1938 in Innsbruck zutragen sollte, als Adolf Hitler zur Visite in die Tiroler Landeshauptstadt kam. Das NS-Regime etablierte sich schnell und friktionsfrei im katholisch geprägten Tirol. Gauleiter wurde Franz Hofer, ein überzeugter und brutaler Nationalsozialist, der den Ehrgeiz hatte, den neuen Gau Tirol-Vorarlberg ehestmöglich „judenfrei“ zu machen. Sein Vorgehen war schnell und von äußerster Brutalität. Bereits während der Novemberpogrome des Jahres 1938 wurden vier angesehene Bürger Innsbrucks erschlagen oder erstochen. Um kein Aufsehen zu erregen, verzichtete die lokale SS auf Uniformen und Schusswaffen. Die Mord- und Rauboperation wurde mitten in der Nacht in Zivilkleidung durchgeführt. Den Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde für Tirol und Vorarlberg, Richard Berger, warf man in den Inn. Tirol und Vorarlberg hatten jeweils nur eine kleine jüdische Population, nur 407 Menschen in diesen beiden Bundesländern gaben bei der Volkszählung 1934 an, der jüdischen Konfession anzugehören. Das waren 2,1 % aller damals in Österreich lebenden Juden.[4] Für diese kleine Gruppe war die Nacht von 9. auf 10. November 1938 ein Exempel, was auch ihnen bevorstehe. Viele verließen umgehend ihre Heimat, die meisten anderen wurden in Wien in Sammelquartieren untergebracht. Am 15. März 1939 wurde Tirol für „judenfrei“ erklärt.[5]

Der Widerstand war spärlich und er kam spät. Der Historiker Horst Schreiber stellte fest: „Der Widerstand in Tirol war verstreut und isoliert, eine überregionale Zusammenarbeit existierte kaum. Zu einem großen Teil wurde er von unerfahrenen Leuten getragen […] Widerstand war in Tirol eine rare Ausnahme, Begeisterung und Sympathie für das NS-Regime, Mitläufertum, Opportunismus und Anpassung die Regel.“[6] Zwischen 1938 und 1940 spielte der legitimistisch-monarchistische Widerstand eine gewisse Rolle, danach wurde er durch Verhaftungen, Einzelhaft, Dunkelarrest und Schläge gebrochen. Vereinzelt gab es auch Widerstand seitens Geistlicher, doch der wesentliche Anteil des Widerstands gegen das NS-Regime stammte aus Sozialisten und Kommunisten, die mindesten 24 Mitglieder verloren.[6]

Die Marktgemeinde Zell am Ziller vermeldet auf ihrer Website, dass es bei der Abstimmung über den Anschluss 1938 in Zell drei Nein-Stimmen gab. Die Zahl der Ja-Stimmen wird nicht erwähnt. Nach dem Untergang des NS-Regimes stellte man fest: „Die Schlußrechnung war hart: 49 Gefallene und der […] hingerichtete Hauptschuldirektor Hans Vogl.“[7]

Zell am Ziller

Bild Inschrift Standort Leben
HIER WOHNTE
UND LEHRTE

HANS VOGL
JG. 1895
IM WIDERSTAND
VERHAFTET 10.4.1942
HINGERICHTET 30.6.1944
MÜNCHEN-STADELHEIM

Alte Schule, Unterdorf 15
Stolperstein für Hans Vogl47.23483911.881307
Hans Vogl, eigentlich Johann Vogl, wurde am 3. April 1895 in Eben am Achensee geboren. Er wurde Volksschullehrer in Erl bei Kufstein und arbeitete zusätzlich als Gemeindesekretär. Er gründete eine Familie, hatte aber Schwierigkeiten diese durchzubringen. Denn als Sozialdemokrat und aufgrund seiner antiklerikalen Haltung stieß er bei der streng katholischen Landbevölkerung zunehmend auf Unverständnis, Misstrauen und sogar Ablehnung und bekam daher keine bessere Stelle. Diverse Schwierigkeiten in Erl führten 1936 zu seiner Versetzung nach Jenbach. Nach der Annexion Österreichs arrangierte er sich mit den neuen Machthabern, wurde als Hauptschuldirektor nach Zell am Ziller berufen und trat der NSDAP bei. Im Juni 1941 wurde er von Adi Horejs, einem Freund, zu einer Versammlung in Kufstein eingeladen. Dort sprach der Berliner Kommunist Robert Uhrig zur wirtschaftlichen und militärischen Lage. Vogl war nicht nur Zuhörer, er spendete auch für die Untergrundtätigkeit. Im Jänner 1942 besuchte ihn der Kufsteiner Sozialist und Widerstandskämpfer Alois Graus und wenige Wochen später traf er diesen wieder in einem Zug, als er – gerade verhaftet – nach Innsbruck überstellte wurde. Graus gelang es, Vogl darum zu bitte, die Mitglieder der Kufsteiner Widerstandsgruppe Roby zu warnen. Dies tat er auch. Am 10. April 1942 wurde Hans Vogl selbst verhaftet. Er hatte nicht gewusst, dass die Gruppe Roby bereits seit Herbst 1941 überwacht wurde. Zudem fanden die Gestapo-Männer bei der Durchsuchung seines Hauses eine „umfangreiche marxistische Bibliothek“. Von 8. Jänner bis 23. September 1943 war er im Konzentrationslager Dachau inhaftiert, unter furchtbaren Haftumständen. Zahlreiche Briefe an seine Frau zeugen davon. Am 13. und 14. April 1944 stand er vor dem 6. Senat des Volksgerichtshofs in München. In der Hauptverhandlung wurde ihm die Parteizugehörigkeit zum Verhängnis, denn er hätte „dem Führer die Treue gebrochen und sich als Todfeind des NS verschworen“. Hans Vogl wurde zum Tode verurteilt und am 30. Juni 1944 in München-Stadelheim hingerichtet. Auch Uhrig und Graus wurden vom NS-Regime ermordet. In letzten Aufzeichnungen an seine Familie schrieb Hans Vogl: „Ich starb nicht, weil ich jemandem Böses getan habe, sondern weil ich immer auf der Seite der Armen und Hilflosen stand, also wegen meiner Weltanschauung. Das soll keine Schande für Euch sein. Ihr dürft stolz darauf sein. (…) Das richtige Urteil wird die Geschichte sprechen!“[8]

Er hinterließ eine Frau und vier Kinder.[9]

Verlegedatum

Der bislang einzige Stolperstein in Tirol wurde am 20. September 2019 vom Künstler persönlich verlegt. Die Initiative dazu kam von Anneliese Brugger, den einzigen SPÖ-Gemeinderätin in Zell, und Josef Thaler, einem pensionierten Rechtsanwalt, der auch die Kosten der Verlegung übernahm.[10]

Kontroversen um den zweiten Stolperstein

Die alte Schule, Wirkungsstätte und Wohnort des Widerstandskämpfers Hans Vogl

Die Verlegung eines zweiten Stolpersteins für die Witwe Vogls wurde von den Initiatoren vorgeschlagen, jedoch mit den Stimmen der ÖVP- und FPÖ-Gemeinderäte abgelehnt. Widerstand kam unter anderem vom FPÖ-Mandatar Christoph Steiner, der auch im Bundesrat vertreten ist. Als Gegenleistung für seine Zustimmung zum Stolperstein für die Witwe Vogls forderte er ein Denkmal für die Kriegerwitwen des Ortes. Gunter Demnig distanzierte sich von den Aussagen Steiners und kündigte an, einen Platzhalter für den Hilde-Vogl-Stolperstein zu verlegen.[10]

Einzelnachweise

  1. Michael Forcher: Kleine Geschichte Tirols, Haymon, Innsbruck 2012, ISBN 978-3-85218-902-4.
  2. Roman Spiss: Wirtschaftliche und soziale Umbrüche zwischen den Weltkriegen. (PDF; 417 kB) In: erinnern.at. Unterrichtsmaterial, abgerufen am 6. Jänner 2020.
  3. Friedrich Stepanek, Simon Lukasser: „Aber daß es leider auch Tiroler gibt, die sozialdemokratisch wählen konnten, […] ist für einen wirklichen Tiroler glattweg eine Unbegreiflichkeit“. Landtagswahlkämpfe im Bundesland Tirol 1919–1933. In: Herbert Dachs, Michael Dippelreiter, Franz Schausberger (Hrsg.): Radikale Phrase, Wahlbündnisse und Kontinuitäten – Landtagswahlkämpfe in Österreichs Bundesländern 1919 bis 1932. Böhlau, Wien / Köln / Weimar 2017, ISBN 978-3-205-20587-6, S. 452.
  4. Österreichische Historikerkommission: Schlussbericht der Historikerkommission der Republik Österreich. Band 1. Oldenbourg, Wien 2003, S. 85–87. Gezählt wurden 365 Juden in Tirol und 42 in Vorarlberg. Wie weit sich die Population zwischen 1934 und 1938 veränderte, ist nicht bekannt.
  5. Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum: Innsbruck/Tirol (Österreich). In: jüdische-gemeinden.de. Abgerufen am 6. Jänner 2020.
  6. 6,0 6,1 Alexander Wallner, Claudia Bucher, Markus Seeber: Widerstand und Befreiung in Tirol 1945. (PDF; 4,6 MB) In: erinnern.at. Abgerufen am 6. Jänner 2020.
  7. Ein Ausflug in die Geschichte des Ortes. In: gemeinde-zell.at. Abgerufen am 6. Jänner 2020.
  8. Stolpersteinverlegung in Zell/Ziller. In: Zillertaler Zeitung. Abgerufen am 6. Jänner 2020.
  9. Der Eduard-Wallnöfer-Platz in Innsbruck (Website), dort zwei Seiten, beide abgerufen am 6. Jänner 2020:
    * 35 Alois Graus (1897–1943),
    * Hans Vogl (1895–1944).
  10. 10,0 10,1 Steffen Arora: Zell am Ziller erhält Tirols ersten Stolperstein und verhindert zweiten. In: Der Standard. 21. September 2019, abgerufen am 6. Jänner 2020.

Weblinks

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